Kapitel 5

Im Frankfurter Polizeipräsidium saß Logo im Büro seines Dienststellenleiters und wartete, dass dieser sein Telefongespräch beendete. Obwohl er seit mehr als zwanzig Jahren hier arbeitete, konnte er ihre Gespräche an einer Hand abzählen. Fachinger war immer wieder über längere Zeit außer Dienst, und man munkelte von einem nicht genauer definierten Suchtproblem.

Wie er jetzt hinter seinem riesigen Schreibtisch saß, das am Kragen offene Hemd in merkwürdigem Gegensatz zu seinem militärisch anmutenden Bürstenhaarschnitt, machte er auf Logo jedoch einen äußerst gesunden Eindruck.

Endlich legte er auf und betrachtete Logo einen Moment stumm. Als er sprach, waren es nicht die Worte, die Logo erwartet hatte.

„Wo bleibt Ihre Bewerbung, Herr Stein?“

„Meine … Bewerbung?“

„Ja glauben Sie, Sie rücken automatisch auf, weil Frau Becker weg ist? Oder wollen Sie gar nicht Dienststellenleiter werden?“

Nichts anderes ging Logo durch den Kopf, seit Jenny ihnen mitgeteilt hatte, zumindest vorerst nicht mehr zurückzukommen. Er hatte es als selbstverständlich angesehen, dass er auf ihre Position nachrücken würde. Allerdings hatte er Zweifel, ob er als Chef geeignet war. Andererseits konnte er aber auch nicht ewig die zweite Geige spielen. Und wer wusste schon, wen sie ihm vor die Nase setzen würden.

All das ging ihm rasend schnell durch den Kopf, während er eine Antwort auf Fachingers Frage suchte.

„Ich wusste nicht, dass ich mich bewerben muss. Ich dachte … Gibt es denn aktuell andere Interessenten?“

„Aber sicher. Die Stelle muss ordentlich ausgeschrieben werden, und ich weiß von mindestens zwei Beamten, die sie gerne hätten. Nur weil Sie kommissarisch eingesetzt worden sind …“

„Ich habs verstanden …“, knurrte Logo. „War das alles? Dann gehe ich jetzt und schreibe meine Bewerbung.“

„Tun Sie das. Ich werde Sie wohlwollend … Andererseits wollen wir den Frauenanteil ja erhöhen …“

Logo reichte es. Er erhob sich, nickte zum Abschied und marschierte aus dem Büro.

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„Was ist los?“, wurde er im Büro von seinem Kollegen begrüßt. Sascha war vor einigen Jahren noch grün hinter den Ohren zu ihnen gestoßen und schnell zu einem wertvollen Mitglied ihres Teams geworden.

„Eine Bewerbung …“, knurrte Logo. „Ich soll eine Bewerbung schreiben.“

Zunächst fiel ihm nicht auf, dass Sascha nicht antwortete. „Wer sonst sollte die Stelle denn bekommen? Weißt du, wie lange ich schon hier arbeite? Wie fändest du es, wenn sie jemanden von außen nehmen, der uns dann sagt, was wir zu tun haben?“ Er wartete Saschas Antwort nicht ab. „Außerdem bin ich schon lange überfällig. Jenny war Jahre früher Abteilungsleiterin. Nur weil sie eine …“ Er hielt inne und rieb sich die Augen.

„Nee, das ist natürlich Quatsch. Jenny war einfach gut. Ist gut, meine ich. Wir haben seit Jahren die beste Aufklärungsquote von allen.“ Jetzt erst fiel ihm auf, dass Sascha immer noch stumm war.

„Was ist denn los? Hast du gar nichts dazu zu sagen?“

Sascha blickte auf seinen Schreibtisch und schob Blätter hin und her.

„Ey, ich rede mit dir.“

Endlich sah sein Kollege auf. „Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass sich noch jemand auf die Stelle bewerben könnte?“

„Nee!“, polterte Logo von Neuem los. „Reicht schon, dass der Ersatz für Jenny nächste Woche aufschlägt. Das ist unser Team, da brauchen wir niemanden von außen.“

„Es muss ja nicht unbedingt jemand von außen sein“, sagte Sascha leise.

