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Der weitere Abend verläuft entspannt und fröhlich. Ich habe es nicht anders erwartet, dafür kenne ich meine Familie zu gut. Aber natürlich freue ich mich für Jannis, dessen Anspannung immer mehr nachlässt. Auch Jonas habe ich seine flapsigen Bemerkungen längst verziehen.
Als wir zu Hause ankommen, atmet Jannis hörbar auf. »Gott sei Dank, das habe ich überstanden.«
»Oh, armer Hombre. War es so schlimm?« Ich hauche ihm einen Kuss auf den Mund. »Du warst so tapfer.«
»Ja, war ich auch. Deine Familie hat einen etwas, äh, merkwürdigen Humor, daran muss ich mich noch gewöhnen.«
»Komm damit klar.«
Doch jetzt habe ich alle Zeit der Welt, um nervös zu werden. Jannis hat den Antrittsbesuch bei meinen Eltern hinter sich, nun wartet das Gleiche auf mich. Und dass ich seine Familie nicht kenne, macht die Sache umso schwieriger.
Fieberhaft überlege ich schon, was ich anziehen soll. Sein Vater ist Anwalt. Ob sie eher konservativ sind?
Ich bitte Sarah, mir am nächsten Tag beim Haaremachen und Stylen zu helfen. Mit der Armschiene kann ich das noch nicht so gut und Jannis ist da nur bedingt eine Hilfe.
»Hallo Süße. Na, lass dich anschauen.« Sarah mustert mich kritisch von oben bis unten, als sie am nächsten Tag in Jannis’ Wohnung auftaucht. Zu meiner großen Überraschung hat sie Paul im Schlepptau. Die beiden führen immer noch eine On/Off-Beziehung, sodass niemand der Einhörner genau weiß, wie gerade der Status quo zwischen ihnen ist.
»Ja, du siehst doch schon wieder ganz vorzeigbar aus«, sagt sie zufrieden. »Und jetzt kommt also der große Antrittsbesuch?«
»Ja, genau«, antworte ich zerknirscht. Ich bin mindestens genauso aufgeregt wie Jannis gestern, wenn nicht sogar noch schlimmer.
»Und da ist ja auch der Bräutigam«, grinst sie Jannis an, der gerade aus seinem Arbeitszimmer kommt. Wie erwartet ist er auch ganz überrascht, dass Paul dabei ist. Die beiden Männer verschwinden direkt im Wohnzimmer und ich ziehe Sarah ins Bad.
»Ich wusste gar nicht, dass Paul mitkommt«, sage ich verdutzt.
»Ich dachte, ich nehme ihn mit, dann kann er Jannis beschäftigen und dein Lover geht uns nicht auf die Nerven«, gluckst Sarah. Und ich bewundere sie für ihre Weitsicht.
»Also, wie wird dein Outfit?«
»Jannis meint, seine Eltern wären ganz locker. Aber deswegen möchte ich nicht unbedingt in einer zerrissenen Jeans dort aufkreuzen.« Ich kaue aufgeregt auf meiner Unterlippe herum. »Ich dachte an eine schwarze Hose und eine Tunika oder so etwas in der Art?«
»Klingt doch gut.« Sarah nickt zufrieden. »Dann lass uns mal loslegen.«
Sarah verpasst mir sogar noch eine Maniküre, als wir mit dem Standardbeautyprogramm durch sind, dann hilft sie mir beim Anziehen und Schminken.
»Ich danke dir«, sage ich erleichtert, als ich mich anschließend im Spiegel betrachte. »Das hätte ich alleine nie hinbekommen.«
»Ist doch selbstverständlich.« Sarah umarmt mich herzlich. »Komm, lass uns mal schauen, was die Kerle machen.«
Als wir das Wohnzimmer betreten, reckt Paul den Daumen nach oben. »Siehst gut aus, Josy.«
»Na, das hätte ich auch hinbekommen. Dafür hättest du nicht kommen müssen«, sagt Jannis betont arrogant.
»Warte mal ab, wie wir Josy für den Junggesellinnenabend aufbrezeln werden«, entgegnet Sarah fröhlich.
