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Jannis bietet mir an, die Fotos auf Leinwand drucken zu lassen, und ich stimme begeistert zu. »Ich wusste gar nicht, dass Sie hier auch solche Dinge erledigen«, grinse ich. »Machen Sie auch Fotokalender und bedrucken Tassen?«
Jannis lacht auf. »Da tut man Ihnen einen Gefallen und Sie machen sich lustig. Sind Sie immer so frech?«
»Ich bin doch nicht frech. Das war eine ganz normale Frage.« Ach, ich liebe diese flirty Atmosphäre zwischen uns. Ich muss nur aufpassen, dass er mir nicht zu nahe kommt, dann kann die Sache hier nicht außer Kontrolle geraten.
Plötzlich packt Jannis die Armlehnen meines Schreibtischstuhls und zieht mich dicht an sich heran. »Ich kann Ihnen gern noch mehr Fragen beantworten, Josephine. Wie wär’s? Hätten Sie Lust, noch etwas trinken zu gehen? Es gibt hier gleich um die Ecke eine nette Bar.«
Oh ja! Oh ja! Oh ja! , tobt es in mir. Aber ich will ja vernünftig sein.
»Oh, äh, tut mir leid, aber ich muss nach Hause. Vielleicht ein anderes Mal.«
Jannis schaut mir einen Moment lang so tief in die Augen, dass ich befürchten muss, er könnte die Wahrheit darin lesen.
»Schade.« Er lässt die Armlehnen wieder los und bringt ein bisschen Abstand zwischen uns. »Ja, vielleicht ein anderes Mal.«
Ich kann nicht deuten, ob er enttäuscht ist oder nicht. Aber wenn, dann tut es mir mit Sicherheit mehr leid als ihm.
»Ich geh dann auch mal. Die S-Bahn kommt gleich.« Bedauernd greife ich nach meiner Tasche und gehe zur Garderobe. Jannis folgt mir und hilft mir galant in den Mantel. »Wenn ich Ihnen jetzt anbiete, Sie zu fahren – bekomme ich dann wieder einen Korb?« Sanft streicht er mir die Haare aus dem Nacken, als seine Finger meine Haut touchieren, spüre ich ein Prickeln auf meiner Haut.
»Das ist wirklich nett von Ihnen. Aber ich hab es nicht weit. Und ich gehe gern noch ein paar Meter spazieren.«
»So, so.« Er schenkt mir noch eins seiner umwerfenden Lächeln, dann öffnet er die Tür des Ateliers. »Dann kommen Sie gut nach Hause. Ich melde mich, wenn die Drucke fertig sind.«
»Vielen Dank noch mal, Jannis. Soll ich Ihnen das Geld dafür schon hierlassen?«
Jannis winkt nur ab. »Wir verrechnen das mit Ihrer Gage.«
»Falls denn jemals eine kommt«, kichere ich.
»Die wird kommen. Da bin ich ganz sicher.«
»Na gut. Dann bis … bis die Tage«, verabschiede ich mich.
»Wir sehen uns.«
Als ich bereits einige Schritte gegangen bin, ruft er mich noch einmal zurück.
»Josephine?«
Ich drehe mich neugierig um. »Ja? Was ist?«
»Ich finde Ihren Arsch übrigens auch ziemlich perfekt.« Mit einem breiten Grinsen reckt er seinen Daumen nach oben.
Für einen Moment bleibt mir der Mund offen stehen, aber ich fasse mich schnell. »Da … da bin ich ja froh. Ist ja quasi ein Teil Ihres Investments.«
Jannis prustet los, und auch ich falle in sein Lachen mit ein. Dann sehe ich zu, dass ich verschwinde.
fleuron
»Also gut, jeder schreibt seinen Namen auf einen Zettel und schmeißt ihn dann in den Hut.«
Lena legt einen Cowboyhut auf den Teppich und schaut auffordernd in die Runde.
Es ist eigentlich lächerlich, dass wir uns nicht darauf einigen konnten, wer welche Farbe bei den Einhornkostümen bekommt. Mir persönlich wäre es egal gewesen, aber der rosa Stoff war bei den anderen zu begehrt.
»Also gut …« Lena macht es spannend und wühlt gefühlte drei Stunden in den Zetteln herum. Endlich zieht sie den ersten Zettel. »Tada! Rosa bekommt die liebe Sarah!«
Meine Freundin jubelt auf, als hätte sie gerade den Oscar gewonnen. Die anderen machen betont leidende Gesichter, ich liebe meine Girls, wenn sie so herrlich bekloppt sind. Ich bekomme pastellblau zugelost, damit kann ich leben. Nachdem auch grün, gelb und lila vergeben sind, kümmern wir uns um die Hörner.
