25
Ich weiß gar nicht, wohin mit mir. Zuerst bin ich wie gelähmt und betrachte immer wieder die Fotos. Jannis selbst hat nichts gepostet und auch nicht kommentiert. Irgendwie verstehe ich die Welt nicht mehr.
Ich rufe Sarah an und erzähle ihr davon, sie ist genauso fassungslos wie ich.
»Ehrlich, Süße, ich weiß gerade gar nicht, was ich sagen soll. Das … das muss doch ein Missverständnis sein.«
»Was ist denn daran ein Missverständnis?« Ich schlucke hart, mein Hals ist irgendwie ganz trocken, also hole ich mir ein Glas Rotwein. »Sie ist bei ihm in München und die beiden spielen Liebespaar.«
»Aber warum sollte er dich nach St. Moritz einladen? Warum nimmt er dann nicht die Trulla mit?«
»Was weiß ich denn?« Ich trinke einen kräftigen Schluck. »Vielleicht liebt er die Abwechslung oder kann sich nicht zwischen schlanker Blondine und brünetter Plus-Size entscheiden?«
»Was wirst du jetzt tun?«, fragt Sarah vorsichtig nach.
»Ich werde ihn wohl fragen müssen, was das alles soll und wie er sich unsere Beziehung, wenn es denn überhaupt eine ist, vorstellt. So kann ich doch unmöglich zu ihm in die Schweiz
fahren.« Mir schießen die Tränen in die Augen. War es das jetzt also? Ist alles schon vorbei?
Vielleicht war das auch alles zu traumhaft. Viel zu schön, um wahr zu sein.
Die Flasche Rotwein ist fast leer, bis ich endlich den Mut habe, Jannis zu kontaktieren. Noch traue ich mich nicht, persönlich mit ihm zu sprechen, also schreibe ich ihm eine Nachricht.
»Hi Jannis. Ich habe Fotos von dir und Marlene gesehen. Könntest du dich mal melden?«
Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. »Ich rufe dich in einer Viertelstunde an.«
Die Zeit vergeht wie im Schneckentempo, aber vielleicht ist das auch gut so. Wenn er wirklich eine Affäre mit Marlene hat, dann wird das nächste Gespräch unser letztes sein.
Als mein Handy klingelt, zucke ich erschrocken zusammen. Ich schaue in sein Gesicht, er sieht nicht gerade glücklich aus. Kein Lächeln, wie sonst immer, wenn wir den Chat starten.
»Hi Josy«, sagt er ernst. »Ich kann das erklären.«
»Okay, dann mal los.« Ich kämpfe gegen den Kloß im Hals an, meine Stimme klingt ganz fremd.
»Marlene ist gestern hier aufgetaucht. Angeblich hat sie den Kurztrip nach München schon länger geplant, ich wusste davon nichts.«
»Und da hast du netterweise den Cityguide gespielt?« Ich lache bitter auf. »Dein Service scheint ja umfassend gewesen zu sein, wenn sie Bilder von euch mit Herzchen postet.«
Jannis schaut mich fassungslos an. »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich was mit ihr habe, oder?«
»Wie würdest du denn die Bilder deuten?« Ich muss mich beherrschen, um nicht zu schreien. Es misslingt mir. »Ihr seht aus wie ein gottverdammtes Liebespaar, Jannis!«
»Josy, jetzt mach aber mal einen Punkt!«, schreit er zurück. »Ich wusste nicht, dass sie hier auftaucht, und ich wusste auch nicht, dass sie so etwas postet. Ich habe sie bereits zur Rede gestellt, dass sie das lassen soll, aber sie meinte, es wäre doch nur Spaß.« Er fährt sich mit der Hand durch die Haare und wirkt richtig verzweifelt. »Wir hatten deswegen schon einen mordsmäßigen Streit. Bitte Josy, das musst du mir glauben.«
Ich kann erst mal nichts sagen. »Ich muss … ich muss das sacken lassen, Jannis.«
»Hast du so wenig Vertrauen in mich? Glaubst du im Ernst, ich würde dich in die Schweiz einladen und gleichzeitig mit einer anderen rumvögeln?« Er scheint ehrlich entsetzt zu sein.
»Ich … ich weiß nicht, was ich glauben soll.« Ich schließe kurz die Augen, mir kommt die Sache mit Steffen wieder in den Sinn. »Natürlich möchte ich dir glauben, Jannis.«
Obwohl ich dagegen ankämpfe, schießen mir die Tränen in die Augen und ich schluchze laut auf. »Ich habe Angst, dass ich dich verlieren könnte, Jannis«, sage ich ehrlich. »Und das tut verdammt weh.«
»Josy, bitte …« Auch seine Stimme klingt heiser. »Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist: Marlene hat mich mit ihrem Besuch überrumpelt. Ich weiß nicht, was das sollte. Ich wollte nur freundlich sein und habe ihr die Stadt gezeigt. Und sie wird morgen wieder abreisen.«
Ich bin hin- und hergerissen. Ich möchte so gern, dass Jannis die Wahrheit sagt. Aber ich will auch nicht wieder das dumme Naivchen sein, das von ihrem Freund betrogen wird. Nicht schon wieder.
