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»Und überhaupt: Was ist das denn für eine Begrüßung am frühen Morgen?« Jannis streichelt mir leicht über den Rücken, wir sind beide noch außer Atem und ich frage mich, ob es eigentlich immer so leidenschaftlich mit ihm wäre.
»Hm? Das war nicht mein Handy, das geklingelt hat«, erinnere ich ihn. »Und außerdem ist es bereits halb zwölf, wirklich früh ist das nicht.«
Er hebt mein Kinn an und gibt mir einen Kuss. »Guten Morgen, Josy. Es ist schön, dass du hier bist. Und noch viel schöner ist es, dass du dabei auch noch nackt bist.«
»Guten Morgen, Jannis. Ohne deine Freude bremsen zu wollen, ich muss, bevor wir auf den Weihnachtsmarkt gehen, auf jeden Fall noch nach Hause.«
»Wieso denn das?«
»Ich hätte gern frische Klamotten. Und mein Weihnachtsmarktoutfit muss ich auch holen.«
Er zieht fragend die Augenbrauen hoch. »Weihnachtsmarktoutfit?«
»Ich möchte nicht darüber reden.«
»In Ordnung. Aber du kommst danach wieder mit zu mir«, bestimmt er.
Beim Frühstücken genieße ich den Ausblick aus seiner Wohnung. Gott sei Dank hat der Regen nachgelassen, sonst würde unser Weihnachtsmarktbesuch wohl ausfallen.
»Kommt Marlene später eigentlich auch?« Ich hoffe, dass meine Frage beiläufig klingt. Dabei brennt mir das unter den Nägeln.
»Marlene? Nein, das glaube ich nicht. Das ist nichts für sie. Jedenfalls ist mir nicht bekannt, dass sie dafür etwas übrig hätte.«
»Jannis, wenn ihr viel Arbeit in der Agentur habt, dann kann ich auch wirklich gehen. Ich will dich nicht aufhalten.« Ich greife nach seiner Hand und streichele darüber.
»Du hältst mich nicht auf. Wie ich schon sagte: Marlene ist sehr ehrgeizig. Dank ihr haben wir viele Aufträge an Land gezogen und ich bin echt froh, dass ich sie habe. Aber manchmal übertreibt sie es einfach. Und glaub mir bitte: Es gibt im Moment keinen Menschen, den ich lieber um mich hätte als dich.« Er haucht mir einen Kuss auf die Fingerspitzen und ich bin beruhigt.
»Geht … geht mir auch so«, sage ich leise und spüre, dass ich dabei erröte.
Herrje, ich bin ja so was von verknallt!
Am Nachmittag fahre ich in meine Wohnung, um mich frisch zu machen. Als ich unter der Dusche stehe, lasse ich den vergangenen Tag noch einmal Revue passieren. Das Shooting in der alten Fabrik und die wahnsinnigen Stunden mit Jannis danach. Ist das wirklich passiert?
Aber die wunden Stellen an meinem Körper geben eine ziemlich eindeutige Antwort. Ja, es ist wirklich wahr. Jannis und ich sind … nur was wir eigentlich sind, das ist mir nicht klar. Ich würde so gern wissen, wie er die Sache sieht. Ist es nur ein
Abenteuer? Macht er das mit allen Neuzugängen in der Agentur so?
Oder hat er sich auch in mich verliebt? Wenigstens ein bisschen?
Aber ihn direkt darauf ansprechen, das traue ich mich nicht. Die Antwort könnte mir nicht gefallen und deswegen möchte ich sie noch ein bisschen aufschieben.
Ich brauche nicht lange zu suchen, meine Mädels erkenne ich sofort – und sie mich auch. Wir tragen blinkende Rentiergeweihe auf dem Kopf und eine bunt leuchtende Lichterkette um den Hals. Weihnachtsmarktbesuche sind einfach großartig.
Wir fallen uns um den Hals zur Begrüßung, Mia und Caitleen haben ihre Freunde mitgebracht, die nur den Kopf über unsere Outfits schütteln und sich von dem Anblick mit Glühwein erholen müssen.
»Jannis wollte auch kommen«, flüstere ich Sarah ins Ohr.
»Nein, ehrlich?« Meine Freundin reißt weit die Augen auf. »Das ist ja cool. Wie kommt’s?«
Ich knabbere aufgeregt an meiner Unterlippe, aber jetzt muss ich sie einweihen. »Na ja, heute Morgen im Bett hat er es zumindest noch gesagt.«
Es dauert einen kleinen Moment, dann fällt bei Sarah der Groschen. »Was? Echt? Oh, wow! Aber das war klar, es hat ja zwischen euch schon am Elften megamäßig geknistert. Da hast du dir ja einen echt scharfen Typen gekrallt.«
»Ehrlich gesagt ist mir unser Status noch nicht so ganz klar. Also ja, wir hatten eine tolle Nacht, aber ich bin mir nicht sicher, ob er es genauso ernst meint wie ich.«
»Okay, verstehe. Am besten wartest du einfach mal ab, was jetzt passiert. Und zwar genau jetzt, denn er ist im Anmarsch.« Sie deutet mit einem Kopfnicken an, dass hinter mir jemand kommt.