»Da muss noch Glitzer drauf«, bestimmt Mia. »Oder Strasssteinchen.«
Die Mehrheit entscheidet sich für Glitzer und so werden unsere Hörner damit bestäubt. Danach ist Anprobe der kurzen Röcke und silbernen Stiefel, darunter tragen wir weiße Leggings, weil es im November ja kalt werden könnte.
Als wir fertig sind, richtet sich die gesamte Aufmerksamkeit wieder auf mich.
»Und? Hast du schon Aufträge?«, erkundigt sich Mia.
»Nein, ich hab noch nichts gehört.« Ich zucke mit den Schultern. Seit zwei Wochen ist die Sedcard jetzt auf der Modelagenturseite online und ich bin schon sehr gespannt. Allerdings habe ich natürlich auch keine Ahnung, wie lange man bis zum ersten Job warten muss. Immerhin habe ich die Bilder für meine Eltern zugeschickt bekommen, auch wenn ich nichts dagegen gehabt hätte, sie bei Jannis persönlich abzuholen.
»Ach, man muss bestimmt Geduld haben«, tröstet mich Caitleen.
»Allein für die Sedcard würde ich töten«, grinst Sarah. »Wer hat schon so megageile Fotos von sich?«
»Na ja, Geduld ist nicht gerade meine Stärke«, gestehe ich zerknirscht ein. Dieses Warten kann einen wirklich mürbe machen. Zum Glück habe ich den Mädels noch nichts über Jannis erzählt, von ihm weiß nur meine Kollegin Tami. Ich liebe meine Freundinnen zwar, aber mein Privatleben vertraue ich ihnen nicht bis ins kleinste Detail an.
Gott sei Dank lenkt Lena dann das Thema wieder auf den elften November. Wir fiebern der Karnevalseröffnung schon entgegen und ich bin echt gespannt, wie wir als Einhörner aussehen werden. Und was noch so geschehen wird. Denn an diesem Tag wird geflirtet, was das Zeug hält. Das habe ich mir fest vorgenommen.
fleuron
»Hallo, Frau Stamm, hier ist Marlene Schwarz von Photo Agent Cologne.«
Ich halte unwillkürlich den Atem an, als ich ihre Stimme höre.
»Ja, hallo. Das ist ja nett, dass Sie anrufen«, antworte ich. Ob ich das allerdings so ehrlich meine, weiß ich selbst nicht.
»Es geht um ein Modeshooting auf den Kanaren. Der Firma ist ein Model abgesprungen und nun suchen sie Ersatz. Dreizehnter bis vierzehnter November? Können Sie es einrichten?«
Oh wow! Es will dich also doch jemand buchen! Und wenn es nur als Ersatz ist!
»Ich denke, das lässt sich einrichten. Ich müsste allerdings zuerst mit meinem Chef reden, ob ich Urlaub bekomme.«
»Wann wissen Sie es?« Marlene wirkt genervt. »Die Firma ist ungeduldig, die Fotos hätten schon längst fertig sein sollen.«
Ist das mein Problem? , muckt es in mir auf, aber ich sollte mich vielleicht lieber nicht mit Marlene anlegen.
»Ich kann das heute noch klären.«
»In Ordnung. Rufen Sie mich bitte umgehend an.« Dann beendet Marlene das Gespräch. Ich frage mich, ob sie immer so unfreundlich ist, oder ob das an mir liegt. Ist sie etwa immer noch sauer, weil Jannis nett zu mir ist? Oder vielleicht hat sie einfach nur Stress?
Wie dem auch sei, kurz darauf habe ich das Okay von meinem Boss. Zum Glück habe ich noch jede Menge Überstunden, die ich abfeiern kann. Als ich die Nummer der Agentur wähle, bin ich ganz hibbelig.
»Photo Agent Cologne. Jannis Voigt.«
Oh, der Chef geht selbst ans Telefon. Wo ist denn Marlene hin?
»Hallo Jannis, hier ist Josephine Stamm. Ich …«
»Oh, hi Josephine. Ich wollte Sie auch gerade anrufen. Es gibt tolle Neuigkeiten. Ein Kunde möchte Sie buchen. Es geht um einen Job auf den Kanaren. Hoffentlich können Sie es einrichten. Das Shooting wäre vom dreizehnten bis vierzehnten November.«
Okay. Offenbar klappt die Kommunikation zwischen Marlene und Jannis heute nicht so besonders.
»Ja, das weiß ich doch schon. Frau Schwarz hat mich bereits angerufen. Ich möchte zusagen.«
Es ist kurz still in der Leitung.
