Ummas Worte klingen mir in den Ohren, während ich zur Bushaltestelle laufe. Wenn es nicht klappt, möchte ich nicht, dass dich das überrascht. Natürlich habe ich immer gewusst, dass es keine Garantie dafür geben kann, dass ich K-Pop-Star werde, aber ich habe diesen Traum schon so lange. Ich weiß nicht einmal, wie die Alternative dazu aussehen könnte.
Alles fing an, als ich sechs Jahre alt war. In meiner Klasse gab es noch eine weitere Asiatin, Eugenia Li. Obwohl sie Chinesin war, fragten uns ständig alle, ob wir Cousinen seien oder sogar Zwillingsschwestern. Ich dachte mir nichts weiter dabei, bis ich eines Tages in der Pause von einer Biene gestochen wurde. Ich saß im Erste-Hilfe-Raum und wartete darauf, dass Umma kommt, um mich nach Hause zu bringen, doch stattdessen kam Mrs. Li zur Tür herein. Die Schulkrankenpflegerin bemerkte gar nicht, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Stattdessen lächelte sie und sagte, dass meine Mom jetzt da sei, um mich abzuholen. Das war das erste Mal, dass mir klarwurde, dass die Welt mich nicht so sah, wie ich mich sah – oder wie meine Familie mich sah. Sie sahen nur mein Gesicht: Die Form meiner Augen und meiner Nase, mein dickes, schwarzes Haar, und das genügte, um mich austauschbar zu machen.
Es hatte mich erwischt. Ich schaute mir ständig K-Pop an, lernte die Texte zu meinen Lieblingssongs auswendig und machte am Wochenende kleine Shows für Leah. Die Musik sorgte dafür, dass ich stolz darauf war, Koreanerin zu sein.
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass diese Begebenheit mit Mrs. Li und der Schulkrankenpflegerin das einzige Mal war, dass ich mich von der Welt zurückgewiesen fühlte, aber das war es nicht. Da waren die vielen Male, wo die anderen Kinder sich über den Kimchi lustig machten, den Umma mir für die Mittagspause einpackte, da war die Frau, die in unserem Laden an der Ecke auf mich zu kam und mir sagte, ich solle »zurück nach Hause« gehen (obwohl ich nur eine Straße weiter wohnte, hatte ich das Gefühl, dass das nicht das war, was sie meinte), da war die Halloween-Party, auf der ich Hermine Granger war und alle darauf bestanden, ich sei Cho Chang. Aber es gab die ganze Zeit über auch K-Pop. Die Musik sorgte dafür, dass ich mich verstanden fühlte, als gäbe es einen Ort auf der Welt, wo ich hingehörte, wo die Menschen mich so sehen würden, wie ich wirklich war.
»Neh, Halmoni«, sage ich und reiche ihr die Dose.
»Komawoh«, antwortet sie und kneift mich in die Wange. »Ahh ipuda!«
Ich neige den Kopf. »Kamsahamnida.«
Der Bus rast die Straße entlang und kommt kaum zum Stehen, wenn Leute ein- oder aussteigen möchten. In New York durfte ich nie alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, es war also gar nicht so leicht, es zu lernen, als wir hergezogen sind. Glücklicherweise sind die Busse und das U-Bahn-System, genau wie der Rest von Seoul, schnell, supersauber und leicht zu nutzen. Doch das Beste habe ich noch gar nicht erwähnt: In dieser Stadt gibt es überall kostenloses WLAN.
Ich nehme mein Handy aus der Tasche und schreibe
Sie schreibt sofort zurück: Klar, Juhyun sagt ›Hab heute Abend nicht zu viel Spaß ohne uns‹!
Ich lache, stopfe mein Handy aber gleich wieder in die Tasche, ohne zurückzuschreiben. Je weniger sie wissen, desto geringer ist die Gefahr, dass ihnen etwas rausrutscht, wenn sie ausgefragt werden. Ich bin so voller Adrenalin, weil ich Umma angelogen habe und zum Nachwuchshaus fahre, dass ich eine Haltestelle früher aussteige und den Rest des Weges zu Fuß gehe. Ich muss ein bisschen was von dieser Energie loswerden, bevor ich Mina und den anderen gegenübertrete.
