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Harriet

Februar

Es ist nach Mitternacht. Ich sitze im Bett und scrolle durch Toms Instagram-Seite, als eine neue E-Mail in meiner Inbox eingeht. Ich klicke sofort darauf, denn wer schickt mir um ein Uhr nachts eine Mail?

Antwort: Tom. Tom schickt mir um ein Uhr nachts eine Mail.

Und? Wie bist du mit meinem Kollegen Sam zurechtgekommen? Hoffe, alles ist gut gelaufen x

Nur das.

Aber ist »nur« das richtige Wort? Wieso mailt man mitten in der Nacht einer wildfremden Frau, wenn man – das sagen jedenfalls die sozialen Netzwerke – sich gerade in Schweden aufhält?

Ich vermute, dass Lexie bei ihm ist, denn vor ein paar Tagen habe ich gehört, wie sie zusammen die Wohnung verlassen haben, und seitdem ist es still auf der anderen Seite der Wand.

Er ist mit seiner Freundin auf einem Auslandsdreh, und um … ich errechne den Zeitunterschied … um zwei Uhr morgens mailt er einer unbekannten Frau, noch dazu ohne erkennbaren Anlass. Er hat mir die Kontaktdaten seines Kollegen gegeben, ein weiteres Nachfragen wäre unnötig gewesen.

Falls er ausloten will, ob er Chancen bei mir hat, muss ich ihm signalisieren, dass ich grundsätzlich nicht abgeneigt bin. Ich verfasse fünf verschiedene Antworten, ehe ich zu dem Schluss komme, dass ein Text nur dann spontan klingt, wenn er auch spontan geschrieben wird.

Also trinke ich in der Küche zunächst eine Cola mit Rum, dann krieche ich zurück ins Bett und tippe, ohne lange zu überlegen:

Bin noch nicht dazu gekommen, mit Sam zu reden. Hatte an einer Trennung zu knabbern, deshalb war ich mit anderen Dingen beschäftigt. Ich werd’s aber definitiv bald tun. Danke noch mal für deine Hilfe, das war total nett – gut zu wissen, dass es noch anständige Männer da draußen gibt … xx

Wahrscheinlich habe ich es ein bisschen übertrieben. Aber mir in den frühen Morgenstunden zu schreiben war auch übertrieben. Er hat den Einsatz erhöht. Ich folge lediglich seinem Beispiel.

Wenige Sekunden später kommt eine Antwort.

Wahrscheinlich warst du ohnehin zu gut für ihn xx

Erneut setze ich auf Spontaneität.

*rotwerd*

Mehr nicht. Aber das reicht schon.

Wenn du magst, können wir uns ja mal treffen. Ich könnte dir einen kleinen Überblick über die Branche verschaffen, dir noch ein paar Tipps geben – und vielleicht dein Ego ein bisschen streicheln … x

Ich setze mich kerzengerade im Bett auf. Vor meinen Augen verschwimmt alles. Mein Herz hämmert.

Als ich am nächsten Morgen meine Post holen gehe, bin ich von neuer Hoffnung erfüllt. Ich denke an all die vielen Dinge, die Tom und ich gemeinsam erleben können. Daran, wie schnell er Lexie verlassen kann und wie Luke sich wohl fühlen wird, wenn er von meinem neuen englischen Freund erfährt.

Es gibt eine Zukunft für mich, und sie trägt den Namen Tom.

Beschwingten Schrittes laufe ich die Treppe hinunter.

Lexies und Toms Briefkasten ist so voll, dass er beinahe überquillt. Unter den Briefen befindet sich auch einer mit dem Stempel einer Klinik auf dem Umschlag. Er ist an Lexie adressiert.

Ich bin so neugierig und so berauscht – ganz ohne Drogen, nur durch Tom –, dass mich das Briefgeheimnis nicht interessiert.

Ich ziehe den Umschlag aus dem Briefkasten, stecke ihn zwischen meine eigenen Briefe und mache mich auf den Weg zurück nach oben.

Da taucht plötzlich jemand hinter mir auf. Rote Haare. Breites Lächeln.

»Hey!«, ruft der Jemand.

Chantal.

»Oh, hi.« Ich werde rot und drücke die Post an meine Brust, obwohl sie den geklauten Umschlag unmöglich sehen kann.

»Geht’s dir gut?«, fragt sie.

Ich nicke. Frag nicht nach meinem neuen Freund, denke ich, als mir einfällt, was ich auf der Party zu ihr gesagt habe. Frag nicht nach meinem neuen Freund.

Aber dann rufe ich mir ins Gedächtnis, wie betrunken Chantal war – so wie immer auf meinen Partys – und dass sie sich höchstwahrscheinlich weder an unser Gespräch noch an Toms Gesicht erinnern kann. Trotzdem trete ich nach der üblichen gestammelten Ausrede den Rückzug an.

»Sorry, aber ich muss …«

Zurück in meiner Wohnung, kicke ich mir die Sneaker von den Füßen und schalte den Wasserkocher ein, um mir einen Instantkaffee zu machen.

Ich stehe da, halte den Brief in den Händen und überlege, ob ich es so machen soll wie im Fernsehen, mit Bügeleisen und Taschenmesser. Aber dann denke ich: Scheiß drauf. Schließlich weiß jeder, dass Briefe in der Post verloren gehen können. Die Klinik wird ihn einfach noch mal schicken. Gar kein Problem.

Wir freuen uns, Ihnen einen Termin in unserer Kinderwunschabteilung anbieten zu können.

Das sind also die Fakten:

  1. Tom und Lexie wünschen sich ein Baby.
  2. Auf natürlichem Wege will es nicht klappen.
  3. Tom und Lexie streiten sich ziemlich oft.
  4. Tom flirtet mit einer anderen, während er mit Lexie im Urlaub ist.

Das Wasser brodelt, obwohl ich mich gar nicht mehr daran erinnern kann, den Kocher eingeschaltet zu haben, und ich kehre gedankenverloren in die Küche zurück, um den Kaffee aufzugießen.

Dann setze ich mich vor mein iPad und denke nach.

Was kann ich einem Mann in Toms Situation am besten schreiben?

Ich denke an die Blogs, die ich gelesen habe.

Irgendetwas Lustiges. Heiteres. Bloß keinen Druck aufbauen.

Ich lasse den Kaffee stehen, nehme mein Handy und setze mich zum Schreiben aufs Bett.

Gern! Gegenseitiges Egostreicheln bei dem einen oder anderen Drink hört sich gut an. Mein Lieblingsgetränk ist Amaretto Cola ;)