Art./§§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 u. 2, 19 Abs. 3, 20 Abs. 1 u. 2 GG,
3 Abs. 1, 4 Abs. 2, 16 Abs. 1 u. 2 BVerfSchG, 9 EMRK
VG Berlin, Urteil vom 16. Februar 2012 -1 K 237.10-13
Die Beteiligten streiten über bestimmte Aussagen des Verfassungsschutzberichts 2009. Der Kläger, der Verein Muslimische Jugend in Deutschland e.V. (im folgenden M.), ist eine als eingetragener Verein tätige Jugendorganisation, die nach eigenem Bekunden multikulturell und parteiunabhängig Integration forcieren und Jugendgewalt abwenden will. Die Beklagte gibt den Verfassungsschutzbericht 2009 heraus.
Der Kläger wurde im Sommer 1994 zunächst unter dem Namen „N.N.“ gegründet. Gründungsmitglied und erster Vorsitzender des Klägers war X., der mittlerweile Ehrenmitglied des Klägers und zudem Mitglied des European Council for Fatwa and Research (ECFR) ist. Am 23.4.2000 wurde der Kläger unter seinem jetzigen Namen als Verein im Vereinsregister eingetragen.
Der Vorstand des Klägers, die sog. Schura, traf im Jahr 2003 einen Beschluss, der in seinem Newsletter Nr. 19 von Februar 2003 wie folgt mitgeteilt wurde:
„Auch beschloss die Schura, dass bei allen Fiqh-Fragen (z.B. inwiefern soll/darf man die M. versichern?) in Zukunft der Europäische Fiqh-Rat (European Council for Fatwa and Research) befragt werden soll und die M. sich dann nach seiner Empfehlung richtet. Dadurch sind die Entscheidungen abgesichert und für alle nachvollziehbar“.
Der Kläger wird in der endgültigen Fassung des Verfassungsschutzberichts 2009 des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) erwähnt. Es heißt dort – unter anderem:
„Die M. bietet ihren Mitgliedern ein umfangreiches Schulungs- und Freizeitangebot. Die in den Schulungen vermittelten Informationen erscheinen geeignet, desintegrativ zu wirken und die Teilnehmer gegen die ,westliche Gesellschaft’ zu emotionalisieren. In einem Schulungsleitfaden der M. heißt es, ein Teilnehmer sollte nach Abschluss des Kurses dazu ,fähig sein, durch die Schönfärberei der westlichen Regierungen zu sehen, welche die tyrannischen muslimischen Herrscher unterstützen und involvieren, um muslimische Regime aktiv zu destabilisieren. Demnach sollte er die Notwendigkeit verspüren, den politischen Status Quo zu verändern.‘
Weiter heißt es: ,Die Teilnehmer sollten am Ende dieses Kurses erkennen, dass Allah die beste Anleitung zu den Prinzipien, eine Regierung zu führen, zur Verfügung gestellt hat, dass Säkularismus im Islam keinen Platz hat und dass die Muslime daher sich bemühen müssen, Allahs Anleitung in allen Belangen umzusetzen.‘
Eine konsequente Umsetzung derartiger Lehrinhalte würde den grundlegenden Prinzipien einer demokratischen, rechtsstaatlichen Ordnung widersprechen. Im Schulungsleitfaden werden Werke führender MB-Ideologen zur Pflichtlektüre empfohlen. In dieses Bild passt auch, dass sich die M. zu den Positionen des ECFR bekennt und ihren Mitgliedern empfiehlt, sich bei allen Fragen der islamischen Rechtsauslegung an dessen Maßgaben zu orientieren.“
Mit der Klage macht der Kläger u.a. geltend, die Berichterstattung sei in bestimmten, näher bezeichneten Passagen rechtswidrig. Sie sei unzulässig, da sie nicht der Wahrheit entspreche.