Jannis’ Miene verfinstert sich augenblicklich. »Junggesellinnenabend? Das höre ich zum ersten Mal.«
»Das macht ja nichts. Dafür weißt du es jetzt«, kichert meine Freundin. »Ihr zieht ja wohl auch los, oder?«
»Na klar«, antwortet Paul mit einem breiten Grinsen. »Das ist ja wohl klar.«
»Wo wollt ihr denn hin?«, knurrt Jannis.
»Als ob wir euch das sagen würden.« Sarah setzt sich bei Paul auf den Schoß und zwinkert ihm zu. »Wir werden schon was Nettes finden für die liebe Josy.«
Ich beschließe, lieber nichts dazu zu sagen. Schließlich war ich ebenfalls schon Anstifterin bei diversen Junggesellinnenabschieden, zuletzt bei Sarahs Schwester, und darf mich also nicht beschweren.
Und wenn ich mir Pauls Grinsen anschaue, dann kann ich mir schon denken, was sie für Jannis planen. Nicht umsonst gibt es hier in der Stadt eines der größten Kaufhäuser Europas. Da wird sich sicherlich w as »Interessantes« für den Herrenabend finden.
Doch ich bin froh, dass Paul und Sarah da sind. Ihr fröhliches Geplapper lenkt mich von meiner Nervosität ab. Die ist aber schlagartig wieder da, als sie sich nach einer Stunde verabschieden und Jannis und ich aufbrechen müssen.
Ich atme tief durch, als wir vor dem Haus von Jannis’ Eltern stehen. Es liegt in einem vornehmeren Viertel von Köln und sieht sehr modern aus.
»Mein Vater steht auf klare Linien«, erklärt Jannis mir. »Das Haus ist sehr puristisch eingerichtet. Dagegen ist meine Wohnung schon fast kitschig. Also erschrick nicht, wenn du kaum Möbel siehst. Sie sind nicht eben erst eingezogen, das ist so beabsichtigt.«
»Oh …« Was Gescheiteres fällt mir im Moment nicht ein und ich habe auch keine Zeit, darüber nachzudenken, denn die Tür wird schon geöffnet und eine sehr gepflegt aussehende Frau empfängt uns. Ich erkenne sie sofort, das kann nur Jannis’ Mutter sein, denn sie hat die gleichen tiefbraunen Augen und ebenso dunkle Haare. Nur sind ihre von ein paar feinen grauen Strähnen durchzogen. Sie ist schlank und trägt ein perfekt sitzendes Kostüm, meine Aufregung wächst.
»Jannis und Josephine. Wie schön, dass wir Sie endlich kennenlernen«, sagt sie zu mir und reicht mir die Hand.
»Hallo, Frau Voigt. Ich freue mich auch sehr.« Etwas schüchtern reiche ich ihr den Strauß mit den Orchideen. »Ich hoffe, sie gefallen Ihnen.«
»Die sind ganz wunderbar. Aber kommt doch rein.«
Jannis hat mit seiner Beschreibung nicht übertrieben. Alles sieht sehr klinisch aus, die Eingangshalle ist weiß gefliest, auch die Wände sind so gestrichen. Nur eine schwarze Kommode sticht heraus.
Gut, dass du weiße Orchideen genommen hast , schießt es mir durch den Kopf. Alles andere würde nicht ins Farbkonzept passen.
Sie führt uns ins Wohnzimmer, wo auf einer schwarzen Couch schon Jannis’ Vater wartet. Er kommt mit einem netten Lächeln auf uns zu und begrüßt mich ebenso herzlich. Er trägt eine Jeans und ein schwarzes Hemd, das über die Hose fällt, scheinbar mag er es legerer als seine Frau.
»Grüß Gott, Josephine. Willkommen in unserem bescheidenen Heim.«
»Hallo, Herr Voigt. Äh, grüß Gott und so meine ich natürlich«, stammele ich aufgeregt.
»Ich habe etwas zu essen vorbereitet. Kommt doch bitte«, fordert uns Jannis’ Mutter auf. Ich bezweifle zwar, dass ich überhaupt einen Bissen hinunterbekomme, aber vielleicht lenkt mich das Essen von meiner Nervosität ab.
