»Mädels, ihr geht jetzt gleich auf diese Bühne, und zwar für eure Debütperformance! Wie war der letzte Monat, in dem ihr euch auf diesen Moment vorbereitet habt?«
Ich sitze mit den acht Mitgliedern von Girls Forever zusammen, alle in perfekt aufeinander abgestimmten, neonblauen Outfits mit Blumenmustern. Mein Neckholder-Kleid sitzt perfekt, es ist neonpink mit Blütenblättern an den Seiten. An den Füßen habe ich weiße Kniestrümpfe und lupenreine weiße High-Top-Sneakers. Ich streiche mein perfekt gelocktes Haar zurück, lächle den Interviewer an und klimpere mit den Wimpern.
Kopf hoch, Beine überkreuzt. Bauch rein, Schultern zurück. Die Kamera richtet sich auf mein Gesicht, das Livevideo sehen Millionen von Menschen in ganz Korea.
»Es war eine Herausforderung, aber wir haben wirklich hart gearbeitet, und wir sind bereit«, sage ich locker. Ich deute auf die anderen Mädchen. »Es war wirklich inspirierend, mit solch talentierten Künstlerinnen zusammenzuarbeiten. Ich habe so viel von ihnen allen gelernt.«
Zum Beispiel, dass ich sie keine Sekunde lang aus den Augen lassen darf, wenn mir mein Leben lieb ist. Ich hatte Kaugummi in der Haarbürste, von dem Eunji geschworen hat, dass er nicht von ihr ist, meine Schuhe sind auf mysteriöse Art und Weise verschwunden, als wir eine Kostümprobe hatten … Mein Leben in der Debütvorbereitung war die reinste Dauerschleife aus Training, schlaflosen Nächten und Streichen über Streichen. Sabotageversuche von den Mädchen, von denen die Welt glaubt, sie seien meine besten Freundinnen.
Ich lächle in die Kamera.
Wenn sie nur wüssten, wie unser Leben wirklich ist.
Alle Mädchen sagen begeistert »ooohhh«, als sie meinen lieben Kommentar hören, Sunmin und Lizzie umarmen mich sogar von beiden Seiten. Ich umarme sie zurück, als würden wir uns wirklich alle abgöttisch lieben. Ihre langen Nägel kratzen meine Arme entlang, als der Host mit leuchtenden Augen und strahlend weißen Zähnen weiterlächelt.
»Das klingt doch, als würdet ihr wirklich gut zueinanderpassen«, sagt er.
»Absolut«, meldet sich Mina zu Wort. Sie hat diesen begeisterten Tonfall wirklich perfektioniert. »Ich könnte mir keine besseren Begleiterinnen auf dieser Reise vorstellen.« Sie schaut uns alle wohlwollend an, und unsere Blicke begegnen sich. Sie lächelt. »Wir haben eine tolle gemeinsame Zukunft vor uns.«
Ich stehe hinter der Bühne und atme tief ein und aus. Der letzte Monat ist vergangen wie im Flug, und jetzt ist es endlich Zeit für unser Debüt. Hallo Welt, hier sind wir!
Es ist endlich Zeit zu zeigen, was wir können.
Ich höre ein Kichern und drehe mich um. Mina zeigt den anderen Mädchen ein Video auf ihrem Handy. Sie lachen alle und schubsen sich gegenseitig, um es besser sehen zu können.
»Ach du Scheiße, das ist ja Gold wert!«
»Ich kann nicht fassen, dass sie das gefilmt hat!«
Mein Magen krampft sich zusammen. Ist es das, was ich denke?
Ich renne zu ihnen und reiße Mina das Handy aus der Hand. Ein Instagram-Video von einem Mädchen, das mit ihrem Hund ein Klavierduett spielt. Chopsticks. Mein Gesicht wird ganz heiß.
