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Der Kirchenvorstand einer aufgelösten katholischen Kirchengemeinde ist für eine Klage gegen die staatliche Anerkennung der neu gebildeten Kirchengemeinde nicht klagebefugt.

§ 42 Abs. 2 VwGO
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 22. Februar 2012 -4 K 3829/09-16

Mit Dekret vom 30.3.2008 errichtete der Bischof von X. mit Wirkung vom 1.9.2008 die Pfarr-und Kirchengemeinde A. in B. neu, indem die Pfarr- und Kirchengemeinden A., C., D., E., F.,G., H., K., L. und M. vereinigt wurden. In der Pfarr- und Kirchengemeinde A. wurden die Gemeinden N., M., E., K. und A. eingerichtet. Die kirchliche Urkunde enthält unter Ziffer 3 die Regelung, dass das gesamte Kirchenvermögen (einschließlich aller Forderungen, Verbindlichkeiten und Immobilien), die Kirchenbücher und die Akten der aufgehobenen Pfarr- und Kirchengemeinden der neu errichteten Pfarr- und Kirchengemeinde (als ausschließliche Rechtsnachfolgerin) zugeführt werden.

Mit Schreiben vom 25.8.2008 beantragte der Beigeladene (Bischof von X.) bei der Bezirksregierung O. die staatliche Anerkennung der Errichtung der Pfarr- und Kirchengemeinden. Dem Antrag war die Urkunde des Bischofs beigefügt. Mit Urkunde vom 26.8.2008 erkannte die Bezirksregierung O. die Errichtung der Katholischen Pfarr- und Kirchengemeinde A. in B. mit Wirkung vom 1.9.2008 für den staatlichen Bereich an. Am 31.8.2008 wurden Abschriften beider Urkunden u.a. dem Pfarrer der Gemeinde H. übergeben.

Der Kläger, Kirchenvorstand der aufgelösten Gemeinde H., hat zunächst den innerkirchlichen Rechtsweg beschritten und am 8.9.2008 einen Antrag auf Rücknahme des vorgenannten Dekrets gestellt. Dieser Rechtsbehelf wurde mit Dekret des Bischofs vom 26.9.2008 zurückgewiesen. Die dagegen am 16.10.2008 eingelegte Beschwerde hat die Kleruskongregation in Rom mit Dekret vom

6.2.2009

zurückgewiesen. Eine weitere Entscheidung im kirchlichen Rechtsweg wurde nicht herbeigeführt.

Mit der am 4.9.2009 erhobenen Klage begehrt der Kläger, die dem Beigeladenen unter dem 26.8.2008 erteilte Anerkennung der Errichtung der Katholischen Pfarr- und Kirchengemeinde A. insoweit aufzuheben, als dadurch die Katholische Kirchengemeinde H. in B. betroffen, aufgelöst und mit der Katholischen Kirchengemeinde A. in B. vereinigt wird.

Hierzu macht er im Wesentlichen geltend: Die Klage richte sich allein gegen die staatliche Anerkennung der Aufhebung der Kirchengemeinde H. als Körperschaft des öffentlichen Rechts nach staatlichem Recht. Der Beklagte habe die ihm obliegende Prüfungspflicht verletzt. Dem Antrag auf staatliche Anerkennung der neuen Großgemeinde seien die erforderlichen Beschlüsse über eine Vermögensauseinandersetzung und eine Aufstellung des unbeweglichen Vermögens der Kirchengemeinde nicht beigefügt gewesen. Ziffer 3 der bischöflichen Urkunde werde der komplexen Struktur des Vermögensüberganges nicht gerecht, es fehlten Regelungen zu unselbständigen Stiftungen und mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Fonds. Die Beurkundung der Beschlüsse über eine Vermögensauseinandersetzung müsse der gesetzlich vorgeschriebenen Form entsprechen. Solche Beschlüsse könne allein er, der Kläger, fassen, da er nach dem Gesetz über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens das Kirchenvermögen vertrete. Für einen Zusammenschluss von Kirchengemeinden zu Verbänden sei nach diesem Gesetz ausdrücklich die Zustimmung der Kirchenvorstände erforderlich. Dies müsse erst recht für die Verschmelzung von Gemeinden zu einer neuen Großgemeinde gelten. Da die Kirchengemeinde eine selbständige Körperschaft des öffentlichen Rechts sei, müsse deren Organ in seinen Rechten geachtet werden. Der Bischof habe den Kläger schlicht übergangen und ihn noch nicht einmal zu einem entsprechenden Beschluss aufgefordert. Der Bischof müsse den nach dem Vermögensverwaltungsgesetz vorgeschriebenen Weg gehen, da auch er an dieses Gesetz gebunden sei. Weigere ein Kirchenvorstand sich, einen entsprechenden Beschluss zu fassen, habe der Bischof das Recht, ihn zu entpflichten.

