Der kurze Hebel der Motivierung
In der Praxis ist allenthalben zu beobachten, dass dort, wo motiviert werden muss, es ohnehin oft zu spät ist. Den »Abgestellten« wieder zu einem »Angestellten« zu machen ist ein überaus schwieriges Geschäft. Wo den Hebel ansetzen? Fast alle Motivierungstechnik hebelt in der Arbeitssphäre. Aber selbst wenn alle Bedingungen am Arbeitsplatz so optimal wie möglich gestaltet werden können, so ist allenfalls die notwendige Voraussetzung erfüllt, nicht die hinreichende. Denn es wird schlicht übersehen, dass die Motivation der Mitarbeiter sich aus einer Fülle von Einflüssen, unterschiedlichen Umständen und Gegebenheiten speist, die zum weitaus größten Teil außerhalb der Arbeitssphäre liegen. Ein kurzer Hebel also.
Die Arbeitssituation des Mitarbeiters ist mit den Elementen Aufgabeninhalte, Organisationsstruktur, Budgets, Informationsdichte und Führung für den Vorgesetzten noch einigermaßen steuerbar. Aber schon hier wird die mögliche Einflussnahme kompliziert, weil, wie wir heute wissen, vor allem bei längerfristigen Erwartungsenttäuschungen von Gruppen-Demotivationen ausgegangen werden muss. Gemeint sind hier breit streuende Demotivationslagen, die über formelle und informelle Kommunikationswege gruppenbildende Einstellungen und Haltungen prägen. Die berüchtigten »Jammerzirkel« sind die bekanntesten Phänomene dieses Typs mit hoher Infektionsdynamik.
Es bleibt aufzuzeigen, welche engen Grenzen die verbleibenden Einflusssphären den Motivierungsversuchen setzen.
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Das Individuum
Die Analyse der menschlichen Leistungsmotivation und deren Einfluss auf Entscheidungen haben die Organisationstheoretiker ebenso beschäftigt wie die Philosophen und Psychologen. Dass Handlungsmotive nicht reduziert werden können auf bloß äußere Motive, dass insbesondere rein ökonomische Motive sich zur Erklärung menschlicher Handlungsweisen als völlig unzulänglich erwiesen haben, gehört dabei zu den Konstanten der gesamten Organisationstheorie. Die häufig losgelöste Behandlung der diese Aspekte berührenden Fragen (insbesondere auch die Isolierung und Bevorzugung des ökonomischen Faktors) beruht auf tradierten philosophischen Vorurteilen.
Man geht heute relativ übereinstimmend davon aus, dass bei Handlungsentscheidungen ethische, psychosoziale und wirtschaftliche Aspekte miteinander verknüpft werden und zwar auf jeweils sehr individuelle Weise und situativ zumTeil außerordentlich unterschiedlich. Viele Studien haben nachgewiesen, dass die Auffassung, die Herzbergschen »Motivatoren« führten zu immer höherer Leistung, nicht gültig ist, sondern dass situative Variablen hierbei eine wesentliche Rolle spielen. Daraus erwächst für die Motivierungsanhänger unter den Führungskräften das Problem, die Motivationslage jedes einzelnen Mitarbeiters genau zu erforschen, etwaige mittelfristige Verschiebungen zu beobachten und sogar situationsbedingte Verwerfungen mit entsprechenden »Gegenmaßnahmen« aufzufangen. Und in der Tat wird in der einschlägigen Literatur verstärkt die Individualisierung der Anreizsysteme gefordert, wird das einfühlsame Aufgreifen der je spezifischen Motivationslage des Mitarbeiters zur Kardinaltugend der Führungskraft erkoren.
»Unmöglich!«, höre ich die Mehrzahl der Vorgesetzten rufen. »Dazu müssten wir alle noch Psychologie studieren und zudem einen 25-Stunden-Tag haben.« So rettet man sich in die Lektüre der regelmäßig veröffentlichten Forschungsberichte zur
allgemeinen Motivationslage. Je nach Forschungsrichtung beweist dann die eine Erhebung beharrlich die materielle Orientierung der Arbeitnehmer, während die andere das Zeitalter der leistungs
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Natürlich wissen die Forscher um die Unschärfe ihrer Erhebungen. Die Führungskräfte, denen die Ergebnisse ja Handlungsorientierung geben sollen, blenden diese Relativierungen jedoch zumeist aus und nehmen das Ergebnis als »Wahrheit« an. Nun ist aber der Soziodiagnostik seit einiger Zeit bekannt, dass die handlungserklärenden (nach der Handlung benannten) Motive nicht notwendig auch die handlungssteuernden (vor der Handlung wirksamen) Motive sind. Erklärungen – so weiß man auch – sind späte Rationalisierungen meist unbewusster Entscheidungsprozesse, die sich zudem mit der Üblichkeit zu harmonisieren versuchen. Die eigentlich handlungssteuernden Motive bleiben weitgehend im Dunkeln.
