19
Ich bin auch ganz froh, dass Jannis da ist. So vergeht die Zeit viel schneller. Jedes Mal, wenn ein junger Mann die Tankstelle betritt und mit mir länger als nötig redet, macht sich Jannis bemerkbar, indem er mich mit »Baby« oder »Liebling« anspricht.
»Kann es sein, dass du ein kleines bisschen eifersüchtig bist?«, necke ich ihn, als gerade wieder einer dieser Kunden gegangen ist.
»Das bildest du dir bloß ein«, antwortet er dreist, doch das freche Blitzen in seinen Augen bestätigt meine Vermutung nur.
»Ja klar«, kichere ich.
»Sag mal, hast du eigentlich die Bilder von unserem Parfüm-Shooting schon gesehen?«, fragt er mich dann. »›Magic Fragrances‹ hat eine Preview bei Facebook hochgeladen.«
»Ja, hab ich gesehen. Die Fotos sind toll geworden.«
»Die Reaktionen waren auch fast alle positiv. Bis auf die dämlichen Idioten, die meinen, überall ihren Senf dazugeben zu müssen.«
»Wie immer halt.« Ich zucke mit den Schultern und frage mich, ob er auf etwas Bestimmtes hinauswill.
»Aber es gab teilweise ordentlich Gegenwind für die Hater«, fährt er fort und lässt mich dabei nicht aus den Augen.
Ich wusste doch, dass Sarah sich nicht »PinkUnicorn« hätte nennen sollen!
»Das ist doch gut. Soll man denen alles durchgehen lassen?«
Jannis lacht laut auf und kommt auf mich zu. »Gib schon zu, dass du und deine Mädels dahinterstecken, hab ich recht?« Sanft zieht er mich in seine Arme.
»Und wenn es so wäre?« Ich recke kämpferisch mein Kinn. »Warum soll ich mir das gefallen lassen? Ich will kein armes Opfer sein, das über so was schweigend hinwegsieht.«
»Nein, das bist du natürlich nicht.« Jannis küsst mich zärtlich. »Wenn es dir damit besser geht …«
»Ja, es geht mir besser.« Ich schließe genießerisch die Augen, dann kommt der nächste Kunde und unterbricht diesen schönen Moment.
»Ich freu mich auf Donnerstag«, murmelt Jannis an meinen Lippen, bevor er mich wieder freigibt.
»Ich mich auch.«
»Hallo, Frau Stamm, hier ist Marlene Schwarz.«
Ich sacke innerlich zusammen. Ich habe gehofft, dass Jannis mich anruft und von dieser trockenen Kalkulation ablenkt, als ich die Nummer der Agentur auf meinem Handy gesehen habe. Am Vortag hat er mich nach Feierabend noch nach Hause gefahren und wir haben uns leidenschaftlich in seinem Auto verabschiedet. Ich kann es kaum erwarten, bis wir wieder mehr Zeit füreinander haben.
»Oh, hallo. Frau Schwarz, was kann ich für Sie tun?«
Meine Kollegin Tami wird ebenfalls hellhörig und verzieht das Gesicht.
»Ich würde Sie gern sprechen wegen ein paar Anfragen, die wir für Sie bekommen haben. Aber das ist zu umfangreich, um es am Telefon zu klären. Könnten Sie heute vorbeikommen?«
Ich freue mich innerlich. Das hört sich doch gut an. Ich überlege fieberhaft, wie ich es einrichten kann. Zwischen dem Feierabend in der Firma und dem Dienstbeginn an der Tanke bleiben mir zwei Stunden. Das wird knapp, aber es ist zu schaffen. Dann kann ich zwischendurch halt nicht mehr nach Hause.
»Ich könnte gegen 17.30 Uhr in der Agentur sein«, schlage ich vor.
»Das ist perfekt. Bis dann.«
Grußlos legt sie auf, aber das bin ich ja schon von ihr gewohnt.
»Ui, die eiskalte Marlene«, sagt Tami. »Was wollte sie denn?«
»Mich persönlich sprechen wegen einiger Anfragen.« Ich schaue Tami ratlos an. »Ich fahre nach der Arbeit dort vorbei.«
»Ich kann dich mitnehmen, dann hast du weniger Stress.«
Tami liefert mich pünktlich ab. Ich weiß, dass Jannis heute ein paar Termine hat und ich habe auch noch nichts von ihm gehört. Trotzdem hoffe ich natürlich, dass er da ist.
