Kapitel 31

Kurz vor acht war Jenny mit Britta, die sie zuvor am Präsidium abgeholt hatte, auf dem Beifahrersitz auf dem Weg nach Hofheim.

Das Café Tass war seit vielen Jahren für sein ausgezeichnetes Frühstück bekannt. Als sie ankamen, saß Sascha bereits an einem Tisch im Freien und nippte an einem Cappuccino.

Jenny stellte Britta und ihn einander vor und schob ihrer jungen Kollegin den Bestellzettel zu. „Kreuz einfach an, was du magst. Ich gebe heute das Frühstück aus.“

„Danke. Hoffentlich haben sie etwas Vegetarisches.“

Jenny seufzte. „Es gibt wohl kaum ein Café, das nichts Vegetarisches auf der Frühstückskarte hat.“ Sie warf einen entschuldigungsheischenden Blick zu Sascha.

„Du kannst die vegetarische Frühstücksplatte nehmen, nur Käse und Obst“, schlug er vor.

„Ich muss erst fragen, ob das auch vegan ist.“

„Iss einfach, was du willst“, sagte Jenny, deren Geduldsfaden am Reißen war. „Wir sind ja nicht wegen des Essens hier.“

Während die anderen bestellten, packte sie die Unterlagen aus, die sie morgens noch schnell auf dem Revier ausgedruckt hatte.

„Sascha, du zuerst?“, fragte sie.

Er nickte und begann, die Vorkommnisse im Haus der Esoterikerin detailliert zu schildern. „Bisher konnten keine Spuren eindeutig dem Mörder zugeordnet werden. Die Frau wurde im Whirlpool ertränkt. Aus dem Haus scheint nichts entwendet worden zu sein, außer vielleicht ihr Laptop, falls sie überhaupt einen hatte.“

„Gar nichts sonst?“, fragte Britta dazwischen.

„Nichts, von dem wir wissen. Ihre Geldbörse war noch da, mit allen Kreditkarten übrigens. Im Schlafzimmer lag einiges an Schmuck. Ihr PC war, wie Ihr ja wisst, noch an Ort und Stelle, ist aber auch recht schwer und mühsam wegzutragen.“

„Also scheint der Mörder nicht befürchtet zu haben, dass in ihm Hinweise auf ihn enthalten sein könnten?“, überlegte Jenny. „Das finde ich gerade im Hinblick auf das, was ich gefunden habe, äußerst seltsam.“

„Ist es nicht. Fast jeder speichert seine Daten heute in einer Cloud. Den PC mitzunehmen bringt da gar nichts“, erklärte Sascha und kam damit Britta zuvor.

Jenny seufzte. „Richtig. Mir fällt es immer schwerer, PC-technisch Up to date zu bleiben. Dabei arbeite ich selbst mit einer Cloud.“

Sie bedankte sich für den Milchkaffee, der gerade vor sie gestellt wurde, und warf einen Seitenblick zu Britta, die zögernd nach einem Löffel griff.

„Wenn du jetzt fragst, ob dein grüner Tee Bio ist, setz ich mich an einen anderen Tisch.“

Britta wurde rot, und Sascha sah überrascht zu Jenny.

Sie versuchte, die Sache mit einem Lachen zu überspielen. „Das war Spaß.“

Britta blickte jedoch weiter gekränkt auf ihre Tasse und sah auch nicht auf, als die Bedienung das Frühstück auf dem Tisch arrangierte.

„So“, sagte Sascha, nachdem alle ihr erstes Brötchen gegessen hatten, und beugte sich erwartungsvoll vor. „Was hast du gefunden? Ich bin alles durchgegangen, aber außer dass sie einen überraschend umfangreichen Feldzug gegen die Schulmedizin geführt hat, ist mir nichts Auffälliges untergekommen.“

„Ist dir nicht aufgefallen, dass etwas fehlt?“, sagte Jenny.