Als ich den Topf mit Weißwürsten und Brezeln auf dem Tisch sehe, bin ich verblüfft. Jannis fängt meinen ungläubigen Blick auf und lächelt mir zu.
»Was hast du erwartet?«, flüstert er mir ins Ohr.
»Molekularküche, wenn ich ehrlich bin«, antworte ich.
Er fängt leise an zu lachen, dann rückt er mir einen Stuhl zurecht.
»Es gibt gleich noch einen Braten. Mögen Sie Weißwürste?«, fragt mich seine Mutter.
»Ja, natürlich.« Ich gebe mich tapfer, dabei hasse ich die Dinger, aber es wäre wohl nicht von Vorteil, das zuzugeben. Schließlich will ich mich von meiner besten Seite zeigen.
»Wie geht es Ihnen denn?«, fragt Jannis’ Mutter mitfühlend. »Sie haben ja eine Menge durchgemacht.«
»Danke, so weit ganz gut. Nur eine Rippe schmerzt noch ein bisschen, die restlichen Verletzungen sind verheilt.«
»Es ist furchtbar, was passiert ist. Wir möchten, dass Sie wissen, dass wir vollumfänglich hinter Ihnen stehen. Ich weiß nicht, ob Jannis erzählt hat, dass ich Partner in einer großen Anwaltskanzlei bin. Wenn Sie also Hilfe benötigen, stehen wir Ihnen zur Verfügung.«
Ich sehe ihn mit großen Augen an. Das Angebot ist wirklich toll, ich hatte sowieso schon überlegt, als Nebenklägerin aufzutreten. »Vielen Dank, das wäre mir wirklich eine große Hilfe.«
»Ich werde alles in die Wege leiten. Wir haben zwei junge Kollegen, die sehr gut sind. Ich bin auf dem Gebiet nicht spezialisiert, aber ich kann Ihnen versichern, dass Sie bei den beiden in besten Händen sind«, lächelt er mir zu.
Ich atme tief durch und entspanne mich ein wenig. Jannis’ Eltern scheinen wirklich nett zu sein. Und der Hauptgang ist auch mehr nach meinem Geschmack. Bei dem Braten muss ich mich nicht verstellen, er schmeckt sehr gut.
»Josephine, wir waren so schockiert, als Jannis uns erzählt hat, dass Marlene hinter dem Ganzen steht«, sagt seine Mutter. »Wir kennen sie nur als nette und zuvorkommende Person.«
»Hm, ja. Offenbar konnte sie sich gut verstellen«, antworte ich.
»Sie war ein paarmal hier und hat auch immer ihre Hilfe angeboten. Jetzt, im Nachhinein betrachtet, wollte sie sich offenbar nur bei uns beliebt machen. Wohl um Jannis näherzukommen. Ich fand das damals schon überzogen, dass sie hier ständig angerufen hat ohne triftigen Grund. Aber wer hätte denn ahnen können, dass ihre Liebe zu dir solche Ausmaße annimmt«, seufzt Helene Voigt.
»Das war keine Liebe, Mutter. Marlene ist krank«, knurrt Jannis.
»Ja, das stimmt wohl. Schlimme Geschichte, ganz schlimm.«
Seine Mutter wirkt ehrlich mitgenommen und ich kann das durchaus nachvollziehen.
Jannis greift nach meiner Hand und zwinkert mir unmerklich zu. Jetzt bin ich schlagartig wieder aufgeregt. Scheinbar kommt nun die große Offenbarung.
»Wir möchten euch noch etwas sagen«, beginnt er dann. »Ich habe Josy gefragt, ob sie mich heiraten möchte – und sie hat Ja gesagt.« Erwartungsvoll schaut er seine Eltern an. Die beiden sehen uns zunächst nur verblüfft an, der Vater gewinnt als Erster die Fassung wieder.