Da das kirchenrechtliche Verfahren nicht den hier relevanten Streitgegenstand betreffe, stehe der Umstand, dass dieses nicht bis zum Ende durchgeführt worden sei, der Klage nicht entgegen.

Er, der Kläger, sei auch aktivlegitimiert. Insoweit könne auf die Rechtsprechung zur Aktivlegitimation einer aufgelösten Gemeinde im Prozess um die Rechtmäßigkeit ihrer Auflösung Bezug genommen werden. Dass zwischenzeitlich ein neuer Kirchenvorstand gewählt worden sei, stehe der Aktivlegitimation ebenfalls nicht entgegen.

Sofern sich der Beklagte und der Beigeladene auf die fehlende Genehmigung der Prozessführung seitens des Beigeladenen beriefen, sei dies rechtsmissbräuchlich. Der Beigeladene könne nicht durch Nichterteilung der Genehmigung die Wahrnehmung berechtigter Interessen verhindern. Die Genehmigung habe zudem den Sinn, wirtschaftlichen Schaden von der Gemeinde abzuwenden. Ein vermögensrechtlicher Schaden für die Gemeinde sei jedoch nicht zu befürchten, da ein Förderverein den Prozess zahle.

Die Klage sei auch nicht verfristet. Er sei nicht immer von amtlichen Schreiben durch seinen Vorsitzenden unterrichtet worden. Ein eigener Zustellungsbevollmächtigter sei ihm vom Beigeladenen verweigert worden.

Der Beklagte wendet sich bereits gegen die Klagebefugnis. Der Kläger sei nicht mehr existent und könne daher nicht klagen. Zwischenzeitlich sei der Kirchenvorstand der neuen Gemeinde A. gewählt, und zwar auch auf dem Gebiet der ehemaligen Gemeinde H. Der neue Vorstand vertrete jetzt diese Gemeinde und sei auch für die Entscheidungen zur Vermögensauseinandersetzung zuständig. Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung zum Gemeinderecht stütze, seien die Rechtsgebiete nicht vergleichbar; eine Analogie zur kommunalen Neugliederung sei nicht möglich. Die Synodalstatuten des Beigeladenen schrieben für eine Klageerhebung zudem eine kirchenaufsichtliche Genehmigung vor, die vom Kläger nicht beantragt worden sei und auch nicht erteilt würde. Somit seien sämtliche Prozesshandlungen des Klägers ungültig. Die Klage sei auch verfristet, da sie erst mehr als ein Jahr nach Bekanntgabe der Anerkennung eingereicht worden sei. Mit der Übergabe des Dekrets des Bischofs und der angefochtenen Anerkennungsurkunde an den Pfarrer seien diese Schriftstücke dem Kirchenvorstand bekannt gemacht worden. Wenn es innerhalb dieses Gremiums Probleme gegeben haben sollte, ändere dies an der Bekanntgabe des Anerkennungsbescheides nichts. Zudem habe die staatliche Anerkennung keine drittschützende Wirkung für den Kläger. Der Bischof habe allein das Recht zur Auflösung von Gemeinden, die Entscheidung der staatlichen Behörde sei eine gebundene Entscheidung und vollziehe nur die in kirchlicher Selbstverwaltung getroffene Entscheidung des Bischofs für den staatlichen Bereich nach. Wenn der Bischof versichere, dass alle Voraussetzungen vorlägen, habe er, der Beklagte, eine Anerkennungspflicht. Dem Kläger habe das kirchenrechtliche Verfahren zur Verfügung gestanden, das er nicht ausgeschöpft habe. Eine mögliche Klage bei der Apostolischen Signatur sei nicht mehr eingereicht worden. Der Kläger hätte alle ihn interessierenden Fragen im kirchenrechtlichen Verfahren klären können, da die geltend gemachten Mitwirkungsrechte des Kirchenvorstandes im Autonomiebereich der Kirche angesiedelt seien.