Vorsicht ist also geboten, will man aus den regelmäßigen Veröffentlichungen zur »Motivlage der Nation« weitreichende Schlüsse ziehen. Sie liefern Hinweise, mehr nicht. Festzuhalten bleibt, dass die intrapsychischen Ursachen der Entscheidungsfindung außerordentlich komplex sind und sich – wie Hawthorne in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts schon für Western Electric nachwies – zu einem erheblichen Prozentsatz unberechenbar-spontan artikulieren. Die Führungskraft, die nach dem Motto »alle wollen nur das eine« eine Motivierungspraxis unterschiedslos für alle Mitarbeiter gleichermaßen exekutiert, hat mithin zwangsläufig für viele Fische den falschen Köder aufgezogen.
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Jene Führungskraft aber, die sich psychologisch sensibel in die (je wechselnden) Motivationen ihrer Mitarbeiter hineinfühlt, wird nicht nur einen erheblichen Zeitaufwand betreiben müssen. (Das wäre noch zu legitimieren, wenngleich bei tendenziell sich verbreiternden Führungsspannen das Problem wächst.) Sie wird auch – nach allem, was wir heute über die Psychodynamik der Menschen wissen – in der Mehrzahl mit einer großen Unschärfe ihrer Analyse zu rechnen haben, die noch durch die ebenso naheliegende wie gefährliche Projektion der eigenen Bedürfnisse auf den Mitarbeiter weiter verstärkt wird.
Wen kann es also wundern, wenn Mitarbeiter aufgrund unterschiedlicher Motivationsstrukturen nicht in gleicher Weise auf die Kanalisierungsinstrumente des Unternehmens reagieren? Alle Formen des Rückzugsverhaltens sowie eine ausgeprägte Suchneigung sind die kostspieligen Folgen eines individuell als »unpassend« empfundenen Motivierungssystems. Wer hier hebeln will, muss mithin der völligen Individualisierung der Leistungsanreize das Wort reden. Zeitsparend ist das nicht. Ob es funktioniert, steht dahin.
Die Familie
Ein weiterer die Leistungsmotivation des Mitarbeiters beeinflussender Bereich ist zweifellos die Familie. Schwierigkeiten mit dem Partner sind eine wichtige Produktivitätsbremse. Auch die Wertschätzung, die die Familienmitglieder dem Beruf, der Firma und dem Arbeitseinsatz (als Ursache der Abwesenheit von der Familie) entgegenbringen, ist von hoher Bedeutung für das Selbstwertgefühl.
Die Motive, die die Mitarbeiter zur Mitarbeit im Betrieb veranlassen, werden letztlich weder vom Betrieb initiiert, noch beziehen sie sich auf ihn. Sie werden von anderen Institutionen vorgegeben, zu ganz wesentlichen Teilen von der Familie. Hier wird die Motivausstattung entwickelt, die in das Unternehmen mitgebracht wird. Und hier wirken auch die Sanktionsmechanismen mit unverdeckter Schärfe. Diese Sanktionen können im Wertebereich greifen, wenn etwa die Arbeit in der Nuklearwirtschaft auf
|40|massiven familieninternen Protest stößt. In anderen Fällen, etwa bei (vordergründig) hochethischen Tätigkeitsfeldern, erfährt die Arbeit volle Unterstützung. Diese Sanktionen können sich jedoch auch schlicht auf den rein quantitativen Umfang der Arbeit beziehungsweise die arbeitsmarktkonformen Mobilitätserfordernisse der Lebensführung beziehen, die den Vater zum kaum noch wiedererkannten »fremden Onkel« werden lassen und dadurch die Stabilität des Familienzusammenhalts gefährden.
Die Unternehmen schenken daher dem familiären Umfeld ihrer Mitarbeiter verstärkt Beachtung. (Bekannt ist das unvermeidliche Familienfoto auf amerikanischen Chef-Schreibtischen, das selbst nach lange zurückliegender Trennung die Fassade aufrechterhält.) Die Ehepartner werden verstärkt in das Berufsleben einbezogen. Ihnen soll das Gefühl vermittelt werden, dass das Unternehmen auch an sie denkt (es denkt natürlich nur mittelbar an sie, gleichsam als unvermeidbares Übel; Ziel des Ganzen ist die Leistungssteigerung und Bindung des Mitarbeiters). Die Hebelmöglichkeiten, der potenziellen Bremsenergie des Ehepartners entgegenzuwirken, sind bekannt: Gutscheine für ein Essen zu zweit, Familienprogramme, Incentive-Reisen, Einbeziehung auf Betriebsfesten bis hin zur Unternehmenskultur als PR-Kampagne. Ehefrauen werden Weiterbildungsangebote gemacht. Das Motto dazu: »Der Erfolg macht nicht glücklich, aber der Glückliche ist erfolgreich.«
Das gesellschaftliche Umfeld
Die individuelle Psychodynamik mit ihren Bedürfnissen, Wünschen und Erwartungen ist ebenso wie der familiäre Hintergrund eingebettet in einen gesamtgesellschaftlichen Rahmen, der der »Motivierbarkeit« von Mitarbeitern mehr und mehr Grenzen setzt. Eine nüchterne Analyse dieser außerbetrieblichen Einflusssphäre hat von folgenden Überlegungen auszugehen:
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Zwar scheint sich das Primat des Politischen über das Ökonomische nur schwer behaupten zu können; andererseits aber hat
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Und die legitimen Ansprüche der Öffentlichkeit an die umfassende Verantwortung wirtschaftlichen Handelns werden heute von immer mehr Mitarbeitern geteilt. Schon dadurch wird das Leben im Unternehmen politisiert, wertbezogen, mindestens in dem Sinne, dass die Skrupel (zum Beispiel bei umweltbelastenden Produktionsverfahren, ökologisch fragwürdigen Produkten, Nichtberücksichtigung kommunaler Bedürfnisse) eher wachsen werden.
