Logo schreckte aus dem Schlaf hoch, als das Handy auf dem Nachttisch klingelte. Im Halbschlaf griff er zunächst nach der Fernbedienung des Fernsehers, drückte auf irgendeine Taste und rief: „Hallo?“ Als es weiter klingelte, erkannte er seinen Irrtum und schnappte sich das Handy. „Was ist?“, meldete er sich mürrisch.
„Leichenteil im Ostpark“, kam die knappe Antwort.
„Wir haben doch gar keinen Dienst!“
„Die Kollegen vom Nachtdienst sind im Bahnhofsviertel. Da haben sich zwei Rockerbanden eine Schießerei geliefert.“
Logo sagte etwas Unfeines, das sein Gegenüber zum Glück nicht verstand. Auf dessen Nachfrage hin raunzte er. „Jaja. Wir sind unterwegs.“
Sascha saß noch auf der Couch und streichelte seine neue Mitbewohnerin. Sie schien sich am wohlsten zu fühlen, wenn sie bei ihm liegen konnte. Er seufzte, als das Telefon klingelte.
„Wieso bist du wach?“, hörte er Logos ärgerliche Stimme. Noch vor einigen Wochen hätte Sascha ihm von der Katze erzählt, jetzt verspürte er jedoch keinerlei Lust dazu, ihm Privates anzuvertrauen.
„Was ist?“, fragte er stattdessen kurz.
„Leichenfund. Ich hole dich in einer Viertelstunde vor deiner Haustür ab.“
Gegen ein Uhr nachts trafen sie in der Ostparkstraße ein und parkten ihren Wagen neben dem Streifenwagen. Der Weg zum See war mit gelbem Band abgesperrt und hell erleuchtet. Sascha und Logo bückten sich unter der Absperrung hindurch und liefen Richtung Seeufer, wo eine kleine Gruppe Menschen beisammen stand. Saschas Blick fiel auf ein Pärchen Anfang zwanzig, das sich aneinander drückte und in schwere Wolldecken gehüllt war. Ihre Haare waren nass und ebenso schmutzig wie ihre Gesichter. Auf dem Boden lagen verschiedene Teile, die nach Tauchausrüstung aussahen.
Einer der uniformierten Beamten trat zu ihnen und grüßte. Er wandte sich an Logo. „Die beiden hatten …“
Logo hob die Hand. „Mein Kollege, Herr Meister, wird die Ermittlungen leiten. Erzählen Sie ihm alles.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er Sascha und den Beamten stehen und ging ans Ufer.
„Gut, also …“, begann der Uniformierte von vorne, konnte jedoch seine Irritation nicht zur Gänze verbergen. „Die beiden jungen Leute hatten die Schnapsidee, im wahrsten Sinne des Wortes übrigens, im Ostparkweiher tauchen zu gehen. Dabei haben sie das entdeckt.“ Er wies mit der Hand auf einen Gegenstand, der auf dem Boden über der Wasserlinie lag.
Sascha warf einen fragenden Blick zu dem Beamten und ging darauf zu. „Was ist das?“
„Ein Kopf auf einem Schwimmreif“, lautete die überraschende Antwort. „Ein Mann, würde ich vermuten. Die Spusi dürfte gleich da sein. Brauchen wir den Gerichtsmediziner?“
Sascha zögerte. Eigentlich hätte er jetzt gerne Logo um seine Meinung gefragt, doch der stand mit dem Rücken zu ihm am Ufer, die Arme verschränkt, starrte hinaus auf den See und tat, als würde ihn das alles nichts angehen. Sascha seufzte. „Nein. Packen Sie das Ganze, wie es ist, in eine große Tüte und schicken Sie es direkt in die Gerichtsmedizin an Dr. Schwind. Natürlich erst, wenn der Fotograf und die Spusi fertig sind. Die Fotos brauche ich schnellstmöglich, um sie mit den Vermisstenmeldungen abzugleichen.“
Er trat an den Fund und ging daneben in die Hocke. Es handelte sich tatsächlich um einen bunten Schwimmreif, wie Kinder ihn trugen, wenn sie noch nicht sicher schwimmen konnten. Er war rot und blau und hatte auf der einen Seite eine Art Griff. Die Öffnung in der Mitte war so klein, dass der Kopf stabil darauf lag, ohne dass er durchrutschen konnte. Die Gesichtszüge waren deutlich zu erkennen. Sascha runzelte die Stirn. Er zog sein Handy aus der Tasche und scrollte durch die Fotos. Ungläubig starrte er auf das Display. „Logo, komm doch mal!“
„Was ist denn?“, brummte Logo mürrisch.