Logo starrte ihn einen Moment verwirrt an. „Reden wir aneinander vorbei? Jenny ist weg. Dann bleiben doch nur noch wir beide.“

„Eben.“

Endlich dämmerte Logo, was Sache war. „Du? Du hast dich auf die Leiterstelle beworben? Hinter meinem Rücken?“

„Hast du nicht immer gesagt, du willst die Stelle nicht?“, konterte Sascha. „Ist das nicht besser, als wenn sie uns jemanden von außen vor die Nase setzen, wie du eben so schön angeführt hast?“

„Aber … aber …“ Logo schnappte nach Luft. „Ich habe viel mehr Dienstjahre auf dem Buckel! Viel mehr Erfahrung! Ich meine, ich erinnere mich noch, als wär´s gestern gewesen, als du angefangen hast. Du hast Wochen gebraucht, bis du dich getraut hast, einen von uns zu duzen!“

„Und jetzt bin ich ein erfahrener Beamter, der maßgeblich dazu beigetragen hat, wichtige Fälle zu lösen. Ich bin ebenso wie du Hauptkommissar und berechtigt, mich auf die Stelle zu bewerben. Du wirst sie sowieso bekommen, aber ich wollte es wenigstens versuchen.“

„Hinter meinem Rücken?“, wiederholte Logo und ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen.

„Ich wollte zunächst sehen, ob ich überhaupt eine Chance habe. Und wie gesagt, du hast vor Kurzem noch behauptet, eine leitende Stelle wäre nichts für dich.“

„Aber für dich, ja?“, fuhr Logo auf. „Soll ich dann vielleicht Befehle von dir entgegennehmen? So weit kommt es noch.“

Sascha seufzte. „Warte es doch einfach ab. Du bekommst die Stelle sicher. Du hast doch viel mehr Erfahrung. Ich bin dann vielleicht beim nächsten Mal dran.“

Doch Logo war nicht zu besänftigen. Er schnappte sich einen Ordner und vergrub sich darin, ohne in der nächsten Viertelstunde ein einziges Mal aufzuschauen.

Sascha seufzte vernehmlich und wandte sich, als keine Reaktion kam, seinen eigenen Unterlagen zu.

Als das Telefon klingelte, hob er erleichtert ab. „Meister, K11“, meldete er sich und hörte einen Moment aufmerksam zu.

„Wir sind unterwegs“, sagte er knapp und legte auf.

„Ein Toter in der Ruine des Goetheturms“, erklärte er.

„Was?“, fragte Logo entsetzt. „Als ob es nicht schon reichen würde, dass unser Wahrzeichen abgebrannt ist. Ich dachte, ich höre nicht richtig, als sie es in den Frühnachrichten gesendet haben.“

Er stand auf und griff nach seiner Jacke.

„Die SOKO Feuerteufel ist seit heute Nacht vor Ort, aber die Brandermittler konnten die Brandstelle erst heute Morgen, als alles abgekühlt war, untersuchen. Und dabei haben sie eine Leiche gefunden“, erklärte Sascha.

„Und warum rufen sie dann die Mordkommission?“

„Vermutlich weil es Brandstiftung und somit Mord war?“

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Durch den Berufsverkehr dauerte es fast eine halbe Stunde, bis sie die Stelle im Süden des Stadtteils Sachsenhausen erreicht hatten, an der sich bis gestern die Holzkonstruktion des Goetheturms erhoben hatte. Als sie auf dem nahegelegenen Parkplatz ausstiegen, drang ihnen der Gestank nach Rauch in Nase und Augen. Die Sachsenhäuser Kollegen hatten den Bereich großzügig mit Flatterband abgesperrt. Der Waldspielplatz direkt neben der Brandstelle war geschlossen.

„Zum Glück hat das Feuer sich nicht ausgebreitet“, bemerkte Sascha, als sie sich unter der Absperrung hindurch duckten. Ein uniformierter Beamter kam ihnen rasch entgegen, und Logo hielt ihm kommentarlos seinen Ausweis hin.

Nach einem kurzen Blick darauf winkte er sie weiter zu einem Feuerwehrwagen, neben dem zwei Feuerwehrmänner in Uniform standen und diskutierten. Hinter ihnen lagen die Reste des verbrannten Turmes. Hier und da stiegen noch kleine Rauchfäden nach oben. Auf dem Boden neben dem Wagen war etwas mit einer schwarzen Plane abgedeckt. Ein Fotograf machte Fotos von den Turmresten, und zwei Männer der Spurensicherung zogen sich gerade ihre Schutzanzüge an.

Logo und Sascha grüßten, traten dann zu den Feuerwehrleuten und stellten sich vor.

Der ältere Feuerwehrmann hielt eine Kladde in der Hand. „Griebenteich. Ich bin der Brandermittler. Mein Kollege Bensen. Gut, dass Sie da sind. Sowas sieht man zum Glück selten.“ Er rieb sich die Stirn, die feucht glänzte.

