38
»Ich kapier es einfach nicht!« Jannis schaut mich verständnislos an. Wir führen jetzt seit gefühlt drei Stunden diese Diskussion, aber er scheint mich nicht zu verstehen – oder verstehen zu wollen.
»Was ist daran so schwer nachzuvollziehen?« Ich setze mich wieder neben ihn aufs Sofa und schmiege mich an ihn. »Seit zwei Wochen wohne ich jetzt hier bei dir. Und ich kann dir gar nicht genug dafür danken, dass du mich in dieser Zeit aufgenommen hast. Aber ich muss auch mal wieder nach Hause«, sage ich sanft.
»Du kannst deinen linken Arm doch noch gar nicht richtig bewegen«, knurrt er. »Wie willst du dich versorgen?«
»Hier bin ich doch auch den ganzen Tag allein, Jannis. Und abends könnte doch mein ungemein sexy aussehender Freund vorbeikommen …«
»Hör auf, die Masche zieht nicht!« Jannis schiebt mich von sich und sieht mir eindringlich in die Augen. »Dein ungemein sexy aussehender Freund kann dir auch genauso gut hier deinen hübschen Po hinterhertragen.«
»Siehst du! Du sagst es ja selbst! Po hinterhertragen! Damit muss jetzt Schluss sein. Ich muss endlich wieder selbstständiger werden!«
»Ich hab kein gutes Gefühl dabei.« Jannis fährt sich mit den Fingern durch die Haare. »Du könntest hinfallen oder dich verletzen oder so was.«
»Jannis, ich habe mir nur den linken Arm gebrochen. Ansonsten funktioniert mein Körper einwandfrei. Auch die Rippe schmerzt nicht mehr so stark.«
»Ich seh das anders …« Er verschränkt die Arme vor seiner Brust und macht ein bockiges Gesicht. »Dass ich einmal einer Frau so auf die Nerven gehen muss, damit sie bei mir wohnen bleibt, ist mir auch noch nie passiert!«
»Komm damit klar«, grinse ich.
»Nein, genau das werde ich nicht!« Er sieht plötzlich sehr entschlossen aus, dann steht er auf und lässt mich im Wohnzimmer allein. Verdutzt schaue ich ihm nach.
Was hat er denn jetzt vor?
Er kehrt kurz darauf ins Wohnzimmer zurück, doch anstatt sich neben mich aufs Sofa zu setzen, kniet er sich vor mich hin.
»Also gut, du lässt mir mit deiner Sturheit ja keine andere Wahl …«, seufzt er theatralisch und verdreht die Augen. »Das Ganze hier hatte ich komplett anders geplant. Ich wollte mit dir wegfahren, wenn du wieder ganz gesund bist. Also denk dir jetzt bitte den romantischsten Ort, den du dir vorstellen kannst … Geht das?«
Ich schaue ihn ungläubig an, die Situation kommt mir immer komischer vor.
»Josy, antworte mir. Hast du so viel Fantasie? Gibt es einen Ort?«, hakt er streng nach. Er lässt mich nicht aus den Augen und ich versuche, mich auf seine Worte zu konzentrieren.
»Äh, ja … also schon. Hier ist es doch romantisch, finde ich. Also der Blick auf den Dom, das … das ist perfekt«, stammele ich und deute kurz auf meinen Lieblingsausblick.
»Okay.« Er atmet noch einmal tief durch, dann nimmt er meine Hände. »Josy, auch wenn das jetzt vielleicht sehr
überraschend für dich kommt, so habe ich es mir dennoch gut überlegt. Wir sind noch nicht lange ein Paar, aber trotzdem haben wir schon eine Menge zusammen durchgemacht«, sagt er und seine Stimme wird immer rauer. »In der Zeit, als du entführt worden bist, bin ich durch die Hölle gegangen und mir ist klargeworden, dass du mir unendlich viel bedeutest und dass mein Leben ohne dich einfach scheiße wäre …«
Mir wird heiß und kalt zugleich.
Wird das hier …? Das wird doch kein …? Oder doch …?
»Ich liebe dich, Josy. Ich liebe dich so sehr, dass ich dich einfach immer um mich haben möchte. Und zwar am liebsten auf Lebenszeit. Du könntest zwar jetzt sagen, dass du eine Nervensäge bist und manchmal auch echt anstrengend. Und dass dein Hang zu merkwürdigen Verkleidungen für einen gebürtigen Münchner wie mich auf Dauer befremdlich werden könnte, aber all das werde ich tapfer in Kauf nehmen. Also, ich bin jedenfalls zu dem Entschluss gekommen, dass ich damit leben könnte. Heirate mich, Josy. Okay?«
Ich kann ihn nur anstarren, meine Gesichtszüge entgleisen, und ich sehe wahrscheinlich einfach nur unfassbar dämlich aus. Aber mein Herz überschlägt sich und hat schon viel schneller als mein Kopf erfasst, was hier gerade geschieht.
