23
Jannis bleibt über Nacht, worüber ich mich natürlich sehr freue. Da er früh raus muss, gehen wir zeitig ins Bett, doch ich finde keine Ruhe. Während er schon friedlich schläft, stehe ich noch einmal auf und gehe ins Wohnzimmer.
Ich hatte ihm versprochen, es nicht zu tun, doch ich rufe seinen Instagram-Account auf und schaue nach den Kommentaren, die er für das Foto mit mir im Restaurant bekommen hat.
Ich hätte es mir denken können, neben einigen wirklich sehr lieben Postings haben sich auch wieder Hater eingemischt.
»Was willst du mit der fetten Schnecke?« – »Such dir lieber eine schöne Frau, das dürfte dir doch nicht schwerfallen, so wie du aussiehst.« – »Wie kannst du nur mit so was zusammen sein? Das muss dich doch ekeln!«
Hört das denn nie auf? , frage ich mich verzweifelt. Und wird Jannis das auf Dauer wirklich so locker wegstecken, wie er mir immer versichert? Kann er das tatsächlich einfach abschütteln?
Ich weiß ja, ich sollte darüberstehen, doch diesmal erwischt mich das Ganze mit voller Wucht. Obwohl ich es gar nicht will, kullern mir plötzlich Tränen übers Gesicht. Angst überkommt mich. Angst, dass ich Jannis vielleicht wegen solcher Kommentare verlieren könnte. Ich bekomme Zweifel, ob es wirklich so gut war, mich auf die ganze Modelsache einzulassen. Klar, so habe ich diesen tollen Mann kennengelernt, aber die öffentlichen Beschimpfungen sind immer schwerer zu ertragen. Ich bin solche Anfeindungen einfach nicht gewohnt, und es tut mir leid, dass Jannis diesen Mist jetzt auch abbekommt.
Ich kann mich gar nicht mehr beherrschen, plötzlich bricht es aus mir heraus und ich bekomme einen regelrechten Weinkrampf. Ich verfluche mich selbst dafür und ich verfluche diese dämlichen Schmierfinken, die das alles ausgelöst haben.
Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis ich mich wieder beruhigen kann. Ich gehe ins Bad und kühle mein Gesicht mit Wasser, dann krabbele ich zurück zu Jannis ins Bett. Ich sehne mich nach seinem warmen Körper und möchte mir bei ihm Trost holen.
»Hey, wo warst du denn?« Zu meiner Überraschung ist Jannis wach. Er macht die kleine Nachttischlampe an und schaut mich bestürzt an. »Was ist los? Hast du geweint?«
Mit einem Satz ist er bei mir. Ich ärgere mich, dass er mich so sieht, es wäre mir lieber gewesen, wenn er weitergeschlafen hätte.
»Nein, alles okay«, lüge ich, doch ich wage nicht, ihm in die Augen zu schauen. »Schlaf weiter.«
»Erst wenn du mir sagst, was los ist.« Jannis presst meinen Körper ganz fest an seinen, es tut gut, ihn so zu spüren.
Ich suche fieberhaft nach einer Ausrede, die Wahrheit bringe ich nicht über die Lippen. Vielleicht würde er mich sonst für verrückt halten, weil ich mir so viel aus der ganzen Sache mache. »Ich … ich kriege bald meine Tage. Kurz davor bin ich immer etwas jammerig«, beeile ich mich zu sagen.
»Okay.« Er drückt mir einen Kuss auf die Schläfe, doch er klingt nicht wirklich überzeugt. »Du sollst nur wissen, dass du mir alles sagen kannst, Josy.«
»Ja, weiß ich doch«, murmele ich leise. Ich schmiege mein Gesicht in seine Halsbeuge und atme den vertrauten Duft seiner Haut ein. »Alles gut.«
Irgendwann finde ich doch in den Schlaf. Als mein Wecker klingelt, bin ich selbst überrascht darüber. Jannis ist schon fort, aber das hat er mir bereits am Vortag angekündigt. Um kurz nach sechs meldet sich mein Handy, mein Herz hüpft vor Freude, als ich sehe, dass er es ist.
»Hey, Prinzessin. Ich wollte noch mal deine Stimme hören, bevor ich losmuss.«
»Guten Morgen, Prinz. Schön, dass du anrufst.«
»Was machst du?«
»Ich wollte gerade duschen gehen«, antworte ich wahrheitsgemäß.