Ich bin noch etwa einen halben Block entfernt, als mir klarwird, dass ich meinen Schlafanzug ausziehen sollte.
Hinter einem besonders großen Busch neben dem Fußgängerweg knöpfe ich mein Oberteil auf und stopfe es in die Stofftasche. Ich behalte die Straße genau im Blick, um sicherzustellen, dass mich niemand dabei beobachtet, wie ich meine Schlafanzughose ausziehe. Sie bleibt an meinen Knöcheln hängen, und ich strauchle, kann mich nicht rechtzeitig abfangen und lande mit dem Gesicht voran im Dreck.
Ich stöhne, setze mich langsam auf und klopfe den Dreck von meinem Pullover. Gott sei Dank hat das niemand gesehen.
»Wow … Das sah schmerzhaft aus.«
Mein ganzer Körper erstarrt. Ich drehe den Kopf und sehe brandneue schwarzweiße Nike-Sneakers auf dem Gehweg neben mir. Mein Blick wandert nach oben über eine perfekt sitzende Ader-Error-Jogginghose und einen Burberry-Pullover, der sicher mehr gekostet hat als meine gesamte Garderobe. Das Outfit gehört einem Jungen mit
Nicht nur ein Junge. Der Junge. Jason Lee.
Ach du Scheiße.
»Alles klar?«, fragt er und lächelt besorgt. »Komm, ich helfe dir.« Er streckt die Hand aus.
»Du bist … Jason … Lee«, stammle ich, während ich wieder auf die Beine komme. Selbst bevor er mit DB zum Megastar wurde, war Jason schon berühmt für seine K-Pop-Covers auf YouTube. Als eines seiner Videos viral ging, flog Mr. Noh persönlich nach Seattle und überzeugte Jason, nach Seoul zu ziehen, wo er schnell der beliebteste Popstar Koreas wurde. Halb weiß, halb koreanisch zu sein kommt ihm hier sehr zugute, und jeder, von Kindern über Stalker-Fans bis hin zu Ajummas, liebt ihn für seine großen Augen mit den deutlich abgesetzten Augenlidern und seine olivfarbene Haut, als hätte er sich seine Gene selbst ausgesucht. Irgendwie bedeutet sein Anderssein, dass er zu Koreas »sexiest K-Pop-Star« ernannt wurde, während meines mir Zusatzstunden in Koreanischer Kultur einbringt.
»Oh, du hast also von mir gehört?« Er zieht eine Augenbraue hoch, und sein Lächeln wird noch ein bisschen breiter. Er hat dieses Lächle-als-sei-die-ganze-Welt-dein-bester-Freund-Ding definitiv perfektioniert. Bei ihm stimmt das wahrscheinlich sogar. »Was hast du denn so über mich gehört?«
»Na ja, meine Schwester Leah hat mir von deiner Musiktherapie-Organisation …«
»Die Stimme eines Engels? Das Lächeln des Teufels? Der Körper eines Gottes?«
»Äh … was?«
»Hauptsächlich, dass du Schallplatten aus Mr. Nohs Büro klaust«, sage ich. Seine offensichtliche Arroganz bringt mich durcheinander. So viel zum Thema süßer, bescheidener Star-Junge, der Wohltätigkeitsorganisationen gründet und seine Fans über alles liebt. »Und dass du im Geheimen mit einer Werwölfin zusammen bist, mit der du dich immer nur bei Vollmond triffst.«
»Waaas? Das ist ja verrückt! Wer hat das gesagt? Wie können die es wagen!« Er sieht wirklich verletzt aus und bedenkt mich mit seinem bekannten Dackelblick, bevor sich schon wieder ein pfiffiges Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitet. »Ich würde Mr. Noh niemals bestehlen.«
Ich verdrehe die Augen. Das ist der K-Pop-Star, in den die Welt so verliebt ist? »Natürlich nicht. Gott behüte, dass du irgendetwas tust, was deinem perfekten Ruf schaden könnte. Aber die Gerüchte über deine Freundin, die magische Gestaltwandlerin, sind wohl okay für dich?«
»Ein Gentleman verrät niemals, wen er küsst«, antwortet er glatt. »Außerdem weißt du ja, was man sagt: Je mehr die Leute über dich reden, desto interessanter wirst du.«
»Vielleicht funktioniert das ja in deiner Welt so«, gebe ich zurück. Natürlich muss der unfehlbare Jason Lee das Datingverbot bei DB nicht ernst nehmen.