Bevor ich mich umdrehen kann, schlingen sich zwei Arme um mich herum. »Jetzt wird mir klar, was du damit meintest, als du sagtest, ich würde euch auf jeden Fall finden.« Sein warmes Lachen verursacht eine Gänsehaut auf meinem Körper. Ich drehe mich in seinen Armen herum und hauche ihm einen Kuss auf die Lippen. »Hi Jannis. Schön, dass du da bist.«
Dann nehme ich seine Hand und stelle ihn den anderen Rentieren und ihren männlichen Begleitern vor. Sofort bekommt Jannis von Mias Freund Marvin einen Glühwein in die Hand gedrückt. »Hast du jetzt auch so eine Durchgeknallte an der Backe?«, fragt er ihn feixend.
»Sieht so aus«, grinst Jannis.
Lena und Mia machen ihre Drohung wahr und begeben sich auf die festlich erleuchtete Schlittschuhbahn. Und die beiden machen gar keine schlechte Figur. Zusammen mit den anderen aus unserer Gruppe feuern wir sie jedes Mal lautstark an, wenn sie an uns vorbeikommen.
»Und was ist mit dir?«, fragt mich Jannis.
»Oh nein, besser nicht«, gluckse ich. Ich genieße seine Gegenwart und dass er mir immer wieder kleine Küsse gibt.
»Ich hoffe, ich bekomme keinen Stromschlag, so verkabelt wie du bist«, neckt er mich.
Vielleicht sind wir ja doch ein richtiges Liebespaar – zumindest sind wir auf dem Weg dahin. Ich schmiege mich in seine Arme und möchte es auf jeden Fall glauben.
»Hallo Jannis«, höre ich auf einmal eine Stimme hinter uns. Und sofort wird mir ein paar Grad kälter.
»Marlene! Hey, was machst du denn hier?« Er begrüßt sie mit Wangenküsschen. »Ich dachte, du machst dir nichts aus dem Weihnachtstrubel.«
»Tja, falsch gedacht.« Sie schenkt ihm ihr hinreißendstes Lächeln. Als sie mich sieht, gefrieren ihr allerdings die Gesichtszüge.
»Frau Stamm, Sie sind ja auch hier.« Sie reicht mir die Hand und ich begrüße sie genauso förmlich.
»Hallo, Frau Schwarz. Wie nett«, lüge ich.
»Bist du alleine?«, erkundigt sich Jannis. Die Antwort würde mich auch brennend interessieren. Ich hoffe nicht.
»Nein, mit meiner Mutter und ihrer Freundin. Wir stehen dort drüben.«
»Dann wünsche ich euch viel Spaß«, lächelt Jannis ihr zu.
»Danke. Gleichfalls. Manche Outfits hier sind ja … bemerkenswert.« Sie verzieht spöttisch das Gesicht, als sie ihren Blick betont langsam von meinem Geweih bis zur bunten Lichterkette wandern lässt.
»Man tut, was man kann.« Ich kämpfe gegen den Impuls an, sie mit meiner Lichterkette zu erwürgen.
»Jannis, hast du mal ein paar Minuten? Ich würde gern etwas mit dir besprechen«, bittet sie ihn mit liebreizender Stimme.
»Ja, klar.« Er wendet sich mir zu. »Bin gleich wieder da.«
»Okay.« Ich versuche, möglichst fröhlich zu klingen. Soll Marlene bloß nicht denken, dass ich mich über ihr Auftauchen ärgere.
»Ui, wer war denn das? Die böse Hexe des Ostens?« Sarah steht sofort neben mir, als sich Jannis und Marlene ein paar Schritte von uns entfernt haben.
»Das ist Marlene. Sie arbeitet auch in der Agentur. Und sie ist scharf auf Jannis«, erkläre ich ihr.
»Das merkt man. Pass bloß auf, sie sieht nicht so aus, als könne man mit ihr gut auskommen.«
Ich seufze auf. »Ja, das denke ich auch.«
Ich versuche, nicht so oft zu Marlene und Jannis hinüberzuschauen. Sie stehen nicht weit von uns entfernt an einem Glühweinstand. Sie redet auf ihn ein und strahlt dabei in einer Tour. Wenn sie will, kann sie wirklich hinreißend sein, das muss man ihr lassen.
Der Spuk ist glücklicherweise nach einer Viertelstunde vorbei. Jannis kommt wieder zu uns und ich bekomme einen zärtlichen Kuss auf den Nacken gedrückt.
»Marlene scheint sich ja doch was aus Weihnachtsmärkten zu machen«, sage ich zu Jannis.
»Ja, hätte ich gar nicht gedacht.« Er zuckt nur mit den Schultern, offenbar beschäftigt ihn dieses Thema nicht weiter.
Gut so.