Leahs Lieblingsfolge von Oh My Dreams ist die, in der Park Dohee und Kim Chanwoo ihr erstes Date haben. Sie wartet in einem Restaurant auf ihn, er ist spät dran, es beginnt zu regnen, und sie denkt, er hätte es sich anders überlegt, und macht sich auf den Heimweg – ohne Regenschirm. Auf halbem Weg spürt sie plötzlich, dass sie keinen Regen mehr abbekommt. Es ist Chanwoo. Er hält seinen Regenschirm über ihren Kopf und wird ganz nass, und seine Arme sind voller Einkäufe. Es stellt sich heraus, dass er zu früh im Restaurant war, herausgefunden hat, dass ihr Lieblingsgericht aus ist und dann durch die Stadt gelaufen ist und die Zutaten besorgt hat, damit der Koch es doch noch für Dohee zubereiten kann. Deshalb kam er zu spät.

Jedes Mal, wenn Leah die Folge sieht, leuchten ihre Augen, und sie seufzt: »So fühlt sich echte Liebe an.«

Ich lächle, wenn ich daran denke, wie meine Schwester sich für eine ihrer Geschichten begeistert, aber jetzt weiß ich, dass ich eine noch viel bessere für sie habe: die Geschichte von mir und Jason. Zwischen uns ist noch alles zart und neu, und ich bin nicht einmal sicher, wie dieses »wir« aussehen wird, wenn wir wieder zu Hause sind, aber ich bin zuversichtlich, viel zuversichtlicher, als ich es seit langem gewesen bin.

»Ich bin wieder zu Hause!«, rufe ich, ziehe meine Schuhe aus und schlüpfe in die Hausschuhe.

»Rachel?« Das ist Ummas Stimme. »Wir sind alle im Wohnzimmer.«

Ich gehe hinüber und ziehe fröhlich meinen Koffer hinter mir her. »Seid ihr bereit? Ich habe Geschenke mitgebracht …«

»Hi, Rachel«, sagt Mina mit einem zuckersüßen Lächeln. »Wie war der Rest der Tour?«

Ich erstarre. Genau wie Umma gesagt hat, sind sie alle im Wohnzimmer. Appa, Umma, Leah … und Mr. Choo und Mina. Sie sitzen um den faltbaren hölzernen Teetisch herum, auf dem Tassen mit Bori Cha und ein Teller mit sorgfältig geschnittenen Birnenscheiben mit kleinen Obstgabeln stehen. Der Teller ist noch unberührt, und der Tee dampft, sie sind also noch nicht lange da.

Außerdem hat Leah einen halben Melona-Riegel in der Hand, und Umma würde sie nie Eis essen lassen, wenn Gäste da sind.

»Es war toll«, sage ich langsam. Ich muss meine ganze Konzentration aufwenden, um mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Oder jedenfalls, wie unangenehm mir diese Überraschung ist. Es ist wirklich ein Schock, dass die Choos in unserer Wohnung auf mich

»Super!« Mina lächelt immer noch. »Daddy hat mir den besten Physiotherapeuten in Seoul besorgt, und jetzt geht es mir noch besser als vorher.«

»Rachel, du bist eigentlich genau im richtigen Moment gekommen.« Mr. Choo lächelt seine Tochter an und bedeutet mir dann, mich dazuzusetzen.

Ich reiße die Augen auf, doch dann nehme ich mich rasch zusammen. Innerlich koche ich vor Wut, weil er sich anmaßt, mir in meinem eigenen Haus einen Platz anzubieten, obwohl er derjenige ist, der hier mit seinem viel zu stark gegelten Haar und seinem Business-Zweireiher völlig fehl am Platz wirkt. Er lächelt breit und wendet sich an Appa. »Ich wollte deinem Vater gerade einen Job als Rechtsberater der Choo Corporation anbieten.«

Es wird mucksmäuschenstill im Raum. Mir bleibt kurz das Herz stehen, und ich schaue zu Mina. Sie hat das gemacht. Ich habe ihr von Appa erzählt, als wir bei Brantwood im Matsch festgesteckt haben. Und jetzt benutzt sie diese Information, um mir den Rest zu geben. Aber wie? Indem sie … meinem Dad einen Job gibt? Das ergibt einfach keinen Sinn.

