Gegen-Reden
»Alles Motivieren ist Demotivieren« – dieser zentrale Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch meine Argumentation; und aus dem roten Faden kann für viele schnell ein rotes Tuch werden. Es wäre naiv zu glauben, man dürfe ungestraft ein inzwischen moralisch neutralisiertes, als »erfolgreich« ausgewiesenes und strukturell »sicheres Wissen« infrage stellen; man dürfe Sicherheit gebende Schweigeverabredungen dieser Größenordnung durch kritische Wachheit durchbrechen und Mehrdeutigkeiten zur Debatte stellen. Gegen das Querdenken läuft in nahezu allen Organisationen, wenn ich es richtig sehe, schnell ein Ermittlungsverfahren wegen mangelnder Ordnungsliebe, wegen (wortwörtlich:) un-wirtschaftlicher Träumerei, wegen mutwilliger Entfernung von der Truppe. In manchen Diskussionen erscheint mir aber der besondere Eifer, mit dem eine kritische Überprüfung der Motivierung abgelehnt wird, als ein Versuch, die eigene Verstrickung, die Unterwerfungsbereitschaft unter den Zynismus der Motivierung ungeschehen zu machen. Gleichmacherei! Abkehr vom Leistungsprinzip! Kollaboration mit der Lethargie! Und viele ähnlich weitherzige Stempel werden dem aufgedrückt, der die Logik der Motivierung zu Ende zu denken versucht. Manche riechen gar den Schwefelgeruch sozialistischer Revolte. Dabei wäre der einzige Vorwurf unangemessener Radikalität, den ich hier gelten ließe, der im Namen der Leistung.
Natürlich: Seit Urzeiten empfanden Menschen das Alte immer als das Wahre, das Neue als bedenklich. Man hat ja so seine Erfahrungen. Gegen den harthörigen Widerstand träger Ge
|167|wohnheiten und bewährter Ansichten, vor allem gegen die sich anthropologisch gebenden Vorurteile – gegen ein misstrauisches Menschenbild anzureden ist ein schwieriges Geschäft, insbesondere dann, wenn man in den Dialog mit fast leeren Händen geht, lediglich mit dem Plädoyer für das bessere Argument. Hören wir einige Argumente dagegen:
»Würde denn nicht der Schlendrian Einzug halten, verzichtete man auf alle Anreizsysteme?« – Dagegen gibt es keine Garantie. Sie wäre jedoch auch unbrauchbar, weil jemand, der so fragt, ohnehin nicht an Garantien glaubt. Wahrscheinlich ist es aber nicht. Denn erstens wird eine stattliche Mehrheit der Mitarbeiter auch in Zukunft partout leisten wollen. Es gibt immer noch viele, die Spaß an ihrer Arbeit haben und trotz aller Motivierung/Demotivierung mit Leidenschaft ihre Projekte meistern. Genau diese finanzieren letztlich die Kosten der Motivierung: die Gehälter der verkrampften Erfolgssucher und der frustrierten Misserfolgsvermeider.
Was bleibt, ist ein betriebswirtschaftliches Problem von mäßiger Schwierigkeit: Die Kosten, die ein Unternehmen für die Anreizsysteme aufbringt, dürfen nicht höher sein als die Produktivitätssteigerung, die sie erzeugen sollen. Gerade hier wurzelt die alte Intuition, dass der Gewinn die Qualität eines Unternehmens bemisst. Gewinn, allerdings begriffen als Unterschied zwischen dem produzierten Wert und dem Wert der für den Produktionsprozess nötigen Anreize. Dieser so verstandene Gewinn drückte aus, inwieweit Menschen ihre Motivation in diesem Unternehmen entfalten können. Ein wichtiger Hinweis für die Gestaltung der Unternehmenskultur!
Für eine abschließende Antwort aber reicht unser Wissen natürlich nicht aus. Es ist allerdings die Frage, ob Gedanken nach ihrer vorhersagenden oder eher nach ihrer schöpferischen Kapazität bewertet werden sollten: danach, ob sie Debatten stimulieren, hinterfragen, was als gegeben gilt, und neue Perspektiven für das Leben in unseren Unternehmen anbieten.