Der Kläger beantragt, der Beklagten die Behauptung zu untersagen, es existiere ein Schulungsleitfaden von ihm, in dem es heiße, ein Teilnehmer sollte nach Abschluss des Kurses dazu „fähig sein, durch die Schönfärberei der westlichen Regierungen zu sehen, welche die tyrannischen muslimischen Herrscher unterstützen und involvieren, um muslimische Regime aktiv zu destabilisieren. Demnach sollte er die Notwendigkeit verspüren, den politischen Status Quo zu verändern. Die Teilnehmer sollten am Ende dieses Kurses erkennen, dass Allah die beste Anleitung zu den Prinzipien eine Regierung zu führen zur Verfügung gestellt hat, dass Säkularismus im Islam keinen Platz hat und dass die Muslime daher sich bemühen müssen, Allahs Anleitung in allen Belangen umzusetzen.“ Eine konsequente Umsetzung derartiger Lehrinhalte würde den grundlegenden Prinzipien einer demokratischen, rechtsstaatlichen Ordnung widersprechen. Im Schulungsleitfaden würden Werke führender Ideologen der Muslimbruderschaft (MB) zur Pflichtlektüre empfohlen, und er würde seinen Mitgliedern empfehlen, sich in „allen Fragen der islamischen Rechtsauslegung an“ den Maßgaben des ECFR zu orientieren“.
Die Beklagte macht geltend, es bestünden personelle und ideologische Verflechtungen des Klägers mit der verfassungsfeindlichen islamistischen Muslimbruderschaft (MB) zugehörigen Vereinigungen, namentlich dem ECFR, dem Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) und dem Islamischen Zentrum München (IZM). Bereits diese Verbindungen begründeten tatsächliche Anhaltspunkte für auch beim Kläger selbst vorhandene Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung iSd § 4 Abs. 1 S. 3 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVerfSchG), die zu einer Berichterstattung nach § 16 Abs. 2 BVerfSchG berechtigten. Hinzu kämen die im Bericht genannten und wahrheitsgemäßen Umstände.
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Unter Klageabweisung im Übrigen untersagt das Verwaltungsgericht der Beklagten zu behaupten, a) es existiere ein Schulungsleitfaden des Klägers, in dem es heißt, ein Teilnehmer sollte nach Abschluss des Kurses dazu „fähig sein, durch die Schönfärberei der westlichen Regierungen zu sehen, welche die tyrannischen muslimischen Herrscher unterstützen und involvieren, um muslimische Regime aktiv zu destabilisieren. Demnach sollte er die Notwendigkeit verspüren, den politischen Status Quo zu verändern“, und b) der Kläger würde seinen Mitgliedern empfehlen, sich bei allen Fragen der islamischen Rechtsauslegung an den Maßgaben des ECFR zu orientieren.
[27] Die als allgemeine Leistungsklage zulässige Klage auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen ist zum Teil begründet.
[28] Grundlage des Unterlassungsanspruchs des Klägers ist dessen grundrechtlich geschützte Position, die sich zumindest aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.5.2008 -6 C 13/07- NVwZ 2008, 1371 [1372]). Dem Kläger als juristischer Person stehen nach Art. 19 Abs. 3 GG die im allgemeinen Persönlichkeitsrecht wurzelnden Schutzansprüche auch insoweit zu, als er dieser im Rahmen seines Aufgabenbereichs bedarf. Hierzu zählen insbesondere das Verfügungsrecht und das Selbstbestimmungsrecht über die eigene Außendarstellung des Verbandes sowie der Schutz des sozialen Geltungsanspruchs, der sogenannten „äußeren Ehre“ als des Ansehens in den Augen anderer (vgl. BVerwG, aaO).
