Zeichnen und Malen
Kinder entwickeln dabei: Freude am schöpferischenTun, Spontaneität, Vorstellungskraft, Empfindungsvermögen, Denk- und Ausdrucksfähigkeit, Kreativität und Fantasie, Feinmotorik, Hand-Augen-Koordination. Kinder lernen sich ein eigenes Bild von der Welt zu machen, bleibende Spuren zu hinterlassen, ahmen Erwachsene nach beim »Schreiben«, entwickeln eine individuelle Bildsprache, erleben Farben und Formen und eine neue Form sich mitzuteilen. Zeichnen und Malen sind gute Vorübungen zum späteren Schreiben in der Schule.
Kinderzeichnungen haben mich schon immer interessiert und fasziniert. Sie drücken so viel kindliche Spontaneität, Schöpferkraft, Freude und Begeisterung aus. Sichtbare Spuren auf einem Blatt Papier zu hinterlassen ist die Vorstufe zur Kulturtechnik Schreiben. Die Entwicklung der Bildsprache weist bestimmte Gesetzmäßigkeiten auf, die mehr oder weniger jedes Kind in seiner Art und in seinem Tempo durchläuft. Vom ersten Gekritzel bis zu einem »Röntgenbild« oder einer Zeichnung, die eine Geschichte oder ein Erlebnis erzählt, ist ein weiter Weg - genauso wie vom Lallen des Babys bis zum Spielen und Sprechen eines Fingerverses oder vom Kriechen zum Hüpfen auf einem Bein.
Angefangen von den ersten Kritzeleien bis zum detailliert gestalteten Bild, hat jede Stufe der Zeichenentwicklung ihre in sich begründete Bedeutung und muss von den Erwachsenen zunächst unbeeinflusst bleiben und geachtet werden. Denn das Kind zeichnet seine eigene Vorstellung der Wirklichkeit. Proportionen, Größen und Farben haben individuelle Aussagekraft.
In der Familie und dem Kindergarten sollten die Kinder möglichst viele Gelegenheiten haben, sich ungestört mit verschiedensten Malmitteln auf unterschiedlichsten Malflächen auszudrücken.
Sichtbare Spuren
Die ersten Versuche des Kindes, sich aktiv mit verschiedenem Material auseinanderzusetzen, wird von den Erwachsenen oft falsch gedeutet und als Zerstörung oder Beschmutzung empfunden. Das Kind schmiert, kratzt, zerreißt, lutscht und macht dabei wichtige Entdeckungen: Es lernt den Zusammenhang zwischen Material, eigener Bewegung und entstandener Spur kennen. Es erfährt, dass Material hart, weich oder flüssig sein kann und je nach Beschaffenheit verschiedenartige Bearbeitung verlangt.
Dabei entdeckt es eines Tages, meistens anfangs des zweiten Lebensjahrs, dass ein Stift, weiche Kreiden oder Fingerfarben Spuren hinterlassen. Anfangs geschieht dies rein zufällig und aus Freude an der Bewegung. Nach und nach werden seine »Spurenbilder« bewusster. Es kopiert dabei auch Mama und Papa beim Schreiben und malt seine »Spuren« aufs Papier. Immer wieder, immer wieder. Das Kind hat auch hier einen natürlichen »Wiederholungstick« eingebaut, der ihm hilft, das Neue einzuüben.
Kritzelphase
Der Stift, der über das Papier fährt, hinterlässt Linien, Striche und Punkte. Mit der Zeit entstehen knäuelartige Spuren. Sie sehen aus wie zerzauste Wollknäuel. Dieses Kritzeln, das noch von keinem Sinn erfüllt ist als der Freude an Ausdruck, Wirksamkeit und Bewegung, weckt in den Kindern glücklichen Stolz. Sie schenken der Mutter oder einer anderen anwesenden Person ihr Produkt mit Begeisterung.
Vom »Kopffüßler« zum Strichmännchen
Im Laufe des dritten Lebensjahres entstehen nach und nach auch Punkte, Zickzacklinien und Spiralen.
Außerdem tauchen bei allen Kindern plötzlich geschlossene Kreisformen auf. Diese »Ich-Kreise« gehen mit der Entwicklung des kindlichen Selbst-Bewusstseins einher. Nach einiger Zeit beginnen die Kinder in diese Kreisform ein Gesicht zu zeichnen und hängen ihr zwei Striche als Füße an. Darum nennt man diese ersten Darstellungen von Menschen in der Kinderzeichnung »Kopffüßler«.
Am Anfang schwimmen die Figuren noch richtungslos auf dem Papier herum. Jetzt beginnt der kleine Zeichner sein Gekritzel zu benennen. Bis zum Schuleintritt werden die Zeichnungen seiner Menschen immer differenzierter und vielfältiger.
