Kapitel 33

Sascha war in Versuchung, den Hörer aufzulegen, als Logo zum dritten Mal dieselbe Frage stellte.

„Weil ich nicht vom Klo runterkomme. Wir brauchen unbedingt die Verfügung vom Staatsanwalt, um die Medikamente untersuchen lassen zu können. Es wird dich nicht umbringen, rüber zu gehen und sie zu holen.“

Logo brummte etwas Unverständliches.

„Was? Was hast du gesagt?“

„Ich sagte, ich mach‘s. Aber ich verstehe immer noch nicht, warum.“

„Mach‘s einfach“, rief Sascha gequält und legte auf. Logo betrachtete kurz den Hörer in seiner Hand, dann legte er ihn weg und machte sich missmutig auf den Weg zur Staatsanwaltschaft.

Im Vorzimmer zu Biederkopf Büro grüßte er knapp und steuerte auf die Tür zum eigentlichen Büro zu.

„Moment, Herr Stein!“, hielt ihn Frau Wiegands Stimme auf. „Sie können doch nicht einfach hineingehen. Wenn Frau Dr. Lüders nun einen Termin hat?“

„Hat sie?“, fragte er knapp. „Außerdem hätte ich natürlich geklopft.“

„Warten Sie“, sagte sie und stand auf. „Ich frage, ob Sie sie sehen können.“

„Seit wann …“, begann Logo, verkniff es sich aber, weiter zu reden. „Es ist eilig!“, rief er, während sie schon die Tür öffnete und den Kopf hinein streckte.

Nur wenige Sekunden später tauchte sie wieder auf und nickte ihm gnädig zu. „Sie können hineingehen.“

„Danke“, antwortete Logo und zog dabei eine Grimasse. Ohne ein weiteres Wort ging er auf die leicht offen stehende Tür zu, zog sie auf und marschierte hindurch. Ein Blick auf die Staatsanwältin ließ ihn innehalten. Sie sah ihn über die Brille hinweg an wie eine Schuldirektorin, die einen Schüler zu sich zitiert hatte. Logo musste einen Moment überlegen, warum er überhaupt hier war, und dass sein Besuch auf seine Initiative und in seinem Interesse erfolgte. Oder besser in Saschas. Oder doch im Interesse des Falles, wie er widerwillig zugeben musste.

„Ich weiß nicht, ob Sie über den Fall im Bilde sind“, begann er ohne Einleitung und noch während er auf den Schreibtisch zuging.

Dr. Lüders fiel ihm ins Wort. „Guten Tag, Herr Stein, ich bin Dr. Lüders. Setzen Sie sich doch. Und ja, natürlich bin ich über den Fall im Bilde.“

„Guten Tag“, antwortete Logo mit einem Anflug von Verlegenheit und ließ sich auf den Besucherstuhl sinken, der schon zu Biederkopfs Zeiten unbequem gewesen war.

„Wir würden gerne Proben von den Medikamenten nehmen, die in den Apotheken hergestellt werden“, erklärte er und schob die Liste über den Tisch.

Dr. Lüders warf einen Blick darauf. „Auf welcher Grundlage?“

Das brachte Logo aus dem Konzept. „Herr Meister sagt … Das heißt, Frau Becker …“ Er brach ab und begann aufs Neue. „Unser Opfer, Helmut Roth, hat nachweislich einen Apotheker erpresst. Die Dittler-Zifurth und dieser Koblenzer Professor wussten davon. Also nicht von der Erpressung aber von den Unregelmäßigkeiten bei den Behandlungen.“

„Und woher wissen Sie davon?“ Ihre Stimme klang scharf.

Logo runzelte die Stirn. „Wir haben es ermittelt.“

„Das meine ich nicht. Was haben Sie dazu beigetragen? Meines Wissens waren Sie an den Ermittlungen kaum beteiligt. Obwohl Sie sich um die Stelle des Dienstgruppenleiters beworben haben und momentan kein anderer Fall anliegt.“

„Woher wollen Sie wissen, inwieweit ich beteiligt war?“, fragte Logo entgeistert.