[29] Die Voraussetzungen des auf diesen Grundlagen basierenden Unterlassungsanspruchs sind vorliegend nur teilweise erfüllt. Im Einzelnen:
[30] Die Beklagte greift mit den verfahrensgegenständlichen Äußerungen im Verfassungsschutzbericht in die grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre des Klägers ein. Denn der Verfassungsschutzbericht ist kein beliebiges Erzeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. Er zielt auf die Abwehr besonderer Gefahren und stammt von einer darauf spezialisierten und mit besonderen Befugnissen, darunter der Rechtsmacht zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, arbeitenden Stelle. Insofern geht eine Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht über die bloße Teilhabe staatlicher Funktionsträger an öffentlichen Auseinandersetzungen oder an der Schaffung einer hinreichenden Informationsgrundlage für eine eigenständige Entscheidungsbildung der Bürger hinaus. Sie ist eine an die von dem Kläger vermeintlich verbreiteten Standpunkte anknüpfende, mittelbar belastende negative Sanktion gegen jenen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.5.2005 -1 BvR 1072/01- NJW 2005, 2912 [2913]). Dabei ist der Staat grundsätzlich nicht gehindert, das tatsächliche Verhalten von Gruppen oder deren Mitgliedern wertend zu beurteilen. Die Verteidigung von Grundsätzen und Wertvorgaben der Verfassung durch Organe und Funktionsträger des Staates kann auch mit Hilfe von Informationen an die Öffentlichkeit und der Teilhabe an öffentlichen Auseinandersetzungen erfolgen. Führt das staatliche Informationshandeln aber zu Beeinträchtigungen, die einem Grundrechtseingriff gleichkommen, bedürfen sie der Rechtfertigung (vgl. BVerfG, aaO, NJW 2005, 2912 [2914]).
[31] Eingriffsnorm für die Berichterstattung ist vorliegend § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG. Danach dient die nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG erfolgende Unterrichtung des Bundesinnenministeriums (BMI) über die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) auch der Aufklärung der Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG. Nach § 3 Abs. 1 BVerf-SchG ist wiederum Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden unter anderem die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
[32] Die Klage ist begründet, soweit sie sich gegen die Behauptung wendet, es existiere ein Schulungsleitfaden des Klägers, in dem es heiße, ein Teilnehmer sollte nach Abschluss des Kurses dazu „fähig sein, durch die Schönfärberei der westlichen Regierungen zu sehen, welche die tyrannischen muslimischen Herrscher unterstützen und involvieren, um muslimische Regime aktiv zu destabilisieren. Demnach sollte er die Notwendigkeit verspüren, den politischen Status Quo zu verändern.“ Denn die Beklagte hat weder den ihr obliegenden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.5.2008 -6 C 13/07- NVwZ 2008, 1371 [1375]) Beweis der Wahrheit dieser Äußerung des Verfassungsschutzberichtes geführt, noch die Äußerung als bloßen Verdacht ausdrücklich gekennzeichnet. Für die Verbreitung unwahrer grundrechtsrelevanter Tatsachenbehauptungen gibt es aber keinen rechtfertigenden Grund (vgl. BVerwG, aaO, NVwZ 2008, 1371 [1373]).
[33] Zwar hat die Beklagte ein Dokument mit dem Titel „Ausbildungslehrgang Deutsch.doc“ vorlegen können, in dem die vorstehenden Passagen zu finden sind. Sie hat es aber nicht vermocht, zur Überzeugung der Kammer nachzuweisen, dass dieses Dokument ein solches des Klägers ist. (wird ausgeführt)
[35] Der Kläger ist auch nicht insgesamt nur als „Verdachtsfall“ gekennzeichnet, wie dies etwa auf S. 135 der endgültigen Fassung des Berichts hinsichtlich der Bürgerbewegung pro Köln e.V. erfolgt ist. Kann die Beklagte aber den Nachweis der Wahrheit ihrer Aussage nicht führen und hat sie auch die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze der Verdachtsberichterstattung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.5.2005 -1 BvR 1072/01- NJW 2005, 2912 [2915]), wonach eine ausdrückliche Kennzeichnung als Verdachtsfall notwendig gewesen wäre, nicht berücksichtigt, so ist der durch die angegriffene Passage des Verfassungsschutzberichts vorgenommene Eingriff rechtswidrig.