»Aber die Motivierung funktioniert doch!« – Was hier als »gegeben« aussieht, ist »vorgeblich«. Natürlich sind Menschen manipulierbar. Natürlich können Sie Mitarbeiter mit einigen
|168|Geldscheinen oder einer attraktiven Reise dazu verführen, »zusätzliche« Leistung zu erbringen. Und natürlich ist es andererseits chic geworden, die Rolle des Geldes für die Leistungsfreude herunterzuspielen. Über Banalitäten, dass jeder gutes Geld und am liebsten auch immer ein bisschen mehr verdienen will, brauchen wir an dieser Stelle nicht zu reden. Die Frage ist doch: Arbeitet der Mitarbeiter besser (ich sage bewusst nicht »mehr«), wenn ihm zusätzliches Geld versprochen wird? Und wie lange hält – wenn er sich denn tatsächlich verstärkt in die Riemen legt – der Motivationsschub vor? Sicher, das Gehalt muss stimmen. Die »motivierende«, stimmungshebende Halbwertszeit der Gehaltserhöhung aber ist kurz. Stellen wir die beschriebenen Begleiterscheinungen und Folgewirkungen in Rechnung: Ist das gut für das Unternehmen? Was Sie bekommen, ist eine kurzfristige Anpassungsleistung. Strohfeuer. Aber was kommt danach? Die »Führung übernehmen« heißt doch auch, sich nicht vom ersten Eindruck täuschen zu lassen, sich nicht mit dem bloßen Schein, dem scheinbar Gesicherten zufrieden zu geben, sondern den zweiten Blick zu riskieren. Es ist doch betriebswirtschaftlicher Unfug, nur dem Steigen der Umsatzkurve zu applaudieren, vor den Spät-, Neben- und Folgekosten aber die Augen zu schließen. Der zweite Blick zeigt: Diese Kosten sind immens, so verdeckt sie auch manchmal sind. Wer aber nur die eine Hälfte sieht, findet nicht etwa die halbe Wahrheit, sondern hat alles falsch: Die Motivierung ist die Ursache der Phänomene, die unsere Unternehmen innerlich aushöhlen.
Die Motivierung selbst ist also die Krankheit, für deren Heilung sie sich hält. Und so ist denn dieses Buch strittig und streitbar: ein Ausfall gegen die irritationsfeste Unbeirrbarkeit jener Motivierungsmechaniker, die mit dem Ruf »Aber es funktioniert doch!« die Folgeschäden ihres Handelns zur Legitimitätsgrundlage für immer neues Motivieren umlügen.
»Aber die Leute wollen doch verführt werden!« – Ja? Zunächst ist diese Behauptung häufig genug eben dies: Behauptung. Eine Sicht »von oben«, interessegeleitet überdies, da die Belohnung als Steuerungsinstrument unersetzlich erscheint, und selten wirklich hinterfragt. Die innere Verfassung der Mitarbeiterschaft, die vor
|169|geblich oder tatsächlich das System der Motivierung begünstigt, ist ein Teil des Systems, nicht dessen Entschuldigung. Die gigantische Umerziehungsmaßnahme, die durch Motivierung alle Mitarbeiter zu Drogensüchtigen und damit steuerbar-kontrollierbar macht, ist fest kalkuliert. Überall begegnet man der Ursache der Wirkung der Ursache der Wirkung.
»Aber die Leute kennen doch nichts anderes!« – Dann ist es Zeit, erwachsen zu werden. Was hindert Sie, die hier in Rede stehenden Zusammenhänge mit Ihren Mitarbeitern zu besprechen? Bewusstsein zu schaffen? Führung zu übernehmen? Diese Gegenrede zu akzeptieren hieße doch, den Menschen Erkenntnisfähigkeit abzusprechen. Und letztlich bleibt es immer noch eine klare Managemententscheidung, ob ein Unternehmen tatsächlich mit lauter labilen, belohnungssüchtigen Abhängigen arbeiten will.