„Was genau haben wir?“, fragte Logo geschäftsmäßig.

Wortlos ging Griebenteich zur Plane, bückte sich und hob eine Ecke davon hoch.

Logo machte unwillkürlich einen Schritt zurück, während Sascha sich im Gegensatz dazu neugierig vorbeugte.

„Er lag oben in den Trümmern. Vermutlich hat er sich auf der Plattform befunden, während der Turm abgebrannt ist. Irgendwann ist dann alles zusammen gebrochen.“

Einen Moment starrten sie schweigend auf die verkohlte und verkrümmte, kaum noch als Mensch erkennbare Gestalt. Sascha, der großes Interesse für alles, was Gerichtsmedizin betraf, an den Tag legte, stellte die naheliegende Frage. „Sie gehen von einem Mord aus?“

Griebenteich rieb sich das Kinn. „Es wäre natürlich auch möglich, dass er sich selbst hinter dem Rücken gefesselt und dann den Turm angezündet hat …“

Stirnrunzelnd sah Sascha von Griebenteich zu den verbrannten Überresten. „Das können Sie trotz des Zustandes der Leiche erkennen? Ich meine, dass er gefesselt war?“

„Die Haltung“, erklärte Griebenteich geduldig. „Bei einem Brand ziehen sich die Sehnen und Bänder zusammen. Man nimmt eine fötale Haltung ein. Seine Arme sind aber straff nach hinten gezogen.“

„Seine Fesselung ist demnach nicht oder erst spät verbrannt“, erklärte Sascha.

Logo, dessen Gesicht außergewöhnlich blass war, mischte sich ein. „Das ist doch jetzt egal. Wo bleibt denn nur der Prof?“

„Unser Gerichtsmediziner“, erklärte Sascha auf Griebenteichs fragenden Blick.

„Dr. Schwind! Er kommt von außerhalb, wurde mitgeteilt, und kommt so schnell er kann.“

Logo seufzte. „Es war also Brandstiftung.“

„Ganz sicher“, bestätigte Griebenteich. „Natürlich dauern die Untersuchungen noch an, aber es sieht so aus, als gäbe es gleich mehrere Brandherde, jeweils an den Ecken des Turmes und auf den untersten Treppenstufen. Ich bin zuversichtlich, dass wir dort Brandbeschleuniger nachweisen können. Laut Zeugen ist der Brand gegen drei Uhr nachts ausgebrochen. Erst heute Morgen war alles so weit abgekühlt, dass wir die Brandstelle betreten konnten.“

An der Absperrung fuhr ein silberner Wagen entlang, hielt kurz und bog dann ab auf den Parkplatz.

„Das war er doch, oder?“, sagte Logo. „Hat er schon wieder ein neues Auto?“

Alle vier beobachteten interessiert, wie der Gerichtsmediziner sich aus dem flachen Sportwagen kämpfte.

„Ist er immer so angezogen?“, fragte Griebenteich überrascht.

Dr. Schwind trug kurze karierte Hosen, weiße Socken in Tennisschuhen und ein Polohemd in einem schrillen Gelb.

„Kein Wort“, zischte er statt einer Begrüßung und musterte Logo mit finsterem Blick. „Da nimmt man einmal Überstunden und trifft sich zu einem morgendlichen Tennis-Match! Aber Sie! Sie gönnen mir nicht einmal dieses harmlose Vergnügen!“

Seine Stimme war immer lauter geworden, und Griebenteich und sein Kollege waren vorsichtshalber einen Schritt zurück getreten.

Sascha ließ sich nicht einschüchtern. Er strahlte den übelgelaunten Gerichtsmediziner freundlich an. „Guten Morgen, Prof … ich meine Dr. Schwind. Ein herrlicher Tag, oder? Und eine Brandleiche. Faszinierend.“

„Ah, Sie sind ja auch da. Wenigstens einer, der meine Arbeit zu würdigen weiß. Und Sie? Wer sind denn Sie?“

Sascha beeilte sich, die Feuerwehrleute vorzustellen.

„Jaja, so genau wollte ich es gar nicht wissen. Was haben wir denn? Decken Sie das Opfer endlich auf!“

Er beugte sich über die Leiche und inspizierte sie von allen Seiten. „Was ist das da an seinen Handgelenken? Das braune Zeugs?“

Griebenteich räusperte sich und erläuterte seine Fesseltheorie.

