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Lexie

September

Die Medikamente haben nicht angeschlagen. Als ich im Nachhinein die entsprechenden Statistiken google, lache ich höhnisch. Natürlich haben sie nicht angeschlagen. Die Chancen standen denkbar schlecht, zumal ich keine Probleme mit dem Eisprung habe. Ich bin bedrückt und hoffnungslos, was das ganze Unterfangen angeht.

Ich habe das Gefühl, dass uns die Option der künstlichen Befruchtung absichtlich so lange wie möglich vorenthalten wurde, um die Kosten gering zu halten. Ich beklage mich wochenlang bei Tom darüber. Das Persönliche ist zu einem Politikum geworden, und das kommt mir als Ventil für meinen Frust gerade recht.

Doch irgendwann bleibt mir nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden. Uns steht die nächste Phase bevor.

Wir steigen aus dem Bus, und das Laub raschelt unter unseren Füßen, als wir in Richtung Klinik gehen. Das Jahr, genau wie unser Leben, schreitet unaufhörlich voran.

Zwanzig Minuten später liege ich in unbequemer Position auf einem Gynäkologenstuhl, die Beine in Halterungen aus eiskaltem Stahl, während Tom meine Hand hält.

»Schön entspannen«, sagt eine Schwester.

Wenn da nur die Beine in den kalten Halterungen nicht wären.

Ich denke daran, dass ich sieben Kilo abgenommen habe und wie leicht mir das gefallen ist, sobald ich ein Ziel vor Augen hatte. Ich denke daran, dass ich – weil ich eine knöchellange Jeans trage – nur das untere Achtel meiner Waden rasiert habe und dass mir gerade in diesem Moment ein Schweißtropfen an der Innenseite meines Oberschenkels herunterläuft. Ich denke daran, dass dies hier unser Startschuss ist. Jetzt wird es ernst.

Heute steht der sogenannte Probe-Embryotransfer an – eine Art Trockenübung für den richtigen Embryo, der, sofern alles gutgeht, in zwei Monaten in meinen Uterus eingepflanzt werden soll. Aber ich bin neuerdings abergläubisch und katastrophisiere wieder. Ich stelle mir vor, dass ich bis dahin an Krebs erkranke oder von einem Bus überfahren werde. Bei all diesen imaginären Szenarien ist es nicht die Möglichkeit meines eigenen Todes, die mich beunruhigt, sondern die Verzögerung im Behandlungsablauf.

Die Schwester wirft einen Blick auf ihren Zettel.

»Oh, heute ist ja Ihr Geburtstag!«, sagt sie mit einem kleinen Lächeln, das zugleich auch mitfühlend ist. Dann geht sie ein Spekulum holen.

»Ja, deswegen wollte ich Sie noch was fragen …«, sage ich, als sie zurückkommt. »Wäre es in Ordnung, wenn ich heute Alkohol trinke? Nur ausnahmsweise«, schiebe ich hastig hinterher, für den Fall, dass ich sonst auf der Terminliste nach unten rutsche, um Platz für Frauen zu machen, denen es mit ihrem Kinderwunsch wirklich ernst ist und die bereit sind, nur noch grünen Tee zu sich zu nehmen oder an ihrem Geburtstag Spinatquiche zu essen, statt im Behandlungszimmer den Aufstand zu proben.

»Na ja, Sie müssen Antibiotika einnehmen, um eine Infektion zu verhindern«, sagt sie. »Aber ein Gläschen schadet wahrscheinlich nicht …«

Ich bin schwer enttäuscht. In Laufe der Zeit hat sich der Kinderwunsch auf sämtliche Bereiche meines Lebens ausgebreitet. Wir wollen einfach nur essen gehen, und ich hätte maximal drei Gläser Wein getrunken. Mittlerweile geht nicht einmal mehr das.

