Werteentwicklung im Kinderspiel
Kinder entwickeln und erproben im Spiel: Spielregeln einhalten, mit Anstand gewinnen und verlieren, gemeinsam Probleme lösen, Konfliktfähigkeit, ausprobieren, wiederholen, üben, Varianten erfinden, Experimentierfreude ausleben, Freundschaften pflegen, zusammen Spaß haben, mit Regeln kämpfen und raufen, in verschiedene Rollen schlüpfen, Beweglichkeit und Koordination entfalten, das Gedächtnis trainieren, Achtung vor der Natur, Verantwortungs- und Glücksfähigkeit, Geduld, Hilfsbereitschaft, Ausdauer, Mut, Gewaltlosigkeit und Toleranz. Sie lernen, führen und geführt werden und Brücken vom Ich zum Du zum Wir zu bauen.
Ich werde oft gefragt: »Was haben Werte mit Spielen zu tun?« Da kann ich nur antworten: »Sehr viel!« Im Kinderspiel werden alle Bewegungen, Fähigkeiten, Sinne und die Sprache trainiert. Im Spiel liegt die Grundlage zur menschlichen Entwicklung. Auch soziale Umgangsformen werden im Kinderspiel eingeübt. Und weil echtes Kinderspiel spontan geschieht, mit Gefühlen verknüpft ist und immer wieder wiederholt wird, bleibt das Gelernte im Gehirn haften. Wir nehmen unsere eingeübten Muster mit ins Leben. Und wenn man sie später verändern will, braucht es bewusste Arbeit an sich selbst.
Kinder erfahren und entwickeln Werte im Spiel
Genauso wie mit dem Spiel verhält es sich mit den Werten: Auch sie entstehen ganz natürlich, spielerisch und nebenbei. Kinder erleben sie in der Familie, im Kindergarten, unter anderen Kindern, allein, zu zweit und in der Gruppe. Im Spiel erfahren sie Werte durch Beobachten, Nachahmen und eigenes Tun. Hier ein paar grundlegende Werte, die sie unbewusst im Kinderspiel erfahren können:
• Die bedingungslose Liebe der Eltern gibt ihnen Mut, Kraft und Selbstvertrauen.
• Wer geliebt wird, kann Liebe weitergeben an Eltern, Geschwister, Tiere, Spielsachen und Pflanzen.
• Nur wer selber genug hat, kann teilen!
• Durch gemeinsames Spiel entstehen Freundschaften, manchmal finden sich sogar Freunde fürs Leben!
• Echtes Lob motiviert.
• Unterscheiden zwischen »mein« und »dein«.
• Im Spiel Entscheidungen treffen.
• Wahrheit und Lüge erkennen.
• Streit und Versöhnung verstehen und leben.
• Den Unterschied von Langeweile und schöpferischer Kraft fühlen und praktizieren.
• Spielregeln einhalten oder neue aushandeln.
• Durch die Motivation und Faszination des Endproduktes beim Basteln und Gestalten, Ausdauer entwickeln und exaktes »Arbeiten« üben.
• Die Frustrationstoleranzgrenze erweitern.
• Sachgerechten Umgang mit Material lernen.
• Klar und eindeutig ausdrücken können, was man will und was nicht!
• Gefühle erkennen, leben, in Sprache fassen.
• Mit Anstand gewinnen oder verlieren.
• Sich in einem gemeinsam abgesteckten Rahmen einfügen und Regeln einhalten.
• Achtsam mit der Natur umgehen.
• Die »goldene Regel« befolgen: »Was du nicht willst, das man dir tut, das tu auch keinem anderen!«
Weil Kinderspiel und Werte sich so wunderbar ergänzen, finden Sie zu jedem Kapitel eine kurze Einführung, die auf den Punkt bringt, was Kinder gerade bei dieser bestimmten Art von Spiel erleben und entwickeln.
Wie verhalten sich spielfreudige Eltern?
Kinder fordern uns heraus, gemeinsam täglich neue Situationen zu erleben. Eine strikte Regel, wie sich Eltern im Idealfall benehmen, gibt es nicht. Doch Kinder erhalten Erwachsene mit ihren oft verblüffenden Spielideen jung und dynamisch!
Das spielende Kind ist gleichzeitig tätig und von Erlebnissen erfüllt. Die Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit ist ihm noch fremd. Zumeist ist das Spiel des Kindes nicht von einem Ziel bestimmt; auch dort, wo es ein Ziel kennt, sind die Vorgänge beim Spielen ebenso wichtig wie das Ziel.
Im Spielen setzt das Kind alle seine Kräfte des Fühlens, Wollens und Denkens ein. Es ist mit Ernst und Konzentration beim Spielen. Spiel und Ernst sind wie Tun und Erleben für das Kind, in seiner Wahrnehmung handelt es sich nicht um einander abwechselnde Gegensätze.