Zwischen Himmel und Erde
Ab einem Alter von etwa vier Jahren beginnen Kinder, ihre Bilder stärker zu komponieren. Sie spüren die Erde unter den Füßen und den Himmel über sich. Der obere Rand des Blattes wird zum Himmel, an dem die Sonne lacht. Der untere Rand wird zum Boden, zur Standlinie für alles, was sich auf der Erde befindet. Da stehen nun die Menschen, die Häuser und die Blumen. Und dazwischen ist viel durchsichtige, »weiße« Luft.
Die kleinen Zeichner achten nun beim Malen auf Differenzierung und Details wie z.B. Vorhänge oder verschiedene Frisuren und setzen zahlreiche Gegenstände im Bild zueinander in Bezug. Auch die Farbwahl wird jetzt bewusst vorgenommen.
Die Kinder zeichnen jetzt jeden Gegenstand in einer typischen Ansicht: einen Menschen von vorne, ein Tier von der Seite, einen Tisch von der Seite oder auch von oben, damit man sehen kann, was darauf steht. Beim Menschen stehen die Arme fast rechtwinkelig vom Körper ab, ebenso die Äste der Bäume oder die Flügel der Vögel.
Größenverhältnisse
Kinder malen Wichtiges groß und Unwichtiges klein, egal, wie es in der Realität tatsächlich ist. Kinder sind auf den Bildern meist ebenso groß wie Erwachsene, Häuser sind nicht größer als Menschen, und Bäume gehen vielleicht bis an den Himmel. Wenn etwas groß gemalt ist, hat es für das Kind eine große Bedeutung, egal ob es ein freudiges Erlebnis zeichnet oder etwas, das ihm Angst macht. Ein geliebter Hund kann groß im Mittelpunkt stehen, aber er wird auch groß gezeichnet, wenn das Kind Angst vor ihm hat.
Familienbilder
Kinder malen sich gerne mit ihrer Familie. In den Familienbildern kommen die sozialen Beziehungen, wie das Kind sie erlebt, deutlich zum Ausdruck. Erziehende sollten bitte die Zeichnungen der Kinder nicht kritisch kommentieren und offen psychologisieren! Das fällt bei Familienbildern manchmal schwer, denn sie sagen doch sehr viel über die momentane Befindlichkeit des Kindes aus. Lassen wir uns erzählen, wie die Zeichnung entstanden ist und wer alles zu sehen ist. Was meint das Kind selbst dazu? Wo sind Vater und Mutter oder die Geschwister platziert? Oft fehlen einige Familienmitglieder oder Freunde wurden hinzugezeichnet. Manchmal sind Oma und Opa mit auf dem Bild. Spannend ist, wo sich das Kind im Familienbild selber hinstellt und welche Größe es sich gibt. Malt das Kind sich selbst in den Mittelpunkt? Dann hat es wahrscheinlich ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt und fühlt sich in der Familie geborgen. Malt es sich selbst besonders klein und abseits, so fühlt es sich möglicherweise auch »an den Rand gedrückt« und unbedeutend.
»Röntgenbilder«
Typisch für Fünf- bis Achtjährige sind die »Röntgenbilder«: Das Kind zeichnet nicht nur, was es sieht, sondern auch das, was es über die Gegenstände weiß. So sieht man ein Haus gleichzeitig von außen und innen. Mauern, Türen, Hausdach und Kamin sind erkennbar und im Innern alle Zimmer mit Möbeln und Menschen. Das Auto ist wie »aufgeschnitten«. Man erkennt seine Außenform und gleichzeitig, wer drinnen sitzt und fährt. Oder vom Nikolaus ist nicht nur der Sack zu sehen, den er auf dem Rücken trägt, sondern gleichzeitig auch die Nüsse, Mandarinen, Äpfel und Lebkuchenmänner im Innern. Wenn die Mutter ein Geschwisterchen erwartet, wird sie oft mit Kleidern gezeichnet und gleichzeitig sieht man das Baby im Bauch. Das zeigt, dass sich das Kind mit der zukünftigen Geburt und dem neuen Geschwisterchen stark beschäftigt.
Sprechen und Spontangesang beim Malen
Beim Malen werden Kinder in der Regel auch alles kommentieren, was sie gerade tun. Sie erzählen, was sie vorhaben, überlegen laut, wo noch etwas fehlt, welche Farbe sie gerade suchen und ob das, was sie gezeichnet haben, ihren Vorstellungen entspricht. Wenn sich Kinder beim Zeichnen wohl fühlen, singen sie oft spontan vor sich hin. Im Kindergarten malen Kinder oft gemeinsam. Sie erzählen sich gegenseitig, was sie tun, übernehmen Motive von anderen Kindern und experimentieren gemeinsam mit Farben und Formen. So regt Zeichnen und Malen intuitiv auch das Sprechen an.