Mr. Choo spricht weiter, es scheint ihn nicht im Geringsten zu stören, dass ihm niemand geantwortet hat.

»Als ich erfahren habe, dass Sie gerade Ihr Jurastudium abgeschlossen haben, wusste ich, dass das für uns beide eine tolle Gelegenheit ist. Ich wollte schon sehr lange jemanden für die Rechtsberatung einstellen, aber ich habe auf den perfekten Kandidaten gewartet. Jemanden, der hart arbeitet und dem man vertrauen kann. Jemanden, der die Werte unseres Familienbetriebs aufrechterhält.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Appas Gesichtsausdruck sieht genauso aus wie der von Leah. Ein riesiges Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Das ist eine unglaubliche Chance für mich.«

»Ja, eine tolle Chance«, stimmt Umma zu, aber ihre Augen blitzen vor Wut. Sie kann mit ihren Birnenscheiben und ihrem Gastgeberinnengehabe vielleicht Mr. Choo und Mina überzeugen, aber ich kenne sie besser. Sie kocht innerlich, weil sie mit den Neuigkeiten von Appas Jurastudium überrascht wurde.

»Moment, Appa wird also für Mr. Choo als Anwalt arbeiten?«, fragt Leah und wedelt aufgeregt mit den Händen herum. Geschmolzenes Eis spritzt auf den Boden, aber niemand bemerkt es. »Wow, das ist ja mega!«

Mr. Choo lacht. Es klingt wohlwollend, aber seine Augen sind kalt und berechnend. »Es ist wirklich eine große Chance. Bei der Choo Corporation sind wir alle eine große Familie. Jetzt werdet ihr auch ein Teil davon. Für immer verbunden.«

Warum klingt das wie eine Drohung?

Ich erinnere mich plötzlich an Kang Jinas Warnung, ich solle mich vor Mr. Choo in Acht nehmen. Ich denke an all die Schilder, auf denen SPONSORED BY C-MART FAMILY steht, die ich bei DB gesehen habe, und an das Firmenflugzeug, mit dem wir nach Toronto geflogen sind. Und daran, wie er Mina immer anschreit.

Die Neuigkeiten liegen mir wie ein Stein im Magen. Mr. Choo ist mächtig, und mit ihm ist nicht zu spaßen. Mit ihm oder seiner Firma für immer verbunden zu sein gefällt mir überhaupt nicht. Ich weiß, was es wirklich bedeutet. Wir sind keine Familie.

Mr. Choo steht auf und streckt Appa die Hand hin. »Ich sorge dafür, dass bald jemand mit dem Papierkram vorbeikommt. Tut mir leid, dass ich heute nicht länger bleiben kann, aber das Geschäft ruft, wie immer.«

»Natürlich, natürlich«, sagt Appa. Er und Umma stehen beide auf und schütteln ihm die Hand. »Nochmals vielen Dank. Ich fühle mich geehrt.«

Leah und ich stehen ebenfalls auf und verbeugen uns vor Mr. Choo, aber meine Fäuste sind fest geballt. Er nickt uns zu und geht zur Tür. Appa und Umma folgen ihm, um ihn nach draußen zu begleiten. Sie treten in Leahs klebrige Eispfütze und hinterlassen melonengrüne Fußabdrücke auf dem Boden.

Sie bemerken die Sauerei, die sie gerade gemacht haben, nicht einmal.

»Na ja, das ist doch toll, oder?«, fragt Mina fröhlich und kaut eine Birnenscheibe. »Wir sind jetzt alle eine große glückliche Familie. Und, Rachel, du weißt ja, dass ich deine kleine Schwester schon so lange kennenlernen wollte.«

»Wirklich? Mich?« Leah reißt die Augen auf. Sie hat von mir genug über Mina gehört, um vorsichtig zu sein, aber ich sehe, dass sie geschmeichelt ist. Ich mache schützend einen Schritt auf sie zu und schaue Mina böse an.