„Ja, sicher war er gefesselt. Spricht immerhin für Sie, dass Sie das erkannt haben. Sind schon genug Fotos gemacht worden? Dann lasst uns die Überreste einpacken.“ Er sah hoch. „Da kommt ja endlich mein Assistent. Wird auch Zeit.“

Logo näherte sich ihm vorsichtig. „Fahren Sie zurück zum Tennis, oder obduzieren Sie ihn heute noch?“

„Natürlich fahre ich NICHT zurück zum Tennis. Im Gegensatz zu anderen Mitarbeitern nehme ich meine Arbeit ernst! Wenn Sie dabei sein wollen …“ Er sah Sascha an. „In zwei Stunden hab ich ihn auf dem Tisch.“

Sascha zögerte und blickte Logo an. Der erwiderte den Blick mit undurchdringlicher Miene.

„Ich glaube, heute wird es leider nicht klappen“, sagte Sascha an den Prof gewandt.

„Ihr Schaden“, antwortete dieser und zuckte mit den Achseln. „Also dann.“

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Nachdem der Prof samt seinem Assistenten mit der Leiche verschwunden war, wandte sich Logo an den Leiter der Spurensicherung. „Habt ihr irgendwas Interessantes gefunden?“

„So schnell geht das nicht. Ist ja alles mehr oder weniger verbrannt. Oder durch das Löschwasser aufgeweicht. Wir werden Stück für Stück akribisch durchsieben müssen.“

Logo kratzte sich am Kopf und seufzte. „Ausgerechnet ein Brand. Ich hasse diesen Gestank. Den kriegt man ewig nicht aus den Klamotten und den Haaren.“

„Du musst ja nicht in den Matsch!“, warf Sascha ein.

„Nee, das dürfen wir, und ihr erntet die Lorbeeren, wenn wir etwas finden!“, knurrte der Mann von der Spusi und wandte sich ab. „Passt bloß auf, dass ihr euch nicht die Hände schmutzig macht.“

Logo und Sascha sahen ihm verdutzt nach.

„Hat der eine Laune“, brummte Logo. „Lass uns die Zeugen befragen. Vielleicht hat jemand gesehen, wie das Opfer hergebracht wurde.“

Griebenteich nannte ihnen den Namen des Mannes, der den Brand gemeldet hatte, und einige Minuten später klingelten sie an der Tür seines kleinen Reihenhauses im Wendelsweg.

Sascha warf einen Blick in die Runde. „Von hier aus sieht man den Turm normalerweise nicht. Das Haus daneben und die hohen Bäume verdecken alles. Aber ich bin sicher, der Brand hat den ganzen Himmel erhellt.“

„Ach was“, stichelte Logo, als sich auch schon die Tür öffnete, und ein kleiner Mann in Jogginghosen und einem ausgeleierten Pullunder ihnen öffnete.

Als er Logo und Sascha sah, trat er schnell einen Schritt nach draußen und zog die Tür hinter sich zu.

„Herr Adamski?“, fragte Logo und zeigte gleichzeitig seinen Ausweis.

„Sprechen Sie leise“, flüsterte der Mann fast unhörbar und strich die wenigen verbliebenen Haarsträhnen nach hinten. „Meine Frau regt sich immer so leicht auf.“

Logo und Sascha wechselten einen Blick.

„Sie haben den Brand heute Nacht gemeldet?“, fragte Logo.

„Ja. Leider isser ja wohl trotzdem abgebrannt. Eine Schande is das.“

„Man sieht den Turm doch von hier aus gar nicht?“, stellte Logo fest.

Zu seiner Überraschung wurde der Mann rot.

„Ich war nicht hier. Ich war im Garten.“

„Um …“ Logo sah auf seinen Notizblock. „Um halb zwei nachts?“

Herr Adamski warf einen besorgten Blick über die Schulter. „Meine Frau nimmt Schlaftabletten. Und dann schnarcht sie. Ich mache oft, wenn ich nicht schlafen kann, noch einen Spaziergang in meinen Schrebergarten. Schaue fern. Trinke ein, zwei Bier. Sie verstehen? Da hab ich draußen das Licht gesehen. Und ein Krach war da plötzlich. Da bin ich heim gerannt und hab die Bul … die Polizei angerufen.“

„Wieso denn die Polizei und nicht die Feuerwehr?“, wollte Sascha wissen.

