20
Meine Vorfreude auf den heutigen Abend lässt sich gar nicht beschreiben. Ich bin den ganzen Tag gut gelaunt und auch die blöden Sprüche von Marlene können daran nichts ändern. Ich habe Tami davon erzählt, die genauso fassungslos war wie ich. Doch sie hat es als alberne Eifersüchteleien abgetan und so möchte ich es auch sehen.
Ich habe für den Abend einen Auflauf vorbereitet, den ich nur noch in den Ofen schieben muss, und jetzt kann ich nur hoffen, dass Jannis nicht zu spät hier sein wird. Doch ich habe Glück, gegen acht Uhr klingelt es an der Tür.
»Hallo Prinzessin«, sagt er leise, als ich ihm öffne. Er hat eine Rose in der Hand und mein Herz macht einen riesengroßen Hüpfer.
»Hi Prinz.« Ich packe ihn am Kragen seines Mantels und ziehe ihn in meine Wohnung. Als ich die Tür schließe, presst er mich fest an sich. »Endlich, endlich, endlich«, raunt er mir zu, dann küsst er mich so leidenschaftlich, dass mir die Luft wegbleibt. Jannis drückt mich an die Wand, und ohne den Kuss zu unterbrechen, beginnt er, meine Bluse aufzuknöpfen. Ich schiebe hektisch seinen Mantel von den Schultern, achtlos fällt er auf den Boden, aber darum kann ich mich später kümmern.
»Ich konnte den ganzen Tag nur an dich denken«, murmelt er an meinen Lippen.
»Ging mir genauso. Was machst du bloß mit mir?« Ich kralle die Finger in seine Haare, dann spüre ich, wie er den Knopf meiner Jeans öffnet und sie samt Slip hinunterschiebt.
»Ich will dich jetzt und hier.« Seine Stimme klingt ganz rau und in seinen Augen kann ich erkennen, was gleich passieren wird.
Schnell schlüpfe ich aus der Hose, dann packt mich Jannis und schlingt meine Beine um sich. Mit einem kräftigen Stoß versenkt er sich in mir, wir schreien beide auf, als wir endlich vereinigt sind. Ich klammere mich wie eine Ertrinkende an ihn, während er immer schneller in mich eindringt. Eine heiße Welle überrollt mich, wir schauen uns in die Augen, als wir beide zum Höhepunkt kommen und er sich tief in mir ergießt.
Wir sind beide völlig atemlos, als er sich langsam von mir löst und mich auf dem Boden absetzt. Jannis gibt mir einen langen Kuss, dann sieht er mich plötzlich erschrocken an. »Scheiße Josy, ich hab gar kein Gummi benutzt.«
Auch ich zucke kurz zusammen, so was ist mir wirklich noch nie passiert. »Das … das ist insofern kein Problem, weil ich die Pille nehme. Aber … aber …«
Er legt mir einen Finger auf die Lippen. »Ich habe mich vor einem halben Jahr testen lassen und seitdem nur Kondome benutzt.«
»Und ich hatte schon länger keinen Freund mehr. Dann … dann wäre das ja geklärt.« Ich lächele ihn an. »Du … du schaffst es echt, dass ich alle meine Grundsätze über Bord werfe.«
»Na, das hoffe ich doch.«
Ich nehme die rote Rose und stelle sie in eine Vase auf den Esstisch. Insgeheim frage ich mich, ob er die Bedeutung der
roten Rosen kennt oder ob er sich da keine Gedanken gemacht hat.
Als wir gegessen haben, setzen wir uns auf meine Couch und machen es uns dort gemütlich. Ich habe überall Lichterketten aufgehängt und Kerzen angezündet.
»Es fehlt nur noch ein Kamin«, stellt Jannis fest, als ich mich in seinen Arm schmiege.
»Tja, dafür reicht mein Budget leider nicht aus.«
»Das macht nichts. Ich hab ja einen.«
»Dafür fehlt es bei dir aber an Weihnachtsdeko. Bei mir ist es gemütlicher.«
»Findest du es bei mir ungemütlich?« Er schiebt mich ein Stück von sich weg und sieht mich ernst an. »Was fehlt denn in meiner Wohnung, deiner Meinung nach?«
»Na, deine Wohnung ist stylish und edel. Aber auch ein bisschen steril. Eine typische Männerwohnung.«
»Hm. Ja, das stimmt schon.« Er schaut sich in meinem Wohnzimmer um. »Allerdings wäre mir das hier ein bisschen zu viel des Guten.«
»Ich würde mich auch wundern, wenn ein Mann seine Wohnung so dekorieren würde«, kichere ich. »Aber wenn mal eine Frau bei dir einzieht, wirst du dich umschauen.«
»Meinst du?« Er streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Vielleicht würde man ja einen Kompromiss finden?«
»Ganz bestimmt.« Ich halte seine Hand fest und schmiege meine Wange hinein. Jannis zieht mich zu sich und gibt mir einen zärtlichen Kuss. Noch einmal lieben wir uns, aber dieses Mal lassen wir uns sehr viel Zeit. Und ich versuche, alles in mich aufzusaugen und den Moment festzuhalten. Jannis, die romantische Stimmung und das warme Licht um uns herum.