»Jannis? Herr Voigt?«, frage ich vorsichtig. »Habe ich Sie damit jetzt irgendwie sprachlos gemacht?«
»Was? Nein, nein. Alles okay. Das ist prima, Josephine. Ich werde veranlassen, dass man Ihnen die notwendigen Reisedaten und Unterlagen per Mail zuschickt.«
»Das ist super. Ich freue mich.«
»Ich freue mich auch für Sie. Und ich hatte recht mit meiner Voraussage, oder?«
»Ja, das hatten Sie. Auch wenn ich nur als Ersatz einspringen soll, ich fühle mich richtig geehrt.«
»Als Ersatz?« Jannis stutzt kurz. »Wie kommen Sie darauf?«
»Na, das hat Frau Schwarz gesagt. Dem Auftraggeber sei ein Model abgesprungen und ich solle es ersetzen.«
»Okay. Davon weiß ich nichts. Aber das spielt auch keine Rolle. Lassen Sie sich dadurch nicht verunsichern. Ich drück Ihnen jedenfalls die Daumen und bin sicher, dass Sie es gut machen werden.«
»Danke.« Sein Vertrauen tut mir gut. »Ich werde mir alle Mühe geben.«
»Vielleicht sehen wir uns vorher ja noch mal.«
Ich runzele die Stirn, das kann ich mir kaum vorstellen. Aber ich hätte auch nichts dagegen. »Ja, vielleicht.«
Tami ist erwartungsgemäß völlig aus dem Häuschen, als ich ihr von der Neuigkeit erzähle.
»Was ist das denn für ein Label? Wozu dienen die Fotos?«
»Äh, das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Ich halte dich auf dem Laufenden«, versichere ich ihr.
»Bist du aufgeregt?« Sie sieht mich mit großen Augen an.
»Noch nicht. Aber das kommt bestimmt noch. Hauptsache, es ist nicht am Elften Elften«, grinse ich.
»Du alte Karnevalsnudel«, kichert Tami. Mit Karneval hat sie selbst gar nichts am Hut, nimmt aber immer regen Anteil an den Kostümen, die meine Freundinnen und ich uns schneidern.
»Du kannst gern mitkommen.« Ich weiß nicht, wie oft ich sie schon überreden wollte, uns zu begleiten. Bisher allerdings ohne Erfolg.
»Nein, das ist nichts für mich. Aber ich will unbedingt Fotos sehen. Und ich will jedes Detail wissen.«
»Natürlich«, verspreche ich.
Mal sehen …
fleuron
»Stellt euch vor: Ich habe tatsächlich einen Modeljob bekommen.« Lauernd blicke ich in die Kaffeerunde. Vor allem auf die Reaktion meiner Mutter bin ich gespannt.
»Was? Wow! Mensch, Josy, das ist doch klasse!« Jonas beugt sich zu mir und drückt mir ein Küsschen auf die Wange. »Wie cool!«
»Nein, wie schön.« Oma Tinchen klatscht vor Begeisterung in die Hände. »Ich habe doch immer schon gesagt, dass du eine Schönheit bist. Vor allem die grünen Katzenaugen, die sind einfach faszinierend.«
»Na klar sind sie das«, grunzt mein Vater zwischen zwei Kuchenbissen. »Die hat sie ja auch von dir geerbt.«
»Ich bin … überrascht. Aber das ist eine tolle Nachricht, mein Schatz.« Meine Mutter nickt mir zu, und jetzt bin ich noch ein bisschen stolzer.
»Das ist auf den Kanaren. Lanzarote und Fuerteventura. Und den Flug bekomme ich bezahlt.«
»Ganz toll, Josy.« Mein Vater reckt den Daumen nach oben, aber sein eigentliches Interesse gilt nach wie vor dem Kuchen.
»Habt ihr eure Karnevalskostüme fertig?«, erkundigt sich Tinchen.
»Ja, Gott sei Dank.«
»Als was verkleidet ihr euch denn? Du hast noch gar nichts erzählt.« Meine Mutter schaut mich ernst an.
»Als Einhörner.«
»Als sexy Einhörner«, ergänzt Jonas grinsend. Ich könnte ihn dafür erwürgen.
»Sexy? Muss das denn sein? Du weißt doch, dass ich das gar nicht mag«, kommt auch prompt der Rüffel von meiner Mutter. »Denk dran, was in der Silvesternacht am Hauptbahnhof passiert ist.«
»Ja, ich weiß.« Ich atme tief durch. Es folgt eine Standpauke über die Gefahren im Karneval, als wenn ich darüber noch nichts gehört hätte.
»Es reicht, Irina«, mischt sich zum Glück mein Vater ein. »Josy ist kein kleines Kind mehr, natürlich wird sie auf sich achtgeben. Und nur weil so etwas passiert ist, sollte man sich nicht zu Hause verstecken.«
Ich werfe meinem Vater einen dankbaren Blick zu. Manchmal könnte ich ihn echt knutschen.