14.

Am Dienstag lief Hank Borrows seine Runde mit dem Hund. Die Langzeittherapie zeigte erste Erfolge, er traute sich mittlerweile wieder, länger draußen unterwegs zu sein. Gestern war er sogar einmal einen ganz neuen Weg gegangen. Daran wollte er heute Abend anknüpfen. Jip, seinem tauben Cockermischling, war das alles recht.

Seit den Ereignissen im Herbst, im Zuge derer Hank um ein Haar von einer außerirdischen Killermaschine entführt worden wäre, ging er allerdings am Stock. Die zittrige Rechte um den Knauf geklammert, Jips durchhängende Leine in der anderen Hand, schlurfte er durch sein Viertel, den Blick anderthalb Meter vor seinen Füßen, auf den Hintern seines Hundes gerichtet. Keiner der Beiden hatte es besonders eilig. Hank genoss die frische Luft (wenn sie wieder zuhause waren, musste er wirklich dringend mal die Fenster aufreißen) und das Zirpen der Grillen im Grünstreifen am Wegesrand. Der Dezember fiel ungewöhnlich mild aus in diesem Jahr. Jip genoss die Vielfalt der Straßengerüche. Er war taub, aber seine Nase war noch immer Eins-a.

Plötzlich spannte sich der Mischling, die Jahre schienen von ihm abzufallen. Er hatte etwas gewittert. Die Markierung eines Rivalen. Die Losung eines anderen Stadttieres, einer Ratte zum Beispiel. Den Duft einer läufigen Hündin. Was immer es war, es setzte Hanks treuen Vierbeiner von jetzt auf gleich unter Strom. Die schlaffe Leine straffte sich. Das war schon eine ganze Weile nicht mehr vorgekommen.

»Jaaa, Jippilein! Hast was Spannendes entdeckt, nech? Fein. Eine neue Herzensdame?«

Bei sich dachte Hank, dass sein betagter Cockerverschnitt schwerlich noch etwas mit einer Hündin würde anfangen können. Auch in dem Punkt passten Hund und Herrchen wunderbar zusammen. Dennoch kam es immer wieder vor, dass Jip ihn überraschte. So auch jetzt: Jip hielt inne und hob eine Vorderpfote, wie ein Jagdhund auf der Pirsch. Starrte aufmerksam nach vorne, die Straße hinunter. Power-Jip.

Nur, dass da nichts war. Rein gar nichts.

Ein einzelnes Auto rauschte ihnen entgegen und passierte sie, aber das war nicht Gegenstand von Jips plötzlicher Konzentration gewesen. Der Himmel über Soontown war bereits dunkel geworden, doch für Sterne war es noch zu früh. Hank liebte die Sterne. Stunden konnte er damit zubringen, in seinem Teil von Skylars Garten im Liegestuhl zu liegen und die Lichtpunkte am nächtlichen Firmament wandern zu sehen. Als er noch Arbeit und Geld gehabt hatte, hatte er sich sogar einmal ein kleines Teleskop gekauft und damit die Gestirne des Nachthimmels beobachtet. Seit er krankheitsbedingt so zitterte, hatte er das aufgegeben. Das Teleskop war noch irgendwo in seiner Wohnung, versteckt unter dem ganzen Rummel, der sich bei Hank stapelte. Schade – das Sternegucken hatte ihm Spaß gemacht. Aber mit seinem Tremor waren die Blicke durchs Okular keine rechte Freude mehr.

»Jaaa, Jippilein! Was hast du da gewittert, hm?«

Jip beachtete ihn nicht. Die ganze Aufmerksamkeit des Hundes richtete sich auf etwas außerhalb von Hanks Wahrnehmungsspektrum. Dann setzte der Mischling noch einen drauf. Er knurrte.

Hank war von den Socken. Jip knurrte schon seit Jahren nicht mehr. Seit er taub geworden war, lockte ihn nicht einmal mehr der Postbote hinter dem elektrischen Ofen hervor. Auf ihrer Runde war der Mischling immer das friedliebendste Wesen, das man sich nur denken konnte, ließ sich gleichmütig beschnuppern, wedelte mit dem Schwanz, wenn die Chemie stimmte und trottete weiter, wenn sie es mal nicht tat. Und jetzt knurrte er. Fast war das Hank ein wenig unheimlich. Das Knurren war nicht nur ungewohnt, es kam aus tiefster Kehle, deutete auf Gefahr im Verzug hin. Wenigstens aus Hundeperspektive.

Hank merkte, wie sein Zittern zunahm. Schnell wandte er die Tricks an, die Ärzte und Therapeuten ihm während seiner Reha und später während der ambulanten Versorgung beigebracht hatten. Bewusste, tiefe Bauchatmung. Progressive Muskelentspannung. Gedankenreise zu einer fiktiven Blumenwiese. Das half ein wenig. Er zog einmal sanft an der Leine. »Komm, Jippi. Wir gehen nach Hause.«

Aber Jip wollte nicht nach Hause gehen. Seine Nasenflügel arbeiteten auf Hochtouren. Dann bellte er sein heiseres Bellen. Kläffte hinaus in die aufziehende Nacht.