[36] Gleiches gilt hinsichtlich der Aussage, der Kläger empfehle seinen Mitgliedern, sich bei allen Fragen der islamischen Rechtsauslegung an den Maßgaben des European Council for Fatwa and Research (ECFR) zu orientieren. Die Beklagte hat auch insofern nicht den Beweis der Wahrheit erbringen können. (wird ausgeführt)
[38] Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Soweit der Kläger sich gegen die Passagen „‘Die Teilnehmer sollten am Ende dieses Kurses erkennen, dass Allah die beste Anleitung zu den Prinzipien eine Regierung zu führen zur Verfügung gestellt hat, dass Säkularismus im Islam keinen Platz hat und dass die Muslime daher sich bemühen müssen, Allahs Anleitung in allen Belangen umzusetzen.’ [...] Im Schulungsleitfaden werden Werke führender MB-Ideologen zur Pflichtlektüre empfohlen“ wendet, handelt es sich um eine wahrheitsgetreue Widergabe der tatsächlichen Umstände durch das BfV.
[39] Nach Überzeugung der Kammer steht fest, dass der Kläger den als Dokument namens „01_Intensivkreis.doc“ bei M. gefundenen Leitfaden selbst als Schulungsleitfaden verwendet hat. (wird ausgeführt)
[43] Diesem Dokument ist zum einen auch – von der Korrektur von Schreibfehlern abgesehen – die im Verfassungsschutzbericht zitierte Passage „Die Teilnehmer sollten am Ende dieses Kurses erkennen, dass Allah die beste Anleitung zu den Prinzipien eine Regierung zu führen zur Verfügung gestellt hat, dass Säkularismus im Islam keinen Platz hat und dass die Muslime daher sich bemühen müssen, Allahs Anleitung in allen Belangen umzusetzen“ wörtlich so zu entnehmen. Zum anderen werden in dem Dokument – beispielsweise auf S. 4 unten und damit noch im Bereich des vom Kläger als verwendet eingeräumten Teils – Werke führender MB-Ideologen zur Pflichtlektüre empfohlen. Dass es sich bei den darin aufgeführten Werken zum Teil um solche führender MB-Ideologen handelt, hat die Beklagte überzeugend nachgewiesen und ist von dem Kläger nicht bestritten worden.
[44] Die Klage ist in der Folge auch hinsichtlich der Passage „Eine konsequente Umsetzung derartiger Lehrinhalte würde den grundlegenden Prinzipien einer demokratischen, rechtsstaatlichen Ordnung widersprechen“ unbegründet. Denn insofern handelt es sich um eine zutreffende Würdigung der vorstehenden, dem Dokument „01_Intensivkreis.doc“ entnommenen Äußerung. Bei verständiger Würdigung fordert der Kläger mit dieser Aussage die Bereitschaft seiner Mitglieder ein, sich um die Abschaffung der Trennung von Staat und Kirche zu bemühen und einen – wie auch immer gearteten – islamischen Staat herbeizuführen. Die Verwirklichung dieser Vorgabe bedeutete eine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips des Art. 20 Abs. 1 und 2 GG und einen schweren Verstoß gegen die in Art. 4 GG garantierte Religionsfreiheit, die nach § 4 Abs. 2 lit. g BVerfSchG als Menschenrecht (vgl. auch Art. 9 EMRK) ebenso Teil der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist. Die Umsetzung dieser Lehrinhalte des Klägers würde demnach den grundlegenden Prinzipien einer demokratischen, rechtsstaatlichen Ordnung widersprechen. Folglich entspricht die Darstellung im Verfassungsschutzbericht insofern einer wahrheitsgemäßen und zulässigen Würdigung der Ansichten des Klägers und begegnet auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten keinen rechtlichen Bedenken.