Zum Spielen braucht das Kind all seine Wahrnehmungs-und Bewegungsmöglichkeiten, seine Intelligenz und seine Vorstellungskraft. Ob es nach seiner Fantasie gestaltet oder sich in Rollen der Erwachsenen hineinversetzt, bisweilen lässt das Kind durchblicken, dass es zwischen seinem Spiel und der Alltagswelt der Erwachsenen wohl zu unterscheiden weiß. Wenn wir Mitleid mit seiner Puppe zeigen, die sich im Spiel vielleicht verletzt hat, so kann es uns überrascht ansehen und sagen: »Es ist doch nur Spiel!« Zum Spielen gehört diese Gleichzeitigkeit der Fantasiewelt und der Erwachsenenrealität.
Im Spiel wird Erlebtes gestaltet, auch Entwicklungsschwierigkeiten und seelische Konflikte werden dabei verarbeitet. Das Kind schimpft zum Beispiel mit der Puppe, singt sie in den Schlaf oder lässt Playmobilfiguren streiten und kämpfen.
Gleichzeitig wird das Zukünftige, auf das hin sich das Kind entwickelt, wie die Tätigkeiten des Erwachsenen, vorweggenommen. Es wischt Staub, kocht Spaghetti, füttert die Schweine, spricht ins Handy und fährt mit dem Auto...
Einfallsreichtum und Spontaneität gehören zum Spiel, wie etwa Höhlen bauen mit Schachteln und Tüchern oder sich Verkleiden und in verschiedene Rollen schlüpfen. Zum Spielen des Kindes gehört aber auch das Einhalten bestimmter Ordnungen und Regeln. Denken wir nur an Hüpfspiele, eine Perlenkette auffädeln, an das Papierfalten oder das exakte Ausmalen eines farbigen Mandalas.
Individualität und Gemeinschaftlichkeit werden im Spiel beide gefördert; es ist geprägt von der einmaligen Persönlichkeit des Kindes und von der Gesellschaft, von der Familie, von ihren Traditionen und Normen. Jedes Kind hat seine individuellen Vorlieben im Spiel, das eine spielt phasenweise nur mit Puppen, zieht sie ständig an und aus. Ein anders Kind spielt stundenlang Puzzles. Die Gemeinschaftlichkeit entwickelt das eine beim Tanzen und das andere im täglichen Rollenspiel.
Zum Spielen braucht das Kind entsprechenden Raum im Haus und in der Umgebung; es braucht dazu Zeit und Ruhe; es braucht andere Kinder und Material. Das kindliche Spiel ist mit erzieherischem Zwang unvereinbar. Spielen ist eine dem Kind eigene Form zu leben.
Um glücklich zu sein, brauchen Kinder eine Atmosphäre, in der sie sich wohl fühlen können, und Eltern, die sie lieben und anerkennen. Aus dieser Geborgenheit wächst das Vertrauen der Kinder in ihr eigenes Können. Darum sollten wir Kinder nicht ständig kritisieren und verbessern. Auch übertriebenes Loben kann schädlich sein. Für die Kinder ist ein ernsthaftes, ehrliches Interesse an ihrem Spiel am besten. Lassen wir die Kinder immer wieder selber ausprobieren! Nur so können sie eigene Fähigkeiten entwickeln und selber Lösungen finden.
Am liebsten halten sich kleine Kinder in der Nähe der Mutter auf. Darum sollte ihr Spielplatz zuerst immer in Sichtweite sein, später genügt Rufweite.
Ein Kind, das ausdauernd spielen kann, wird sich später auch in eine Arbeit vertiefen können. Kinder sind leicht ablenkbar. Freuen wir uns, wenn sie versunken spielen, und stören wir sie so wenig wie möglich! Machen wir uns zur Grundregel: Solange Kinder eigene Spielideen haben, unterbrechen wir sie wenn möglich nicht!
Kinder brauchen auch Zeug zum Spielen
Kinder brauchen für ihr Spiel nicht immer Spielzeug. Oft verwenden sie auch »Zeug zum Spielen«. Kinder sind von Natur aus »Sachensucher«. Sie suchen und finden Gelegenheitsspielzeug wie Schnüre, Wäscheklammern, Tücher, Schachteln und Papier, Haushaltsgegenstände. Gelegenheitsspielsachen müssen nicht von Dauer sein, sie werden ja vom Kind nur von Fall zu Fall mit ins Spiel einbezogen.
Dauerspielzeug wie Puppen, Eisenbahnen oder Konstruktionsmaterial sollte von guter Qualität sein, denn es muss größere Belastungen aushalten. Als Grundregel gilt: Kinder sollten nicht viele, häufig wechselnde, dafür aber hochwertige Spielsachen besitzen. Darum ist es wichtig, dass wir jede Spielzeugwahl bewusst treffen. Sie muss auf jeden Fall dem Alter und dem Interesse des Kindes entsprechen. Selbstgemachtes Spielzeug lieben Kinder oft noch mehr als gekauftes. Gekauftes Spielzeug lässt sich für die Kinder aufwerten, indem wir dazu noch eigene Sachen beisteuern: Verkleidungskleider, Stöcklschuhe, alte Handtaschen, Tücher, Schachteln, Schnüre usw. Zu Holztieren bastelt der Vater mit den Kindern einen eigenen Stall. Die Puppe wird zu Weihnachten mit selbstgenähten oder gestrickten Kleidern neu eingekleidet.