»Aber wir sind doch so erfolgreich!« – Da ist es, das selbstbewusste Pochen auf profitable Tradition, das kein Interesse hat, dem Querdenken ein Mitspracherecht einzuräumen. Wenn Analyse und Erfahrung zueinander in Widerspruch geraten, obsiegt ja in aller Regel die Erfahrung. Meine Antwort darauf ist dreigeteilt. Zunächst eine These, eine Provokation:
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Sie sind nicht durch die Motivierung, sondern trotz Motivierung so erfolgreich! Das ist natürlich unbeweisbar. Man kann Menschen, die in eckigen Räumen leben, nicht erzählen, wie es ist, in runden Räumen zu leben. Ebenso fragwürdig ist es, aus den vielen Parametern, die für den Erfolg verantwortlich sind, genau jenen – nämlich die Motivierung – als für den Erfolg hauptursächlich herauszudestillieren. Das wäre eine Rationalisierung, die auch dadurch nicht einleuchtender wird, dass man sie fortwährend wiederholt. Vielmehr meine ich begründen zu können, dass die so verfahrenden Unternehmen Opfer ihres Erfolges sind. Meine Gegenfrage lautet demnach: »Wie erfolgreich wären Sie erst gewesen, wenn Sie nicht …?« – Wem das zu hypothetisch ist, dem biete ich eine zweite Antwort an:
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Nichts ist bedrohlicher für den Erfolg von morgen als der Erfolg von gestern. »Nur die eigene Erfahrung hat den Vorzug völliger Gewissheit«, sagt Schopenhauer und vermeidet wohl
|170|weislich das Wort »Wahrheit«. »Und diese Gewissheit bezieht sich entsprechend nur auf die Vergangenheit« ist zu ergänzen. Aber (nicht nur) Manager neigen dazu, das in der Vergangenheit erfolgreiche Verhalten mit der Zeit als das einzig mögliche zu betrachten. Erfahrungsregeln jedoch werden zur Belastung, wenn die Umweltbedingungen, unter denen sie entstanden sind, nicht mehr existieren – so der Philosoph Henri Bergson. Wie mit einem guten Slogan, so ist es auch mit einem durchschlagenden Erfolg: Er kann das Nachdenken 20 Jahre lang blockieren. Bei auftretenden Turbulenzen reagieren aber viele Firmen mit der Intensivierung bisheriger Vorgehensweisen, mit der Methode der Psychose »mehr vom selben«, mehr Werbung, mehr Außendienst, mehr Incentives – ohne dass sie verstehen, dass sich die Spielregeln und Parameter des Wettbewerbs geändert haben. Es ist eine der größten kommunikativen Schwierigkeiten im Unternehmen überhaupt, an Probleme gegenwartsbezogen und nicht vergangenheitsorientiert heranzugehen: »Das haben wir immer schon so gemacht!« Und diese Beharrungsenergien wurzeln umso tiefer, je erfolgreicher ein Unternehmen bisher war.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die Erfolgsfalle ist sicher die Nachuntersuchung, die
Business Week zusammen mit McKinsey und Standard & Poor’s Compustat Services Inc. über diejenigen Unternehmen durchführte, die Peters und Waterman in ihrem Buch
Auf der Suche nach Spitzenleistungen als »excellent« bezeichneten. Unter der Überschrift »Oops!« kam man zu dem Ergebnis, dass mindestens 14 der ehemals 43 bejubelten Firmen nur zwei Jahre später (!) in den Misserfolg abgerutscht sind. Hauptursachen: Ausruhen auf den Lorbeeren der Vergangenheit; Fortschreiben bewährter Praktiken in die Zukunft; mangelnde Sensibilität für Entwicklungen im gesellschaftlichen Umfeld. Ja, Erfolgserfahrung ist der größte Feind des Wandels. Dafür fand Howard Ruff einst die goldenen Worte: »It wasn’t raining when Noah built the ark.«
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Meine dritte Antwort ist eine Frage: Welchen Erfolg meinen Sie? Erfolg ausschließlich als das von Zahlen repräsentierte Betriebsergebnis? Oder Erfolg auch als Lebensqualität, Spaß,
|171|persönliches Wachstum? Und wie hoch ist der seelische und körperliche Preis, den die Mitglieder der Organisation für die Zahlen bezahlen? Und zahlen einige mehr als andere?
Wenn man mit Erfolg das reine Zahlenergebnis meint, bewegt man sich in einer kurz greifenden, wenn auch vorherrschenden Logik. Es gibt aber auch andere Dimensionen von Erfolg. Was ist mit der Kostenstelle »Führungsstil«, auf die die Mitarbeiter täglich einzahlen? Was ist mit den psychosozialen Kosten als Folge verdeckter Abwertung durch Misstrauenssysteme? Wie viel kostet der Verlust der Selbstachtung? Wie hoch sind die ökologischen Kosten, die in die Gewinn-und-Verlust-Rechnung der Betriebe kaum einbezogen sind, aber von der »anderen« Gesellschaft bezahlt werden? Schon wahr: In keiner Bilanz wird darüber Rechenschaft abgelegt, wie viele Menschen glücklich oder unglücklich gemacht wurden. Und das leerformelhafte Mensch-im-Mittelpunkt-Gerede ist ohnehin Budenzauber. Unternehmen werden aber mit steigender Umweltturbulenz und Komplexität notwendig und überlebenswichtig Menschen brauchen, die zu »situationsoriginellem und überraschungsbuntem Problemlösungshandeln« (Rieckmann) in der Lage sind, die selbstregulationsfähige und selbstverantwortliche Persönlichkeiten sind. Die besten Mitarbeiter aber werden sich in Zeiten rapider Wertedynamik und knapper Jahrgänge mehr denn je jene Unternehmen aussuchen können, die ihnen eine positive Glücksbilanz ermöglichen und deren Ruf »Lebensqualität« impliziert. Dann wird diese »weiche« Sichtweise wieder zum betriebswirtschaftlichen Argument. Denn diese Mitarbeiter werden solche Fragen stellen.