»Was soll das, Rachel?«, fragt Eunji. »Was ist eigentlich dein Problem?«
»Achtet gar nicht auf sie, Mädels«, sagt Mina leichthin und trinkt einen Schluck aus ihrem Wasserglas. »Prinzessin Rachel ist nur kein Fan von viralen Videos, in denen sie nicht der Star ist.«
Meine Hand verkrampft sich um ihr Handy. Mina kann mich vielleicht mit ihrem Video erpressen, aber das bedeutet nicht, dass ich es klaglos über mich ergehen lassen muss. Ich lasse das Handy in ihr Wasserglas fallen. Alle kreischen und springen zur Seite, als das Wasser nur so spritzt.
Mina reißt schockiert den Mund auf.
»Ups, sorry, Mina!«, sage ich zuckersüß. »Es ist mir aus der Hand gerutscht. Aber weißt du was, vielleicht ist das ja auch besser so. Du kennst ja die Social-Media-Regeln. Ich würde wirklich nicht wollen, dass du Ärger bekommst.«
Ich drehe mich weg. Dann halte ich inne und schaue über meine Schulter. Ich richte meinen Blick betont auf Minas Handgelenk und ihre rubinenbesetzte Uhr. Mr. Hans Uhr – sein Einzelstück, vererbt von seinem Großvater. Ich habe sie bereits in Toronto erkannt und nichts gesagt. Ich weiß nicht einmal ganz sicher, warum sie sie hat.
Aber ich kann ja raten.
»Ach übrigens, weißt du vielleicht, wie viel Uhr es ist?«, frage ich unschuldig.
Sie reißt die Augen auf. Offensichtlich habe ich sie aus dem Konzept gebracht. Sie schaut auf die Uhr, dann verdeckt sie sie mit der Hand. »Es ist, ähm … kurz vor eins.«
»Danke«, antworte ich. »Gleich ist es Zeit für unsere Performance, Mädels.«
Die anderen schauen von mir zu Mina und wieder zurück und fragen sich, was unausgesprochen geblieben ist. Eunji und Lizzie werfen einander vielsagende Blicke zu, dann kommen sie zu mir herüber. »Wir sind bereit!« Aus dem Augenwinkel sehe ich Minas entsetzten Gesichtsausdruck. Aber ich gehe schon Richtung Maske.
Es gibt da ein Lied, das ich singen muss.
Unser Make-up wird ein letztes Mal aufgefrischt, dann versammeln wir uns auf der Bühne und warten, dass der Vorhang sich hebt. Ich nehme meinen Platz in der Mitte ein, je vier Mädchen in einer waagerechten Linie rechts und links von mir. Kameras sind von allen Seiten auf uns gerichtet, und ich höre, wie die Menge vor dem Vorhang jubelt.
Sie freuen sich auf uns. Ich recke das Kinn. Gut.
Wir werden ihnen gleich die beste Performance ihres Lebens liefern.
Wenn jemand mir, als ich elf Jahre alt war, gesagt hätte, was ich alles aufgeben muss, um hierherzugelangen, was mir alles genommen würde, ich hätte ihnen gesagt, dass sie ein K-Drama schreiben. Der Weg hierher war schwerer als alles, was ich mir je hätte vorstellen können, und dennoch: Hier bin ich.
Trotz allem habe ich es zu meinem Debüt geschafft.
Ich denke an die Haenyo: Wenn wir das Gefühl haben, dass wir nicht mehr weitermachen können, erinnern wir uns daran, dass wir es schon geschafft haben, und dass wir es wieder schaffen werden.
Ich denke an Leah: Deine Träume sind auch meine Träume.
Ich denke an Umma: Du hast es verdient, deine Chance zu ergreifen. Du hast es dir verdient.
Gerade, als der Vorhang sich hebt, treffe ich eine Entscheidung. Ich schaue direkt in die zentrale Kamera, mache einen großen Schritt nach vorne, so dass die anderen Mädchen hinter mir sind und ich alleine ins Scheinwerferlicht trete.
Es ist Zeit für mich zu strahlen.
Und niemand wird mich davon abhalten.