Jason hält inne und schaut auf mich herab. »Ich habe das Gefühl, du bist sauer auf mich.«
»Nein, nicht sauer. Ich versuche nur, beim
Jasons Augen leuchten auf. »Das Nachwuchshaus? Warum sagst du das nicht gleich? Ich bin auch gerade auf dem Weg dorthin. Ich begleite dich.«
»Nein, danke«, antworte ich, aber das ignoriert er einfach.
»Also, warum kenne ich deinen Namen nicht?«, fragt er mit schiefgelegtem Kopf. »Eine DB-Trainee, die mutig genug ist, mit einer Snoopy-Hose auf der Straße herumzulaufen, ist es definitiv wert, dass man über sie spricht.«
Ich werde rot, aber ich zwinge mich, gelassen zu klingen. »Dann sage ich dir jetzt auch, dass diese Hose zu meinem Lieblingsschlafanzug gehört. Tut mir leid, dass wir nicht alle wunderschöne Werwölfe sind.« Ich verdrehe die Augen.
»Da muss ich dir widersprechen«, sagt Jason.
»Wovon redest d…«
»Du bist offensichtlich wunderschön«, fährt er fort.
Ich erstarre. Äh … bitte was?
»Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass du mir den Kopf abreißen könntest, wenn du wolltest. Außerdem ist heute tatsächlich Vollmond, falls du das noch nicht bemerkt hast.«
Omeingott. Ich muss hier weg. Ich greife nach unten und fange an, meine hoffnungslos verschlungene Schlafanzughose zu entwirren. Jason werfe ich einen bösen Blick zu.
»Ich brauche kein Publikum«, sage ich scharf.
Er ist anständig genug, um rot zu werden, dreht mir jedoch sehr langsam und demonstrativ den Rücken zu. »Besser?«
»Ziemlich unverschämt«, sagt Jason, aber ich höre seiner Stimme an, dass er lächelt. Er dreht den Kopf und schaut mich über seine Schulter hinweg an. »Und, wie ist es da hinten? Genießt du die Aussicht?«
Ach. Du. Scheiße. Ich muss sofort im Erdboden versinken. Ich mache einen Schritt nach hinten. Mein Gesicht glüht nur so, als ich mich endlich aus der verräterischen Schlafanzughose befreie und sie tief in meiner Tasche vergrabe. Ich werde die ganzen Sachen verbrennen, sobald ich wieder zu Hause bin.
»Danke«, sage ich mit einem steifen Kopfnicken in seine Richtung, dann renne ich los. Er bleibt lachend auf dem Gehweg zurück.
»Gerne, Werwolf-Mädchen!«, ruft er mir hinterher.
Ich verfluche mich selbst, Jason und die gesamte Charlie-Brown-Bande, als ich die Tür des Nachwuchshauses öffne.
Heilige Scheiße.
Es wimmelt nur so von Künstlerinnen und Künstlern, Trainees und Stars. Jeder Quadratzentimeter ist mit leeren Soju-Flaschen und Getränkedosen bedeckt, und die Musik hallt nur so von den Wänden wider. Auf einem brandneuen Samsung-Bildschirm laufen die neuesten K-Pop-Videos.
Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen.
Es ist eine Party.
Eine Gruppe Jungs dreht sich zu mir um und grüßt mich winkend. Ich erkenne sie wieder, aber ich bin noch viel zu schockiert, um klar denken zu können. Ich winke langsam zurück.
»Yo, Jason!«, ruft einer von ihnen über meine Schulter.
Ich lasse sofort die Hand sinken, als Jason hinter mir zur Tür hereinkommt. Sein Freund geht zu ihm, und sie machen diese Bro-Umarmung, bei der man sich die Hände reicht und sich gegenseitig auf den Rücken klopft. Ich muss hier wirklich unbedingt raus.
»Wer ist denn dein hübsches Date?«, fragt Jasons Kumpel und mustert mich eingehend. Dann wird mir alles klar: Das ist nicht nur Jasons Kumpel. Das ist Minjun – Leadtänzer der NEXT BOYZ und weltbekannter K-Pop-Superstar.
