18
Wir bleiben noch etwa zwei Stunden auf dem Weihnachtsmarkt, dann wird uns allen zu kalt. Die Rentiermädels wollen noch in ein Brauhaus einkehren, doch mir steht der Sinn nach etwas anderem. Auch Jannis’ sehnsüchtiger Blick verrät, dass er sich andere Aktivitäten vorstellen kann.
»Du kannst auch mit zu mir kommen. Das ist nicht so weit«, biete ich ihm an.
»Mit Vergnügen.« Jannis scheint sich über das Angebot zu freuen. Gott sei Dank bin ich vorbereitet und habe am Nachmittag ein wenig aufgeräumt.
Als wir bei mir ankommen, schaut er sich aufmerksam um. Ich habe sehr viel dekoriert, gerade an Weihnachten kann man sich ja diesbezüglich austoben.
»Na, was denkst du?«, lache ich. »Willkommen in der Dekohölle?«
Jannis stimmt in mein Lachen mit ein. »Das hast du jetzt gesagt. Aber nein, es ist gemütlich bei dir, Josy.«
Ich hole zwei Gläser und eine Rotweinflasche und stelle sie auf den Couchtisch, dann schmiege ich mich in seine Arme.
»Es war ein sehr schönes Wochenende, Jannis. Sehr aufregend und sehr schön.«
»Sehe ich genauso«, flüstert er in mein Ohr, und prompt bekomme ich eine Gänsehaut. »Das gilt übrigens auch für dich, Josy. Aufregend und schön.« Jannis lässt die Hand unter meinem Pullover verschwinden, als ich seine Finger auf meiner nackten Haut spüre, stöhne ich leise auf.
»Ich will dich. Sofort«, raunt er mir zu, und ich habe nichts dagegen, dass er seinen Worten direkt Taten folgen lässt.
Irgendwann landen wir in meinem Bett und ich genieße es, mich vorm Einschlafen an ihn zu schmiegen. »Daran könnte ich mich gewöhnen«, murmele ich.
»Das ist gut«, höre ich ihn noch sagen, dann schlafe ich ein.
Es ist noch dunkel, als ich wach werde, ein Blick auf mein Handy verrät, dass es halb sechs ist. Verwundert registriere ich, dass Jannis’ Bettseite leer ist. Ich taste nach dem Lichtschalter, seine Anziehsachen sind fort. Mich befällt eine unangenehme Leere und ich bekomme ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Er hat gestern nicht erwähnt, dass er früh aufstehen muss. Wer weiß, wie lange er schon weg ist?
War’s das jetzt? Einen Tag und zwei Nächte mit Jannis?
Ich möchte nicht glauben, dass es vorbei ist, aber ich bin auch realistisch genug, um zu wissen, dass dies nur ein heißer Flirt gewesen sein könnte.
Eigentlich könnte ich noch eine halbe Stunde schlafen, aber natürlich mache ich kein Auge mehr zu. Während ich lustlos meinen Kaffee schlürfe, überlege ich, ob ich ihn anschreiben soll. Ich will allerdings auch nicht als panische Klette rüberkommen, also warte ich schweren Herzens darauf, dass er sich meldet.
»Günaydın Josy. Bist früh dran heute«, begrüßt mich Kemal gewohnt freundlich, als er mir den Sesamring einpackt.
»Günaydın Kemal. Ja, hab nicht so gut geschlafen. Wie geht es dir?«
»Alles bestens. Meine Frau hat dich gesehen, auf einem Foto in Internet. Bist du jetzt berühmt, Josy?« Lächelnd reicht er mir die Tüte.
»Nein, bin ich nicht. Ich habe einen Nebenjob, aber das ist nichts Besonderes.«
»Sind tolle Fotos. Sagt auch Mohammed«, zwinkert Kemal mir schelmisch zu.
»Das ehrt mich.« Ich muss jetzt doch lachen. Wird dieses Geplänkel jemals aufhören? Einerseits mag ich es sehr, andererseits hoffe ich doch für Mohammed, dass er bald eine nette Frau findet.
Wir verabschieden uns gewohnt herzlich, zum ersten Mal seit Langem muss ich nicht zur Straßenbahn hetzen.
Ich berichte Tami von dem Wochenende und ich lasse auch nicht aus, dass ich es mit Jannis verbracht habe. Meine Kollegin hört mir staunend zu. Als ich von Marlene erzähle, wird sie hellhörig.
»Was für ein Zufall, dass sie ausgerechnet auch auf dem Weihnachtsmarkt aufkreuzt«, ätzt Tami.