»Macht doch nichts«, tröstet mich Tom, als sie abermals den Raum verlässt, um ein kleineres Spekulum zu besorgen. (Entspannen, entspannen, entspannen). »Es wird trotzdem ein schöner Abend.«

Doch er wirkt müde. In letzter Zeit wirkt er immer müde. Und er sieht verändert aus, so wie er in letzter Zeit immer verändert aussieht.

Im Frühjahr muss irgendwas vorgefallen sein, denke ich, während ich schweigend daliege. Tom starrt die Wand an. Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals danach fragen werde. Vielleicht war es nur eine seltsame Phase während meiner Hormontherapie? Ich selbst war schließlich joggen und habe Grünkohlsaft getrunken. Soll ich es abhaken? Es einfach vergessen?

Ich schätze, das hängt davon ab, wie es mit der Behandlung weitergeht. Davon, ob bald etwas anderes wichtiger wird.

Die Schwester kommt zurück, bittet mich zu husten und führt das neue, nicht mehr ganz so Furcht einflößende Spekulum ein.

Wir gehen die Sache an, das ist gut, aber mir schießen trotzdem die Tränen in die Augen, denn eine Erfolgsgarantie gibt es nicht, und Scheiße, der Eingriff ist extrem schmerzhaft.

Wenig später ist alles vorbei, und wir können gehen. Ich will so schnell wie möglich weg aus dieser Klinik, obwohl es in meinem Unterleib zieht und ich blute. Weg von meinen Fertilitätsproblemen. Weg von den zwei Pärchen, die gemeinsam hergekommen sind – eine der beiden Frauen hat die Eizellen gespendet – und sich nun laut und selbstzufrieden über ihre erfolgreiche Schwangerschaft unterhalten und darüber, wie froh sie sind, dass es keine Zwillinge werden. Seht her, wir sind so gut im Schwangerwerden, dass wir es uns leisten können, uns weniger Babys zu wünschen! Andere Frauen sitzen neben ihnen, traurig, regungslos, gequält.

Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber ich möchte in der Klinik mit Samthandschuhen angefasst werden. Meine Haut ist dünn wie Papier, Grobheit hält sie nicht aus.

Ich beschleunige meine Schritte. Tom muss sich beeilen, um mitzukommen. Draußen schaue ich mich um. Ich möchte die Frau auf der gegenüberliegenden Straßenseite sein, die nicht ins Krankenhaus, sondern in die Mittagspause geht und deren einziges Problem darin besteht, dass sie nicht weiß, welchen Burrito sie essen und ob sie sich dazu noch einen Kaffee holen soll. Oder die Frau dort drüben, die soeben eine halbe Topshop-Filiale leergekauft hat. Diese hier oder jene dort. Hauptsache nicht ich selber.

»Lexie, jetzt bleib doch mal stehen«, sagt Tom, aber ich laufe weiter, und dann, als wir gerade eine viel befahrene Straße überqueren, zerspringt etwas in mir.

»Was ist im Frühjahr passiert, Tom?«, frage ich und wirble zu ihm herum.

Verständnislos sieht er mich an. Er versteht nicht, was ich meine.

Ich rudere zurück, weil ich merke, dass mich diese Unterhaltung im Moment überfordert und ich es bereue, das Thema angeschnitten zu haben. »Bestimmt lag es nur an den Hormonen, die ich nehmen musste, aber nach dieser Geschichte mit Rachel hatte ich Angst, du könntest mich mit ihr betrogen haben.«

»Verdammte Scheiße, Lex, wie kommst du denn jetzt darauf?«, sagt er. »Das war irgendeine Spinnerin. Ich dachte, das hätten wir längst geklärt. Mein Gott! Es gibt so viel, worüber wir uns im Moment Gedanken machen müssen, und du fängst ausgerechnet wieder damit an?«

Aber ihm ist ein Hauch Röte in die Wangen gestiegen.

Er stößt einen Seufzer aus, dann küsst er mich. Er beteuert mir, dass nichts passiert ist, rein gar nichts, und dass alles gut wird.