35
»Kann ich dich um etwas bitten?«, frage ich ihn, als wir später zusammen am Esstisch sitzen. Meine Mutter hat mein Lieblingsessen vorbeigebracht, das Jannis aufgewärmt hat.
»Na klar. Raus damit.«
»Dürfte ich deinen Laptop benutzen? Ich hab doch kein Handy mehr und würde mir gern ein Neues bestellen.«
»Willst du nicht bei der Polizei anfragen, ob sie deins gefunden haben?«
»Selbst wenn sie es gefunden haben, ich möchte ein Neues. Ich … ich will es nicht mehr. Es ekelt mich an, dass Marlene es ebenfalls benutzt hat. Es klingt vielleicht kindisch, aber ich habe kein gutes Gefühl dabei.«
»Hey, das verstehe ich.« Plötzlich grinst Jannis und verlässt kurz den Raum. Als er wiederkommt, hat er meinen Laptop in der Hand und ein kleines Paket. »Den Laptop hat Jonas gestern Abend noch vorbeigebracht. Und das ist von mir.«
Ich schaue ihn überrascht an. »Was … was ist das?«
»Es gibt einen ganz einfachen Weg, das herauszufinden, Josy.«
Ich beäuge ihn argwöhnisch. »Da ist jetzt aber kein neues Smartphone drin, oder?«
»Ich wiederhole mich gern: Es gibt einen ganz einfachen Weg, dies herauszufinden.«
Etwas umständlich öffne ich das Päckchen, an das Hantieren mit nur einer Hand muss ich mich noch gewöhnen. Dann stockt mir der Atem. »Du … du bist verrückt! Das kann ich unmöglich annehmen«, presse ich mühsam heraus, als ich das neue Handy sehe. Es ist ein viel aktuelleres Modell als mein vorheriges. Und sündhaft teuer noch dazu.
»Doch, kannst du.« Jannis zuckt nur mit den Schultern. »Jonas sagte mir, dass du eventuell ein Backup auf dem Laptop haben könntest. Jedenfalls würde er es dir immer predigen, dies zu tun.«
»Ja, das … das hab ich tatsächlich, aber …«
Jannis beugt sich schnell zu mir hinüber und gibt mir einen zärtlichen Kuss. »Halt doch einfach die Klappe, Josy. Und wer weiß, vielleicht habe ich ja sogar eine Ortungsapp darauf installiert, damit du mir nicht wieder verloren gehst.«
»Hast du nicht!«, protestiere ich. »Sag, dass das nicht wahr ist.«
»Natürlich nicht«, gluckst er, doch ich bin mir nicht sicher, ob er da nicht flunkert.
Zusammen mit Jannis schaffe ich es schnell, das neue Handy in Betrieb zu nehmen, und ich bin jetzt schon ganz verliebt in das neue Gerät. Doch nach einer halben Stunde bekomme ich Kopfschmerzen und auch meine Rippe meldet sich immer schmerzhafter. Jannis bugsiert mich auf sein Sofa und packt mich in eine Decke ein.
»Brauchst du noch irgendwas?« Er hockt sich neben mich und schaut mich liebevoll an. Ich weiß jetzt schon, dass ich mich daran durchaus gewöhnen könnte.
»Vielleicht eine Schmerztablette«, bitte ich ihn. Als er damit zurückkehrt, halte ich seine Hand fest. »Ich weiß gar nicht, wie ich dir für das alles hier danken kann.«
»Werde schnell wieder gesund, Josy. Das ist der einzige Gefallen, um den ich dich bitte.«
»Ich gebe mein Bestes«, verspreche ich ihm hoch und heilig.
Dann muss ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffne, sehe ich, dass er mit seinem Laptop neben mir auf dem Sofa sitzt und zu arbeiten scheint. Ich betrachte ihn eine ganze Weile verzückt. Womit hab ich eigentlich diesen schönen Mann verdient?
Als Jannis merkt, dass ich ihn beobachte, lächelt er mich an.
»Hey Prinzessin. Schon wieder wach?«
»Hab ich lange geschlafen?«, murmele ich.
