Schade, dass Lilo, Poppi und Dominik nicht hier sind!, dachte Axel, als er aus seinem Zelt kroch. Kühle Luft schlug ihm entgegen. Ein hohes Summen drang in seine Ohren. Die Moskitos hatten ihn sofort entdeckt und stürzten sich blutrünstig auf ihn. Zum Glück trug Axel einen langärmeligen Trainingsanzug.
Über dem nahen Wald war gerade der Mond aufgegangen. In wenigen Tagen würde er voll sein. Aber schon jetzt war er hell genug, um die Wiese, die Hügel, die Bäume und den See in ein gespenstisches Licht zu tauchen.
Axel warf einen suchenden Blick über die Zeltstadt. Wo blieb Becky? Es war bereits zehn Minuten vor Mitternacht. Sie sollte längst hier sein.
Im Wald schrie ein Uhu und über Axels Kopf glitten einige Fledermäuse durch die Nacht.
„He, wo steckt sie bloß? Auf Mädchen ist eben kein Verlass!“, schimpfte Axel leise vor sich hin.
Er hatte sich in den vergangenen Tagen mit Becky Anderson angefreundet. Becky war genauso alt wie Axel. Auf den ersten Blick hielten viele sie für einen Jungen. Sie hatte kurze rote Haare, ein von Sommersprossen übersätes Gesicht und trug meistens Jeans und ein rotes Halstuch.
Plötzlich hörte Axel leise Schritte, die sich näherten.
Na warte, Becky! Ich werde dir den Schock deines Lebens verpassen!, beschloss Axel. Schnell versteckte er sich hinter seinem Zelt und wartete. Doch die Schritte entfernten sich wieder. Ein wenig enttäuscht hob Axel den Kopf über das Zeltdach.
Das war gar nicht Becky.
Im Licht des Mondes erkannte er einen großen, muskulösen Mann. Sein Kopf war lang und eckig, das Haar seitlich sehr kurz und stand oben ab.
„Mister Bennet!“, entfuhr es Axel überrascht. Er bewunderte Ben Bennet sehr. Der Mann kam aus den USA und war Spitzensportler. Er hatte schon einige Medaillen bei den Olympischen Spielen gewonnen.
Was tat er um diese Zeit hier draußen? Etwas anderes erstaunte Axel aber noch viel mehr. Der Sportler hielt einen Knüppel in der rechten Hand. Immer wieder ließ er ihn in die offene Linke klatschen. Als suche er jemanden, den er … niederschlagen wollte. Konnte das sein? Oder spielte Axels Fantasie ihm einen Streich?
„Haaa!“ Zwei Hände legten sich von hinten auf Axels Augen. Sein Herz begann wie wild zu rasen.
„Hab ich dich erschreckt?“, fragte eine Mädchenstimme.
Axel keuchte. „Äh … na ja … ehrlich gesagt, ja.“
Es war Becky, die sich lautlos angeschlichen hatte. „Wieso starrst du unentwegt in diese Richtung?“
„Ben Bennet … mit einem Knüppel!“, berichtete Axel.
Doch der Sportler war bereits in der Dunkelheit verschwunden.
Becky kicherte. „Du träumst, Axel.“
„Egal“, sagte Axel. „Also was wolltest du mir zeigen?“
Becky hielt Axel ihr Handy hin. Axel las die SMS:
Picknick im Mondschein. Treffpunkt bei der geknickten Zeder.
„Der Baum ist nicht weit von hier“, sagte Becky. „Die Handynummer ist zwar unterdrückt, aber ich wette, dass die Einladung von den schwedischen Mädchen kommt.“
„Ich bin gar nicht eingeladen, nur du“, warf Axel ein.
„Machst du dir deswegen in die Hose?“, spottete Becky. „Dann schlaf weiter. Ich gehe jedenfalls hin!“
Natürlich kam Axel mit. Er war doch kein Feigling!
Im Laufschritt verließen sie das Zeltlager und hasteten zum Waldrand. Axel hielt seine Taschenlampe fest umklammert. Er hatte diesmal nicht die kleine mitgenommen, die in jeder Hosentasche Platz hatte, sondern die große, kräftige. Erstens gab sie viel helleres Licht und zweitens leuchtete sie länger. Irgendwie hatte er geahnt, dass er das vielleicht brauchen könnte.
Aus dem Wald drang ein lang gezogenes Heulen.
Axel schauderte. Da, ein zweites Heulen! Ein drittes und ein viertes!
Selbst Becky war erschrocken. Sie blieb stehen und blickte Axel fragend an. „Was … was ist das?“
„Gibt es hier … Wölfe?“
Becky schüttelte den Kopf. „Vor hundert Jahren sind alle ausgerottet worden. Wegen der Pelze.“
Nun war wieder Stille eingekehrt. Eine leichte Brise erhob sich und ließ die Bäume rauschen.
„Das sind die Schwedinnen, bestimmt!“, sagte Becky, doch ihre Stimme klang nicht sehr sicher. „Komm!“
Zögernd betraten die zwei den Wald und liefen geduckt zwischen den dicken Stämmen der Nadelbäume entlang. Vorsichtig leuchteten sie die Umgebung ab. Irgendwie war beiden die Lust auf das Mondscheinpicknick vergangen. Allerdings wollte es keiner zugeben.
„Sind wir auf dem richtigen Weg?“, fragte Axel leise.
Becky nickte.
Plötzlich hörten sie laute Stimmen hinter sich. Die beiden Nachtwanderer fuhren herum.
Hinter den Bäumen erkannten sie die Wiese, die zwischen der Zeltstadt und dem Wald lag. Eine kleine Gestalt fuchtelte wild mit den Armen und schrie etwas. Eine andere, größere Gestalt kam drohend auf die erste zu. Ben Bennet! Da drehte sich die kleinere um und lief weg.
„Was … war das?“, flüsterte Becky.
Axel packte die Hand des Mädchens. „Wir hauen ab! Das wird mir zu unheimlich.“
Sie rannten.
Aber sie kamen nicht einmal fünf Meter weit.