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Die Septembersonne knallte vom Himmel, als Sara Bredow die Wohnung an der Ekersgatan verließ und den Bus in die Stadt nahm. Nicht einmal das kurze Stück konnte sie gehen. In der Nacht war sie mehrere Male aufgewacht und hatte sich Sorgen gemacht. Die anonymen Anrufe, die verschwundenen Rechnungen, die dann beim Gerichtsvollzieher landeten, die Anzeigen beim Jugendamt – es war zu viel in der letzten Zeit passiert, als dass es Zufälle sein konnten. Sie hatte das Gefühl, jemand war darauf aus, ihrer Familie zu schaden, aber sosehr sie auch überlegte, konnte sie doch keine Antwort finden.

Ängstlich und mit dem Gefühl, verfolgt zu werden, beobachtete sie ihre Mitreisenden im Bus. Ein Mann mit Kapuzenjacke und tief heruntergezogener Kappe stieg ein, warf ihr einen Blick zu und setzte sich schräg hinter sie. Das fühlte sich nicht gut an. Könnte er es gewesen sein, der angerufen hatte? Die Anrufe kamen immer von einer verborgenen Nummer und nur, wenn Josef nicht zu Hause war. Die Male, an denen sie rangegangen war, hatte man in der Leitung nichts gehört, außer dass jemand atmete.

Der Bus schaukelte über die von Schlaglöchern übersäte provisorische Fläche an der Stelle, wo die Straße wegen Bauarbeiten umgeleitet worden war. Ab und zu warf Sara einen Blick über die Schulter. Der Mann hinter ihr erwiderte jedes Mal ihren Blick, und sie drehte sich wieder um. Wenn er keine bösen Absichten hatte, musste er sie komisch finden. Was, wenn er meinte, sie würde mit ihm flirten? Sie riss sich zusammen und richtete den Blick geradeaus.

Sara war auf dem Weg zur Krankenkasse, wo sie eine neue Betreuerin treffen sollte, was ein weiterer Grund dafür war, dass sie schlecht geschlafen hatte. Je nachdem, was die Betreuerin entschied, würde sie noch eine Frist bekommen, oder die Familie wäre finanziell ruiniert. Seit bald zwei Jahren war sie wegen Burnout und schwerer mentaler Erschöpfung krankgeschrieben. Bevor ihr Leben in Scherben lag, hatte sie in Vollzeit als Polizistin gearbeitet und war privat eine aktive Person gewesen, die Amateurtheater spielte und viele Freunde hatte. Aber die Arbeit unter der Leitung von Ulf Gunnarsved im Mordfall Camilla Hörlin hatte sie völlig fertiggemacht.

Gleichzeitig war es auch zu Hause eine schwere Zeit gewesen. Moa hatte sich geweigert, nachts zu schlafen, weil sie Angst vor Dackeln unter dem Bett hatte, und Sara hatte sämtliche Nächte übernommen, um ihren Mann Josef zu entlasten, der seinerseits in das IT -Unternehmen, das er zusammen mit seinem Bruder betrieb, stark eingebunden war. Vielleicht hätten sie es auch geschafft, wenn nicht Saras Mutter zur selben Zeit einen Herzinfarkt bekommen und zwischen Leben und Tod geschwebt hätte. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war dann eine anonyme Anzeige beim Jugendamt gewesen. Jemand hatte sie beschuldigt, ihre elterliche Verantwortung für Moa nicht wahrzunehmen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel hatte das Sara getroffen.

Nach einer gründlichen Untersuchung durch das Jugendamt und Wochen schrecklicher Sorge wurde die Anzeige für gegenstandslos erklärt. Doch Sara war am Boden zerstört. Ihr Gedächtnis war beeinträchtigt, alle Codes waren wie ausgelöscht, alle Vereinbarungen und Termine weg. Es war, als wäre sie plötzlich um hundert Jahre oder noch mehr gealtert. Und des Nachts grübelte sie darüber nach, wer sie wohl angezeigt haben könnte. Doch niemand wusste etwas. Niemand gab sich zu erkennen. Seither hatten sie noch zwei weitere anonyme Anzeigen bekommen.

In der ersten Zeit hatte sie wirklich gekämpft, um wieder arbeiten gehen zu können. Manchmal schaffte sie einen halben Tag, manchmal zwei Tage hintereinander, ehe sie wieder zusammenbrach. Ulf Gunnarsved übte Druck aus und deutete an, sie würde simulieren. Dann kam der Tag, an dem das Scheußliche passierte und sie beide zum Chef gerufen wurden. Nein, sie wollte nicht daran denken. Sie musste sich auf den Termin bei der Krankenkasse konzentrieren.