Ich nicke nachdenklich. »Ganz meine Meinung. Er hat ja am Telefon erwähnt, wo wir ungefähr sein werden.«
»Ich hoffe, sie entwickelt sich nicht noch zu einem Problem.«
»Na ja, im Moment ist mein Problem eher, dass ich gar nicht weiß, ob ich Jannis überhaupt noch mal wiedersehe – vom Beruflichen mal abgesehen.« Ich versuche, meine Enttäuschung zu verbergen, doch natürlich bekommt Tami mit, dass ich immer wieder auf mein Handy schiele.
»Tja, natürlich kann es sein, dass er dich nur ins Bett kriegen wollte. Aber dafür hat er doch einen ziemlichen Aufwand betrieben, oder?«
Ich zucke nur mit den Schultern. »Vielleicht ist er ein Jäger. Jetzt, wo er gekriegt hat, was er wollte, bin ich womöglich uninteressant geworden. Ich meine, in der Agentur sind so viele schöne Frauen in der Kartei, da hat er doch die freie Auswahl.«
»Ich drück dir die Daumen, dass es nicht so ist. Und du bist auch superhübsch, Josy. Lass dich nicht runterziehen.«
Ich werfe Tami eine Kusshand zu. »Danke für die lieben Worte.«
Es ist elf Uhr, als sich mein Handy mit einer Nachricht meldet. Ich zucke richtig zusammen, als ich das vertraute Geräusch höre. Erst jetzt merke ich, wie angespannt ich wirklich bin. Auch Tami schielt hinter ihrem Monitor hervor.
»Eine Nachricht von Jannis«, berichte ich ihr aufgeregt.
»Guten Morgen, Josy. Tut mir leid, dass ich ohne ein Wort gegangen bin. Ich habe gestern Abend noch eine Nachricht erhalten, dass ich heute einen Termin in Hannover habe. Ich wollte dich nicht wecken. Wir holen das gemeinsame Aufwachen auf jeden Fall nach. Viele Küsse, Jannis.«
»Yes!« Tami reißt die Faust nach oben. »Na, sein Glück, dass er sich gemeldet hat! Alles wieder gut?«, fragt sie mich grinsend.
Ich nicke erleichtert. »Ja, alles wieder gut.«
»Sehen wir uns bald?«
, fragt Jannis mich später per Textnachricht.
»Gern. Allerdings muss ich Dienstag und Mittwoch in der Tankstelle arbeiten. Es geht also erst wieder am Donnerstag. Oder du kommst heute Abend vorbei.«
»Ich bin leider erst spät zurück, das wird wohl heute nichts. Wieso arbeitest du da noch? Du hast doch einen gut bezahlten Nebenjob.«
»Weil ich meinen Chef dort nicht einfach so hängen lassen kann. Er hat noch keine andere Aushilfe gefunden.«
Ich runzele die Stirn, als ich Jannis’ Kommentare lese. Passt ihm das nicht? Dann kann ich ihm nicht helfen. Schließlich mache ich immer noch das, was ich will.
»Okay. Dann komm am Donnerstag aber direkt nach der Arbeit zu mir.«
Ich muss grinsen, als ich das lese. »Ist das ein Befehl?«
»Exakt.«
»Dann muss ich mir das noch mal überlegen …«
»Ich freue mich auf dich, Josy. Und auf die Dinge, die wir tun werden.«
»Okay, überredet.«
Meine Euphorie über den Chat mit Jannis wird allerdings gebremst, als ich am Abend im Internet surfe. Der Parfümhersteller hat eine Vorschau auf die neue Werbekampagne veröffentlicht, ich finde die Bilder wirklich schön, doch unter den vielen Kommentaren sind auch wieder einige negative dabei.
»Als ob so ein toller Mann so eine fette Kuh auch nur anschauen würde.«
»Total unpassendes Paar. Sieht ja widerlich aus, die Alte.«
»Habt ihr keine hübsche Frau gefunden?«
Ich schlucke heftig, versuche dann, das alles von mir wegzuschieben. Doch so leicht ist es nun mal nicht. Die Kommentare sind kränkend und es fällt mir schwer, darüberzustehen. Mir juckt es in den Fingern, etwas dazu zu schreiben, doch das sollte ich wohl lieber sein lassen. Stattdessen versuche ich, über diese Postings hinweg zu scrollen und mir nur die netten herauszufiltern.
»Was für eine Hammerfrau!«
»Endlich mal eine, wo was dran ist.«
»Da würde ich auch gern zupacken.«
Zupacken?