»Knapp zwei Stunden.«
»Echt? Oh … Das hätte ich gar nicht gedacht.« Ich will mich aufsetzen, sofort ist Jannis an meiner Seite und stopft mir ein Kissen in den Rücken.
»Geht es?«
»Ja, vielen Dank. Du bist ja wirklich sehr fürsorglich.« Ich packe ihn am Halssaum seines T-Shirts und hauche ihm einen Kuss auf die Lippen. »Du weißt schon, dass man sich sehr leicht an diese Behandlung gewöhnen kann?«
»Das solltest du aber nicht tun, Baby. Sobald es dir wieder besser geht, werden andere Seiten aufgezogen«, raunt er mir zu. »Und glaub mir, ich kann es kaum erwarten, dich wieder etwas härter anzupacken.«
Ich ziehe fragend die Augenbrauen hoch. »Ach ja?«
»Oh ja. Sei dir da mal sehr sicher.«
Ich greife nach meinem Laptop. Da ich im Krankenhaus weder einen Fernseher noch ein Handy hatte, bin ich neugierig, was es Neues in der Welt und im Netz gibt. Doch bevor ich ihn anschalten kann, hält Jannis meine Hand fest.
»Josy, du solltest wissen, dass sehr viel über deinen Fall berichtet wurde. Die Zeitungen haben sich auf die Geschichte gestürzt.«
»Oh …« Ich schlucke kurz, damit hätte ich wahrscheinlich rechnen müssen, aber bisher habe ich daran noch nicht einen Gedanken verschwendet.
»Na ja, die Vermisstenmeldung ging ja durch die sozialen Medien und die Presse. Und natürlich wollen jetzt alle wissen, wie es dir ergangen ist. Und auch über den Angriff der zwei Arschlöcher wird berichtet.«
»Okay.« Ich überlege kurz, ob ich mir das tatsächlich alles durchlesen will. Aber dann ist die Neugier doch zu groß. »Danke für die Vorwarnung.«
Jannis nickt nur, sagt aber nichts weiter dazu.
Ich bin wirklich sprachlos, wie mein Fall ausgeschlachtet wurde. Aber es wird fair berichtet und auch in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke gibt es fast nur nette Postings. Dafür bekommt eine Marlene S. ganz schön ihr Fett weg. Und das geht mir runter wie Öl.
Nach einer halben Stunde melden sich aber wieder meine Kopfschmerzen und ich lege den Laptop weg.
»Na? Genug gelesen?«, erkundigt sich Jannis. Er hockt sich neben mich und reibt mir zärtlich über die Schläfen. »Was macht der Kopf?«
»Es ist anstrengend, so lange zu lesen«, jammere ich.
»Das sollst du ja auch nicht. Denk an die Worte von Dr. Hilscher.«
»Ja, Chef.«
»Chef? Hey, das gefällt mir.«
»Das glaub ich dir aufs Wort.«
»Wir müssen übrigens noch ein paar Dinge besprechen, Josy. Deine Freundinnen wollen dir beim Duschen und Schönmachen helfen. Ich hab zwar gesagt, dass das nicht nötig ist, weil ich das alles hervorragend selbst kann, aber sie bestehen darauf, dass sie das übernehmen. Falls es dir denn recht ist.«
Ich brauche darüber nicht lange nachzudenken. Auf Jannis’ Gesellschaft unter der Dusche lege ich nur in ganz bestimmten Situationen wert, bei den alltäglichen Dingen sind mir meine Mädels lieber.
»Okay, ich melde mich gleich in der Gruppe bei ihnen.«
Er macht ein übertrieben beleidigtes Gesicht. »Du willst das echt in Anspruch nehmen?«
»Natürlich. Mia ist Krankenschwester, Jannis. Und ehrlich gesagt gibt es Dinge, die mir zu intim sind, um sie mit dir zu teilen.«
»Aber mit deinen Freundinnen schon?«
»Das ist so ein Frauending.« Ich fahre ihm mit den Fingern durch die Haare. »Du musst das nicht verstehen.«
»Okay«, seufzt er auf. »Dann möchte ich, dass Professor Meier nach dir sieht. Oder bevorzugst du einen anderen Arzt?«
»Nein, das ist in Ordnung«, stimme ich zu.