Wasserfarben ab wann?
Der Umgang mit Wasserfarben erfordert Umsicht und Sorgfalt. Sie sind erst ab etwa vier Jahren zu empfehlen. Anfänger brauchen dicke Pinsel. Um böse Überraschungen zu vermeiden, decken wir den Malplatz gut mit Zeitungen oder einem Wachstuch ab und ziehen den Kindern Malkittel oder alte Herrenhemden an. Die Hemden werden auf dem Rücken zugeknöpft und die Ärmel auf Kinderarmlänge abgeschnitten und mit Gummizug versehen.
Kleine sollten beim Malen mit flüssiger Farbe nie unbeaufsichtigt sein. Die Gefahr, dass sie Farbe essen oder auskippen, ist groß.
Spielimpulse
• »Kritzeln«, Zeichnen und Malen sind Übungssache. Darum sollten Farbstifte und Papier für Kinder jederzeit erreichbar sein. Wir stellen das nötige Material bereit, wie etwa Farbstifte, Kreiden, Ölkreiden, Wachskreiden, Filzstifte, Erdfarben, Fingerfarben, Dispersionsfarben, Kohle, Kleisterfarben, Sand- und Kleistermischungen etc.
• Vielfältiges Zeichenmaterial regt die Lust zum Zeichnen und Malen an. Wir stellen den Kindern Papier und Karton in verschiedenen Größen, Stärken und Farben zur Verfügung, evtl. auch Tapeten, Wandtafel, Teerboden, Stoffe, Holz oder ein vorbestimmtes Stück Hausmauer.
• Kinder zeichnen und malen sitzend, liegend, stehend. Darum sind mögliche Arbeitsorte etwa Boden, Tisch, Wand und Staffelei.
• Wir freuen uns mit den Kleinen an ihren ersten Kritzelbildern. Dadurch vermitteln wir ihnen das Gefühl, dass wir uns Zeit nehmen und an ihrem Erleben und Tun wohlwollend teilnehmen.
• Mit Magnetköpfen darf das Kind seine Zeichnung an den Kühlschrank hängen. So kann jedes Familienmitglied täglich die »Küchengalerie« bewundern.
• Wer von den Fünf- bis Siebenjährigen möchte ein Familienbild malen? Grundschulkinder finden es lustig, die eigene Familie auch als Tiere darzustellen. Wer ist der Löwe da und wer die Maus?
• Wir fragen das Kind, was für eine Geschichte es »aufgeschrieben« hat. Diese Frage zeigt ihm, dass wir interessiert sind, etwas von der Entstehungsgeschichte und dem, was die Zeichnung ausdrückt, zu erfahren.
• Zu Walzermusik lassen wir die Kinder beidhändig mit farbigen Ölkreiden auf einem großen Papierformat »tanzen«! Wer malt das schönste Tanzbild?
• Wer zeichnet mit dem Finger Figuren in den Sand, den Schnee und auf beschlagene Fensterscheiben?
• Schnee ist ja bei uns ein besonderes Ereignis, darum können wir »Malen im Schnee« nur machen, wenn dieses flockige Weiß auf der Erde liegt. So wird gespielt: Die Kinder nehmen kleine Gießkannen oder Spritzflaschen, die mit wasserlöslicher Farbe gefüllt sind. Die Wagemutigen spritzen nun farbige Spuren, Kleckse, Kreise, Zickzack oder Männchen in den Schnee.
• Heute spielen wir »Schminken«. Gegenseitig bemalen wir uns die Gesichter mit Schminkfarbe.
• Farben erkennen und benennen: Was ist meine Lieblingsfarbe? Welche Farbe haben deine Haare, deine Augen? Welche Farben haben meine Kleider?
• Heute spielen wir »Pflastermalerei« und bemalen gemeinsam mit farbigen Kreiden den Gehsteig oder eine Betonwand des Hofes.
• Wir bespannen eine freie Wand in der Wohnung mit Papier und verwandeln so den Raum in ein Malatelier.
• Mit Wasserfarben malt jedes Kind ein Bild mit seinen schönsten Farbmischungen. Es entstehen bunte Blumen, Sonne, Mond und Sterne, Wasserbilder, Elefanten und Kühe...
• Mit Fensterfarben lassen sich die Fenster in Glasgemälde verwandeln.
• Wer die Entwicklung seiner Kinder beim Zeichnen und Malen näher begleiten und festhalten möchte, lässt sich ab und zu eine Zeichnung erläutern, schreibt das Gesagte mit Datum versehen auf die Rückseite und legt das Bild in einer Mappe oder einem Ordner ab. Noch Jahre später kann sich die Familie daran erfreuen.