Sara stieg am Schloss aus dem Bus und überquerte die Kreuzung von Fredsgatan und Slottsgatan, wo die Krankenkasse ihre Büros hatte. Sie versuchte sich mental auf das Gespräch vorzubereiten, war aber so gestresst, dass sie sich nicht einmal mehr an den Namen der neuen Betreuerin erinnern konnte, obwohl der in der Terminvereinbarung gestanden hatte. Sie meldete sich an der Rezeption und setzte sich dann hin und wartete. Zu ihrer ersten Betreuerin hatte Sara großes Vertrauen gehabt, doch die hatte gekündigt, weil sie die Entscheidungen der Politiker für weitere Kürzungen im Gesundheitsbereich, die noch mehr Menschen ohne Versicherung und Geld dastehen lassen würden, nicht mittragen wollte. Danach hatte Sara mehr Betreuerinnen kennengelernt, als ihr Gedächtnis noch abspeichern konnte. Die neue, die sie schon einmal gesprochen hatte, schien klug und einfühlsam zu sein. Die Minuten verstrichen, aber das Gehirn stand still. Als Sara schließlich von ihrer Betreuerin abgeholt wurde, war ihr deren Name immer noch nicht eingefallen. Die Frau war um die fünfzig und kräftig gebaut. Sie hatte eine etwas schaukelnde Art zu gehen. Sara wurde in ihr Zimmer gebeten, wo sich jede auf einer Seite des Schreibtischs niederließ. Da fiel ihr der Name ein. Eva Kulitz hieß sie.

Die schwarze Lesebrille der Betreuerin war mit Strass-Steinchen geschmückt und saß wie ein Diadem auf ihrem Haar. Mit einem tiefen Seufzer schob sie sich die Brille auf die Nase und schaute auf den Computerbildschirm vor sich. Sara hatte das Gefühl, als würde sie die unangenehmen Nachrichten, die sie zu überbringen hatte, rausschieben wollen.

»Nun, Sara«, sagte sie schließlich, »was würden Sie sagen, wie läuft es?« Sie schaute weiterhin auf den Bildschirm, ohne Sara anzusehen.

»Etwas besser. Ich hoffe, Anfang nächsten Monats wieder auf 25 Prozent zu kommen. Oder vielleicht Mitte nächsten Monats. Mein Mann übernimmt zu Hause nach wie vor das meiste. Aber ich wünsche mir nichts sehnlicher, als wieder als Polizistin arbeiten und die Hausarbeit zu gleichen Teilen übernehmen zu können.«

»Ich glaube, wir müssen da umdenken. Ich habe Sie heute hierher bestellt, um mit Ihnen über die Aussteuerung des Krankengeldes zu sprechen.«

Einen Moment lang verschwamm alles vor Saras Augen, und sie blinzelte ein paarmal, um den Nebel zu vertreiben.

»Ich verstehe nicht.«

»Das bedeutet im Klartext, dass Sie kein weiteres Geld von der Krankenkasse bekommen.«

»Was sagen Sie? Ich werde kein Geld mehr bekommen? Wovon sollen wir dann leben?«

»Es tut mir leid. Sie haben eine Anstellung als Kriminalinspektorin im Dezernat für Gewaltverbrechen. Wie uns Ihr Arbeitgeber sagte, mit dem wir uns besprochen haben, kann man Ihnen dort keine Arbeit anbieten, die Sie bewältigen könnten. Deshalb muss Ihre Arbeitskraft dem gesamten Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden. Konkret bedeutet das, wenn Sie nicht in Ihrem bisherigen Beruf arbeiten können, müssen Sie sich einen einfacheren Job suchen. Hier in Örebro oder irgendwo anders in Schweden.«

Es war deutlich zu erkennen, dass es Eva Kulitz widerstrebte, diese Entscheidung mitteilen zu müssen. Sara merkte, wie ihr der Boden unter den Füßen wegsackte.

»Sie meinen, ich soll meine Festanstellung bei der Polizei kündigen und mich Arbeit suchend melden? Ich bin krank, ich kann nicht arbeiten.«

»Ja, das meine ich, und es ist eilig. Sowie das Krankengeld ausgesteuert ist, müssen Sie wieder arbeiten gehen oder sich beim Arbeitsamt melden. Ich muss Ihnen dazu sagen, dass es einen riesigen Graben zwischen der Krankenkasse und der Arbeitsvermittlung gibt. Wenn Sie sich Arbeit suchend melden und sagen, dass Sie nicht voll einsatzfähig sind, dann landen Sie in der Kategorie ›Arbeit suchend mit Einschränkungen‹.«

»Was bedeutet das?« Das verhieß nichts Gutes, so viel konnte Sara der Miene der Betreuerin schon ablesen.

