Erschöpft ließ Jenny sich auf die Couch fallen. Sie war nach dem Besuch bei Frau Hirschhausen ohne Umweg über das Präsidium nach Hause gefahren. Der Tag war lang gewesen, und nach dem Regen hatte sich drückende Schwüle über das Land gesenkt. Außerdem musste sie nachdenken. Irgendetwas entging ihr bei diesem Fall.
Auch in ihrer Wohnung war es drückend heiß. Kurz entschlossen schnappte sie sich ein großes Handtuch, eine Flasche Wasser und ein Buch und machte sich auf den Weg aus der Eingangstür um das Haus herum in den Garten. Sie breitete das Handtuch unter einer großen Kastanie aus und legte sich mit einem Seufzer darauf. Im Baum saß eine Horde Spatzen, die lautstark schimpfte. Davon und von einem gelegentlichen Blöken der Schafe abgesehen war alles ruhig. Jenny schloss die Augen und dämmerte weg. Nur, um sie wenige Minuten später erschrocken aufzureißen. Ein dumpfes Hämmern setzte ein, gefolgt von hektischer Musik. Ihre holländischen Nachbarn schienen eingetroffen zu sein.
Bevor Jenny mehr machen konnte, als sich aufzusetzen und die Augen zu reiben, kam Luuk beladen mit einer Kühltasche und mehreren Tüten um die Hausecke.
„Jenny“, rief er begeistert. „Du grillst doch bestimmt mit uns? Wir haben mehr als genug!“
Wahrscheinlich Frikandellen, dachte Jenny, schalt sich aber gleich dafür. Die Einladung war nett gemeint, trotzdem suchte sie hektisch nach einer Ausrede.
„Ist es nicht schön hier?“, rief er und stellte eine Kühltasche mit den Ausmaßen eines Kleinwagens ab. „Wir kommen her, weil es hier so ruhig ist. Ganz anders als zu Hause!“
Luuk zerrte einen Grill aus einem kleinen Verschlag, schüttete großzügig Kohle hinein und tränkte sie ebenso großzügig mit flüssigem Grillanzünder. Eine Stichflamme schoss empor und Jenny sprang erschrocken auf.
„Wir wollen ja nicht ewig warten, nich?“, lachte Luuk und kam zu ihr herüber.
Jenny bückte sich und nahm Handtuch, Buch und Wasserflasche an sich. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich habe schon gegessen, und Gegrilltes vertrage ich auch nicht so gut.“
„Svantje macht auch Nudelsalat!“, erklärte er. „Keine Widerrede. Ich hole Stühle.“
Kurz darauf kam er zurück, drei Klappstühle unter den einen Arm geklemmt und einen riesigen tragbaren CD-Player, aus dem gerade Schatzi, schenk mir ein Foto dröhnte.
Jenny, die immer noch an derselben Stelle stand, reichte es. „Tut mir wirklich leid. Ein andermal gerne.“
Ohne ihn weiter zu beachten, ging sie schnellen Schrittes an Luuk vorbei, zurück in ihre Wohnung. Die Musik war auch hier oben kaum auszuhalten. Wütend schnappte sie sich Hausschlüssel und Handy, zog Wanderschuhe an und rannte förmlich aus dem Haus.
Sie würde sich schnellstens eine andere Wohnung suchen. Irgendwo, wo es keine Nachbarn gab. Wieder folgte sie dem Heckenweg und sah sehnsüchtig zu den vereinzelt halb im Wald verschwundenen Wochenendhäusern hin. Die einzigen, die hier Lärm machten, waren wahrscheinlich die Vögel und die Rehe.
Als sie die Einfahrt zu einem kleineren Gebäude auf der rechten Seite passierte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Ein ‚Zu Verkaufen‘-Schild stand hier. Es sah nagelneu aus und Jenny war sich sicher, dass es bei ihrem Spaziergang wenige Tage vorher noch nicht dagestanden hatte. Sie reckte den Kopf nach dem Haus, sah jedoch wenig mehr als das Dach. Unsicher machte sie ein paar Schritte die Einfahrt hinein.
Man sah dem Grundstück an, dass länger nichts gemacht worden war. Das Gras stand hoch und in der Einfahrt wuchs Unkraut. Noch ein paar Schritte weiter konnte sie endlich das Haus richtig sehen. Es war nicht allzu groß. Jenny schätzte es auf zwei Zimmer plus Küche und Bad. Von außen schien es gut in Schuss. Es wirkte allerdings nicht so, als würde noch jemand darin leben. Sie ging zur Haustür und klopfte. Alles blieb still. Sie drehte sich im Kreis und lauschte. Keine Musik, kein Straßenlärm, nur das Zirpen von Grillen und das Zwitschern von Vögeln.
Jenny ging zurück zur Einfahrt, holte ihr Handy heraus und wählte die auf dem Verkaufsschild angegebene Nummer.