Kinder brauchen nicht das ganze Jahr alles Spielzeug griffbereit zu haben. Lassen wir Spielzeug, das längere Zeit nicht benutzt wird, auf dem Dachboden oder im Keller verschwinden. Bei Langeweile, im Sommer, an Regentagen oder im Winter holen wir es wieder hervor. Dann ist es für die Kinder wie neu! Ich denke etwa an Sandspielzeug, Kasperfiguren, den Kaufladen, Konstruktionsmaterial, Puzzles usw.
Wir sollten uns täglich Zeit nehmen, mit den Kindern gemeinsam etwas zu tun: Fingerverse spielen, Lieder singen, Papierfalten, Erzählen, Bilderbücher anschauen, einen Bauernhof besuchen, Kastanien sammeln, ein Schaufenster anschauen, eine Bahnfahrt oder einen Einkaufsbummel machen.
Kinder lernen durch Nachahmung
Kinder lernen vor allem durch das, was wir ihnen vorleben. Darum bereichert die Mithilfe im Haushalt oder im Garten das kindliche Spiel. Sie ahmen Mutter oder Vater nach beim Brotbacken, Kuchenteigrühren, Tischdecken, Katzefüttern, Wäschewaschen und -aufhängen, Blumengießen, Staubsaugen, Schuheputzen, Autofahren, Fußballspielen, Einkaufen oder Vögelfüttern usw.
Kinder brauchen andere Mädchen und Buben zum Spielen. Achten wir darauf, dass sie so oft wie möglich mit Spielgefährten zusammen sind. Auch wenn sich Erwachsene noch so »kindlich« verhalten, sie ersetzen einem spielenden Kind die mitspielenden Gefährten und Gefährtinnen nie!
Wir sollten die Spielsachen nicht in Mädchen- und Bubenspielzeug unterteilen und die Kinder damit in vorbestimmtes Rollenverhalten pressen, sondern ihnen das zum Spielen anbieten, was sie sich wünschen und was ihren momentanen Fähigkeiten entspricht.
Kleine Kinder unter drei Jahren sollte man nicht zwingen, ihre Spielsachen mit anderen zu teilen. Nur wer zuerst genug hat, kann später großzügig weitergeben und das Eigentum anderer respektieren. Lieblingsspielsachen gehören natürlich nicht zu dieser Kategorie, sie sollten dem jeweiligen Kind vorbehalten bleiben.
Leider sind die meisten Kinderzimmer heute sehr klein, und die Wohnungen bieten wenig Spielraum für die Kinder. Hinterhöfe, Gärten und Straßen zum Spielen sind rar geworden. Darum sollten wir den Kindern bewusst Platz zum Spiel einräumen. Auch wenn das die Küche, das Wohn-oder Elternschlafzimmer sein sollte. Kinder brauchen SpielPlatz, um sich entfalten zu können!
Immer dieses Aufräumen
Lassen wir das Aufräumen nicht täglich zu einem Drama werden. Ohne unsere Hilfe räumen Kinder ungern auf. Erwachsene prägen durch ihre eigene Stimmung das Aufräumklima! Zeitdruck und Gereiztheit übertragen sich belastend auf die Kinder. Nehmen wir das Aufräumen täglich als gute Übung für einen gesunden Ordnungssinn und als Gemeinschaftserlebnis! Hier ein paar bewährte Motivationsanregungen:
• Die Spielsachen unserer Kinder haben alle ihren bestimmten Platz: Die Puppen schlafen im Puppenwagen und ihre Kleider liegen in der Truhe. Die Bauklötze und die Eisenbahn sind in Aufbewahrungs-Boxen. Die Autos stehen auf dem Bücherregal usw.
• Wir singen beim Aufräumen, dann geht’s leichter, oder wir spielen »fleißige Ameisen«. Manche Kinder mögen »Einsammler« sein und legen alles, was auf dem Boden liegt, in eine Schachtel. Gemeinsam sortieren wir die Dinge in der Schachtel an den richtigen Ort.
• Die Motivation zum Aufräumen vergrößert sich, wenn die Kinder wissen, was sie anschließend erwartet: ein Spaziergang, Sirup, eine Geschichte, Betrachten eines Bilderbuches.
• In einer Kommode haben wir eventuell eine »Gerümpel-Schublade«, da kommen alle Kleinigkeiten hinein.
• Die kleinen Kostbarkeiten kann man auch in einem »Schatzkästchen« aufbewahren.
• Gesellschaftsspiele und Bilderbücher werden in einem separaten Schrank oder Regal aufbewahrt.
• Von der Baustelle räumen die Kinder alles mit dem Lastauto weg.
• Konstruktionen wie Höhlen, Türme, Eisenbahnanlage sollten Kinder mehrere Tage stehen lassen dürfen. Es genügt, wenn wir einmal in der Woche das Kinderzimmer gemeinsam gründlich aufräumen.