Er seufzt sehnsüchtig auf. »Da wäre ich gern dabei. Du musst heute unbedingt zu mir kommen, dann holen wir das direkt nach.«
Ich lache leise auf. »Okay. Ich nehme dich beim Wort.«
»Josy, ich habe gerade gesehen, dass uns noch genau zwei Abende bleiben, bis ich am Dreiundzwanzigsten nach München fahre. Ansonsten habe ich Termine, die ich leider nicht absagen kann.«
»Oh …« Ich schlucke kurz, das war mir gar nicht bewusst gewesen. »Na, schade. Aber Weihnachten geht ja auch mal vorbei.«
»Ja, zum Glück. Ein Termin ist morgen Abend. Ich würde mich freuen, wenn du dabei wärst, es ist ein Weihnachtsempfang von einer Kosmetikfirma. Aber die letzten beiden Male war Marlene dabei und sie erwartet, dass wir zusammen hingehen.«
»Okay«, presse ich mühsam hervor. Ich muss mich zusammenreißen, dass ich nicht laut fluche, diese Neuigkeit trifft mich verständlicherweise mit voller Wucht. »Das ist doch selbstverständlich, Jannis.«
»Und dabei habe ich überhaupt keine Lust«, kommt es zerknirscht. »Es ist so eine langweilige Veranstaltung.«
»Du wirst es überleben«, tröste ich ihn.
»Hoffentlich«, stöhnt er übertrieben laut auf. »Ich muss es überleben, denn übermorgen Abend will ich dich auf jeden Fall wieder in meinem Bett haben.«
»Ich … ich denke, das lässt sich einrichten«, antworte ich sehnsüchtig.
Als ich später in der Straßenbahn sitze, schaue ich wieder in den sozialen Medien vorbei. Jannis hat die bösen Kommentare zu seinem Foto gelöscht.
Danke!
Jetzt erschrecke ich fast schon vor meiner Reaktion gestern Abend. Eigentlich liegen mir hysterische Ausbrüche nicht, jedenfalls nicht bei solchen Lappalien. Energisch schiebe ich die Gespenster der letzten Nacht von mir.
Ich bin mit Jannis zusammen und ich werde es auch bleiben! Ihr könnt mich doch alle mal!
fleuron
Natürlich kann ich es mir nicht verkneifen, am Mittwochmorgen das Internet nach Bildern von Jannis und Marlene zu durchforsten. Und ich werde fündig. Es gibt diverse Berichte über das Event im Netz, auf einem Foto sind auch die beiden abgebildet. Sie posieren für den Fotografen, Jannis hat einen Arm um sie gelegt und Marlene strahlt in die Kamera. Ich muss mir eingestehen, dass sie umwerfend aussieht. Diesmal trägt sie ihre blonden Haare nicht zu einem strengen Knoten gebunden, sondern sie fallen in weichen Wellen über ihre Schultern. Das schwarze Kleid sitzt perfekt und betont ihre schlanke Figur. Sie wären in der Tat ein schönes Paar.
Als ich auf Marlenes Instagram-Account klicke, bleibt mir aber doch der Mund offen stehen. Sie hat viele Bilder vom gestrigen Abend gepostet, die meisten mit Jannis an ihrer Seite. Und sie hat dafür schon viele Likes bekommen. Als ich nach Jannis’ suche, entdecke ich auch diese Fotos, gespannt lese ich mir die Kommentare dazu durch.
»Endlich hast du die Fette abgeschossen.« – »Ein schönes Paar.« – »Ihr seht gut zusammen aus. Sie passt viel besser zu dir.«
Es gibt auch einige böse Postings, aber die halten sich in Grenzen. Kein Vergleich zu dem Shitstorm, den ich immer abbekomme.
Für einen Moment juckt es mich in den Fingern, auch einen fiesen Kommentar darunterzuschreiben, ich habe ja noch die Fake-Accounts, dann verwerfe ich den Gedanken aber wieder. Es wäre kindisch, und so etwas zu lesen, das wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht. Nicht einmal Marlene.
»Na, die Dame scheint ja nicht aufzugeben«, kommentiert Tami die Fotos von Marlene.
»Ja, sieht ganz so aus«, seufze ich. Ich glaube zwar nicht, dass Jannis noch einmal mit Marlene anbandeln will, aber ganz ausschließen kann ich es natürlich nicht. Schließlich ist sie immer um ihn herum, er verbringt mehr Zeit mit ihr als mit mir.