»Günaydın Josy«, tönt es mir fröhlich entgegen, als ich am Freitagmorgen Kemals kleine Bäckerei betrete. Doch er stutzt, als er sieht, dass ich nicht alleine bin. Neugierig mustert er den Mann an meiner Seite.
»Günaydın Kemal. Bitte diesmal zwei Sesamringe.«
»Und ein Börek bitte«, ergänzt Jannis.
»Sehr gern.« Kemal packt das Gewünschte ein und reicht es mir über den Tresen. Ich schmunzele innerlich, denn er lässt Jannis nicht aus den Augen.
»Das ist Jannis, mein Freund«, stelle ich ihn vor.
»Ich bin Kemal. Josy ist wie eine Tochter, also sei gut zu ihr.« Kemal sagt es beinahe drohend, aber ich kann das vergnügte Blitzen in seinen Augen erkennen.
»Natürlich«, versichert Jannis ihm.
»Ui, ich hätte gar nicht gedacht, dass du hier im Viertel so gut behütet wirst«, lacht mein Freund, als wir wieder draußen vor dem Laden stehen.
»Tja, da kannst du mal sehen.« Ich hauche ihm noch einen Kuss auf den Mund, dann müssen wir uns leider verabschieden.
»Soll ich dich wirklich nicht zur Arbeit fahren?«
»Nein, die Straßenbahnhaltestelle ist gleich um die Ecke. Und du wolltest dich doch noch umziehen.«
»Alles klar. Bis heute Abend, Josy.« Er winkt mir noch einmal zu. Ich warte noch, bis er im Auto sitzt und wegfährt, etwas nachdenklich sehe ich dem Wagen nach.
Es war ein unvergleichlich schöner Abend und ich habe jede Sekunde genossen. Und trotz roter Rose und den Zärtlichkeiten, die wir austauschen, habe ich immer noch Zweifel in mir. Es wirkt alles so perfekt, fast schon zu perfekt. Mich beschleicht die Angst, dass ich wieder diejenige sein könnte, die zu viele Gefühle investiert.
Jetzt mach dir nicht zu viele Gedanken
, ermahne ich mich selbst.
In der Straßenbahn ergattere ich einen Sitzplatz. Um mir die Zeit zu vertreiben, schaue ich auf mein Handy. Natürlich bin ich auch neugierig, ob es irgendwo wieder blöde Postings gibt. Was ich dann entdecke, schockiert mich.
Es gibt ein paar Kommentare auf der Facebook-Seite der Agentur und auch bei dem Parfümhersteller, doch sie sind nicht mehr so zahlreich wie am Anfang. Stattdessen habe ich private Nachrichten bekommen, von zehn Personen insgesamt. Sowohl auf Facebook als auch bei Instagram. Alle Nachrichten sind richtig lang, und was ich da zu lesen bekomme, jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Es sind übelste Beleidigungen, diese Leute beschimpfen mich, machen sich lustig über meine Figur und ziehen es ins Lächerliche, dass ich Fotos mit einem Supertypen wie Jannis gemacht habe.
»Du fette Schlampe denkst wohl, du bist jetzt berühmt … Du solltest dich schämen, du ekliges Miststück … Wenn ich Fotos von dir sehe, muss ich kotzen … Wie widerlich kann man sein … Ich habe mich krankgelacht, als ich die ›Hombre‹-Fotos gesehen habe. Wer soll denn glauben, dass so eine dicke, hässliche Kuh so einen Typen abbekommt …«
Mein erster Impuls ist es, diesen Schund zu löschen, doch dann beschließe ich, die Leute nur zu blockieren. Vielleicht ist der Spuk ja auch schnell wieder vorbei.
Ich bin sehr durcheinander, als ich im Büro ankomme. In meinem Kopf überschlägt sich alles und ich muss das, was ich gerade gelesen habe, unbedingt loswerden.
Ich berichte Tami davon, sie runzelt die Stirn, als ich fertig bin.
»Hm, vielleicht eine eifersüchtige Modelkollegin?«
»Das habe ich mir auch schon gedacht. Aber mit zehn verschiedenen Identitäten? Ich meine, okay, ich habe letztens mit meinen Freundinnen auch gefaked, aber es war schon lästig, drei Profile anzulegen.«
»Hast du mal geschaut, wann die Profile angelegt wurden?«
»Die sind alle privat.«
»Ein bisschen freaky ist das schon«, sagt Tami und damit trägt sie nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.
»Ja, das … das finde ich auch. Warum tun die Leute so was?« Ich schlucke heftig. Irgendwie packt mich das jetzt viel mehr als die blöden Kommentare. Diese Leute haben mir ganz gezielt lange Nachrichten geschrieben, ohne von einer kommentierenden Meute auf einer Seite angestachelt worden zu sein.
»Keine Ahnung. Aber bitte mach dir nicht so einen Kopf, ja? Vielleicht haben die einfach nur Langeweile. Oder sie erwarten, dass du reagierst. Vielleicht hat sich die Sache ja auch schnell wieder erledigt«, versucht mich Tami zu beruhigen. Doch das gelingt mir erst nach geraumer Zeit.