»Das ist …« Jason hält inne und sieht mich an.
»Rachel«, sage ich. Wenigstens funktioniert meine Stimme noch wie gewohnt. Ich bin nicht komplett in Schockstarre verfallen. »Ich bin im letzten Jahr bei DB.«
»Amerikanerin«, sagt er, und seine Augen funkeln. Ich trete zurück und mache mich auf eine Beleidigung gefasst. »Herzlich willkommen, Rachel. Ich bin Minjun«, sagt er, als hätte meine kleine Schwester nicht ein Poster mit seinem Gesicht über ihrem Bett hängen, das sie jeden Abend küsst. »Nimm dir was zu trinken.«
Ich blinzle verwirrt und schaue nach hinten zur Eingangstür. Jeder meiner Instinkte rät mir zu verschwinden. Auf das hier bin ich nicht vorbereitet.
Jason legt die Hand an meinen Ellbogen. Seine Augen blitzen. »Ja, Rachel, komm doch zu uns.« Er zieht
Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu. Dann richte ich mich auf und werfe meine Zöpfe zurück. Ich habe es bis hierher geschafft, jetzt muss ich mich wenigstens sehen lassen. Und es ist wirklich das Mindeste, was ich tun kann, Leah ihr Autogramm zu besorgen. »Was zu trinken wäre toll.«
Die Party ist schon in vollem Gange, und ich stolpere über mehr als eine leere Bierdose, während ich mich zwinge, dorthin zu gehen, wo es nach Bar aussieht. Von dort aus sehe ich ein weitläufiges, tiefer in den Boden eingelassenes Wohnzimmer, wo die Leute Grapefruit-Soju-Shots in Biergläser sinken lassen und dann das Ganze hinunterstürzen. Jemand hält mir eins hin, und ich nehme es. Vorsichtig schlürfe ich ein paar kleine Schlucke. Ich bin nicht gerade ein Fan von Dingen, die dazu führen, dass Menschen die Kontrolle verlieren und sich lächerlich machen. Das kann ich offensichtlich auch so schon gut genug.
»Rachel!«, ruft eine Stimme vom anderen Ende des Zimmers. Sofort bin ich wieder angespannt. Diese klebrig-süße Stimme würde ich überall wiedererkennen. Mina taucht auf, in einem perfekten Party-Outfit mit Föhnfrisur und himmelhohen Glitzerschuhen. Sie zupft ihren Minirock und ihr bauchfreies Top zurecht. Eunji und Lizzie stehen hinter ihr, beide in perfekt sitzenden Skinny-Jeans und mit Krönchen. »Wie schön, dass du es zu unserer Zusatzprobe geschafft hast.« Sie wirft den anderen beiden einen Blick zu, die schnell die Hände vor den Mund schlagen, um ihr Lachen zu verbergen.
»Finde ich auch«, zwitschere ich. Ich gebe doch jetzt nicht nach. »Vielen Dank für die Einladung.«
»Die Haare sind toll«, fügt Lizzie hinzu. Sie streckt die Hand aus und schubst einen meiner Zöpfe von meiner Schulter. »Da kommen Erinnerungen an die Grundschulzeit hoch!«
»Du siehst ganz angespannt aus, Rachel.« Mina tut ganz besorgt. »Du fühlst dich doch nicht etwa fehl am Platz, jetzt, da Mr. Noh nicht hier ist, um auf dich aufzupassen, oder? Sicherlich weiß doch sogar Prinzessin Rachel, wie man Spaß auf einer Party hat?«
Mina trinkt einen Schluck aus ihrem Becher und sieht mich abschätzig an. Ich möchte zurückschlagen, sie zur Verantwortung ziehen, weil sie so dreckig gelogen hat, ich möchte ihr detailliert beschreiben, wo sie sich ihre sogenannte Abendprobe hinstecken kann, aber der Mut hat mich verlassen. Stattdessen nippe ich wieder von meinem Soju-Bier-Mix und verziehe das Gesicht, weil er so sauer ist. Meine Hand schließt sich etwas zu fest um das Glas.
Plötzlich taucht Jason hinter mir auf und schaut von mir zu Mina und zu den anderen Mädchen. Er hat ein kaum merkliches Grinsen auf den Lippen.