»Aber hey, er wirkt doch sehr verliebt in dich. Ich glaube, sie wird sich die Zähne an ihm ausbeißen«, versucht Tami mich zu beruhigen. Und ich will hoffen, dass sie recht hat.
fleuron
Wehmut erfasst mich, als ich an diesem Abend zu Jannis fahre. Morgen wird er mit seinen Eltern nach München reisen und wir werden uns erst ein paar Tage nach Silvester wiedersehen. Ich weiß jetzt schon, dass er mir unheimlich fehlen wird.
Ich habe auch ein Geschenk für ihn dabei, es war schwer, etwas Passendes zu finden. Was schenkt man jemandem, den man erst so kurz kennt, der einem aber so viel bedeutet? Und der viel mehr Geld hat als man selbst?
»Hey, schön, dass du da bist.« Er empfängt mich mit einem strahlenden Lächeln an seiner Wohnungstür. Sofort zieht er mich in seine Arme und küsst mich mit einer solchen Leidenschaft, dass die Gedanken an Marlene augenblicklich verfliegen.
»Was hast du denn da?« Er deutet auf die große Tasche in meiner Hand.
»Na, mein Weihnachtsgeschenk für dich. Was denkst du denn?«
Jannis greift danach. »Darf ich es schon auspacken?«
»Ist denn Weihnachten? Natürlich nicht!«, weise ich ihn zurecht.
Jannis zieht mich in seine Wohnung und bugsiert mich an den Esstisch. Es duftet verführerisch, ich ziehe erstaunt die Augenbrauen hoch. »Hast du gekocht?«
»Na ja, fast«, grinst er. »Ich habe kochen lassen. Von dem Restaurant hier an der Ecke. Ich hoffe, du hast Hunger.«
»Klar. Immer.«
Jannis hilft mir galant aus meinem Mantel. Ich habe mich für diesen Abend extra schick gemacht und sogar ein Kleid angezogen.
»Du siehst umwerfend aus, Josy«, raunt er mir ins Ohr. »Am liebsten würde ich dich jetzt direkt ins Bett zerren, aber es wäre schade um das Essen.«
Jannis gibt sich mächtig Mühe, mich von vorne bis hinten zu bedienen. Es gibt ein Drei-Gänge-Menü und es schmeckt einfach fabelhaft.
»Wie war es denn gestern auf dem Empfang?«, hake ich schließlich vorsichtig nach. Die ganze Zeit habe ich mich zurückgehalten, aber ich muss unbedingt wissen, was er zu erzählen hat.
Jannis stöhnt auf. »Langweilig. Wie erwartet.«
»Ich … ich habe Fotos gesehen. Marlene hat sie gepostet. Ihr saht beide wirklich gut aus.«
»Danke. Ja, die Bilder habe ich auch gesehen, sie hat mich markiert.« Jannis zuckt mit den Schultern. »Aber ihre Anwesenheit hat den Abend auch nicht gerettet.«
Ich atme innerlich auf. Es klingt nicht gerade so, als ob Jannis sich prächtig amüsiert hätte. »Na ja, du hast es ja überstanden.«
Ich streichele ihm über die Hand, Jannis greift nach meiner und haucht mir einen Kuss auf die Pulsader.
»Ich bin sicher, mit dir wäre es nicht so langweilig gewesen. Und ich hätte mit dir angeben können«, murmelt er, prompt bekomme ich eine Gänsehaut.
»Aber dafür hättest du wieder böse Kommentare kassiert«, antworte ich zerknirscht.
»Hey Josy, du weißt, dass mir das egal ist. Komm mal her …« Er streckt die Arme aus und ich lasse mich nur zu gern auf seinen Schoß ziehen. »Ich bin gern mit dir zusammen und das kann jeder sehen.«
»Ich bin auch gern bei dir«, sage ich leise. Wir schauen uns lange in die Augen, ich kämpfe mit mir, ob ich ihm meine Gefühle gestehen soll. Aber irgendwie habe ich zu viel Angst, dass er nicht das Gleiche empfindet.
»Und jetzt verrate mir, wie ich dich überreden kann, dass wir die Geschenke schon heute aufmachen.« Es blitzt spitzbübisch in seinen Augen auf und der gefühlsduselige Moment ist verflogen.
»Das macht man nicht.«
»Na und? Mir doch egal«, beharrt er. »Bitte Josy, ich bin zu neugierig. Außerdem muss ich doch wissen, was du zu meinem Geschenk sagst.«
Jannis streicht mir die Haare aus dem Nacken und haucht kleine Küsse darauf. »Bitte Prinzessin«, raunt er mir zu, sein Atem streift meine Haut und ich spüre, wie mein Widerstand schmilzt.
