33.

Er öffnete auf Anweisung der energischen Stimme in seinem Rücken die Tür. Auf dem Schild daneben stand »Nina Portland, Kriminalkommissarin«. Und sie war es auch, die mit knallenden Stiefelabsätzen direkt hinter ihm ging.

Portland hatte ihn unten am Eingang des Polizeireviers abgeholt und durch das Treppenhaus und diverse Flure ins Kommissariat gelenkt.

»Und Sie sind also Oxen.«

Die westjütländische Kriminalkommissarin musterte ihn von oben bis unten, und zwar ziemlich unverhohlen.

Portland wischte sich eine kastanienrote Locke aus der Stirn. Davon abgesehen waren ihre Haare streng zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt. Sie schien ungefähr im selben Alter zu sein wie er, Mitte vierzig. Ein kantiges

Was hatte Margrethe Franck gesagt? Dass Portland im Zentrum einer Reihe spektakulärer Fälle gestanden hatte? Das überraschte ihn nicht.

Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schlug ein Bein über das andere, sodass das große Loch in ihrer verwaschenen Jeans mitten auf dem Knie klaffte.

»Kommen wir zur Sache, Oxen«, sagte sie.

»Wie ich am Telefon ja schon erwähnt habe, geht es um Jack Bræmer.«

»Über den Sie Nachforschungen anstellen, weil er zusammen mit drei anderen Männern irgendwo draußen im Vejle Ådal erschossen wurde.«

»Richtig. Aber wir suchen natürlich auch nach einem möglichen Zusammenhang mit den drei Morden in der Kiesgrube bei Næstved vor einem Monat.«

»Und nachdem Margrethe Franck und der PET mit im Spiel sind, unterstützt von einem mit Orden behängten Supersoldaten, bewegen wir uns auf einer höheren Ebene«, folgerte Portland.

Er zuckte wortlos die Schultern.

»Keine Sorge, Oxen, ich weiß, wie der Hase läuft. Ich war hier in einigen Fällen der PET-Kontakt. Ich werde Sie nicht aushorchen«, sagte sie, zog die braune Lederjacke aus und legte sie über die Stuhllehne.

Das enge weiße T-Shirt zeigte, dass Portland eine durchtrainierte Frau war. Instinktiv ging er auf die Suche nach Kamelen und Schlangen. Aber es gab keine. Stattdessen trug Portland eine kleine weiße Perle an jedem Ohrläppchen.

»Jack Bræmer hatte von den sieben Opfern die meisten

Portland nickte, stieß sich mit dem Bürostuhl zurück, um nach einer Akte zu greifen, und rollte dann wieder nach vorn.

»Das meiste weiß ich auswendig, aber trotzdem … Also, Jack Bræmer war ein riesengroßes Arschloch. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob seine Mutter ihn vermisst. Abgesehen von dem bewaffneten Raubüberfall auf einen Juwelier in Århus, bei dem er und sein Komplize wenig später von der Polizei gefasst wurden, hat er sich die ganze Zeit dicht am Abgrund bewegt. Und er hat uns jedes Mal dreist ins Gesicht gegrinst, wenn wir ihn vom Haken lassen mussten.«

»Dann gehen Sie also davon aus, dass er noch mehr auf dem Kerbholz hat?«

»Das wissen wir. Und zwar jede Menge. Wir konnten es ihm nur nicht beweisen. Und wenn doch, haben unsere Zeugen den Schwanz eingekniffen und ihre Aussagen geändert oder gleich ganz zurückgezogen.«

Portland blätterte in ihrer Akte und fuhr dann fort:

»Vor der Juweliergeschichte war er zum Beispiel Drahtzieher einer Reihe von sogenannten Rammbock-Diebstählen in Südjütland, als die gerade in Mode waren. Also mit einem gestohlenen SUV rückwärts in ein Schaufenster fahren, blitzschnell plündern, was geht, und dann ein schneller Abgang. Apropos Rammbock … Jack war auch ein echter Bock. Er hatte sechs bis sieben Kinder von vier oder fünf verschiedenen Frauen, die er alle nach Lust und Laune verprügelt hat. Die haben übrigens auch immer ihre Aussagen geändert.«

»Sympathischer Typ.«

»Absolut. Der Einbruch in Århus war allerdings eher

»Was hat er sonst gemacht?«

»Alles. ›Schnelles Geld‹ war sein zweiter Vorname. Hehlerei im großen Stil. Er hat aber nur ein winzig kleines Urteil in einem einzigen Fall gekriegt, weil das meiste gar nicht vor Gericht gekommen ist. Am markantesten war seine Rolle in dem großen Waffenraub 2009 in der Antvorskov Kaserne. Wir glauben, dass er an der Planung beteiligt war, aber wir konnten es nicht beweisen.«

Das M/96-Gewehr, das im Shelter gefunden worden war, stammte von dort, also waren Portland und ihre Kollegen wohl auf der richtigen Spur gewesen.

»Wieso denken Sie, dass Bræmer an dem Raub beteiligt war?«, fragte er.

»Er war gerade aus Afghanistan zurückgekehrt. Wir fanden heraus, dass er während der Mission Zugang zu speziellem Wissen über den Waffencontainer hatte, der dorthin verschifft werden sollte. Für die Nacht des Coups hatte er ein Alibi. Eine der Frauen aus seinem Harem erklärte, er hätte den ganzen Tag zwischen ihren Beinen verbracht. Ein paar Monate später haben wir sein Auto gestoppt. Unter dem Rücksitz waren zwei Automatikgewehre, beide aus der Kaserne. Leider ist uns ein Fehler unterlaufen. Denn es war nicht Jack Bræmer, der am Steuer saß, sondern einer seiner Handlanger. Und der hat die Strafe für seinen Chef auf sich genommen. Ohne mit der Wimper zu zucken.«

»Bei solchen Sachen fällt der Hammer hart, oder?«

Portland nickte.