Schließlich sei die Klage auch unbegründet. Die Urkunde des Bischofs enthalte in Ziffer 3 eine Erklärung zur Vermögensauseinandersetzung in der Form, dass die neue Gemeinde die Gesamtrechtsnachfolge u.a. der Gemeinde H. antrete. Damit lägen die Voraussetzungen für den Vermögensübergang vor. Die im Gesetz genannten Beschlüsse seien nicht die des Kirchenvorstandes, sondern die notwendigen Beschlüsse des Bischofs. Zudem sollen nach dem Wortlaut der Vorschrift etwaige Beschlüsse beigefügt werden. Dies sei nicht erforderlich, wenn eine Vermögensauseinandersetzung nicht stattfinde. Dies sei hier der Fall gewesen, da die neue Pfarrei in sämtliche Rechte der zusammengeschlossenen Gemeinden eingetreten sei.

Der Beigeladene macht geltend, die Klageerhebung sei aus formalen Gründen auch deshalb unwirksam, weil die Rechtswirksamkeit einer Erklärung des Kirchenvorstandes nach den Synodalstatuten drei Unterschriften und die Beidrückung des Siegels voraussetze. Vorliegend fehle in jedem Fall das Siegel. Zudem sei in dem abgeschlossenen kirchenrechtlichen Verfahren auch für die staatlichen Gerichte bindend festgestellt worden, dass Rechtsverletzungen des Beigeladenen, wie sie vom Kläger gerügt werden, nicht vorlägen. An die Erklärung des Bischofs von X., dass alle kirchenrechtlichen Voraussetzungen für die Fusion der Kirchengemeinden vorlägen, sei der Beklagte gebunden; ihm stehe aufgrund der Selbstverwaltungsautonomie der Kirchen keine eigene Prüfung zu.

Das Verwaltungsgericht weist die Klage an.

Aus den Gründen:

[28] Die erhobene Anfechtungsklage ist unzulässig.

[29] Zwar sieht das Gericht den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO als gegeben an, da der Kläger sich ausdrücklich gegen den staatlichen Anerkennungsbescheid vom 26.8.2008 und damit gegen eine öffentlich-rechtliche Maßnahme wendet.

[30] Dem Kläger fehlt indes die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO zur Anfechtung dieses an einen anderen, den Beigeladenen, gerichteten Verwaltungsakts. Nach dieser Bestimmung ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Zweck dieser Bestimmung ist der Ausschluss von Popularklagen. Zwar muss die Verletzung eigener Rechte nur möglich sein, was beim Adressat eines Verwaltungsakts stets vermutet werden kann. Der Kläger ist aber nicht Adressat der Entscheidung, die Errichtung der Pfarr- und Kirchengemeinde A. für den staatlichen Bereich anzuerkennen. Geht es um die Klage eines Dritten, ist zur Bejahung einer Klagebefugnis erforderlich, dass er sich auf eine öffentlich-rechtliche Norm stützen kann, die nach dem in ihr enthaltenen Entscheidungsprogramm (zumindest auch) ihn als Dritten schützt. Insoweit ist entscheidend, dass sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen lässt, der sich hinreichend von der Allgemeinheit unterscheidet (BVerwG, Urteil vom 28.11.2007 -6 C 42/06- BVerwGE 130, 39).