»Das bedeutet laut Arbeitsamt, dass man nicht arbeiten kann, und dann verliert man sein nach dem Einkommen berechnetes Krankengeld. Man wird auf null gestellt und bekommt auch in Zukunft kein Krankengeld, selbst wenn man von einer neuen und schlimmeren Krankheit heimgesucht würde oder schon, wenn man nur in Elternzeit ginge. Sie müssen dafür sorgen, dass Sie in Gruppe 10 kommen: ›Aktiv Arbeit suchend ohne Einschränkungen‹. Das ist mein Rat.«

»Das heißt, ich soll lügen und sagen, ich sei gesund, um nicht auf null gestellt zu werden? Ich kann mir keinen Job vorstellen, den ich bewältigen würde. Ich kann mich fünfzehn oder höchstens zwanzig Minuten konzentrieren, dann bin ich völlig fertig. Sie raten mir also zu Schein-Jobs, die es gar nicht gibt. Wie soll ich das schaffen? Wie soll ich meine Tochter versorgen? Bekomme ich denn Sozialhilfe?«

»Während einer Zeit, die Karenzzeit genannt wird, können Sie Unterstützung bekommen, während Sie Dinge von Wert, die Sie besitzen – zum Beispiel Ihr Wohnanrecht und Ihr Auto – verkaufen. Wenn die verkauft sind, dann haben Sie Geld für Ihren Unterhalt.«

Sara dachte fieberhaft nach. »Wir haben für den Bausparvertrag gespart, uns überhaupt nichts gegönnt. Haben Steuern gezahlt.« Sie rang nach Atem und versuchte Argumente zu finden. »Ich begreife es einfach nicht. Ich war doch gerade erst bei meinem Arzt und habe die Krankschreibung verlängert bekommen. Haben Sie die vielleicht noch nicht bekommen?«

Ihr Arzt in der Gesundheitszentrale war etwas älter und schickte immer Briefe mit einer Kopie an Sara, und jetzt fiel ihr ein, dass sie noch keinen Brief von ihm im Postkasten gehabt hatte.

Eva hielt einen Brief hoch. »Ich habe die Krankschreibung bekommen und auf dieser Basis Ihr Arbeitsvermögen beurteilt. Außerdem habe ich mich mit unserem Arzt hier bei der Krankenkasse beraten. Gemeinsam mit ihm und unseren Spezialisten bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich Ihre Krankschreibung nicht anerkennen kann. Ich denke, Sie sollten sich eine Arbeit suchen, die Sie bewältigen können.«

Sara wurde es heiß und so schwindlig, dass sie sich mit den Händen am Tisch festhalten musste. Jetzt konnte sie Verzweiflung und Tränen nicht mehr zurückhalten. »Kann ich mit dem Arzt sprechen? Ich kann es erklären.«

»Nein, es ist nicht vorgesehen, dass unsere Ärzte die Krankgeschriebenen treffen. Sie sind ausschließlich Berater für uns.«

»Wie kann der Arzt dann eine Beurteilung vornehmen?«

»Er hilft uns, die Bescheinigungen zu interpretieren, die wir von anderen Ärzten bekommen. Aber wir Betreuer sind es, die Ihre Arbeitsfähigkeit beurteilen und Entscheidungen treffen.«

»Kann ich die Bescheinigung von meinem Arzt mal sehen?«

Eva reichte ihr den Brief, und Sara las mit wachsendem Entsetzen. Dort stand in vagen Sätzen, dass sie manchmal morgens etwas müde war und ab und zu nachts wach lag. Das war alles. Der Arzt bei der Gesundheitszentrale war mit ihren Problemen sehr wohl vertraut. Diese Bescheinigung konnte nichts anderes als ein Betrug sein.

