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Sara musste dort, wo sie auf dem Boden mit dem Rücken an die Steinwand gelehnt saß, eingeschlafen sein. Als sie aufwachte, fror sie so, dass sie zitterte. Um sie herum war es immer noch pechschwarz, und sie konnte überhaupt nichts sehen. Sie hatte Moa in ihre Jacke gewickelt und saß mit bloßen Armen in der Kälte.

Vorsichtig hob Sara den Kopf ihrer Tochter an und befühlte mit der Handfläche ihre Stirn. Das Kind atmete ruhig und schien nicht mehr so heiß zu sein. Ab und zu schnuffelte es im Schlaf. Sara strich ihr vorsichtig übers Haar. Es war unmöglich zu sagen, wie viel Zeit vergangen war, aber der Hunger war in Erschöpfung übergegangen, und sie hatte das Gefühl, dass Ulf nicht zurückkommen würde. Sie bereute bitter, nicht mitgespielt und ihn bei Laune gehalten zu haben. Warum hatte sie nicht wenigstens heimlich eine Dose Cola aus dem Auto mitgenommen? Es gab so vieles, was sie hätte anders machen können. Sie konnte nicht aufhören, sich selbst die Schuld dafür zu geben, dass sie hier festsaßen.

Doch die Selbstvorwürfe machten sie wütend. Wenn sie schuld an dieser Situation war, dann war es auch ihre Verantwortung, sie hier herauszubringen. Schließlich hatte sie einen Weg aus dem ersten Kellerraum gefunden, da musste es auch möglich sein, aus diesem zu entkommen. Sie wollte nach oben.

Könnte sie sich auch aus diesem Raum herausgraben? Vorsichtig legte sie Moa von ihrem Schoß auf den Boden und tastete sich vor bis zu der Grube, die sie unter der geschlossenen Tür gegraben hatte. Da lag noch der Stein, den sie als Werkzeug benutzt hatte. Auf zittrigen Beinen begab sie sich zurück. Mit den Händen konnte sie über die Wand fahren, über die Konturen und Kanten der Steine. Sie wählte einen größeren Steinblock hoch oben bei der Decke und begann in die Fugen um ihn herum zu hacken. Es bestand die Gefahr, dass auf diese Weise das Haus nachgeben und die Wand einstürzen könnte, aber sie hatte keine andere Wahl. Entweder würden sie vor Hunger sterben oder von Ulf zu Tode gefoltert werden. Wenn es auch nur die kleinste Chance gab, hier herauszukommen, dann war das gleichzeitig die einzige Möglichkeit zu überleben.

Sie dachte an Josef. Daran, wie sie sich am Sveafallen begegnet waren und an die erste Zeit zusammen. Sie waren nach nur einem Monat zusammengezogen und so glücklich gewesen. Ihr wurde jetzt klar, dass doch das Seltsame an Glück war, dass man im Moment nur selten erkannte, dass man es besaß. Sie hatten lange Spaziergänge am Svartån unternommen und stundenlang geredet. Hatten in Cafés gesessen und waren im Blick des anderen versunken, hatten sich im Kino an den Händen gehalten. Sich durch Nächte geliebt, in denen sie nicht genug voneinander bekommen konnten, und doch dieselbe Glut verspürt, als sie zusammen aufgewacht waren. Sie hatten das Mittagessen ausgelassen, um an einem versteckten Ort noch einen Quickie im Auto zu schaffen. Sie hatte keine Geheimnisse vor ihrem Mann gehabt.

Von ihrer Seite war das Vertrauen vollkommen gewesen, und sie glaubte auch, dass er zumindest zu Anfang ebenso aufrichtig in seiner Liebe gewesen war. Wenn nicht die verdammten SMS gewesen wären, die Ulf an Josef geschickt hatte, dann hätten sie die Krankheit und die Schikanen mit gemeinsamer Kraft durchgestanden. Dann hätte Josef vielleicht gewagt, ihr zu erzählen, dass er sich gezwungen sah, bei den Plänen von Dorteus mit den ID -Diebstählen mitzumachen. Vielleicht hätte sie es sogar verhindern können. Doch die SMS hatten Josef an ihr zweifeln lassen. Josef, wenn du irgendwo bist und mich hören kannst – hilf mir, unser Kind zu retten, gib mir von deiner Kraft.

Sie grub weiter, obwohl ihre Muskeln schon steif vor Kälte und von Milchsäure taub waren. Jeder Atemzug schmerzte in ihrem Brustkorb. Sie musste es hier raus schaffen, solange sie noch ein bisschen Kraft hatte. Ihr fiel eine Geschichte ein, die Josef vor langer Zeit erzählt hatte. Es hatte einen Mann gegeben, der bei Ljusdal, nicht weit von dem Ort, an dem sie sich jetzt befand, in den Graben gefahren war. Zwei Jahre dauerte es, bis man ihn tot im Auto fand, und auch nur, weil die Kommune eines Tages beschloss, alle Straßengräben entlang dieser Strecke neu auszuheben. Zwei ganze Jahre.

Es schauderte Sara am ganzen Leib. Während der ganzen letzten Strecke auf dem Schotterweg hierher hatte sie kein einziges Haus gesehen.