Mit eigenen Augen gesehen

Am Abend besuchten die vier Freunde Mister Anderson. Mister Anderson hatte immer noch keine Neuigkeiten von Becky. Die Polizei hatte den Wald durchkämmt, aber nicht den kleinsten Hinweis auf die Werwölfe gefunden, nicht einmal Fußspuren.

Da sich noch niemand mit Lösegeldforderungen an Mister Anderson gewandt hatte, schien Becky nicht aus diesem Grund entführt worden zu sein.

„Becky ist das Letzte, was ich auf dieser Welt noch habe. Ich … ich … ich weiß nicht, was ich mache, wenn ich sie verliere!“, sagte Mister Anderson leise und verbarg das Gesicht in den Händen. „Alle Menschen, die ich liebe, werden mir viel zu früh genommen. Meine Eltern, meine Frau … und nun meine Tochter!“

Er schluchzte leise und die Knickerbocker sahen einander betreten an. Was sollten sie bloß sagen?

In diesem Moment knallte ein Schuss. Das Fenster, neben dem Mister Anderson saß, zerbarst, die Scherben flogen durch die Luft und man hörte jemanden wegrennen.

Nur einen Zentimeter von der ersten Silberkugel entfernt steckte nun eine zweite.

„Die dritte traf das Mädchen …“, murmelte Mister Anderson erschüttert, dem der Satz aus der Familienchronik nicht aus dem Kopf zu gehen schien.

Er telefonierte mit der Polizei und berichtete, was geschehen war. Die Beamten wollten gleich kommen, doch was sollten sie schon feststellen?

Mister Anderson seufzte tief, als er den vieren zum Abschied die Hand schüttelte.

„Der ist am Boden zerstört!“, stellte Lilo fest, sobald er außer Hörweite war. „Völlig fix und fertig.“

„Glaubt ihr nicht auch, dass genau das ein Ziel des Werwolfspuks sein könnte?“, fragte Poppi in die Runde.

In der Nacht schreckte Dominik hoch. Neben ihm im Zelt schlief Axel tief und fest. Aber waren da nicht schleichende Schritte gewesen? Ganz in der Nähe hörte er ein unheimliches Heulen. Dominik tastete nach seiner Ersatzbrille und weckte Axel, der nichts mitbekommen hatte. Die Jungen krabbelten schnell zum Zelt der Mädchen und weckten Poppi und Lilo.

Wieder heulte ein Wolf in der Ferne.

Mit angehaltenem Atem starrten die vier Knickerbocker in Richtung Wald.

„Diesmal klingt es schon viel näher“, stellte Axel fest.

Gespannt blickten Dominik, Poppi und Lilo ihren Freund an. Ging in ihm wieder diese merkwürdige Veränderung vor sich? Fühlte er sich abermals zu den Werwölfen hingezogen?

„Es ist … es ist wieder da … das Gefühl“, sagte Axel leise. „Aber nicht mehr so stark … nicht halb so stark wie vorher.“

Mehrere Male erhob sich das Heulen.

Plötzlich entdeckte Poppi am Waldrand eine Gestalt. „Dort … d… dort ist einer!“, keuchte sie.

Zum ersten Mal sahen es nun auch die anderen Knickerbocker. Als der Mond hinter einer Wolke hervorkam, drehte das Wesen das Gesicht mit den spitzen Ohren zum Himmel und heulte die leuchtende Scheibe an.

Danach begann es in einem gebückten, schleichenden Gang auf den Wald zuzueilen.

„Die Polizisten, die das Camp bewachen! Wo sind sie?“, rief Lilo. Die Junior-Detektive schwärmten aus, um Alarm zu schlagen, aber die Polizisten waren wie vom Erdboden verschluckt.

Nur Axel war zurückgeblieben und kämpfte mit sich selbst. Sein Verstand hielt ihn zurück, doch eine innere Stimme drängte ihn, zu den Werwölfen zu laufen. Würde er dort nicht auch Becky finden?

Lilo war die Einzige, die beobachtete, wie er zum Wald stürmte. Sie rief seinen Namen. Aber ihr Freund hörte sie nicht mehr.

Das Mädchen rannte sofort los und versuchte ihn einzuholen. Aber Axel war schnell. Das Heulen des Werwolfs zog ihn wie ein Magnet an und führte ihn immer tiefer in den Wald. Axel spürte weder Angst noch Unsicherheit. Keuchend stolperte Lilo hinter ihm her und hatte Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

Als Axel eine kleine, mondbeschienene Lichtung erreichte, verstummte das Heulen plötzlich. Der Junge blieb stehen und starrte auf den Platz, der vor ihm lag. Seine Augen weiteten sich immer mehr und sein Mund öffnete sich zu einem entsetzten Schrei.