»Kann ich davon eine Kopie bekommen?« Sara merkte, wie der Schwindel zunahm. »Ich möchte meinen Arzt noch einmal kontaktieren. Das hier stimmt nicht! Ich kann kaum glauben, dass er das wirklich geschrieben haben soll. Ich will gesund werden, und ich will als Polizistin arbeiten. Ich kämpfe und tue jeden Tag mein Bestes, um das zu schaffen.«

Eva lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vorm Bauch. Plötzlich wirkte sie resigniert. »Da gibt es noch etwas, was ich mit Ihnen besprechen muss, Sara. Für unsere Einschätzung hier hat es keine Bedeutung, aber die Krankenkasse hat Hinweise zu Ihrer Arbeitsfähigkeit bekommen. Jemand hat gesehen, wie Sie den Garten umgegraben haben.«

»Okay. Bei meiner Mutter in Nora? Ja, das ist genau so eine Sache, die ich eine Viertelstunde lang tun kann. Dazu brauche ich meinen Kopf nicht. Wenn ich umgrabe, muss ich keine Entscheidungen treffen. Ich versuche die ganze Zeit, das zu tun, was ich kann. Wer hat Ihnen da irgendwelche Hinweise gegeben?«

»Ich weiß es nicht. Es ist ein Brief gekommen, oder um ehrlich zu sein, mehrere. Mit Fotos von Ihnen – wie Sie Ihre Tochter tragen, sie schaukeln. Ein Foto, auf dem Sie mit Tüten eine Treppe hinaufgehen. Der Absender ist anonym.«

Sara verspürte einen Druck über der Brust. »Ich werde von einem Verrückten verfolgt. Das habe ich doch schon erzählt!«

Die Beraterin sah noch resignierter aus. »Ich wollte nur, dass Sie es wissen. Ob Sie einen Garten umgraben oder nicht, hat keinen Einfluss auf meine Einschätzung, aber ich muss nach der Beurteilung des Arztes gehen. Sie können von hier keine weiteren Zahlungen bekommen. Es tut mir leid, Sara. Wenn Sie mit der Entscheidung nicht einverstanden sind, gibt es die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Dazu haben Sie drei Wochen Zeit.«

Sara versuchte sich zu beherrschen, aber es ging nicht. Die Tränen liefen. Es fiel ihr schwer, Worte zu finden. »Wir werden uns nicht leisten können, weiter in der Wohnung zu wohnen, wenn ich kein Einkommen habe. Einen Umzug schaffe ich nicht, alles zu packen und wieder auszupacken und alles, was geregelt werden muss. Moa verliert ihre Freunde und die Betreuung in der Tagesstätte, die sie kennt. Bitte, Sie müssen uns helfen. Ich kann nicht mal die Schlagzeilen in einer Zeitung lesen und verstehen, was da steht, wie soll ich es da schaffen, Widerspruch einzulegen?«

»Es tut mir leid. Ich muss mich an die Regeln halten.«

»Was mir jetzt passiert, kann also jedem passieren, auch wenn man vom Arzt krankgeschrieben wurde. Haben Sie niemals Angst, dass es auch Ihnen passieren könnte?«

»Ehrlich gesagt, ja! Wir haben durchaus Mitarbeiter bei der Krankenkasse, die einen Burnout haben.«

Am liebsten hätte Sara den Bus nach Hause genommen, eine Schlaftablette geschluckt und sich die Decke über den Kopf gezogen. Aber sie hatte sich mit ihrer besten Freundin und Polizeikollegin Lisa verabredet, und das konnte sie unmöglich absagen. Lisas Mutter war vor einigen Wochen plötzlich und sehr unerwartet nach einer Medikamentenvergiftung gestorben. Da Lisa das einzige Kind war, gab es niemanden, mit dem sie ihre Trauer teilen konnte, und Sara wusste, dass die Freundin jetzt ihre Unterstützung brauchte.

Der Septembertag war ungewöhnlich mild. Auf dem kurzen Weg über die Brücke, unter der das Wasser des Svartån hindurch und weiter am Schloss vorbeifloss, wärmte die Sonne Saras Gesicht. Lisa saß vor der Vasa-Konditorei und wartete. Sie trug Jeans und Pullover, und das kurze braune Haar glänzte in der Sonne. Als sie die Arme ausbreitete und lächelte, konnte man die Lücke zwischen den Vorderzähnen erkennen, und die grau-grünen Augen funkelten. Lisa war ein Gefühlsmensch. Sara kannte niemanden, der so fröhlich und albern sein konnte, um dann im nächsten Moment vor Frust über eine Ungerechtigkeit zu explodieren oder jemanden auszuschimpfen, der lahm war und es an Unterstützung fehlen ließ.

»Herrlich, dich zu sehen, Sara.«

»Ja, ich freue mich auch, dass wir uns treffen.«

Sie umarmten sich. Lisa roch wie immer ein bisschen nach Pferd, obwohl sie, seit sie im Stall gewesen war, geduscht und sich umgezogen hatte. Sie hatte eine Reitbeteiligung an einem Traber mit Namen »Dreamcatcher«. Das Tier war ihr Augenstern. An den Wochenenden wohnte sie in der Wohnung ihrer Mutter in Nora, um es nicht zu weit zum Stall zu haben, und während der Arbeitswoche in einer Einzimmerwohnung auf der Hertig Karls Allee, nur wenige hundert Meter von Sara entfernt.