»Natürlich!«, sagt Mina. »Ich habe mir immer gewünscht, ich hätte eine kleine Schwester. So viele von den Unnis bei Electric Flower behandeln mich wie eine kleine Schwester, und ich möchte das weitergeben. Sie geben mir die allerbesten Ratschläge.« Sie flüstert jetzt verschwörerisch. »Nur zwischen uns: Manche von diesen Unnis sollten sich lieber an ihre eigenen Ratschläge halten. Sie sagen mir immer, ich soll auf meine Gesundheit achten, aber ich weiß zufällig, dass eines der Mädchen

Leah fallen fast die Augen aus dem Kopf. Sie ist komplett begeistert. Ich sehe, wie sie ihre Vorsicht vergisst, als sie sich zu Mina vorbeugt. »Ist nicht wahr!«

»Ist wohl wahr.«

Ich möchte schreien. Das darf einfach nicht passieren.

»Na ja, ich sollte mich jetzt wirklich auf den Weg machen.« Sie lächelt mich an. »Bringst du mich zum Aufzug, Rachel?«

»Aber gerne!« Ich beiße fest die Zähne zusammen.

Sie verabschiedet sich von Leah und meinen Eltern, und wir gehen ins Treppenhaus. Sobald die Wohnungstür ins Schloss gefallen ist, breitet sich ein böses, selbstzufriedenes Grinsen auf ihrem Gesicht aus.

»Ich weiß ja nicht, warum du das hier tust, Mina, aber ich werde meinem Dad alles sagen. Er wird den Job auf keinen Fall annehmen, wenn er hört, was du für ein furchtbarer Mensch bist.«

»Du hast meinen Vater gehört – wir sind jetzt alle eine große glückliche Familie. Und wir wissen doch beide, wie viel dieser Job deinem Vater bedeutet. Du würdest ihm das doch nicht etwa verderben, oder?«

Ich kneife die Augen zusammen, und meine Körpertemperatur schießt in die Höhe. Sosehr ich auch in unsere Wohnung platzen und Appa alles sagen möchte – ich weiß, dass ich das nicht kann. Dieser Job bedeutet ihm alles.

»Also, wie habt Jason und du in New York die tollen Neuigkeiten gefeiert?«, fragt Mina und unterbricht

»Gefeiert?« Ich blinzle. Einen Moment lang habe ich die Tour komplett vergessen. New York ist plötzlich Lichtjahre entfernt. »Oh, dass wir Nummer eins in den K-Pop-Charts sind?«

Sie legt den Kopf schief und zieht die Augenbrauen hoch, als sie auf den Aufzugknopf drückt. »Nein, diese Neuigkeiten habe ich nicht gemeint.«

Ich runzle die Stirn, und ein begeistertes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus.

»Willst du damit sagen, dass du es noch gar nicht weißt?« Sie kann ihre Freude über meinen ahnungslosen Gesichtsausdruck kaum im Zaum halten. »Oh, Prinzessin Rachel, du musst noch so viel über die Welt lernen.« Sie nimmt ihr Handy aus der Tasche und hält mir den Bildschirm hin. Ich erkenne Leahs Lieblings-K-Pop-Klatschseite. Die Überschriften prasseln nur so auf mich ein, und ich kneife die Augen zusammen, als ich sie lese.

JASON LEE IM ALLEINGANG!

TSCHÜSS, NEXT BOYZ. LANG LEBE JASON LEE.

DB IN VORFREUDE AUF SOLO-KARRIERE IHRES BEKANNTESTEN KÜNSTLERS, JASON LEE.

Ich stehe einfach nur da, und in meinem Kopf dreht sich alles, als die Aufzugtür aufgeht. »Danke, dass du mich rausgebracht hast, Rachel«, sagt sie, als die Tür sich zu schließen beginnt. Ein bösartiges Lächeln spielt auf ihren Lippen. »Ach ja, und: willkommen zu Hause.«