Ich begrüße die Empfangsdame Frau Weber, sie schickt mich direkt weiter ins Atelier. Auf dem Flur entdecke ich neben den anderen Models auch zwei Bilder von mir. Ja, das macht mich schon ein bisschen stolz.
Ich klopfe an und höre Marlenes Stimme, gespannt trete ich ein. Zu meiner Enttäuschung ist sie allein im Atelier.
»Ah, Frau Stamm. Sehr schön.«
Marlene lächelt mir kurz zu, aber es ist kein echtes Lächeln. Doch das interessiert mich erst einmal nicht. Sie bittet mich, Platz zu nehmen, und reicht mir dann mehrere Papiere.
»Es sind drei Anfragen eingegangen, alle schon im nächsten Jahr. Alles Wichtige habe ich hier für Sie zusammengestellt.«
»Danke.« Ich nicke Marlene zu und überfliege die Seiten. Es sind zwei Katalogshootings und eine Anfrage für eine Kosmetiklinie. »Hört sich gut an.«
»Ja, das ist es zweifellos. Es freut uns, dass Sie so gut ankommen«, sagt Marlene. Doch irgendwie sieht sie nicht so aus, als würde sie gleich in übermäßige Euphorie ausbrechen.
»Bis wann muss ich mich entscheiden?«
»Es wäre gut, wenn wir den Auftraggebern morgen Bescheid geben könnten.«
»Das lässt sich machen, ich rede mit meinem Chef und schaue, wie ich Urlaub nehmen kann.«
»Sehr gut.« Marlene schaut mich auffordernd an, das ist wohl mein Zeichen, zu gehen.
Ich raffe alles zusammen und stehe auf, doch bevor ich die Tür erreiche, ergreift sie noch einmal das Wort.
»Sie sollten sich nicht zu viele Hoffnungen machen, was Jannis angeht.«
Überrascht drehe ich mich zu ihr um. Ich bin eher überrascht als empört. »Wie bitte?«
»Ich denke, Sie haben mich verstanden.« Da ist es wieder, dieses eisige Lächeln. »Jannis trifft sich gern mit den Neuzugängen unserer Agentur. Das ist zwar nicht sehr professionell, aber er flirtet nun mal gern. Meist sind diese kleinen Affären aber nur von kurzer Dauer.«
Ich weiß gar nicht, was ich jetzt am liebsten zuerst tun würde. Ihr an die Gurgel gehen wäre allerdings eine gute Option.
»Ich hätte gar nicht gedacht, dass Sie so eine Klatschtante sind, Frau Schwarz.« Jetzt schenke ich ihr ein zuckersüßes Lächeln. Falsch sein, das kann ich auch! »Woher kommt denn dieses Mitteilungsbedürfnis?«
»Ich möchte nur nicht, dass Sie überrascht sind, wenn es vorbei ist.« Sie zuckt betont gelangweilt mit den Schultern. »Zumal Jannis auch dagegen war, Plus-Size-Models aufzunehmen. Mich wundert es daher schon, dass er sich überhaupt für Frauen Ihres Typs interessiert.«
Blödes Miststück.
»Keine Sorge, ich werde nicht überrascht sein. Und bis dahin genieße ich einfach die schöne Zeit mit ihm. Wir haben eine Menge Spaß, wissen Sie?«
Dann mache ich, dass ich wegkomme. Als ich die Tür hinter mir schließe, schießen mir vor lauter Wut Tränen in die Augen. Gut, dass die blöde Kuh das nicht mehr sieht!
»Hallo Josy.«
Ich schaue überrascht auf, als Paul die Tankstelle betritt.
»Hi, das ist ja nett.« Natürlich freue ich mich, ihn zu sehen. Und nach der unerfreulichen Begegnung mit Marlene kann ich ein bisschen Aufmunterung gut gebrauchen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich von ihren Äußerungen erholt habe.
»Ja, ich bin von Jannis herkommandiert worden«, grinst er mich breit an. »Er hat noch einen Termin und kann erst später kommen.«
»Du musst nicht hierbleiben. Jannis ist ein bisschen überängstlich. Ich bin ein großes Mädchen und mir wird schon nichts passieren«, versichere ich ihm.