»Aber muss man denn nicht für die miesen Jobs motivieren?« – Das funktioniert nicht. Aus unserer Perspektive ergibt sich: Wenn jemand sich findet, der mit Hingabe diesen Job macht, gut. Wenn nicht, dann müssen wir den Job verändern, umorganisieren oder abschaffen. »Das klingt aber sehr einfach«, wird mancher denken. Ja. Aber ich sehe keine Alternative, wenn wir aus dem Teufelskreis der Motivierung heraustreten wollen. Wer glaubt, er könne mit einem Trick den Konsequenzen der Motivierung entgehen, irrt.
|172|Wer aber glaubt, die vorgeschlagene Alternative sei in der Praxis nicht durchsetzbar, soll wissen, welchen Preis er zahlt.
»Die Kritik an der Motivierung gilt doch eher für Weißkrägen, nicht für Blaumänner!« – Ja, sie gilt allemal für höher qualifizierte Spezialisten und Manager, die überwiegend komplexere Aufgaben haben. Aber warum nicht auch für Blaumänner (und -frauen)? Haben die weniger Selbstachtung? Sind die weniger demotivierbar? Neigen sie nicht zur Auszahlung? Ist es weniger teuer, sie nicht ernst zu nehmen? Äußert sich in dieser Frage nicht jene verächtliche Sicht »von oben«, die Würde und Empfindsamkeit für sich selbst reklamiert, die Menschen am unteren Ende der Hierarchie aber nur als bewusstlose, amorphe Masse wahrnimmt, als »Personal«, das man fernsteuern muss? Der Schweizer Wirtschaftsprofessor Hans A. Wüthrich erzählte mir ein Erlebnis, das er bei Delta Airlines in den USA hatte. Bei der Analyse der Videoaufzeichnung einer abstürzenden Delta-Maschine sei eine zufällig anwesende Putzfrau des Unternehmens in Tränen ausgebrochen. Sie konnte es nicht verwinden, dass »ihr« Unternehmen den Verlust von Menschenleben zu verantworten hatte. Gering zu schätzen?
»Was aber, wenn man in einem Unternehmen arbeitet, in dem über Jahrzehnte extrinsisch motiviert wurde?« – Manager sind von einer bestimmten Ebene an immer mit
ganzen Systemen und mit Problemballungen konfrontiert und nicht nur mit einzelnen Problembereichen wie Finanzen, Marketing oder Produktion. Sie müssen daher die symbolischen Wirkungen ihres Handelns, die Spät- und Nebenfolgen für das gesamte Unternehmen mitdenken, die symbolische Streuwirkung auf die Unternehmenskultur auch bei Klein- und Kleinstentscheidungen mit berücksichtigen. Ihre Aufgabe ist es zudem nicht nur, die aktuellen Probleme zu lösen, sondern sich neue, bessere Zustände vorzustellen, Chancen und Themen vorauszusehen oder zu schaffen. Insofern erhalten Manager ihr Geld für »nichts« – für das, was (noch) nicht ist. Nicht für die Verwaltung des Status quo, nicht für die Bequemlichkeit bewährter Rezepte, sondern für das aktive Gestalten einer ungewissen Zukunft, für das Suchen und Versuchen. Solange wir es aber nicht versuchen, bleibt das, was eine bessere Wirklichkeit
|173|werden könnte, (noch) dem Wissen entzogen. Erst wenn wir es wagen, werden alle diese Überlegungen dem Test der lebendigen Wirklichkeit unterworfen, widerlegt oder bestätigt, und diesem Spruch müssen sie sich dann beugen. Das ist ein Risiko. Aber ein Unternehmer ohne Risiko ist keiner.