„Das ist der Typ, den Jenny sucht. Dieser Professor. Wie kommt sein Kopf ausgerechnet hier auf den Ostparkweiher?“
„Weiß ich doch nicht“, war Logos Antwort. „Sind wir bald fertig? Soll ich die beiden Möchtegerntaucher befragen?“
Sascha schüttelte entschieden den Kopf. „Das mache ich. Geh du bitte rüber ins Wohnheim und hör dich um, ob einer von denen was gehört oder gesehen hat.“
Im hinteren Bereich des Parks befand sich seit vielen Jahren ein Wohnheim für Obdachlose, daneben ein Kiosk mit Getränken und sonstigen Waren.
„Gibst du hier jetzt die Anweisungen?“, murrte Logo, zog jedoch los. „Die pennen doch jetzt alle.“
Sascha folgte ihm mit seinem Blick. Sicher hatten die Bewohner des Heims mitbekommen, dass hier ein Polizeieinsatz war. Immerhin erleuchtete das Flutlicht den halben Park und Lärm machten sie auch. Er wandte sich an den Beamten. „Wie heißt du eigentlich?“
„Jan Helsper.“
Sascha streckte die Hand aus. „Freut mich. Lass doch bitte den See absperren und absuchen. Vielleicht liegt irgendwo der Rest der Leiche. Nicht, dass morgen früh irgendwelche spielenden Kinder den finden.“
Endlich war Sascha so weit, mit den beiden jungen Leuten zu reden. Viel erfuhr er nicht. Sie hatten am Abend in der Berger Straße gefeiert und etwas zu viel getrunken. Dann hatte ein Wort das andere ergeben, und sie waren auf die verrückte Idee gekommen, einen Tauchgang im Ostparkweiher zu machen. Noch bevor sie weit in den See hinaus getaucht waren, hatten sie den Schwimmreif entdeckt und das, was darauf lag, und waren schlagartig nüchtern geworden. Sie schlotterten vor Kälte und traten von einem Bein aufs andere.
„Am besten ziehen Sie sich jetzt an und fahren nach Hause. Morgen müssen Sie allerdings für eine Aussage ins Präsidium kommen.“ Beide nickten und schlichen wie begossene Pudel davon.
„Ihre Ausrüstung!“, rief Sascha hinterher.
„Wir haben sie sichergestellt“, sagte Helsper grimmig. „Ich weiß aus dem Kopf gar nicht, gegen wie viele Gesetze die beiden verstoßen haben.“
Sascha empfand den missglückten Tauchgang eher als dummen Streich, hütete sich aber, dem Kollegen in seine Arbeit hinein zu reden. „Seid ihr das Ufer abgegangen?“
„Noch nicht. Wir waren gerade erst mit den Absperrmaßnahmen fertig … Da kommt die Spusi.“
Kurz darauf wimmelte es vor Aktivität. Nachdem alles fotografiert worden war, sicherte die Spurensicherung den Kopf und den Schwimmreif. Sascha ärgerte sich über sich selbst. Er hätte die jungen Leute dabehalten sollen, um ihnen Proben zum Vergleich abzunehmen. Viel hätten sie vermutlich nicht bieten können, nachdem sie einige Zeit in dem schlammigen See gewesen waren. Trotzdem wäre es professioneller gewesen, und der Fehler konnte ihm im Konkurrenzkampf mit Logo zum Nachteil gereichen. Eigentlich hatte er gar keine Lust, sich mit Logo um die Stelle zu streiten. Doch Logos Reaktion auf seine Bewerbung hatte ihn so geärgert, dass es ihm jetzt ums Prinzip ging.
Er lieh sich eine starke Taschenlampe und lief langsam das Seeufer ab. Tagsüber belagerten bei schönem Wetter Menschenmassen den Park, und so fand sich jede Menge an Müll und sonstigen Hinterlassenschaften am matschigen Ufer. Als er den See dreiviertel umrundet hatte, erreichte er das Wohnheim. Logo stand vor dem Eingang und redete mit einem älteren Mann in einem ausgeleierten Jogginganzug.
Als er Sascha näher kommen sah, nickte er abschließend und kam auf ihn zu. „Niemand hat etwas gesehen oder gehört. Oder wenn doch, will er nichts mit der Polizei zu tun haben.“
„Wir fahren zurück. Gleich morgen früh rufen wir Jenny wegen der Identifizierung an. Ist das dann ihr Fall oder unserer?“
Logo hob die Schultern. „Kommt drauf an, wo der Rest des Professors ist.“