„Wie denn?“, fragte Sascha verwirrt.

„In der letzten Woche hat sie an Professor Hirschhausen geschrieben. Dieser Brief, in dem sie ihm von drei Fällen berichtet, die nach der Chemo schlechter geworden sind.“

„Ich erinnere mich“, sagte Sascha langsam. „Aber ich weiß …“

„Sie nimmt Bezug auf etwas. Sie schreibt hier …“ Jenny sah durch die Briefe, schob ihren Teller zur Seite und legte einen davon auf den Tisch. Dann deutete sie mit dem Finger auf eine Stelle. Britta und Sascha beugten sich neugierig vor. „Hier steht in einem Nebensatz: Wieder aus der bekannten Quelle. Außerdem die Aufforderung, sich darum zu kümmern mit drei Ausrufezeichen.“

„Aus der bekannten Quelle?“, echote Britta. „Was soll das bedeuten?“

„Worauf bezieht sich der Satz genau?“, wollte auch Sascha wissen.

„Auf die Chemotherapie, die diese Patienten bekommen haben.“

Sascha starrte auf den Brief. „Das habe ich komplett übersehen. Sie bezieht sich da also auf die Quelle, aus der die Chemotherapie stammt? Wo wird so etwas hergestellt?“

„Ich habe gehört, die Krankenhäuser stellen sie selbst her“, warf Britta ein.

„Davon war ich auch ausgegangen“, erklärte Jenny. „Ich habe mich noch gestern Abend erkundigt.“ Sie hoffte, dass niemand nachfragen würde, wen sie zu abendlicher Stunde danach hatte fragen können. Wölter hatte sich beim ersten Klingeln mit den Worten: ‚Haben Sie es sich anders überlegt?‘ gemeldet, ihr dann jedoch bereitwillig Auskunft gegeben. „Wir mischen sie nur und das auch nicht immer. Die Grundstoffe oder auch die fertigen Anmischungen werden von spezialisierten Apotheken bezogen, wo auch die entlassenen Patienten sie später auf Rezept holen können. Ich müsste nachschauen, um Ihnen sagen zu können, welches unsere Apotheke ist oder ob wir mit mehreren arbeiten.“

Sie trank einen Schluck Kaffee. „Jetzt seid Ihr dran, Logo und du. Findet heraus, woher die Frankfurter Krankenhäuser, in denen die namentlich genannten Patienten behandelt wurden, ihre Chemotherapeutika bekommen. Besonders euer Opfer, Helmut Roth. Und ob alle Beschwerden über mangelnde Wirkung oder vermehrte Nebenwirkungen sich auf die selbe Quelle beziehen.“

„Aber warum ist das, vielmehr war das für die Dittler-Zifurth wichtig?“, sagte Britta nachdenklich. „Ich habe gestern Abend noch die Beschwerden katalogisiert. Sie sind ganz unterschiedlich und reichen von schlechter Wirksamkeit über Nebenwirkungen bis hin zu angeblicher Verschlechterung der Krankheit. Ich konnte noch nicht zuordnen, welche Patienten wo behandelt wurden. Das mache ich gleich nachher.“

Jenny nickte und dachte einen Moment nach. „Keine Ahnung, warum ihr das wichtig war. Lass uns zunächst sehen, ob alle dieselbe Quelle hatten. Das kann dann schwerlich noch Zufall sein. Und dann sehen wir weiter.“

Sascha hatte geschwiegen, nickte jetzt aber langsam. „Gut, ich kümmere mich sofort darum.“ Er sah Jenny an und schluckte.

„Was ist? Wolltest du noch etwas sagen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin in Gedanken schon bei den Befragungen.“

„Was ist mit Logo?“

Sascha hob die Schultern. „War heute Morgen im Büro, als wäre nichts gewesen. Hat nur genickt, als ich erklärt habe, dass wir uns zum Frühstück treffen. Und kein Wort, wo er gestern war.“