32.

»… durch der Engel Halleluja,

Tönt es laut von fern und nah:

Howard, der Howard ist da-haaa!«

Er sang vor sich hin. Auch ohne Mikrofon. Er sang, während er die Bühne verwüstete und die angrenzenden Buden kurz und klein schlug. Er sang, während er die Menge lustvoll vor sich her trieb, so, wie kleine Kinder Tauben aufscheuchen. Er sang, als er die Hauptstromleitung kappte und mit dem schreienden FBI-Mann in den Krallen eine Ehrenrunde über den abrupt verdunkelten Vorplatz der Markthallen drehte. Es war Weihnachten, da gehörte singen dazu. Nur, als er sich das heiße Frittierfett über den Fuß gekippt hatte, hatte er mit dem Singen kurz aufgehört und die Schmerzen herausgeschrien.

Es war ihm egal, dass er nicht ›Christ, der Retter‹ war.

Es war ihm egal, das keiner mit ihm sang.

Er befahl einem Teil des Schwarms, glühende Äste von dem umgefallenen Weihnachtsbaum zu nehmen und das Feuer weiterzutragen. Parallel schickte er einzelne Guerilla-Microbots aus, um die Waffen seiner Gegner unbrauchbar zu machen. Ganz erstaunlich, was die kleinen Schweißrüssel seiner Kinderchen alles leisten konnten. Mit dem Outdoor Pro hatte die Firma RoGaTec wirklich ein Meisterstück hingelegt. Und er, Howard Doyle, hatte das Produkt kongenial verfeinert.

Er ließ den FBI-Mann aus gut acht Metern Höhe fallen und tauchte in eine Budengasse, um es den Cops und Special Agents nicht zu leicht zu machen, ihn abzuknallen. Im Vorbeifliegen streckte er eine Titaniumkralle aus und ruinierte die Auslage mehrerer Verkaufsstände. Jesus hatte schließlich auch die Händler aus dem Tempel vertrieben.

Er traf jetzt immer seltener Besucher auf den Wegen zwischen den Buden an. Die Menschen brachten sich zusehends in Sicherheit, das ärgste Gedränge hatte sich zerstreut. In einem Hinterstübchen seines zerrütteten Bewusstseins machte Howard sich eine Notiz, dass es für ihn dadurch deutlich riskanter wurde. Je weniger Leute das Weihnachtsdorf bevölkerten, desto weniger Skrupel würden FBI und Polizei haben, abzudrücken.

Schon tasteten die Suchscheinwerfer nach ihm. Das war lästig, die Helikopter über dem Platz wurden langsam zu einem Problem.

Am Ende der Gasse riss er das Dach der letzten Bude aus seine Verankerung und benutzte es als Schild gegen die versammelten Ordnungshüter, die vom Fuß der Treppen aus das Feuer auf ihn eröffneten, als einer der Scheinwerfer ihn erfasste. Bald drohte das abgerissene Dach, unter den MP-Salven aus dem Leim zu gehen. Der Professor schleuderte den Schützen das Bruchstück entgegen und schwebte rasch hinter ein Kinderkarussell, das sich in Endlosschleife drehte. Vielleicht war er ja hier bei Dumbo, dem fliegenden Elefanten, Poo, dem Bären und Tick, Trick und Track gut getarnt?

Gleich darauf flogen ihm Plastikstücke von Dumbos durchsiebtem Kopf um die Ohren. Schnell duckte er sich. So richtig unauffällig war er dann wohl doch nicht zwischen den bunten Kinderidolen.

Dreh dich schneller, dämliches Karussell!

Endlich war er wieder hinter dem Schutz der Tragesäule verschwunden. Während er Dumbo als Wurfmunition aus seiner Halterung brach, ließ er eine Hälfte des Microbot-Schwarms auf seine schießwütigen Gegner los. Dann trug ihn die andere Hälfte hinauf über das Karussell, von wo er eine bessere Wurfposition hatte. Dabei entwischte er für einen Augenblick den Lichtkegeln der Suchscheinwerfer.

Die Servomotoren an den Titaniumarmen summten und Dumbo flog wirklich.

Ja, da lauft ihr, ihr Revolverhelden!

Eine Anweisung an den Schwarm und Howard entglitt den Scheinwerfern und verschmolz wieder mit den Schatten zwischen den Buden.

Vorsichtig jetzt! Er war ungeheuer stark, aber nicht unkaputtbar. Ein wohlgezielter Schuss konnte für ihn das Aus bedeuten.

Ist es nicht genau das, was du im Grunde herbeisehnst?

Er verbannte diese Stimme in den Hintergrund. Das hier war seine Bescherung. Und er hatte noch nicht alle Geschenke ausgepackt.

Durch einen Spalt zwischen zwei Hütten beobachtete er eine andere Gruppe aus FBI-Leuten, die sich über die Mittelgasse näherten, angeführt von einer Frau. Seine Verfolger hatten sich aufgeteilt, wollten ihn in die Zange nehmen. Es würde schwer werden, sie noch einmal zu überraschen.

Von den Markthallen schimmerte Blaulicht herüber. Dort waren mehrere Einsatzfahrzeuge vorgefahren. Sie kamen jetzt von allen Seiten. Der Moment der Entscheidung rückte näher.

Gut! Howard war des Versteckspiels ohnehin langsam müde. Das Kortison würde seinen geschundenen Leib nicht ewig geschmeidig halten. Es wurde Zeit für den finalen Auftritt. Zeit, dass er die Schleife von seinem letzten, größten Geschenk löste. Wenn danach dann endgültig der Vorhang für ihn fiel, sollte es ihm recht sein.

Noch einmal stieg er in den Nachthimmel auf, den Suchstrahlern ausweichend, hoch und höher, bis die Buden unter ihm wie Spielzeughütten aussahen. Dabei schickte er zwanzig Microbots in die offene Führerkanzel eines der kreisenden Polizeihubschrauber. Es dauerte nicht lange und der Hubschrauber vollführte ein paar ungewöhnliche Manöver, als die uneingeladenen Fluggäste den Piloten ablenkten. Schlingernd driftete die Maschine von den Markthallen fort.

Wie klein alles von hier oben schien. Wie zerbrechlich. Die Lichter Soontowns breiteten sich unter Howard aus. Über ihm glitzerten die Sterne. Es war ein schöner Anblick. Fast wurde er rührselig.

Aber nur fast.

Er würde sich nicht drücken. Dieses Mal nicht. Er war der Killercyborg. Cops und FBI würden nicht mit ihm verhandeln. Zu viel Blut klebte bereits an seinen Fingern. An seinen Klauen. An seinem Gewissen. Sie würden schießen, wie sie eben schon geschossen hatten. Sollten sie ruhig. Es gab schlimmere Arten, zu sterben.

Howard ließ sich fallen.

»Schlaf in himmlischer Ru-uuh!

Schlaf in himmlischer Ruh!«