Das wurde Hank jetzt aber doch zu viel. Wieder zog er an der Leine, kräftiger dieses Mal. »Herrgott, komm jetzt, du blöder Köter!«

Etwas summte von links heran und setzte sich auf Hanks Arm. Eine schwarze Riesenhummel. Batman-Style. Hanks schlappe Neuronen brauchten einen Moment, um zu feuern. Dann aber schlackerte er wild mit dem Arm. »Igitt!« Dabei ließ er Jips Leine los. Hank hasste Insekten.

Mieses Krabbelviech! Wo kommt das denn her?

Nach ein paar Mal schlackern prüfte er seinen Arm. Das Biest saß immer noch dort! Hanks Augen weiteten sich. Das war gar kein Insekt. Das war … ein winziger Flugroboter! Eine Miniaturdrohne!

Ein Vierteljahr stationäre und ambulante Behandlung nebst gut und gern zehn Sitzungen aus der Langzeittherapie zur Traumabewältigung rauschten den Bach hinunter. Halb zitternd, halb schlackernd, führte Hank einen wilden Tanz auf. Mit dem Gehstock drosch er auf seinen linken Arm ein. Jip kläffte wie verrückt.

Dann krabbelte eine zweite mechanische Hummel über Hanks rechten Oberschenkel. Weitere von den Biestern umschwirrten ihn. Hank führte panische Luftschläge mit dem Stock aus.

Sie waren wieder da! Die Aliens waren zurückgekehrt, um ihr schmutziges Werk zu vollenden und ihn mitzunehmen in die kalte, unendliche Weite des Alls! Dort würden sie ihn untersuchen, sezieren, ausschlachten. Oder mit höllischen Implantaten ausstatten und als Spion zurück auf die Erde schicken, eine seelenlose Hülle, gesteuert mit einem Controller in den Händen eines grünen Marsmenschen. Hank hatte all das und noch mehr in Büchern gelesen und in Filmen gesehen. Er wusste, was die da oben vorhatten, o ja!

Und im Krankenhaus hatten sie ihm wochenlang eintrichtern wollen, das wären alles nur Wahnvorstellungen gewesen. Von wegen! Im Herbst waren sie mit dem großen Killerroboter gescheitert. Jetzt schickten sie kleinere, unauffälligere Modelle, um sich ihr Opfer zu holen!

Irgendwie schaffte er es, die schwarze Hummel von seinem Arm zu fegen. Himmel, wie die um ihn herum summten und brummten! Dagegen konnte selbst die fetteste kalifornische Hornisse einpacken. Mit dem Stock und der nun freien Linken verscheuchte er schließlich auch den ungebetenen Besucher von seinem Oberschenkel. Die Minidrohne taumelte zu Boden.

Jip schnappte zu. Stolze hundertfünfzig Pfund Beißkraft pro Quadratzoll zermalmten die mechanische Hummel zu Stückchen. Hank bekam das nur am Rande mit, er war noch vollauf damit beschäftigt, die übrigen Angreifer mit wüsten Stockhieben zurück ins All zu befördern.

Aber da waren keine Angreifer mehr.

Es dauerte eine Weile, bis es zu Hank durchsickerte: Die schwarzen Hummeln waren verschwunden. Der Spuk war vorbei, ebenso plötzlich, wie er über ihn hereingebrochen war.

Schwer atmend machte Hank einen Schritt zurück und zwei vor. Stützte sich auf seinen Stock. Er schwitzte, wie er nicht mehr geschwitzt hatte, seit er damals vor dem Killerroboter geflohen war. Keuchend suchte er den Luftraum ab.

Nichts.

Aber Einbildung war der Angriff der schwarzen Hummeln auch nicht gewesen: Zu Jips Füßen lagen die eingespeichelten Stückchen des zerkauten Angreifers. Ein winziges mechanisches Beinchen strampelte noch, ruderte in dem Hundespeichel.

Ob ich die Teile auflesen und mitnehmen soll? Damit zur Wache gehen und sie den Cops zeigen?

Aber dazu fehlte Hank der Mut. Sicher konnten die Aliens ihre verlorenen Minijäger orten, selbst dann, wenn sie zerkaut worden waren. Die Stücke würden sie dann direkt zu ihm führen. Auch war nicht ausgeschlossen, dass sich die Einzelteile in einer perfiden Selbstreparatur allmählich wieder zusammensetzten, um dann erneut über ihn herzufallen. In den Science-Fiction-Geschichten, die er so mochte, kam das durchaus vor.

Nein, er würde diese Reste nicht anrühren.

Mit zitternden Fingern bückte er sich nach der Leine. Auch Jip war mitgenommen, hechelte wie nach einem Dauerlauf. Hank wickelte sich die Leine zweimal um die Linke und machte sich auf den Heimweg, so schnell seine Beine ihn noch trugen.

* * *

Sie waren noch nicht lange fort, als zwei der schwarzen Hummeln zurückkehrten und sich auf dem Kampfplatz niederließen. Wie übergroße Schmeißfliegen krabbelten sie eine Weile auf dem Pflaster umher. Akribisch sammelten sie alle Stückchen ihres zerstörten Artgenossen auf, bis hin zum letzten Splitter. Die winzigen Teile an ihre Körper gepresst, schwirrten sie wieder auf und verschwanden himmelwärts.

Es dauerte noch lange, bis die Grillen wieder anfingen zu zirpen.