Sosehr uns aber auch manche Zustände in unseren Unternehmen bekümmern mögen: Wer als Einzelner hier eine Verantwortung für das Ganze spürt, muss sich hüten, dass er nicht deprimiert oder gar ein Michael Kohlhaas wird. Zu fest sind die Beharrungsenergien jener, die Schweigen über scheinbar Bewährtes dem Reden über Ungesichertes vorziehen. Es wird womöglich alles heftig bestritten werden, also wahrgenommen. Andere werden meinen, ich übertreibe, um zu provozieren. Die Darstellung sei einseitig, weil sie selbst einseitig sind. Man wird einiges tun, um die Kernaussagen zu relativieren und zu bagatellisieren. Oder alle Bewegung fürchten, weil sonst angeblich alles zusammenbricht. – Man wird sich wohl zusammentun müssen mit anderen, um die alles Handeln in unseren Unternehmen vorprägende Systemstruktur der Motivierung (erneut) zur Diskussion zu stellen. Aufwachen – Robert Spaemann hat darauf hingewiesen –, Aufwachen heißt die ganze Wirklichkeit sehen. Der Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Systems wird nicht mehr vergessen, ist er erst einmal aufgekommen.
Was bleibt aber, wenn man keine Mitstreiter findet? Dennoch: Anfangen! Vor seine Mitarbeiter treten und sagen: »Ich bin nicht dafür da, Sie zu motivieren! Ich bin nicht dafür da, Sie bei Laune zu halten!« Zu offen liegt die Hilflosigkeit und Ineffizienz der Motivierung zutage. Einerlei, wie geschickt und getarnt das Anreizinstrumentarium eingesetzt wird: Unter der Bedingung der Motivierung wird alles Führen zum Ver-Führen. Die Führungskraft wird zur Verführungskraft. Der Mitarbeiter wird zur Marionette gelenkter Bedürfnisse. Ihr Verhältnis zueinander ist das des Hundes zur Wurst.
Aber wird in dieser Kritik nicht das Idealbild eines autonomen Menschen vorausgesetzt, der völlig unbeeinflusst von den Rahmenbedingungen seines Handelns »tut, was er tut«? Der sein Bestes gibt, weil es für ihn selbst das Beste ist? Der keinen Anreiz,
|174|keine Belohnung, keine Anerkennung, kein Lob braucht? Der seine Arbeit ausschließlich um ihrer selbst willen tut?
Nein. Zunächst jedenfalls nicht. Es geht mir vor allem darum, die Konsequenzen der Motivierungspraxis aufzuzeigen und den hohen Preis, die Spät- und Nebenkosten zu wägen, die Mitarbeiter, Führungskräfte und die ganze Unternehmung dafür täglich zahlen. Denn es ist ein Irrtum zu glauben, mit immer neuer Motivierung sei das Problem der inneren Kündigung zu lösen. Richtig ist vielmehr, dass sie es auslöst. Deswegen muss das oben angesprochene ideale Persönlichkeitsbild hier nicht als Voraussetzung für eine motivierungsfreie Unternehmensführung in die Waagschale geworfen werden. Und natürlich sind Menschen beeinflussbar. Gerade einige der sympathischsten Formen der Beeinflussung – Hilfe, Sorge, Liebe – sind keineswegs frei von Manipulation, Macht, Verführung und Selbstbezug. Und auch niemand leistet ununterbrochen nur Hervorragendes. Jeder hat auch mal ein Leistungstief. Ohne Tal kein Berg. Hier soll nicht »alles oder nichts« gefordert werden, denn schon Aristoteles warnte: »Das Wesen politischer Tragödie liegt darin, das Vollkommene zum Feind des Guten zu machen.« Und der Anthropologe Robert Ardrey verwies darauf, dass wir, »solange wir nach dem Unerreichbaren streben, die Verwirklichung des Möglichen verhindern«.
So ist denn das Vorstehende kein Aufruf zur Passivität, bewegungslos zu verharren und auf den Advent des neuen, selbstmotivierten und unbeeinflussbaren Menschen zu warten. Dies ist auch nicht das Ende aller Führung. Aber es gilt, die bannende Kraft der Verführung durch die bindende Kraft rationaler Beziehungen abzulösen. Sehen wir also zu, was wir tun können.
Eigentlich kein schwerer Abschied von der Motivierung; wo lägen denn die Paradiese, deren Verlust zu beklagen wäre?
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