»Keine Chance. Wenn ich nicht hier bin, wenn er anrückt, kann ich das Abendessen vergessen.«
Ich schaue ihn verdutzt an. »Welches Abendessen?«
»Jannis lässt für diesen Bodyguard-Job ein Essen mit Sarah springen. Na, da kann ich doch nicht Nein sagen.«
Ich weiß von Sarah, dass sie sich ab und zu treffen, aber das waren eher lockere Dates. »Oh, er ist ja wirklich spendabel.«
»Ja. Der Kerl scheint richtig verrückt nach dir zu sein. So einen Zirkus hat er noch bei keiner betrieben. Wow, ihr habt die?« Begeistert hält er einen Schokoriegel hoch.
»Äh, ja. Bedien dich ruhig.«
Was hat er da gerade gesagt? Jannis ist verrückt nach mir? Sofort sind alle blöden Bemerkungen von Marlene vergessen.
Jannis ist verrückt nach mir, Jannis ist verrückt nach mir!
Ich fühle mich, als würde ich auf kleinen rosa Wölkchen schweben, und dieses Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr. Nicht seit der Sache mit Steffen, die eher unerfreulich endete, nachdem ich ihn mit seiner Arbeitskollegin im Bett erwischt hatte.
»Ich find die so lecker«, nuschelt Paul zufrieden. »Also wenn ich hier arbeiten würde, wäre ich in kürzester Zeit so richtig fett.«
»Ja, die Verlockung ist groß«, stimme ich ihm zu.
»Ich hab die Fotos von der Werbekampagne mit Jannis gesehen. Sehr heiß, Josy.«
»Danke, Paul. Sag mal, wer von euch hatte eigentlich die Idee mit den Curvy-Models?« Ich versuche, ihn nicht zu neugierig anzustarren, aber die Frage brennt mir doch unter den Nägeln.
»Jannis und ich.« Er fuchtelt mit einem weiteren Schokoriegel vor meiner Nase herum, ich nicke ihm nur kurz zu.
»Ach? Echt?«
Nanu, Marlene, du dämliche Ziege. Hast du da etwa gelogen?
»Ja, es kamen schon ein paar Anfragen von Kunden, und man sieht ja immer öfter Frauen in Kampagnen, an denen was dran ist.« Zufrieden reißt er den nächsten Schokoriegel auf und
beißt genüsslich ab. »Also meinte Jannis, dass das eine gute Idee sei. Und wie wir an dir sehen, hatte er auch recht.«
»Okay. Mein Glück.« Innerlich schicke ich die übelsten Verwünschungen an Marlene. Aber vielleicht ist sie in ihrer Eifersucht so verzweifelt, dass sie mir unbedingt eins auswischen musste.
Paul ist ein guter Unterhalter. Wir lachen viel und die Zeit vergeht wie im Flug, als Jannis am späten Abend auftaucht. Er klatscht Paul ab und gibt mir einen zärtlichen Kuss zur Begrüßung.
»Hey, hat der Kerl gut auf dich aufgepasst?«, flüstert er mir zu.
»Hat er. Aber noch mal solltest du ihn nicht schicken. Er futtert uns sonst noch den ganzen Süßkram weg.«
»Das waren nur sieben Riegel!«, tönt eine empörte Stimme aus dem Hintergrund. Dann verabschiedet er sich von uns. »Denk an den Restaurantgutschein«, sagt er noch an Jannis gewandt.
»Mach ich. Vielen Dank noch mal.«
Ich lege die Arme um Jannis’ Hals und schmiege mich an ihn. »Auch wenn es nicht nötig ist, dass du mich nach Hause begleitest – ich finde es trotzdem schön, dass du hier bist.«
»Ich wäre schon viel früher gekommen, aber es gab noch was zu klären mit dem Steuerberater. Und das hat gedauert«, stöhnt Jannis. »Morgen habe ich auch noch einen Termin, ich weiß nicht, wann ich aus der Agentur komme.«
»Wenn es nicht zu spät wird, komm doch einfach zu mir. Ich koche uns was.«
»Oh Mann, das hört sich wirklich gut an.« Er stupst mit seiner Stirn an meine. »Ich kann es kaum erwarten.«