Kapitel 11

Logo kochte vor Wut. Seit zwei Stunden wartete er jetzt im Onkologischen Zentrum in der Nähe der Stresemannallee in Frankfurt Sachsenhausen. Weder Freundlichkeit noch Beharrlichkeit noch das Vorzeigen seines Ausweises hatten die Empfangsdame dazu bewegen können, ihn zu Dr. Bahrami, Roths behandelndem Arzt, vorzulassen. Langsam reichte es ihm. Er trat erneut an den Tresen. „Der Doktor kann doch nicht immer noch die selbe Patientin untersuchen?“

„Sie sehen doch, was hier los ist!“ Das Lächeln der Mittfünfzigerin war eisig. „Unsere Patienten sind alle schwer krank. Soll ich sie warten lassen, weil Sie ohne Termin hier herein geschneit kommen? Nehmen Sie sich doch einen Kaffee.“

Logo knallte die Hand so fest auf den Tresen, dass die darauf stehende Blumenvase in die Höhe sprang. „Ich ermittle in einem Mordfall. Sie bringen mich jetzt sofort zu diesem Arzt, oder ich lasse ihn mit einem Streifenwagen abholen!“

Logos Ansage wischte endlich das professionelle Lächeln aus ihrem Gesicht. „Beruhigen Sie sich. Ich wusste nicht, dass es so eilig ist.“

Logo knirschte mit den Zähnen und umklammerte den Rand des Tresens.

Die Frau griff nach dem Telefon, wartete einen Moment und sprach dann leise hinein. Endlich sah sie auf und setzte wieder ihr professionelles Lächeln auf. „Dr. Bahrami hat gleich Zeit für Sie. Bitte gehen Sie durch die Tür dort rechts und warten Sie in Sprechzimmer drei.“

„Endlich“, knurrte Logo und folgte ihren Anweisungen. Zimmer drei war leer und statt sich auf einen der beiden Stühle vor dem Schreibtisch zu setzen, tigerte Logo auf und ab, bis sich endlich, eine gefühlte Ewigkeit später, die Tür zum nächsten Zimmer öffnete und ein kleiner, indisch aussehender Mann hereinkam.

Er grüßte knapp und setzte sich hinter den Schreibtisch. „Was kann ich für die Polizei tun?“

„Es geht um Helmut Roth“, erklärte Logo und setzte sich auf den Besucherstuhl.

Der Arzt sah ihn erwartungsvoll an.

Logo ergänzte ungeduldig. „Helmut Roth, ein Patient von Ihnen. Er wurde ermordet.“

Nun zeigte sich doch eine Gefühlsregung auf dem Gesicht des Arztes. „Ermordet?“

„Was können Sie mir über den Mann erzählen?“

Dr. Bahrami zog die Tastatur heran und tippte den Namen ein. „Nun, auch nach dem Tod eines Patienten greift die Schweigepflicht. Ausnahmen gibt es nur, wenn die Angehörigen ein besonders Interesse nachweisen können und die Patientenunterlagen anfordern.“

„Hören Sie“, sagte Logo und beugte sich vor. Es war ihm offensichtlich anzumerken, wie mühsam er die Fassung wahrte. „Es geht hier um Mord, und natürlich ist es im Interesse seiner Frau und seiner Kinder, dass der Mord aufgeklärt wird und sie ihren Frieden machen können. Also geben Sie mir jetzt Informationen, oder muss ich wirklich die Angehörigen in ihrer Trauer damit belästigen?“ Seine Stimme war zuletzt so laut geworden, dass man ihn wahrscheinlich im Wartezimmer hatte hören können.

Bahrami schluckte, sah auf seinen Schreibtisch und schob ein paar Blätter hin und her. „Nun gut“, sagte er schließlich. „Er war seit mehreren Jahren wegen eines Lungenkarzinoms in Behandlung. Zuerst sprach er gut auf die Therapie an, später nicht mehr. Zuletzt hat er, bedingt durch die Chemo, ein Nierenversagen entwickelt. Die Prognose war infaust.“

„Das bedeutet?“, fragte Logo unwirsch.

„Er hätte die nächsten drei Monate nicht überlebt.“

Der Arzt sagte das so ungerührt, als würde er über die Wetteraussichten sprechen. Logo erschauderte unwillkürlich. „Wie ging Herr Roth damit um?“

„Wie meinen Sie das?“ Dr. Bahrami entfernte einen Fussel von seinem blütenweißen Kittel.

„Wie ging es ihm? Hat er sein Schicksal hingenommen? Hat er gehadert?“, fragte Logo. Dann setzte er noch hinzu: „Hatte er eigentlich Schmerzen?“

„Gegen etwaige Schmerzen hat er Medikamente bekommen. Ansonsten kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Ich sehe täglich unzählige Patienten. Es kann sein, dass Herr Roth sich einmal aufgeregt hat, weil die Chemotherapie nicht mehr anschlug, möglicherweise ist es aber auch jemand anderes gewesen. Sie müssen verstehen, viele der Patienten, die wir behandeln, werden nicht mehr gesund. Jeder hadert irgendwann mehr oder weniger mit seinem Schicksal. Warum ich? Warum nicht jemand anders? Warum heilt der Arzt mich nicht?“ Dr. Bahramis Stimme hatte einen Unterton, den sogar Logo, der sonst für unterschwellige Stimmungen nicht sehr empfänglich war, als Langeweile erkannte.

Folgerichtig war die nächste Frage des Doktors. „Kann ich dann wieder zu meinen Patienten? Das Wartezimmer ist brechend voll, und ich muss noch ins Krankenhaus.“

„Für den Moment“, sagte Logo widerwillig. „Möglicherweise habe ich später noch Fragen.“

Dr. Bahrami stand auf und ging zur Tür, die ins benachbarte Sprechzimmer führte. „Wenden Sie sich doch an diese Selbsthilfegruppen. Helmut Roth war sicher auch in einer. Da wird doch über alles Mögliche gesprochen. So sind die Leute wenigstens beschäftigt.“

Logo ging grußlos und schwor sich, hier nie als Patient vorstellig zu werden. Überhaupt, der ganze Krankenkram machte ihn ganz kribbelig. Wann war er eigentlich das letzte Mal zum Durchchecken gewesen? Er wischte den Gedanken mit einer ärgerlichen Handbewegung beiseite. Ab sofort würde er Sascha zu den Ärzten schicken.