„Ich kann mir nicht merken, wer die 110 und wer die 112 hat“, gab Adamski zu. „Hab einfach irgendwo angerufen. Die haben’s dann ja auch weitergegeben.“

„Haben Sie denn noch irgendjemand am Tatort gesehen?“, fragte Logo.

„Tatort? Dacht ich mir schon, dass den jemand angezündet hat. Wie die Kindergärten. Wer macht sowas bloß? Man ist ja seines Lebens nicht mehr sicher!“

Adamski fuchtelte bei dieser Aussage so wild mit den Händen, dass Logo vorsichtshalber einen Schritt zurücktrat.

„Sie haben also niemanden gesehen? In der Nacht oder vielleicht am Abend vorher? Jemanden, der sich verdächtig benommen hat oder einen Wagen, der dort nicht hingehört?“

Der Mann hatte sich so schnell wieder beruhigt, wie er sich aufgeregt hatte. Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. „Da sind ja dauernd Leute unterwegs. Die ganze Nacht geht das. Irgendwelche Teenager, die zum Knutschen kommen. Oder zum Chillen, wie das heute heißt. Kann mich an niemanden speziell erinnern.“

Sascha schaltete sich ein, was ihm einen unwilligen Seitenblick von Logo einbrachte. „Sind Sie dann sofort nach Hause gegangen oder dageblieben, um der Feuerwehr beim Löschen zuzusehen?“

Ein bedauernder Ausdruck ging über Adamskis Gesicht. „Dachte mir, dass meine Alte trotz der Tabletten von dem Lärm wach wird. Sie hat’s nicht gerne, wenn ich nachts in den Garten gehe. Will mich neben sich im Bettchen haben. Sie verstehen?“ Er lachte wiehernd.

Logo und Sascha verabschiedeten sich und gingen langsam die Straße zurück Richtung Goetheturm.

„Der Brand wird in Frankfurt enormes Aufsehen verursachen“, dachte Sascha laut. „Der Turm ist … war … ein wichtiges Wahrzeichen. Wir könnten das nutzen, falls wir irgendwann die Öffentlichkeit einschalten wollen. Vielleicht hat jemand etwas gesehen. Irgendwie muss der Täter ja die Leiche zum und auf den Turm geschafft haben. Ich sage bewusst er. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Frau körperlich dazu in der Lage ist. Wenn er allerdings noch am Leben war …“

„Wir würden Tausende von Antworten bekommen“, gab Logo zu bedenken.

„Besser als keine!“, konterte Sascha.

Methodisch befragten sie die Anwohner der dem Turm nächstgelegenen Häuser. Alle waren durch den Lärm der Feuerwehr aufgewacht. Die meisten waren zwar nach draußen gelaufen, um den Löscharbeiten aus sicherer Entfernung zuzusehen, hatten aber im Dunkeln im Schein der Flammen kaum etwas von ihrer Umgebung geschweige denn andere Gaffer erkennen können.

„Lass uns zurückfahren. Vielleicht haben wir schon eine Vermisstenmeldung. Und der Prof könnte auch bald erste Ergebnisse haben.“

„Können wir unterwegs noch etwas frühstücken?“, fragte Sascha hoffnungsvoll.

Logo wollte verneinen, überlegte es sich aber anders. „Ich hab tatsächlich auch Hunger. Lass uns an der Kleinmarkthalle anhalten.“

„Super! Wir waren schon ewig nicht mehr bei der Wurst-Ilse!“

Zwanzig Minuten später hielten sie im Halteverbot vor der Kleinmarkthalle. Logo legte seinen Ausweis so hinter die Windschutzscheibe, dass sein Dienstgrad lesbar, sein Name aber verdeckt war. „Das kannst du nicht machen!“, sagte Sascha empört, lehnte sich entschieden zurück und verschränkte die Arme.

„Stell dich nicht so an“, antwortete Logo. „Für irgendwas muss das Polizistendasein doch gut sein. Es könnte immerhin sein, dass wir hier dienstlich ermitteln. Ich hab echt keine Lust, ins Parkhaus zu fahren. Das ist jetzt um die Uhrzeit proppenvoll.“

Sascha seufzte und stieg aus. „Dann lass uns aber schnell machen.“

Sie sahen die Schlange an dem berühmten Wurststand schon von weitem. Logo stöhnte.

„Kannst ja auch hier versuchen, mit deinem Ausweis zu wedeln. Ach ja, hast ihn ja im Auto gelassen“, stichelte Sascha.