Während Jannis telefoniert, rufe ich bei meinem Chef an. Er freut sich überschwänglich, von mir zu hören, und nimmt mir das Versprechen ab, erst wieder zur Arbeit zu kommen, wenn ich wirklich ganz gesund bin. Ich bin gerührt von seiner mitfühlenden Art. Bisher kannte ich ihn eher als nüchternen und fast schon ein wenig emotionslosen Menschen.
»Wer könnte mir morgen beim Duschen und Haarewaschen helfen?« , frage ich kurz darauf die Einhörner per Gruppenchat.
»Ich habe Spätschicht« , antwortet Mia prompt. »Passt es um 10 Uhr?«
»Perfekt, ich danke dir.«
»Wirst du gut gepflegt?« , will Caitleen wissen.
»Die Versorgung funktioniert optimal« , versichere ich ihnen.
»Wenn er so gut ist, würde ich ihn mir auch mal als Krankenpfleger ausleihen« , schreibt Lena – und alle anderen pflichten ihr mit vielen Lachsmilies bei.
Es ist herrlich, mit ihnen zu schreiben. Erst jetzt fällt mir auf, wie sehr ich das alles vermisst habe. Und wie schön Normalität sein kann.
fleuron
Tami sieht mich mit großen Augen an, wir haben einen Videochat gestartet. »Oh mein Gott, Josy. Wie siehst du aus?«
»Ich hoffe, dass die blauen Flecken in ein paar Tagen weg sind«, klage ich ihr mein Leid.
»Das wünsche ich dir auch. Hast du das alles schon verarbeitet?«, fragt sie mitfühlend.
»Nein«, antworte ich ehrlich. »Es … es kommt mir alles irgendwie unwirklich vor.«
»Meine Schwester kennt eine sehr nette Therapeutin. Wenn du magst, schicke ich dir mal ihre Adresse.«
»Das wäre nett. Danke.«
»Keine Ursache. Und melde dich, wenn dir danach ist, okay? Bis dahin halte ich hier die Stellung.«
»Okay.«
Als ich das Gespräch beende, rufe ich noch bei meinen Eltern und Jonas an. Mittlerweile glüht mein neues Handy fast, so viel habe ich jetzt telefoniert.
Jannis kommt schwer bepackt ins Wohnzimmer, wo ich wie eine Königin auf seinem Sofa residiere.
»Hi, ich konnte mich nicht entscheiden«, sagt er, als er die verführerisch duftenden Tüten auf dem Esstisch abstellt.
»Und deswegen hast du direkt den ganzen China-Imbiss leergekauft?« Ungläubig starre ich auf die vielen Kartons, die er jetzt zutage fördert.
»Na, ich wusste doch nicht, was meiner Prinzessin schmeckt.«
»Äh, ich habe dir gesagt, was mir schmeckt.« Ich rappele mich vom Sofa auf und gehe zum Tisch. »Das können wir doch unmöglich alles aufessen.«
»Ich bin morgen wahrscheinlich etwas länger in der Agentur. Du kannst es dir ja dann noch einmal aufwärmen.«
Nach dem Essen werde ich sehr schnell müde und beschließe, ins Bett zu gehen. Zu meiner Überraschung schließt sich Jannis mir an.
»Machst du das mir zuliebe? Also, du musst nicht extra wegen mir früh schlafen gehen.«
»Nein, du wirst staunen, Josy: Ich habe ebenfalls Schlaf nachzuholen.«
»Okay.« Innerlich freue ich mich aber darüber. Ich hatte mich so danach gesehnt, wieder neben ihm einschlafen zu können. Wie oft habe ich mich mit den Gedanken an seine Nähe getröstet? Ich kann es gar nicht mehr zählen.
»Wie kann ich dich anfassen, ohne dass es dir wehtut?«, fragt er dann, als wir zusammen im Bett liegen.
Ich nehme seine Hand und platziere sie auf meiner Hüfte. »Hier sind keine Hämatome. Die ganze Rippengegend ist noch empfindlich.«
»Darf ich mal sehen?«, fragt er mit treuherzigem Blick und zupft an meinem Shirt.