»Aber genau wie alle anderen in Bræmers Umfeld wusste der

»Ein vielseitiger Mann, dieser Jack Bræmer.«

»Wie gesagt, mit einem Riecher für das schnelle Geld. Und gern auch das große Geld. Bei Waffen ist beides drin. Natürlich je nach Angebot und Nachfrage. Wir hatten vor ein paar Jahren einen Fall, wo der Preis für eine M/96 bei rund 65 000 Kronen lag.«

»Nach unseren Informationen war er an drei Auslandseinsätzen beteiligt. Können Sie …?«

»Balkan, Kosovo, Afghanistan«, fiel sie ihm prompt ins Wort.

Es stimmte also, dass Portland einiges auswendig wusste.

»Balkan zweimal«, ergänzte sie.

»Das FAUK hatte ihn seinerzeit wegen einer Waffensache im Verdacht?«

»Das war bei seinem ersten Balkaneinsatz. Als er im Camp Holger Danske in Kroatien war. Die Militärjustiz hatte uns damals um Unterstützung gebeten. Da war der Mistkerl noch ein unbeschriebenes Blatt. Vielleicht ist er da unten auf den Geschmack gekommen. Die Ermittlungen drehten sich um die Frage, inwiefern er an einem Waffenschmuggel nach Dänemark beteiligt war. Sie waren doch auch auf dem Balkan?«

Er nickte. Portland demonstrierte ein weiteres Mal, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hatte.

»Waffen gab es da unten ja mehr als genug, oder?« Sie sah ihn fragend an.

»Absolut. Die gab es im Überfluss, sowohl bei den Kriegsparteien als auch bei uns.«

»Und Jack Bræmer schielte natürlich auch dort auf leicht verdientes Geld. Aber leider bekam das FAUK nicht einmal genug Material für eine offizielle Anklage zusammen.«

»Und was hat er gemacht, nachdem er seine Strafe für den Juwelenraub abgesessen hatte? Wovon hat er gelebt?«

Portland verzog den Mund.

»Mit normaler Arbeit hat Jack Bræmer sich nie abgegeben. Seit er wieder draußen war, hat er sich durch das System geschnorrt und seine PTBS als Berufskrankheit anerkennen lassen.«

»Hatte er denn eine PTBS

Jetzt lachte Portland laut.

»Nein. Nicht, wenn Sie mich fragen. Der hat nicht mal unter Heimweh gelitten. Schnelles Geld, merken Sie sich das einfach für jede Gelegenheit, bei der Ihnen der Name Jack Bræmer unterkommt. Dasselbe gilt übrigens auch, falls Ihnen sein kleiner Bruder mal über den Weg laufen sollte. An ihn habe ich mich hier beim Durchbättern gerade wieder erinnert.«

Portland tippte mit dem Zeigefinger auf die Akte.

»Wir wissen nichts von einem kleinen Bruder«, sagte er.

»Er heißt Johnny. Jack und Johnny, ein schönes Paar. Es gibt wohl auch noch eine Schwester. Johnny war über mehrere Jahre eine Art Sekundant für seinen großen Bruder, ebenfalls Soldat, und er hatte ebenfalls mehrere Auslandseinsätze hinter sich.«

»Und er war auch kriminell?«

Portland zuckte mit den Schultern.

»Die Geschichten ähneln sich. Die Leute wussten, dass sie Johnny nicht anfassen durften, weil sie sonst Jack am Hals hatten. Bei Johnny ging es immer nur um Kleinkram: Drohungen, Körperverletzungen und ein bisschen Hehlerei. Er war nicht ganz so unsympathisch wie Jack.«

»Und was macht er jetzt?«

»Keine Ahnung. Wir haben ihn in den letzten, ich würde sagen, drei, vier Jahren in Esbjerg nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er litt auch an PTBS. Und bei ihm glaube ich tatsächlich, dass es stimmt. Als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe, sah er wirklich schlecht aus. Und wenn ich mich richtig erinnere, war er damals auch in Behandlung.«

Oxen machte sich eifrig Notizen. Seine Vermutung, dass Shelter/Bræmer eine Schlüsselfigur war, schien sich immer mehr zu bestätigen. Er schaute auf.

»Sind Ihnen irgendwelche Rivalitäten bekannt? Zum Beispiel mit anderen Kriminellen oder Kriegsveteranen? Irgendetwas, das wir im Auge behalten sollten?«

»Andere Veteranen? Nein. Rivalitäten und Feinde? Ja. Jede Menge. Ein Arschloch wie Jack Bræmer schafft sich Feinde am laufenden Band. Aber von denen sticht keiner besonders hervor. Sollte mir doch jemand einfallen, melde ich mich.«

»Noch eine letzte Frage: Sagt Ihnen der Name Flemming Bülow irgendetwas? Vielleicht in Verbindung mit Bræmer?«

»Bülow? Nope … Sollte er das?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nur ein Name, auf den wir unterwegs gestoßen sind. Gibt es sonst noch etwas, das wir über Jack Bræmer wissen sollten?«

»Nein. Mich ärgert nur, dass ich ihm sein dummes Grinsen nicht mehr polieren konnte, bevor er verreckt ist. Ich musste mir so viel Scheiße von diesem Typen anhören und so viele Provokationen, das kann man sich im Traum nicht vorstellen.«