Art./§§ 4 Abs. 2 GG, 1, 7 Abs. 1, 15 Abs. 1 u. 2 AGG
ArbG Wuppertal, Urteil vom 1. März 2012 -6 Ca 3382/11-24
Die Klägerin ist seit dem 1.6.2000 bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte beschäftigt, zuletzt in Teilzeit in der Position eines „Facility Management Agent“. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat, dessen Vorsitzende die Klägerin seit August 2008 ist. In dieser Funktion ist sie vollumfänglich von der Arbeitsleistung freigestellt.
Mit Schreiben vom 9.7.2010 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung wegen eines Arbeitszeitverstoßes. Mit Schreiben vom 1.10.2010 kritisierte die Beklagte das Verhalten der Klägerin als Betriebsratsvorsitzende und wies auf eine mögliche Strafanzeige und Unterlassungsklage hin. Am 1. und 15.10.2010 erteilte die Beklagte der Klägerin weitere Abmahnungen, gegen die die Klägerin ebenso wie gegen die zuvor erteilte Abmahnung Klage erhoben hat.
Am 8.10.2010 erlitt die Klägerin einen Nervenzusammenbruch und war vom 8.10.2010 bis zum 24.10.2010 arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 2.11.2010 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis mit Zustimmung des Betriebsrats fristlos wegen gravierender Pflichtverletzungen und erließ gegen die Klägerin ein Hausverbot für sämtliche Bereiche des Firmengeländes wegen massiver Beleidigungen und Bedrohungen von Betriebsratsmitgliedern. Mit Schreiben vom 12.11.2010, 16.12.2010 und 1.2.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Zustimmung des Betriebsrats hilfsweise erneut außerordentlich fristlos; hiergegen hat die Klägerin jeweils Kündigungsschutzklage erhoben. Mehrere Betriebsratsmitglieder erstatteten am 4.11.2010 Strafanzeige gegen die Klägerin und stellten Strafantrag.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin Entschädigung, Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz wegen Mobbing, Diskriminierung und Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Sie behauptet u.a., über Jahre hinweg von der Beklagten wegen ihrer Weltanschauung, die sie im Sinne einer gleichberechtigten Vertretung der Arbeitnehmer und eines sozialen Ausgleich zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern verstehe, diskriminiert worden zu sein. Sie sei einem Verhalten ausgesetzt gewesen, das sie als Mobbing bezeichnet. Sie sei vor Kollegen erniedrigt und in ihrer Betriebsratstätigkeit behindert worden. Die Beklagte habe das Ziel verfolgt, sie aus dem Betriebsrat und dem Arbeitsverhältnis zu drängen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die eingeklagten Ansprüche weder dem Grunde noch der Höhe nach gerechtfertigt seien. Die Tätigkeit der Klägerin als Betriebsrätin sei weder Ausdruck einer Religion noch einer Weltanschauung. Das von der Klägerin behauptete Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten diskriminiere sie nicht in ihrer Weltanschauung. Die Klägerin habe keine diskriminierenden Handlungen dargelegt, sondern beschreibe lediglich Meinungsverschiedenheiten und Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber, dem Betriebsrat und ihr als Betriebsratsvorsitzenden.
Das Arbeitsgericht weist die Klage ab.
[17] Die überwiegend zulässige Klage ist unbegründet.
[18] Die Klägerin hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Entschädigung und Schmerzensgeld noch auf Ersatz eines materiellen Schadens. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die außergerichtliche und gerichtliche Rechtsverfolgung besteht ebenfalls nicht.
[19] I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Entschädigung und Schmerzensgeld in Höhe von 420.000,00 €.
[20] 1. Die Klägerin kann ihren Anspruch nicht mit Erfolg auf § 15 Abs. 1, 2 AGG stützen.
[21] a) Voraussetzung für einen Anspruch nach § 15 AGG ist ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG. Gem. § 15 Abs. 1 AGG hat der Arbeitgeber Vermögensschäden, die aus der Verletzung des Benachteiligungsverbotes entstanden sind, verschuldensabhängig zu ersetzen. Entsprechend § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB wird das Verschulden des Arbeitgebers widerlegbar vermutet (§ 15 Abs. 1 S. 2 AGG). Nach § 15 Abs. 2 AGG haftet der Arbeitgeber auch für Nichtvermögensschäden. Anders als Abs. 1 setzt der Entschädigungsanspruch nach Abs. 2 keinen schuldhaften Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot voraus; auch ein dem Arbeitgeber bloß zurechenbares Verhalten wird sanktioniert (BAG, Urteil vom 22.1.2009 -8 AZR 906/07- NZA 2009, 945). Tatbestandsvoraussetzung ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 Abs. 1 iVm § 1 AGG. § 1 AGG erfasst Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, z.B. Art und Schwere, Dauer und Folgen, Anlass und Beweggrund der Benachteiligung, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung, das Vorliegen eines Wiederholungsfalls und das Erzielen einer abschreckenden Wirkung unter Berücksichtigung des Sanktionszweck der Norm (BAG, Urteil vom 22.1.2009, aaO).
[22] b) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen liegt auch nach dem Vorbringen der Klägerin ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG nicht vor.
[25] cc) Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht mit Erfolg auf eine Diskriminierung wegen ihrer Weltanschauung stützen.
[26] Als Weltanschauung wird ein subjektiv verbindliches Gedankensystem, das sich mit Fragen nach dem Sinnganzen der Welt und insbesondere des Lebens der Menschen in dieser Welt befasst und das zu sinnentsprechenden Werturteilen führt, verstanden. In Anlehnung an Art. 4 Abs. 2 GG dürften nur Fundamentalkonzepte über die Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die in Geschlossenheit und Sinngebungskraft einer Religion vergleichbar sind, vom AGG erfasst sein. Überzeugungen zu einzelnen Teilaspekten des Lebens genügen nicht (BVerwG, Urteil vom 19.2.1992 -6 C 5/91- NVwZ 1992, 1192, KirchE 30, 70). Allerdings muss der Weltanschauung eine Gewissensentscheidung zugrunde liegen. Eine bloße (z.B. politische) Überzeugung dürfte eher nicht ausreichen (ErfK/Schlachter, 11. Aufl. 2011, § 1 AGG, Rn 8; Thüsing, Diskriminierungsschutz, Rn 199).
[27] Nach Auffassung der Kammer ist die Tätigkeit als Betriebsrätin weder Ausdruck einer Religion noch einer Weltanschauung. Die Klägerin meint, ihre Weltanschauung bestehe darin, dass sie eine gleichberechtigte Vertretung der Arbeitnehmer und einen sozialen Ausgleich zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber für erforderlich hält. Es sei ihre feste Überzeugung, einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Arbeitgebers auf freie Ausübung seines Wollens und dem Interesse des Arbeitnehmers auf Schutz vor Eingriffen in das Arbeitsverhältnis sicherzustellen. Insoweit handelt es sich eher um eine individuelle Wertehaltung bzw. um ein individuelles Verhaltensmuster der Klägerin. Ihr besonderes Engagement als Betriebsrätin stellt keine Weltanschauung dar. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, ist der Begriff der Weltanschauung umfassend zu verstehen und nicht auf den Teilaspekt Arbeitsrecht/Betriebsratstätigkeit beschränkt.
[28] Im Übrigen ist die Kammer der Auffassung, dass die Klägerin keine diskriminierenden Handlungen dargelegt hat. (wird ausgeführt).