Ein schlechter Ruf des Unternehmens ist daher ein kaum zu überschätzender (und kaum »auszuhebelnder«) Wettbewerbsnachteil im Wettlauf um die Zustimmung der eigenen Belegschaft. Da hilft auch keine Firmen-»Philosophie« auf Hochglanzpapier. Auch im Kampf um die Besten der Jahrgänge wird für ein Unternehmen die öffentliche Zustimmung im umgebenden Meinungsklima grundsätzlich immer wichtiger. Der Wunsch nach einem Leben, das für Beruf und Freizeit dieselben Wertorientierungen verbindlich werden lässt, wird für immer mehr (vor allem junge) Menschen zur handlungsleitenden Zielidee. Die Mitarbeiter geben ihre Einstellungen nicht mehr an den Toren des Unternehmens ab.
Und gegen diese Einstellungen zu motivieren ist ein wenig taugliches Unterfangen, jedenfalls langfristig. Aber auch schon kurz- und mittelfristig produziert es einen lähmenden Wertekonflikt und verhindert, was für wirklich erfolgreiche Arbeit die einzig hinreichende Voraussetzung ist:
Begeisterung.
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Diese oben genannte Entwicklung ist richtungsgleich mit einem Phänomen, das mit »neuer Kritikfähigkeit« sicher nicht unzutreffend bezeichnet ist. Die heutigen Arbeitnehmer sind in relativem Wohlstand aufgewachsen und haben eine weitaus bessere Bildung genossen als die Generationen zuvor. Veränderte Sozialisationsbedingungen kommen hinzu, immer mehr junge Menschen wachsen bei nur einem Elternteil auf, als Einzelkinder mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung und einer ausgeprägten Individualstruktur. Die rasante technologische
|42|Entwicklung hat mit ihren vielfältigen beruflichen Anforderungen dazu geführt, dass die jungen Menschen zu oft hoch qualifizierten Spezialisten ausgebildet werden (was insbesondere viele ältere Manager vor verständliche Probleme stellt).
Und Wohlstand wie Bildung verändern die Einstellung, machen kritikfähiger. Für die hier in Rede stehenden Zusammenhänge ist es wichtig, dass sich aus dieser Konstellation ein besonderes Interesse an Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und stabiler Partizipation ergibt. Glaubwürdigkeit, Authentizität und menschliche Integrität sind heute die vor allem von jüngeren Arbeitnehmern meistgesuchten Persönlichkeitseigenschaften. Ein Blick auf die Gerontokratie vieler Chefetagen macht die Sprengkraft dieser Wertedynamik deutlich: Diesem neuen Anspruch sind heute nur wenige Topmanager gewachsen.
Ich sehe nicht, wo am kritisch wachen Bewusstsein der jüngeren Generationen der Hebel der Motivierung langfristig erfolgreich anzusetzen wäre. Insbesondere dann nicht, wenn Unglaubwürdigkeit, mangelnde soziale Sensibilität und Feldherrnpose die Chefetage regieren. Nebelwerfen hilft da nur vorübergehend. Keine Winkelzügigkeit, keine Falschheit und kein hohles Pathos entgehen dem geübten Blick der jungen Individualisten. Und gerade die Besten, die High Potentials unter ihnen, kann man nicht ködern, kann man nicht verführen. Sie wollen ernst genommen werden.
Die Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung sind unmissverständlich: Es wird immer weniger junge Menschen geben. Schon jetzt sind die Geschäftsberichte großer Konzerne voll der Klagen, dass viele Stellen qualitativ nicht mehr wunschgemäß besetzt werden können. Unter dem demografischen Diktat der Knappheit ist es fahrlässig, diese wenigen nicht ernst zu nehmen. Der Wettlauf um die wenigen Guten kann sonst nur verloren werden.
Dass aber überhaupt gehebelt wird – das ist eine Frage des Menschenbildes.
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