[32] Vorliegend scheidet nach dem Klagevorbringen die Möglichkeit der Verletzung des Klägers in eigenen Rechten offensichtlich aus. Der Kläger macht geltend, dass die Bezirksregierung ihre Pflicht zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Buchstabe c) der Vereinbarung über die Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung katholischer Kirchengemeinden – Vereinbarung – verletzt hat. Dieser Vorschrift kommt indes keine drittschützende Wirkung für den Kirchenvorstand einer betroffenen Gemeinde zu. Die Vereinbarung regelt den Anerkennungsakt der Bezirksregierung, die lediglich formal prüft, ob die in § 3 der Vereinbarung aufgezählten Unterlagen vorliegen. Nach Abs. 2 Buchstabe c) dieser Vorschrift sind dem Antrag Beschlüsse über eine etwaige Vermögensauseinandersetzung und eine Aufstellung des unbeweglichen Vermögens der Kirchengemeinde beizufügen, wobei die Beurkundung der entsprechenden Beschlüsse über eine etwaige Vermögensauseinandersetzung der gesetzlich vorgesehenen Form entsprechen muss. Schon der Wortlaut dieser Bestimmungen enthält keinen Hinweis auf Drittschutz. Das gilt auch für den Sinnzusammenhang. Die neu gebildete Kirchengemeinde wird mit der staatlichen Anerkennung gem. § 1 Abs. 1 der Vereinbarung für den staatlichen Bereich rechtlich wirksam und erhält gem. § 6 der Vereinbarung die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Es besteht daher ein (allein) öffentliches Interesse daran, neben den örtlichen Grenzen der neu gebildeten Körperschaft (siehe dazu § 3 Abs. 1 Buchstabe b) der Vereinbarung) auch das ihr zugeordnete Vermögen „inventarmäßig“ zu erfassen, um die Gemeinde von anderen Kirchengemeinden eindeutig abgrenzen zu können.

[33] Die den Kläger interessierende Frage, ob der Beigeladene ihn an der Neugliederung hätte beteiligen müssen, kann im Rahmen der staatlichen Anerkennung allenfalls § 3 Abs. 2 Buchstabe e) der Vereinbarung zugeordnet werden. Nach dieser Vorschrift legt der Bischof eine Erklärung vor, dass die kirchenrechtlichen Voraussetzungen in formeller und materieller Hinsicht für die Errichtung der Kirchengemeinde erfüllt sind. Drittschützend ist diese Vorschrift nicht, denn der Beklagte ist an die Erklärung des Bischofs gebunden; eine inhaltliche Prüfung der Richtigkeit der Erklärung steht ihm nicht zu.

[34] Die Klagebefugnis des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 23 des Gesetzes über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24.7.1924 – VermVG -. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift werden die Bildung und die Erweiterung eines Gemeindeverbandes sowie der Umfang seiner Rechte und Pflichten nach Zustimmung der Kirchenvorstände der beteiligten Gemeinden von der bischöflichen Behörde mit Genehmigung der Staatsbehörde angeordnet. Gleiches gilt nach Abs. 2 der Vorschrift für die Auflösung des Gemeindeverbandes. Diese Regelung ist auf den Fall eines Zusammenschlusses von Kirchengemeinden zu einem Verband beschränkt und betrifft gerade nicht die Neuerrichtung und Auflösung von Kirchengemeinden.

[35] Es spricht zudem vieles dafür, dass die Klage auch verfristet ist. Da der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthält, hätte die Klage gem. § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe erhoben werden müssen. Diese Jahresfrist lief am Montag, dem 31.8.2009 ab, da die kirchenrechtliche Entscheidung und die hier angefochtene staatliche Anerkennung dem Vorsitzenden des Klägers unstreitig am 31.8.2008 vom bischöflichen Notar verlesen und übergeben worden waren. Der Kläger hat jedoch erst am 4.9.2009 Klage erhoben.

[36] Vor diesem Hintergrund kann das Gericht weitere Zulässigkeitsprobleme dahinstehen lassen. Fraglich ist nämlich auch die Beteiligtenfähigkeit des Klägers gem. § 61 Ziffer 2 VwGO, da die Kirchengemeinde H. und damit auch der Kläger aufgelöst und zwischenzeitlich in der Gemeinde A. ein neuer Kirchenvorstand gewählt ist. Ob sich der Kläger angesichts seiner kirchenrechtlich unwiderruflichen Auflösung und angesichts des hier bestehenden Dreieckverhältnisses zwischen Kläger, Beklagtem und Beigeladenem insoweit auf die Rechtsprechung zum Fortbestand der Beteiligtenfähigkeit einer im Rahmen der kommunalen Neugliederung aufgelösten Gemeinde berufen kann, braucht nicht entschieden zu werden.

[37] Offenbleiben kann auch, ob der Kläger ohne seinen Vorsitzenden, den Pfarrer, klagen kann und ob die gem. Art. 713 Ziffer 1 Buchstaben s) und k) der Synodalstatuten der Diözese X. erforderlichen bischöflichen Genehmigungen der Klageerhebung und Beauftragung eines Rechtsanwaltes sowie weitere eventuell einzuhaltende Formalien der Wirksamkeit der Rechtshandlungen des Klägers entgegenstehen.