»Okay, von mir aus«, gebe ich dann schließlich nach. Und insgeheim bin ich natürlich ebenso neugierig wie er.
»Perfekt«, lacht er leise, dann schiebt er mich sanft von seinem Schoß.
Jannis kommt mit einer kleinen Schachtel zurück und reicht sie mir. »Frohe Vorweihnachten.«
»Oh, danke«, kichere ich, dann ziehe ich meine Geschenke aus der Tasche. »Ebenso.«
Ich schaue gespannt zu, wie Jannis zuerst das kleine Päckchen öffnet. Als er den Inhalt sieht, prustet er laut los. »Du schenkst mir ›Hombre‹?«
»Ja, das ist gut für dein Ego«, gluckse ich.
»Du hast ja einen Knall!« Er öffnet den Flakon und verzieht das Gesicht. »Das Zeug ist widerlich!«
»Ich weiß. Du sollst es ja auch nicht auftragen. Es soll dich an das Shooting erinnern – und die Zeit, die danach kam.«
Jannis gibt mir einen zärtlichen Kuss. »Das hätte ich sowieso nicht vergessen, Josy. Aber danke. Das Geschenk ist echt witzig.« Dann schnappt er sich das große Paket. Jetzt bin ich wirklich nervös, doch als Jannis es auspackt, scheint er sich ehrlich zu freuen.
»Der ist toll.« Er nickt anerkennend und stellt den Kerzenständer auf den Tisch. Ich weiß, dass er diesen Designer mag, bei unserer Weihnachtsshoppingtour hat er es mir erzählt. Ich war allerdings erstaunt, wie teuer die Einrichtungsgegenstände sind. »Du hast dich wirklich in Unkosten gestürzt, das hättest du nicht tun sollen.«
»Deine Wohnung hat ein bisschen Deko nötig. Das weißt du doch.«
Jannis steht auf und zieht mich in seine Arme. »Danke, Josy. Du hast einen guten Geschmack. Aber sonst wärst du ja auch nicht hier bei mir.«
Dann löst er sich von mir. »Aber du bist dran. Los, mach auf!«
»Zu Befehl! Wie ich sehe, reicht der bloße Anblick von ›Hombre‹ schon, damit du in dein Dominanzgehabe verfällst.«
»Ich werde dir später noch zeigen, wie dominant ich sein kann. Aber jetzt öffne endlich das Päckchen.«
Ich tu ihm gern den Gefallen, denn ich bin natürlich auch neugierig. In dem Päckchen liegen ein Umschlag und ein hübsches Bettelarmband, an dem bereits ein Einhorn und ein kleines Rentier baumeln. Verzückt nehme ich es heraus.
»Ich hoffe, es kommen noch viele schöne, lustige, verrückte Erinnerungen hinzu, die ich mit dir teilen darf«, sagt er und seine Stimme ist plötzlich ganz heiser.
Ich bin ganz gerührt von seinen Worten, prompt schießen mir Tränen in die Augen. »Das … das hoffe ich auch, Jannis. Vielen Dank, es ist sehr hübsch.« Ich nehme sein Gesicht zwischen meine Hände. »Ich hoffe es auch so sehr.«
»Dann mach den Umschlag auf. Vielleicht …« Er spricht nicht weiter, sondern schluckt kurz.
Als ich den Umschlag öffne, stockt mir der Atem. Es ist eine Einladung. Eine Einladung zu dem Urlaub in der Schweiz, den er nach Weihnachten mit seinen Eltern antreten wird.
»Ich kann nicht so lange ohne dich sein, Josy. Und auch wenn du nicht Skifahren kannst, das macht gar nichts. Wir werden uns einfach ein paar schöne Tage in dem Wellnesshotel machen, okay?«
»O… okay«, stammele ich. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, also falle ich ihm einfach um den Hals und schluchze leise auf. »Danke, ich … ich bin sprachlos. Ich freue mich so sehr, Jannis. So sehr.«
Er schiebt mich sanft von sich. »Ich mich auch, Josy.«
Die nächsten Stunden vergehen wie im Rausch. Wir lieben uns vor seinem Kamin, dann schaffen wir es tatsächlich ins Bett. Und als wir uns am nächsten Morgen verabschieden, bin ich nicht mehr ganz so traurig wie noch am vorigen Tag. Ich werde Jannis bald wiedersehen, viel schneller als erwartet. Und das sind einfach großartige Aussichten.