»Jason!«, gurrt Mina. »Ich wusste gar nicht, dass du hier bist! Hast du nach mir gesucht?« Sie nimmt einen lässigen Schluck von ihrem Drink.
»Eigentlich habe ich gerade nach Rachel gesucht«, antwortet Jason.
»W… w… was?«, stammelt Mina. »Aber … woher kennst du Rachel denn?«
Ich schwöre, wenn er jetzt den Schlafanzug erwähnt, bringe ich ihn mit meinen bloßen Händen um.
»Ich muss dich darüber informieren, dass das auf meiner Hose Snoopy war, nicht Woodstock. Woodstock ist der verpeilte kleine Vogel. Snoopy ist der treue Hund und Pilot.« Ich lache, als wir uns auf eine Couch in der Ecke fallen lassen.
Jason nickt betont ernst, legt mir den Arm um die Schulter und zieht mich an sich. »Du hast recht, und Snoopy ist eindeutig die bessere Wahl in Sachen Schlafbekleidung. Vergibst du mir? Ich habe nur versucht, so schnell wie möglich da wegzukommen.«
Ich werfe ihm einen Blick zu. »Wie meinst du das?«
»Na ja, wir waren von drei Mädels umringt, die dich angestarrt haben, als wollten sie dir den Kopf abreißen«, sagt er. Sein Atem ist warm an meinem Gesicht. »Es schien mir eine gute Idee zu sein, woanders hinzugehen.«
Der Soju wärmt mich angenehm von innen, und ich lächle ihn an. »Na ja, du weißt ja, was man sagt.«
»Was sagt man denn, Werwolf-Mädchen?«
»Je mehr die Leute dich anstarren, desto interessanter wirst du.« Ich kichere, und ein winziger Rülpser kommt aus meinem Mund. Ich reiße die Augen auf und schlage die Hand davor, während Jason mich geradezu begeistert beobachtet. Er zieht mich auf der Couch noch näher an sich, so dass meine Beine fast auf seinen liegen. Meine Gedanken wirbeln wild herum – passiert das hier gerade wirklich? Ich sollte definitiv nicht mit Jason flirten. Ich wäre selbst schuld, wenn ich so ende wie Suzy Choi. Nicht dass sie einen Freund
Ich schließe die Augen und versuche, den dem Soji geschuldeten Monolog in meinem Kopf aufzuhalten.Ganz plötzlich lässt sich Minjun dramatisch neben mir auf die Couch fallen. Sein kupferfarbenes Haar fällt ihm ins Gesicht. »Mir ist langweilig«, quengelt er. »Und ich habe Hunger.«
Jason verdreht die Augen und setzt sich anders hin, so dass seine Arme von meinen Schultern rutschen. Ein Schauder durchläuft meinen Körper, und ich ziehe unwillkürlich meinen Pullover über meine Schultern, um nicht zu frieren. »Warum schaust du nicht mal nach, was es in der Küche gibt?«, fragt er diplomatisch.
»Das Einzige, was es in der Küche gibt, sind Grünkohl- und Spinatsmoothies. Weißt du noch, wie sie uns während der Ausbildung hungern ließen!« Minjun schnuppert demonstrativ. »Riecht ihr auch Hühnchen?«
Ich schlucke, als mir die Tupperdose einfällt, die Umma mir eingepackt hat. Unsicher greife ich in meine Tasche. »Ähm, meinst du das hier?«, frage ich verschämt.
»Ah-ssa!«, schreit Minjun, reißt mir die Tupperdose aus der Hand und macht sie auf. »Two Two Fried Chicken! Mein Lieblingsessen! Jason, dieses Mädchen ist wirklich in Ordnung.«
Jason lacht und Minjun fängt an, meine mitgebrachten Reste in sich hineinzuschlingen, immer zwei Stücke auf einmal.
