68.

Kirill Michajlowitsch Lyssenko schenkte ihnen Tee aus dem üppig mit Ornamenten verzierten Samowar ein.

Als er kurz darauf die Untertasse auf die breite Armlehne des

Der Tee war eine traditionelle russische Sorte, ziemlich kräftig. Sie nippten in Stille.

»Aus Georgien«, sagte Lyssenko dann. »Der Tee. Genauer gesagt, aus Osurgeti. Schmeckt er Ihnen?«

»Hervorragend. Russischer Tee hält immer, was er verspricht.«

»Lassen Sie uns ein bisschen über die Möglichkeiten reden, Mossman. Sie bitten um Hilfe. Was stellen Sie sich vor? Wie?«

»Mein Vorschlag wäre eine Zusammenarbeit, von der wir beide profitieren. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich genau wie meine auf den Kreuzungspunkt, in dem die verschiedenen Interessen zusammenlaufen. Den Punkt, der durch Bülows Engagement in Damaskus sichtbar geworden ist.«

»Können Sie das erläutern?«

»Well, ich vermute, dass ich meinen verschwundenen Freund oder zumindest Hinweise auf ihn finden werde, wenn es mir gelingt, ganz bestimmte Personen aufzuspüren und zu befragen – und zwar die Personen, mit denen sich Bülow in den zwei Tagen vor seiner Heimreise heimlich in Damaskus getroffen hat.«

Er hatte den Eindruck, dass Kirill Michajlowitsch Lyssenkos Blick im Verlauf ihres Gesprächs schärfer und intensiver geworden war. Er durfte den Intellekt des Russen auf keinen Fall unterschätzen. Auch wenn dessen Erscheinung selbst den Vorsichtigsten dazu hätte verleiten können, angesichts des braunen Anzugs und eingehüllt in eine Aura bürokratischer Anonymität für einen kurzen Moment durchzuatmen.

Lyssenko hatte die gefalteten Hände nachdenklich an den Mund gelegt.

»Lassen Sie mich versuchen, Ihren Gedankengang

Sie waren endlich an der entscheidenden Stelle angelangt. Jetzt galt es, jeden Schritt mit Bedacht zu setzen. Und zu überzeugen.

»In Dänemark laufen umfangreiche Ermittlungen im Fall des Heckenschützen und zu den Motiven der sieben Morde – plus dem Mord an Bülow, macht insgesamt acht. Darüber hinaus ist eine spezielle Taskforce meines ehemaligen Arbeitgebers, des PET, rund um die Uhr damit beschäftigt, meinen Freund Niels Oxen zu finden. Mit allen Mitteln. Ich erlaube mir die Annahme, dass Ihnen und dem Sechsten Dienst noch Teile in dem Puzzle fehlen. Sonst hätten Sie meinem Besuch nicht zugestimmt. Sonst würden wir hier nicht zusammen bei einer Tasse georgischem Tee sitzen. Also was kann ich Ihnen bieten, was Sie nicht schon haben? Nun … ich bin bereit, alles – alles –, woran in Dänemark gerade gearbeitet wird, mit der Direktion und Ihnen zu teilen, Kirill Michajlowitsch.«

Der Russe nickte langsam und rieb sich das Kinn.

»Sie sind, wie erwartet, ein geschickter Mann, Mossman. Ich sehe, dass Sie ein ganz besonderes Gespür für das Material haben, für die Substanz, die wir in den Fingern halten.«

Lyssenko rieb den Daumen über Zeige- und Mittelfinger. Leise fuhr er fort: »Die Stofflichkeit … Nicht wahr? Die Fähigkeit, das Unsichtbare greifbar zu machen, es einer Bewertung zu unterziehen.«

Er zuckte mit den Schultern und wusste nur, wie wichtig es

Der Russe lächelte leise. Also hatte er bestanden. Oder zumindest fast.

»Ich habe eine Forderung, Mossman«, sagte der Chef des Sechsten Dienstes. »Eine Forderung, die nicht verhandelbar ist. Sollte es dazu kommen, dass von dänischer Seite eine entscheidende Operation auf dänischem Boden eingeleitet wird, dann verlange ich, dass Leute meiner Organisation die Erlaubnis bekommen, daran teilzunehmen. Können Sie eine so schwierige Forderung erfüllen? Kann Ihr guter Name diese Tür öffnen, obwohl Sie sich zurückgezogen haben und draußen stehen?«

Er hatte schon geahnt, dass es auf ein derart sensibles Ultimatum hinauslaufen könnte. Wenn er etwas zusicherte und die Ware dann nicht lieferte, war er erledigt. Und dasselbe galt für Oxen, falls er überhaupt noch lebte.

Er antwortete, ohne zu zögern: »Ja. Ich bin absolut in der Lage, Ihnen diese Zusage zu machen. Sollte es zu einer Operation unter dänischer Führung auf dänischem Boden kommen, haben Sie die Erlaubnis, sich mit zwei Mitarbeitern daran zu beteiligen.«

»Drei.«

»All right, drei Mitarbeiter. Natürlich unbewaffnet.«

»Natürlich. Wir haben eine Abmachung, Axel Mossman.«

»Danke, das freut mich. Wenn wir jetzt in Bezug auf Ihre Motive etwas mehr ins Detail gehen könnten, würde das die Zusammenarbeit erleichtern. Wie sehr ins Detail, bestimmen Sie selbst.«

»Dann lassen Sie mich vorwegschicken, dass uns vor allem zwei konkrete Anliegen beschäftigen«, begann Lyssenko. Er machte eine kurze Pause, um nachzudenken, und fuhr dann mit ernster Miene fort.

Er nickte. Das russische Wort für kompromittierendes Material war in seiner Welt in vielen Sprachen gebräuchlich.

»Und das zweite Anliegen?«, fragte er.

»Wie wichtig etwas ist, hängt ja bekanntlich immer auch von der Perspektive ab. Und in meinen Augen ist es das größere Problem, Mossman. Wir haben bedauerlicherweise einen … vermissten … Agenten.«

Lyssenko sprach im Großen und Ganzen fließend Englisch, aber die beiden letzten Worte kamen ihm nur schwer über die Lippen. Sie klangen sonderbar unheilvoll.

Wenn kompromat universell war, dann galt das erst recht für lost agent. Und in diesem Moment wurde ihm klar, dass hier große und mächtige Interessen im Spiel waren. In einem Umfang, die seine vielfältigen Gedankenspiele bei Weitem übertrafen.

Alles war gut.

Es war gut, dass es sich so verhielt. Starke Interessen waren gut. Sie hatten die Eigenschaft, selbst unheilige Allianzen auszubalancieren. Und das wiederum erhöhte ihre Chancen, Niels Oxen zu finden.

Oder seine Überreste, damit er zumindest ein anständiges Begräbnis bekam.