»Bitte lass nicht zu, dass Marlene mit ihren albernen Spielchen durchkommt. Bitte!«, fleht Jannis.
»Sie liebt dich, oder?«, frage ich leise.
»Ist mir egal«, knurrt Jannis.
»Sie hat mich vor dir gewarnt. Sie sagte, du würdest dich mit allen Neuzugängen aus der Agentur treffen und ich solle mir nicht zu viele Hoffnungen machen.« Ich halte gespannt den Atem an und warte auf Jannis’ Reaktion. Ihm entgleisen sämtliche Gesichtszüge.
»Was? Wann hat sie das gesagt?«
»Als ich das letzte Mal in der Agentur war und sie mir Aufträge angeboten hat.«
»Warum hast du mir das nicht erzählt, Josy? So was muss ich doch wissen!«
»Ich habe es als eifersüchtiges Gehabe abgetan. Aber offensichtlich ist es ihr sehr ernst damit, dich zurückzugewinnen.«
»Scheiße«, flucht Jannis. »Das hätte ich ihr nicht zugetraut. Aber das ist jetzt auch erst mal egal. Viel wichtiger bist du, Josy. Bitte glaub mir und lass nicht zu, dass sie mit der Nummer durchkommt.«
Ich betrachte nachdenklich sein schönes Gesicht. Er wirkt aufrichtig, und es fällt mir leichter, ihm zu glauben, als es nicht zu tun.
»Okay«, sage ich schließlich.
Jannis schließt erleichtert die Augen. »Danke, Josy. Es tut mir leid, dass das passiert ist. Aber ich habe das niemals erwartet.«
»Ich glaube dir.« Jetzt weine ich wieder, aber diesmal vor Erleichterung. »Wir sehen uns bald.«
»Ja, ganz bald. Und wir werden eine fantastische Zeit haben.«
Später in der Nacht reden wir noch einmal miteinander. Ich habe mich beruhigt und auch noch einmal mit Sarah gesprochen. Sie hat mich ebenfalls ermutigt, ihm noch eine Chance zu
geben. Es war ein gutes Gespräch mit Jannis. Ruhig und besonnen und ich bin mir jetzt sicher, dass er die Wahrheit sagt. Doch Marlenes Verhalten erschreckt mich schon, und ich frage mich zum ersten Mal, ob sie nicht auch hinter den bösen Nachrichten steckt, die ich bekommen habe. Mittlerweile würde ich ihr das ohne Weiteres zutrauen.
Die nächsten Tage vergehen viel zu langsam. Ich kann es bis zur Abreise in die Schweiz kaum noch erwarten. Jannis meldet sich, sooft er kann, und wir haben die unselige Sache mit Marlene weitestgehend hinter uns gelassen.
In der Nacht habe ich kaum geschlafen, weil ich so aufgeregt bin. Heute sehe ich Jannis endlich wieder. Ich weiß nicht, wer mich abholen wird, er hat einen privaten Fahrdienst beauftragt. Es ist noch fast mitten in der Nacht, als ich schließlich mit meinem Koffer auf dem Bürgersteig stehe und auf den Chauffeur warte. Ich hoffe, dass er sich nicht zu viel Zeit lässt, denn es ist ganz schön kalt und windig. Erleichtert atme ich auf, als endlich ein Wagen um die Ecke biegt. Er hält vor mir und fährt die Scheibe der Beifahrertür hinunter.
»Josephine Stamm?«, fragt mich der Fahrer, ich trete vorsichtig näher.
»Ja, genau. Bringen Sie mich zum Flughafen?«
»So ist es.« Er steigt aus und verstaut mein Gepäck im Kofferraum. »Bitte steigen Sie ein.«
Ich mustere den Mann kurz, er ist schätzungsweise Anfang vierzig. Er trägt eine Basecap und hat einen Vollbart, sein Lächeln ist sympathisch und ich fasse Vertrauen zu ihm. Galant hält er mir die Beifahrertür auf und ich steige in den Wagen.
Plötzlich geht alles ganz schnell. Ich spüre, wie sich zwei Hände um meinen Hals legen und kräftig zudrücken. Ich nehme noch wahr, wie mir der Fahrer mit einem Gegenstand auf den Kopf schlägt, dann wird mir schwarz vor den Augen.