Am anderen Ende des Raumes sehe ich Mina, die uns mit böse funkelnden Augen beobachtet. Ihr Handy piepst, und sie nimmt es aus der Tasche und verzieht das Gesicht, als sie auf den Bildschirm schaut. Sie zeigt es Lizzie und
Minjun wischt sich die fettigen Hähnchenfinger an seiner Jeans ab, bevor er nach Jasons Händen greift und ihn hochzieht. »Komm schon, Jay-Star, checken wir diesen neuen Club in Itaewon.«
Jason beugt sich herunter und flüstert mir ins Ohr: »Viel Glück!« Mir läuft ein Schauer den Rücken herunter. Er springt über die Rückenlehne der Couch zu seinen Freunden, und sie singen den Refrain von »Fake Crush«, während sie zur Tür hinaus auf die Straße verschwinden.
O Mist! Leahs Autogramm. Ich springe auf, fest entschlossen, ihm hinterherzulaufen, aber der unerwartete Flirt mit Jason in Kombination mit dem Soju sorgen dafür, dass sich alles um mich herum dreht. Ich lasse mich wieder auf die Couch fallen, genau im selben Moment wie Mina, die zwei Gläser Sekt in den Händen hält. Um uns herum schenken sich auch die anderen Mädchen Sekt ein und kreischen, wenn er über den Rand ihrer Gläser und über ihre Hände schäumt.
»Ein Toast«, sagt Mina und reicht mir ein Glas. Als ich nicht sofort danach greife, seufzt sie und verdreht die Augen. »Komm schon, Rachel, jetzt mach dich doch mal
Spaß. Ich muss zugeben, auch wenn dieser Abend ganz und gar nicht so ist, wie ich ihn erwartet hatte, habe ich Spaß. Ich schürze die Lippen und stelle mein Bier weg, um das Sektglas zu nehmen.
Mina grinst und hebt ihr Getränk. Dann dreht sie sich zu den anderen Mädels um. »Auf unsere Familie. Und darauf, dass wir die nächsten größten, hellsten Sterne von Korea werden!«
Die Mädchen jubeln, haken sich beieinander unter und stoßen miteinander an, bevor sie ihren Sekt hinunterstürzen. Ich trinke etwas langsamer, es brennt viel mehr im Hals, als ich erwartet hatte. Ich muss fast husten, aber ich möchte Mina nicht die Genugtuung geben zu sehen, wie ich mich verschlucke. Ich zwinge mich dazu, den Inhalt des Glases in einem Zug hinunterzustürzen.
Ich versinke immer tiefer in der Couch, während die anderen sich immer mehr Sekt nachschenken. Ich schaue mich um und wünsche mir, dass Akari da wäre, damit ich mit jemandem reden könnte. Ich suche mein Handy und versuche, ihr zu schreiben, aber meine Finger sind dick und unkoordiniert, und ich fummle so lange am Verschluss meiner Tasche herum, bis ich aufgebe. Ich werde ihr morgen alles erzählen. Meine Hand ist ganz kalt vom Sektglas, und ich halte sie an mein Gesicht. Die Kälte tut gut. Ich habe zu viel getrunken. Nein, ich habe zu schnell getrunken. Alles dreht sich. Eunjis laute Stimme klingt mir in den Ohren, und die Musik hört sich langsam an, als liefe sie in Zeitlupe. Ich schaue Mina an, die immer noch neben mir sitzt, und plötzlich gibt es sie zweimal. Ich sehe doppelt. Ich versuche, den Albtraum wegzublinzeln.
Eunji und Lizzie kreisen um mich, sie lachen und trinken aus ihren Gläsern. »Hübsche kleine Prinzessin Rachel – selbst Mr. Noh kann dich jetzt nicht mehr retten«, sagt Lizzie zufrieden.
Ich höre das alles wie vom Grund eines Pools aus, als wäre ich unter Wasser. Jemand sagt etwas, und ich fange an zu lachen – völlig unkontrolliert –, auch wenn ich nicht weiß, wieso.
»Komm schon, Prinzessin, lass uns tanzen!« Eunji zieht mich nach oben, und ich lache immer noch – oder lacht sie? Oder wir beide? Ich bin mir nicht sicher. Durch meine Wimpern hindurch, die plötzlich sehr schwer sind, sehe ich Mina in einer Ecke des Raumes. Sie tanzt nicht, steht nur da. Sie hält ihr Handy in meine Richtung, ein böses Lächeln auf den Lippen. Eunji dreht mich im Kreis, der Raum dreht sich mit uns, hinein in ein Meer aus glitzernden Lichtern und lachenden Gesichtern.