37.

Zwei Monate später schwebte ein riesiges Ufo auf Soontown herab. Genauer: auf das ›Soontown State Asylum‹. Aber niemand bemerkte es. Die Außerirdischen an Bord beherrschten die quantenphysikalische Technologie der kohärenten Überlagerung in makroskopischen Systemen: In dem einen Universum wurde die Nervenheilanstalt bei der Landung komplett in den Boden gestampft. In der parallelen Realität dagegen schwebte das Ufo noch immer knapp über den Giebeln des Gebäudes. Die Aliens verschränkten beide Universen miteinander, bis das Ufo und das Asylum eins geworden waren. Die dreifingrigen Hände des Quantenmeisters lagen auf der Steuerung des Realitätsrelativators. Mithilfe dieses Instruments konnte er die Überlagerung stufenlos regeln. Aus den Etagen der Anstalt konnten die Decks des Ufos werden und umgekehrt. Das Büro des Asylumdirektors konnte sich in die Brücke des außerirdischen Raumschiffs verwandeln. Der Maschinenraum des Alienkreuzers konnte zum Heizungskeller des Irrenhauses werden, die Mensa der Anstalt mit dem Nährbecken der Außerirdischen verschmelzen.

Der Betrieb des Soontown State Asylums wurde davon zunächst nicht spürbar beeinträchtigt. Die Insassen bekamen weiter ihre Medikamente und ihre Gesprächstherapie. Die Psychiater führten ihre Krankenakten und brühten sich ihren Kaffee in den Sozialräumen. Die Pfleger drehten die Bettlägerigen turnusmäßig auf die andere Seite und fingen geduldig all jene ein, die noch gut zu Fuß waren und periodisch ihren Wahnvorstellungen und ihrem Freiheitsdrang folgten. Die Administration erledigte den Papierkram. Die Reinigungskräfte wischten die langen Flure ohne zu wissen, dass es in einem sehr, sehr nahen Paralleluniversum die Korridore eines exterrestrischen Sternenschiffes waren. Der Quantenmeister spielte noch ein wenig an den Knöpfen herum, justierte und verfeinerte, bis er jeden Winkel der Anstalt separat mit dem äquivalenten Teil des Schiffes verschränken konnte.

Das Ufo hatte erfolgreich angedockt.

Im Norden Soontowns fuhr Skylar Johnson die Antenne ein, die er in der Vorweihnachtszeit und zwischen den Jahren in seinem Wintergarten gebaut und im Januar fertiggestellt hatte. Es war eine Herausforderung gewesen, das nötige Equipment dafür zusammenzutragen. Die Ressourcen der Erdbewohner waren vergleichsweise primitiv, Oxxs Garage und der Versandhandel für irdische Computertechnik hatten ihm nur minderwertige Bauteile zur Verfügung gestellt. Erschwerend war dazugekommen, dass das menschengemachte Material vollkommen anders funktionierte als die Maschinen von Skylars eigenem Volk. Am Ende aber hatte er die Antenne fertiggestellt, mit der das hochpräzise Manöver des Ufos über Soontown erst möglich geworden war. Er war gut im Improvisieren, die Wahl für den wichtigen Pionierjob hier auf der Erde war nicht umsonst auf ihn gefallen.

Vor den Fenstern des Wintergartens waren die Jalousien heruntergelassen. Zusätzlich hatte Skylar in zweiter Reihe Vorhänge angebracht. Es durfte nicht eine einzige Ritze geben – für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand Unbefugtes auf sein Grundstück kam und sich die Nase an den Scheiben plattdrückte. Das Glasdach schloss sich wieder über der Antenne. Die Konstruktion füllte den Wintergarten gut zur Hälfte aus, eine Art Knospe in schwarz-metallic. Die Elektronik summte in so hoher Frequenz, dass es für das menschliche Ohr nicht wahrzunehmen war. Allenfalls ein Hund hätte da noch die Lauscher aufgestellt. Wie gut, das Jip nebenan nichts mehr hören konnte.

Dass die Spitze der Antenne ausgefahren etwa dreißig Zentimeter über das geöffnete Dach hinausragte war unproblematisch. Die Koniferen, die das Grundstück nach hinten raus umgaben, waren hoch und dicht gewachsen. Die Parabolantennen an der Hauswand im ersten Stock würde jeder für Satellitenschüsseln für den Fernsehempfang halten. In Wirklichkeit dienten sie Skylar als Signalverstärker. Für die Übertragung rund um das Andockmanöver hatte Skylar den Neigungswinkel der Schüsseln angepasst, bis alles auf zig Stellen hinterm Komma genau gepasst hatte.

Jetzt ruhte seine Rechte pflichtschuldig auf dem Touchpad des aufgeklappten Aktenkoffers, um auf etwaige Rückmeldungen zu warten. Auf das Lob. Oder auf die Strafe. Für Gewöhnlich eher auf Letzteres. Die Undercover-Aufgabe hier auf der Erde entzog ihn weitgehend der direkten Kontrolle seiner Vorgesetzten. Wenn sie ihn dann doch einmal am Wickel hatten, versäumten sie es selten, ihn daran zu erinnern, dass er ein Diener war und kein Herr.

So auch dieses Mal.

Der Stromschlag durchfuhr ihn wie flüssiges Feuer. Seine Tarnhülle verschwand, seine empfindlichen Fühler vibrierten vor Schmerz. Na, die langten ja richtig zu heute! Seine vertikal stehenden Lider flatterten über seinen pechschwarzen Augäpfeln. Seine Muskeln verkrampften sich, sein Kreuz bog sich durch, bis er dachte, es würde gleich brechen.

»Ejash … Ejash assu’k tuqua?«

Habe ich einen Fehler gemacht?

»Shraw’zadaan. Knic tshem olmf. Dsher szaoul tri-tri wack. M’reng ga oow houz o-shalip.«

Ganz und gar nicht. Alles bestens. Das Schiff ist in Position. Wir sind sehr zufrieden mit dir.

So möglich, nahm die Intensität der Stromattacke noch weiter zu.

»Ash … Ash bleek-i teki szek?«, brachte er heraus.

Warum bestraft ihr mich dann?

»Bleek-o teco. O mb’ta mirsh vii m’reng m’reng fasaal tzru!«

Wir bestrafen dich nicht. Wir erinnern dich nur daran, nicht nachzulassen.

Der Strom verebbte; der tragbare Empfänger faltete sich zusammen und verschwand in dem Aktenkoffer.

Skylar war vornüber auf die Hände gefallen. Jetzt richtete er sich langsam wieder auf. Stellte seine Tarnhülle wieder her. Rückte die Nickelbrille auf der Nasenwurzel zurecht.

Wie albern, jemanden wie ihn mit Repressalien bei der Stange halten zu wollen! Skylar brauchte keinerlei Extramotivation. Er glühte für die Sache seines Volkes. Nicht zuletzt, weil die Herrschaft über die Menschen einen Quantensprung für Skylars Macht und Einfluss unter seinesgleichen bedeuten würde.

Die Invasion der Erde hatte begonnen.

Aber niemand bemerkte es.