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Lexie

Februar

Das Babygeschrei nebenan geht mir allmählich an die Substanz. Es ist eine permanente Erinnerung an das, was ich nicht habe. An das Glück einer anderen Frau. Ich frage mich, ob Tom mich belügt und vielleicht gar nicht mehr mein Tom ist.

Ich sitze auf dem Sofa und weiß nicht, ob ich jemals wieder hochkommen werde. Als Harriet zu singen anfängt, will ich nur noch eins: sie zum Schweigen bringen. Meine plötzliche Aggressivität macht mir Angst.

Tom und ich waren bereits seit mehr als zehn Jahren zusammen, als wir den Entschluss fassten, dass wir ein Baby haben wollten. Das ist jetzt zwei Jahre her. Unsere Freunde hatten es uns vorgemacht; Babys eroberten langsam, aber sicher unseren Kosmos.

»Ich glaube, ich bin jetzt bereit, Vater zu werden«, verkündete er eines Abends. Er hatte den Mund voller Sashimi. Es war sein Geburtstag, und wir aßen in einem japanischen Restaurant zu Abend. Es hatte einen Michelin-Stern und war dementsprechend nobel, aber das Essen schmeckte einfach unfassbar lecker – etwa so wie ein fetttriefendes paniertes Hühnchen, wenn man einen Kater hat.

Doch als ich Toms Worte hörte, rebellierte mein Magen, und ich bekam keinen Bissen mehr herunter. Er wusste, dass ich mir schon lange ein Kind wünschte und nur darauf gewartet hatte, dass er Ja sagte.

»Ich bin zweiunddreißig«, fuhr er fort. »Jetzt könnte ich es mir ganz gut vorstellen.«

»Ist das ein Trick, Tom?«, fragte ich in gespieltem Argwohn. »Willst du, dass mir vor Freude der Appetit vergeht, damit du mehr Sushi abkriegst? Wenn ja, dann hat es funktioniert. Iss den Thunfisch. Hier, den Lachs kannst du auch gleich haben.«

Dann hielt ich inne, rieb mir die Stirn und sah ihn scharf an.

»Oder meinst du es ernst?« Ich lächelte.

»Todernst«, sagte er und grinste wie ein Hai.

Als wir zum ersten Mal Sex hatten, ohne zu verhüten, redeten wir hinterher über Babynamen. Wir waren naive Optimisten, die glaubten, mehr sei dafür nicht nötig.

Zwei Wochen später blieb meine Periode aus.

Wir waren auf einem Grillfest, und ich hatte mir ganz automatisch ein Glas Prosecco genommen. Aber dann dachte ich an den winzigen Embryo, stellte das Glas zurück und nahm stattdessen eine Cola.

»Ich glaube, ich habe tatsächlich einen metallischen Geschmack im Mund«, sagte ich auf dem Heimweg in der U-Bahn zu Tom und grinste. Ich hatte auf meinem Smartphone die typischen Anzeichen einer Schwangerschaft gegoogelt.

Ich kaufte den ersten Schwangerschaftstest meines Lebens. In der Apotheke hatte ich das Gefühl, ich wäre fünfzehn und müsste Angst haben, dass jemand es meiner Mutter sagte. Mein Verstand schien noch nicht ganz begriffen zu haben, dass wir erwachsen waren und ein positives Testergebnis nichts war, wovor wir Angst haben mussten – ganz im Gegenteil.

Und tatsächlich: Ich war schwanger. Wir freuten uns riesig und fantasierten endlos über das neue Leben, das uns erwartete, und den kleinen Menschen, der in mir heranwuchs.

Ich hörte auf, Brie zu essen, und hielt fortan zwanzig Meter Abstand zu Weißwein. Irgendwann kontaktierte ich Kit über FaceTime.

»Sagst du es Mum und Dad?«, wollte er wissen. Sein Grinsen war fast zu groß für den Bildschirm. »Oder ist es dafür noch zu früh?«

Wir mussten es nicht aussprechen, weil es sich von selbst verstand: Kit war der Mittelpunkt meiner Familie. Er füllte den Platz aus, den bei anderen Leuten Vater und Mutter innehatten. Meine Eltern waren sekundär.

»Ein bisschen vielleicht«, sagte ich, weil ich vernünftig sein wollte, obwohl ich es insgeheim nicht für nötig hielt. »Aber dir musste ich es einfach sagen. Lass uns noch den ersten Ultraschall abwarten, dann erzählen wir es allen.«

Doch wenige Wochen später war alles vorbei.

»Es wird wieder klappen«, versuchte Tom mich zu trösten, als ich in seinen Armen weinte. »Das kommt oft vor. Das Gute ist doch, dass wir jetzt wissen, dass du ganz leicht schwanger wirst.«

Ich nickte. Trotz meiner Trauer sah ich ein, dass er recht hatte. Wir mussten nur durchhalten. Uns noch ein wenig länger gedulden.

Aber meine Fruchtbarkeit richtete sich nicht nach unseren Vorstellungen. Ich musste lernen, dass sie keinen Regeln, keiner Logik folgte. In den Büchern, die ich las, stand, dass ich früher oder später definitiv wieder schwanger werden würde; doch der Körper hat manchmal andere Pläne.

Ich bekam jeden Monat meine Periode. Sie war wie ein unbeliebter Kollege, von dem alle hofften, dass er nicht zur After Work Party kommen würde, und der trotzdem mit schöner Regelmäßigkeit erschien, als legte er es darauf an, die anderen mit seiner Anwesenheit zu ärgern.

Jetzt erhebe ich mich notgedrungen vom Sofa, weil der ungeliebte Kollege schon wieder aufgetaucht ist. Ich gehe ins Schlafzimmer und will mir einen Tampon aus der Unterwäscheschublade holen, halte jedoch mitten in der Bewegung inne. In der Schublade liegt ein Slip. Einer, der nicht mir gehört. Ich trage bequeme Baumwollunterwäsche, und das hier ist gewissermaßen die Marilyn Monroe unter den Slips. Er ist das Schlimmste, was ich je gesehen habe, weil er einen Verdacht bestätigt, den ich schon seit Längerem mit mir herumtrage, und weil ich mich mit dem, was jetzt unweigerlich kommen wird, nicht auseinandersetzen will.