Es ist zwei Uhr nachts, und ich bin wieder einmal an einem Ort unterwegs, an dem ich mich so richtig unwohl fühle: auf Lexies Instagram-Seite.
Das Neueste aus Lexies unfassbar glücklichem Leben: Lexie zelebriert ihre Freundschaft. Da sitzt sie mit ihrem grünen Saft und ihrem Avocadotoast – ja, geehrte Nachbarin, du bist perfekt, aber du bist leider auch ein wandelndes Klischee – neben einer wunderhübschen Freundin multiethnischer Herkunft, die den Namen Anais trägt.
Als ich mich durch Anais’ Seite klicke, finde ich dort ganz ähnliche Fotos. Lexie hat Tom zu Hause gelassen und verbringt Zeit mit ihren Mädels. Sie muss sich nicht betrinken. Sie ist nicht nur um ein Uhr morgens wirklich glücklich, und sie muss Anais auch nicht mit kostenlosem Alkohol bestechen, damit sie sich mit ihr abgibt. Das, was Lexie hat, ist wahre Freundschaft.
Nicht zum ersten Mal durchforste ich sämtliche ihrer älteren Posts und versuche zu ergründen, was die Leute in ihr sehen. Was hat sie an sich, das es ihr ermöglicht, Freundschaften zu schließen – etwas, das ich seit meiner Ankunft in diesem Land vergeblich versuche? Ich betrachte die zahllosen lächelnden Gesichter und denke an Chantal. Daran, wie wir uns, jede mit einem Fertiggericht für Singles in der Hand, unbehaglich bei Waitrose gegenüberstehen. Ich frage mich, was Tom an Lexie liebt. Ich frage mich, ob es wirklich meine Vergangenheit ist, die mich daran hindert, Freunde zu finden und tiefe Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, oder ob es an meiner Persönlichkeit liegt. Ich sehe mir Lexies Bilder noch einmal genauer an. Vielleicht gelingt es mir ja, ihr Geheimnis zu lüften.
Sind es ihre Augen? Ist es ihr Lächeln oder etwas anderes, Undefinierbares? Ich zoome ganz nah an eine Sommersprosse heran, dann schaue ich nach, was sie so zu trinken bestellt. Sie hat ein Foto von einem Graffiti in Dalston gepostet. Sollte ich vielleicht versuchen, etwas hipper zu sein? Sie geht ins Kino. Wird es Zeit, dass ich anfange, mich für Filme zu interessieren? Würde Tom das gefallen?
Ich schaue mir Bilder ihrer Verwandten und Freunde an. Ich analysiere ihr Leben. Immer wieder postet sie auch Buchcover von Romanen, die ihr besonders gut gefallen haben. Ich nehme mir vor, öfter in Buchläden zu gehen und der Literatur mehr Platz in meinem Leben einzuräumen.
Ich mache Screenshots von Hunderten ihrer Fotos, und dann öffne ich sie alle zusammen, um ein Gespür für das Gesamtbild zu bekommen. Seltsamerweise spenden die vielen lachenden, fröhlichen Lexiegesichter mir Trost. Es ist, als würde sie über mich wachen. Irgendwann schlafe ich auf dem Sofa ein.