Ich schaue mir das Profil des Typen an, der diesen Kommentar verfasst hat. Das kannste aber vergessen, Freundchen!
Ich gieße mir ein Glas Wein ein und starte einen Gruppenchat mit meinen Freundinnen. Zusammen lesen wir uns die Kommentare durch, und obwohl ich weiß, dass ich das lieber lassen sollte, lege ich mir drei Fake-Profile an und antworte auf die Hasskommentare. Die anderen Einhörner tun es mir gleich, und es macht uns einen Riesenspaß, verbal gegen diese Idioten zurückzuschlagen. Vor allem Sarah legt sich als »PinkUnicorn« mächtig ins Zeug.
Vielleicht ist das auch kindisch gewesen, aber es hat gutgetan, sich zu wehren.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, wurden alle Kommentare gelöscht. Gut so.
»Hallo Josy. Danke, dass du es einrichten kannst«, begrüßt mich Mike abends an der Tankstelle. »Ab Januar habe ich auch eine neue Mitarbeiterin. Dann brauchst du nicht mehr einzuspringen.«
»Danke, das freut mich. Aber wenn Not am Mann ist, kannst du mich jederzeit anrufen.« Ich klopfe Mike auf die Schulter, ich mag ihn sehr. Er ist ein bisschen wortkarg, aber er hat das Herz am rechten Fleck.
»Und du bist jetzt richtig berühmt?«, hakt er zu meiner Überraschung nach.
»Ach was, nein«, winke ich ab. »Ich verdiene mir damit etwas dazu. Und sie bezahlen ganz gut.«
»Verstehe.« Er schaut ein bisschen traurig. »Dagegen kann ein armer Tankstellenpächter natürlich nicht mithalten.«
»So arm bist du doch gar nicht.« Ich deute nach draußen, wo er seinen nagelneuen Audi geparkt hat.
»Na ja. Ich will mein Geld ja nicht irgendwann mit ins Grab nehmen«, nuschelt er verlegen. Ich weiß ja, dass Autos seine große Leidenschaft sind.
»Recht hast du.«
Es ist an diesem Abend viel los. Die Spritpreise sind gesunken und das hat sich schnell herumgesprochen. Neben dem Kassieren muss ich auch den Shop im Auge behalten. Mike hat zwar Überwachungskameras aufgebaut, aber trotzdem wird noch jede Menge geklaut.
Als mal gerade keine Kundschaft da ist, nutze ich die Zeit, um die Zigaretten aufzufüllen, da höre ich plötzlich eine vertraute Stimme hinter mir.
»Bist du etwa ganz alleine hier?«
Hastig drehe ich mich um. »Jannis!« Mein Herz klopft ganz schnell, als ich ihn so vor mir stehen sehe. »Was machst du denn hier?«
»Ich wollte dich einfach sehen.« Sein Lächeln beschert mir prompt weiche Knie. Ich laufe schnell um den Tresen herum und falle ihm um den Hals.
»Woher weißt du, wo ich arbeite?«
»Paul hat Sarah gefragt.«
»Ich freue mich«, sage ich leise, dann zieht er mich fest in seine Arme und gibt mir einen leidenschaftlichen Kuss.
»Ich hab dich gestern richtig vermisst«, gesteht er mir, und prompt wird mir ganz warm.
»Ich dich auch. Wie war es in Hannover?«
»Ach … » Er winkt gelangweilt ab. »Ein anstrengender Geschäftstermin. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet: Bist du ganz alleine hier?«
»Ja.«
»Ist das nicht gefährlich, wenn eine hübsche junge Frau den Laden hier schmeißt?« Er verzieht ärgerlich das Gesicht.
»Es kann auch für einen einzelnen Mann gefährlich sein«, gebe ich ihm zu bedenken.
»Gut, dass du bald aufhörst«, brummt er.
»Möchtest du einen Kaffee? Oder musst du direkt wieder weg?«
»Kaffee wäre perfekt.«
Es kommt ein weiterer Kunde in den Shop, Jannis haucht mir noch einen Kuss auf die Lippen und lässt mich nur widerwillig los.
»Ich bleibe jetzt hier«, knurrt Jannis dann, als wir wieder alleine sind. »Sonst hab ich keine Ruhe.«
»Das musst du nicht. Ich habe bis Mitternacht Dienst.«
Jannis reißt die Augen auf. »Dann bleibe ich erst recht.« Er schaut mich so entschlossen an, dass Widerspruch wohl zwecklos wäre.
Und irgendwie finde ich das auch sehr süß von ihm.