Sie bestellten sich drinnen in der Konditorei Kaffee und jede ein Sandwich. Lisa nahm ein großes Krabbenbrot und Sara ein einfaches Brötchen mit Käse, weil es das billigste war. Lisa nahm das Tablett, und sie gingen wieder hinaus in die Sonne.

»Wie geht es dir?«, fragte Sarah, als sie sich hingesetzt hatten.

»Ich vermisse Mama so unglaublich.« Lisa stiegen die Tränen in die Augen. »Ich bin gerade dabei, ihre Sachen durchzugehen. Das weckt natürlich Erinnerungen, fröhliche ebenso wie traurige. Ihre Wohnung habe ich gekündigt, aber noch nicht fertig ausgeräumt … Es dauert alles viel länger, als ich dachte.«

»Wenn ich gesund wäre, würde ich dir helfen, das weißt du. Es fühlt sich so furchtbar an, dir nicht zur Hand gehen zu können. Musst du die Sachen irgendwo unterstellen?«

»Ja, im Grunde schon. Ihr habt nicht zufällig Platz übrig, oder?«

»Meine Mutter hat doch den großen Schuppen. Ich kann sie sofort fragen, wenn du willst.« Saras Mutter wohnte auch in Nora. Allein in einem Haus, in das die Eltern gezogen waren, nachdem Sara die Schule beendet hatte.

»Das wäre perfekt. Danke dir.«

Sara rief an. Ihre Mutter ging sofort nach dem ersten Klingeln ans Telefon.

»Gunilla.«

»Hallo, Mama, ich bin’s.«

»Sara! Wie lief es heute bei der Krankenkasse?« Die Stimme verriet die Sorge, die in ihren Gesprächen ständig gegenwärtig war und die Saras Nervosität noch verstärkte.

»Darüber sprechen wir später«, unterbrach sie. »Hast du im Schuppen noch Platz für ein paar Sachen?«

»Ja, der steht ja fast leer. Warum? Geht es um Lisa? Ich habe gehört, dass sie die Wohnung ausräumt. Wenn sie die Sachen vorübergehend irgendwo unterstellen möchte, kann sie das gerne bei mir tun.« Gunilla redete weiter.

»Danke, Mama«, unterbrach Sara sie nach einer Weile. »Ich rufe dich heute Abend an.« Sie beendete das Gespräch und wandte sich Lisa zu.

»Du kannst morgen Nachmittag mit den Sachen vorbeikommen. Da ist Mama zu Hause.«

»Gunilla ist ein Schatz!« Lisa blies auf den heißen Kaffee. »Übrigens habe ich gehört, dass Kristoffer Bark den Fall Emelie Kartman wieder aufnehmen wird. Hat er sich noch nicht gemeldet?«

»Nein, ich habe immer noch nicht mit ihm gesprochen. Irgendwie bin ich noch nicht so weit. Emelie Kartman, also?«

»Ja. Die Gruppe würde deine Kompetenz wirklich gut gebrauchen können, Sara.« Lisa senkte die Stimme. »Ich bin Emelies Sohn ein paarmal begegnet. Kim heißt er. Ein netter Junge, aber schwierig. Es ist ihm nicht sonderlich gut ergangen. Jetzt ist er in einer Pflegefamilie gelandet.«

»Das tut mir leid.« Sara wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Sie wollte nicht über Dinge reden, an denen sie nichts ändern konnte. Das machte ihr nur noch mehr Angst.

»Und dein Stalker?«, fuhr Lisa fort. »Oder wie man ihn nun nennen soll. Ist es wieder vorgekommen?«

Sara sank in sich zusammen. »Ja es hat sich jemand anonym bei der Krankenkasse gemeldet und gesagt, ich würde alles nur faken und wäre in Wirklichkeit durchaus in der Lage zu arbeiten. Beweisfotos lagen auch bei.« Sara hatte nicht vorgehabt, über ihr eigenes Elend zu reden. Jetzt war Lisa mal an der Reihe, Unterstützung und Hilfe zu bekommen. Aber es ließ sich nicht zurückhalten. »Bald kann ich nicht mehr.«

Lisas Miene verfinsterte sich. »Du musst das zur Anzeige bringen, Sara, es darf nicht so weitergehen!«

»Das werde ich auch. Aber jetzt muss ich erst mal mit meinem Arzt sprechen. Die Krankschreibung ist die reine Katastrophe.«