»Was? Die blauen Flecke?« Eigentlich ist mir das gar nicht recht. Mein Oberkörper ist kein schöner Anblick. Der Bereich um die Rippen schimmert in einem dunklen Violettton und auch der ganze Bauchraum ist noch voller Hämatome.
»Ja.«
»Es sieht noch etwas wüst aus. Schlimmer als es ist. Also da gibt es eigentlich nichts zu sehen, Jannis.«
»Wenn es dir nicht recht ist, dann ist das auch okay, Josy.« Doch er sieht mich immer noch so bittend an, dass ich schließlich zustimme.
»Okay.« Ich lege mich auf den Rücken und schiebe das Shirt nach oben. Jannis zieht scharf die Luft ein, als er die Hämatome sieht.
»Diese Scheißkerle!« Er fährt sich mit den Fingern durch die Haare. »Ich würde sie am liebsten umbringen!«
»Sie werden ihre Strafe schon bekommen.« Ich will das Shirt wieder hinunterschieben, doch er hält meine Hand fest. Jannis beugt sich über mich und haucht mir federleichte Küsse auf die geschundene Haut. Auch die Brüste lässt er nicht aus, und trotz der Wunden bekomme ich eine Gänsehaut. »Ich kann es kaum erwarten, dich wieder zu lieben«, flüstere ich.
Jannis seufzt inständig auf. »Frag mich mal, Josy.«
Dann schiebt er mein Shirt wieder herunter und zieht mich in seine Arme. »Ich habe dich wahnsinnig vermisst. Ich habe kaum ein Auge zugemacht, als du verschwunden warst. Meist habe ich im Wohnzimmer gepennt und das auch nur kurz. Ich hatte immer Angst, dass ich es sonst nicht mitbekommen würde, wenn es an der Tür klingelt. Es ist im Nachhinein natürlich bescheuert, aber ich hatte die Hoffnung, dass du auf einmal vor meiner Tür stehst.«
»Mir wäre es genauso ergangen«, sage ich leise.
»Schlaf gut, Prinzessin. Du siehst müde aus.« Er streicht mir zärtlich durchs Gesicht und haucht mir einen Kuss auf die Lippen.
»Du auch. Könntest du das Licht anlassen, bitte?«
»Hast du sonst Angst?«
»Ich … also, mir wäre es lieber«, gestehe ich ihm.
Ich drehe mich auf die Seite und versuche, eine halbwegs akzeptable Position zu finden. Jannis schmiegt sich eng an mich und legt die Hand auf meine Hüfte. Seine Finger wandern allerdings ein bisschen unter den Stoff meines Slips und ich muss kichern.
»Was ist?«, raunt er mir zu.
»Das erinnert mich an die ›Hombre‹-Werbung«, gluckse ich.
»Erinnere mich nicht daran. Ich war ein Muster an Selbstbeherrschung.« Auch Jannis fängt an zu lachen.
»Was danach kam, war die wunderbarste Zeit in meinem Leben«, gestehe ich ihm. Da ich ihn nicht anschauen muss, fällt es mir leichter, darüber zu reden.
»Geht mir genauso, Josy. Du bist eine tolle Frau und ich hätte niemals geglaubt, dass ich mich in so kurzer Zeit so dermaßen in jemanden verlieben könnte.«
Für einen Moment glaube ich fast, mich verhört zu haben. Hat er das jetzt wirklich gesagt, oder will ich das nur mit aller Macht gehört haben?
»Kannst … kannst du das noch einmal sagen?«, bitte ich ihn.
Jannis dreht mich vorsichtig zu sich herum. »Was meinst du genau?«
»Das mit dem Verlieben natürlich.« Ich sehe ihm lange in die Augen, versuche zu ergründen, ob er mir die Wahrheit sagen wird.
»Ich liebe dich, Josy.« Der Ausdruck in seinen Augen wird ganz weich und ich fühle mich, als würde ich schweben.
»Ich liebe dich auch, Jannis. Wie verrückt«, schlucke ich.