»Du … du hast mir gerade einen Heiratsantrag gemacht, oder?«, frage ich ihn fassungslos.
»Ja. Und eigentlich hatte ich jetzt keine Gegenfrage erwartet«, schluckt Jannis.
»Ja, aber ich meine … also, hast du dir das gut überlegt? Ja?«
»Hast du mir gerade nicht zugehört? Doch ja, ich habe es mir gut überlegt«, knurrt er ungeduldig. »Und für eine Antwort wäre jetzt der perfekte Augenblick.«
Mit einem Schlag realisiere ich, dass das der bisher schönste Augenblick in meinem Leben werden könnte. Mir schießen die
Tränen in die Augen und ein wahnsinniges Glücksgefühl strömt durch meinen Körper.
»Ja, also … ja, ich will dich heiraten, Jannis«, krächze ich.
»Gott sei Dank!«, stößt er hervor, dann strahlt er mich so umwerfend an, dass mir noch ein paar Grad wärmer wird.
Ich rutsche vom Sofa und knie mich vor ihn hin. »Es ist zwar irgendwie auch total irre, aber ich liebe dich über alles.«
Er zieht mich in seine Arme, dann bedeckt er mein Gesicht mit Küssen. »Du wirst es nicht bereuen, Josy.«
»Aber du vielleicht«, schluchze ich.
»Kann schon sein. Aber das ist mir egal, Prinzessin.« Dann sieht er mir in die Augen und plötzlich müssen wir beide lachen. »Was läuft schon normal bei uns beiden?«
»Und, hey, warte.« Jannis schiebt mich sanft von sich und kramt in seiner Jeanstasche. »Das Wichtigste hätte ich jetzt fast vergessen.«
Ich schaue ihn verwirrt an. Was kann denn noch wichtiger sein als sein Antrag?
Jannis fummelt umständlich einen Ring heraus und nimmt meine Hand. »Okay, ich hoffe, er gefällt dir«, sagt er, als er ihn mir ansteckt. Ich spüre, dass er aufgeregt ist, denn er hantiert sehr umständlich mit meinem Finger herum.
»Verdammt, ich dachte, das würde leichter gehen«, seufzt er auf, doch dann hat er es geschafft und ich betrachte staunend den Ring an meinem Finger. Besonders fasziniert mich der funkelnde, in Herzform geschliffene Stein. Ich wage gar nicht daran zu denken, dass der womöglich echt sein könnte. So etwas Kostbares habe ich noch nie besessen.
»Gefällt er dir?«, fragt er hoffnungsvoll.
»Ob … ob er mir gefällt?« Prompt fange ich wieder an zu heulen. »Natürlich gefällt er mir. Er … er ist wunderschön«, stammele ich.
»Gott sei Dank.« Jannis wischt sich imaginären Schweiß von der Stirn. »Ich war mir nicht sicher, ob er nicht zu klassisch ist. Aber schrille Verlobungsringe sind schwer zu finden.«
»Danke«, sage ich nur, mehr bringe ich im Moment einfach nicht heraus.
»Dann müssen wir uns mal Gedanken machen, wann wir heiraten wollen.« Jannis greift nach meiner Hand und zieht mich wieder aufs Sofa. »Wie wäre es im Sommer?«
»Dieses Jahr?« Ich kann es irgendwie immer noch nicht fassen, dass ich diesen tollen Mann tatsächlich heiraten werde. Aber es ist real – Wahnsinn!
»Na, hör mal!« Jannis schaut mich böse an. »Soll das ein Witz sein? Natürlich in diesem Jahr!«
»Ja, natürlich … perfekt. Ja, Sommer ist cool.« Ich fühle mich von den Ereignissen gerade ein wenig überrollt.
»Josy, ich weiß, ich habe dich gerade überrumpelt. Wenn du mehr Zeit brauchst, ist das auch okay.« Er streichelt zärtlich mein Gesicht. »Du hast viel durchgemacht, ich will dich nicht zu etwas drängen, wenn du dir nicht sicher bist.«
»Ich bin mir sicher, Jannis. Das kommt alles nur ein bisschen überraschend. Ich hätte nie damit gerechnet. Und irgendwie habe ich Angst, dass es nur ein Traum ist und gleich das böse Erwachen kommt.«
»Soll ich dir beweisen, dass es kein Traum ist?« Er packt mich im Nacken und zieht meinen Kopf zu sich. Dann küsst er mich so leidenschaftlich, dass mir die Luft wegbleibt. »Und das ist erst der Anfang.«