„Die Wurst-Ilse würd mir was erzählen. Egal, da müssen wir jetzt durch. Wenn wir schon hier sind, geh ich sicher an keinen anderen Stand.“

„Kommt gar nicht in Frage“, bestätigte Sascha, ausnahmsweise mit seinem Kollegen einig.

Sie stellten sich an und zehn Minuten später biss jeder von ihnen in ein großes Stück Frankfurter Fleischwurst.

„Mmmmhhh“, sagte Logo verzückt und wischte Brötchenkrümel vom Kinn. „Ich glaube, die wird immer besser.“

Sascha, der den Mund voll hatte, nickte nur.

Kaum hatten sie fertig gegessen, klingelte Logos Handy. Er sagte nicht mehr als: „Mmm …. okay … interessant.“

„Was ist?“, fragte Sascha neugierig, als Logo aufgelegt hatte. „Und wisch dir den Senf vom Kinn!“

Logo fuhr sich mit dem Handrücken übers Gesicht. „Die Spusi hat in den Brandtrümmern eine Notfallkapsel gefunden. Eine von diesen wasser- und feuerfesten Metallkapseln, in denen die Krankengeschichte des Besitzers gespeichert ist, sodass Ärzte und Rettungssanitäter im Notfall gleich Zugriff auf wichtige Krankendaten haben.“

„Und wem gehört sie?“, fragte Sascha gespannt.

„Das wissen sie noch nicht. Der Inhalt dürfte zwar unversehrt sein, aber der Öffnungsmechanismus wurde beschädigt. Sie wollen es im Labor vorsichtig aufsägen. Immerhin können wir uns jetzt auf Vermisste mit einer Krankenakte konzentrieren. Lass uns zurückfahren. Wir haben schon zu viel Zeit vertrödelt.“

Als sie ans Auto kamen, stieß Logo einen lauten Fluch aus. Hinter dem Scheibenwischer klemmte ein blauer Strafzettel. Aufgebracht suchte er mit seinen Blicken die Straße ab und sah einige Wagen weiter eine Politesse, die etwas in ihr Eingabegerät tippte.

„Logo“, mahnte Sascha, doch sein Kollege rannte schon im Laufschritt zu der jungen Frau.

Sascha folgte ihm hastig und bekam gerade noch mit, wie Logo die Politesse anging. „… und überhaupt: Unter Kollegen macht man so was nicht. Wenn man Sie überhaupt so nennen kann. Zur Polizistin hat’s wohl nicht gereicht!“

„Logo“, sagte Sascha jetzt energischer und packte ihn fest am Arm. Er wandte sich zu der jungen Frau, die ihn ungerührt ansah. „Es tut mir leid. Mein Kollege regt sich schnell auf. Er meint es nicht so. Natürlich ist es Ihr Recht, uns einen Strafzettel auszustellen.“

„Haben Sie tatsächlich hier ermittelt?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue.

Bevor Logo etwas sagen konnte, schüttelte Sascha den Kopf. „Nein, wir haben schnell etwas gegessen, weil wir schon in aller Frühe zum Goetheturm mussten. Wussten Sie schon, dass er heute Nacht abgebrannt ist?“

„Was? Das ist ja furchtbar! Auf dem Waldspielplatz hab ich schon als Kind gespielt!“

Sascha nickt betrübt. „Ich auch. Deshalb sind wir auch sehr erregt. Wir wollten ganz rasch etwas essen und uns dann in die Ermittlungen stürzen.“

Die Politesse warf einen abwägenden Blick auf Logo, der die Lippen zusammen kniff und widerwillig nickte.

„Na, dann will ich nicht so sein. Ich lösche das Ticket. Finden Sie das Schwein, das unseren Turm angesteckt hat!“

Sascha strahlte sie an. „Danke vielmals! Das machen wir. Und wenn wir mal etwas für Sie tun können …“

Auch Logo quetschte ein Danke heraus, und beide eilten zurück zum Wagen.

Auf der Fahrt zum Präsidium sprachen sie zunächst kein Wort, bis Logo endlich sagte. „Ja, ich weiß. Kannst mir ruhig Vorwürfe machen! Ich hätte nicht da parken sollen, und ich hätte die Tussi nicht so angehen sollen. Das weiß ich auch.“

„Dann isses doch gut“, antwortete Sascha. „Wir haben jetzt echt Wichtigeres zu tun. Und den Ausdruck Tussi hab ich nicht mehr gehört, seit ich Kind war.“

„Ja meine Güte, was sagt man denn heute? Ich scheine echt alt zu werden.“

„Politesse?“, schlug Sascha grinsend vor.

„Blödmann!“