»Junge, Junge. Das ist aber eine Überraschung! Was sagt man denn dazu?« Er wirft seiner Frau einen kurzen Blick zu, dann lächelt er mich aber lieb an. »Nun, da kann man ja nur gratulieren. Ich glaube, Jannis hat einen guten Geschmack.«
»Das … das ist wirklich … überraschend«, stammelt seine Mutter. Dann strafft sie aber die Schultern und steht von ihrem Stuhl auf. »Josephine, ich freue mich, Sie in unserer Familie willkommen zu heißen.«
»Geht es noch förmlicher, Lenchen?«, lacht Martin Voigt auf. Er kommt ebenfalls zu mir und nimmt mich fest in die Arme. »Das freut mich für euch, ehrlich. Vor allem, weil wir dachten, dass Jannis nie heiraten wird.«
»Nach den letzten Reinfällen wollte ich das auch nicht. Und dann kam Josy«, grinst Jannis ihn an.
»Tja, so kann es gehen. Man kann sich nicht aussuchen, wann man sich in wen verliebt. Das ging jetzt zwar schnell mit euch, aber das soll keine Wertung sein. Das steht uns sowieso nicht zu.«
Helene Voigt tupft sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln, doch dann strahlt sie uns an. »Ich freue mich. Ich freue mich wirklich.«
Mir fällt ein Gebirge vom Herzen. Nach der ersten und durchaus nachvollziehbaren Überraschung haben sich seine Eltern rasch erholt. Und nach dem Essen wird die Stimmung auch immer gelöster. Jannis’ Vater entpuppt sich als witziger Erzähler mit einem tiefschwarzen Humor, der seine Ehefrau öfters auf liebevolle Weise hochnimmt. Als wir uns verabschieden, sind wir alle per Du und eine Einladung in das Wochenendhaus in Bayern ist ebenfalls ausgesprochen.
»Siehst du, deine Aufregung war ganz umsonst.« Jannis gibt mir einen langen Kuss, als wir später im Auto sitzen.
»Ja, das stimmt. Deine Eltern sind wirklich klasse.«
Dann fällt mir wieder ein, was Helene erzählt hat. »Aber dass Marlene sich so an deine Mutter rangewanzt hat … das sieht ihr ähnlich.«
»Ja, sie wollte sich wohl einschleimen und sie auf ihre Seite ziehen. Ich weiß wirklich nicht, was in ihrem Kopf vorgeht. Ich hoffe nur, man kann ihr in der Klinik helfen.«
Ich ziehe es vor, darauf nicht zu antworten. Was ich Marlene an den Hals wünsche, sag ich lieber nicht. Und ehrlich gesagt, ist es mir auch egal, ob man ihr helfen kann oder nicht. Hauptsache, sie ist weggesperrt.
Vielleicht habe ich irgendwann eine andere Sicht auf die Geschehnisse. Vielleicht kann ich ihr eines Tages verzeihen. Im Moment ist das allerdings undenkbar für mich.
Morgen habe ich den ersten Termin bei der Therapeutin. Womöglich kann sie mir einen Weg aufzeigen, mit allem umzugehen und Abstand zu gewinnen.
Als wir zurück in Jannis’ Wohnung sind, zieht er mich auf den Balkon. Die Abenddämmerung hat gerade eingesetzt und taucht den Himmel in die verschiedensten Rottöne. Er zückt sein Handy und richtet es auf uns. »Darf ich?«, fragt er mich leise.
»Du willst ein Foto von uns? Ja, klar.«
»Nicht nur das. Ich würde es auch gern posten. Damit auch der Letzte kapiert, dass wir zusammengehören. Ist das okay für dich?«
Das ist wirklich eine gute Frage. Ist es das? Mir kommen wieder die negativen Kommentare in den Sinn. Auch wenn viele von Marlene waren, so war sie nicht für alle verantwortlich. Aber ich will mich auch nicht länger verstecken. Jannis und ich sind ein Paar, wir sind verlobt und wir werden heiraten. Und das sollen gefälligst alle wissen.
»Okay«, antworte ich und hoffe, dass meine Stimme entschlossen genug klingt.
Gespannt schaue ich zu, wie er das Bild in die sozialen Netzwerke einstellt. Darunter schreibt er nur einen Satz. »She said Yes.«