„Es ist meine Aufgabe, über die Ermittlungen Bescheid zu wissen. Wo waren Sie zum Beispiel am Montagnachmittag?“

„Was … wie …?“, stotterte Logo, durch die Frage völlig aus dem Konzept gebracht. „Ich hatte etwas zu erledigen.“

„Etwas Dienstliches?“ Die grauen Augen schienen ihn zu durchbohren. „Wenn Sie glauben, ich würde den Schlendrian, der sich hier eingeschlichen hat, dulden, sind Sie auf dem Holzweg. Wenn Sie heute nicht erschienen wären, hätte ich Sie herbestellt. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie sich selbst vorstellen, sobald Sie erfahren, dass ein neuer leitenden Staatsanwalt im Amt ist. Ich verzichte bewusst auf die korrekte Genderform. Sollten Sie Ihrer kommissarisch leitenden Funktion nicht gerecht werden, kann ich gerne dafür sorgen, dass Herr Meister oder Herr Wolny Sie ersetzt. Die ich übrigens beide bereits kennenlernen durfte.“

Es dauerte einen Moment, bis Logo merkte, dass sie fertig war. Einen weitere Sekunde brauchte es, bis er den Mund erst schloss, nur um ihn umgehend wieder zu öffnen, weil er etwas erwidern wollte.

„Wieso war Wolny hier?“, war das Einzige, das ihm einfiel.

„Ihr Kollege Wolny weiß offensichtlich, was sich gehört. War er nicht in Koblenz Dienstgruppenleiter?“

Logo wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er zögerte, nickte dann und suchte nach Worten.

Dr. Lüders seufzte, nahm ein Formular aus einem Ablagekorb und unterzeichnete es. Dann schob sie es über den Tisch. „Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass Sie diskret vorgehen müssen, oder? Nicht auszudenken, was passiert, wenn plötzlich Tausende Erkrankte den Verdacht haben, dass ihre Therapie nicht wirksam war.“

Logo murmelte „natürlich“, nahm das Blatt und wandte sich zum Gehen.

„Ich möchte regelmäßig informiert werden!“, rief ihm die Staatsanwältin nach. Als er über die Schulter blickte, saß sie schon wieder über ihre Akten gebeugt.

Logo lief an Frau Wiegand vorbei, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen. Sie sah ihm erstaunt nach und ging mit einem Kopfschütteln zum Tagesgeschäft über.

Logo ging wie ein Schlafwandler zurück zum Büro. Vor der Tür traf er auf einen leichenblassen Sascha.

„Warum bleibst du nicht zu Hause?“, fragte er und ging an ihm vorbei ins Büro. „Du siehst aus, als würdest du gleich umfallen.“

„Ich will mit Jenny und ihrem Kollegen zur nächsten Apotheke“, erklärte Sascha.

„Ich fahre für dich mit!“, erklärte Logo schroff. „Wann kommen sie?“

„Wir wollten uns um 10 Uhr dort treffen“, sagte Sascha langsam. „Wieso willst du jetzt mit? Du hast dich doch für den Fall bisher kaum interessiert?“

„Muss ich mich jetzt vor dir rechtfertigen?“, brauste Logo auf. „Ich habe im Moment hier das Sagen, auch wenn es dir nicht passt. Ich werde Jenny begleiten!“

„Ärger im Paradies?“, fragte eine Stimme vom Fenster. Wolny grinste breit.

„Das geht dich kaum etwas an!“, knurrte Logo und wandte sich wieder Sascha zu. „Wolny und du, ihr könnt die Berichte auf den neusten Stand bringen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, stampfte er aus dem Zimmer.

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Er bog zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit von der A3 in Höhe Weiterstadt auf die A42, die ihn in das Gewerbegebiet führte, in dem sich unter anderem das Einkaufszentrum Loop angesiedelt hatte. Vor der Tankstelle bog er rechts ab und befand sich auf der Rückseite des Gebäudekomplexes.

Direkt neben einem Tierfutterfachmarkt sah er die breite, hell erleuchtete Fensterfront einer Apotheke. Offensichtlich war sie gut besucht, die meisten der circa zwanzig Parkplätze hinter dem Haus waren besetzt, und im Inneren standen etliche Kunden an den Verkaufstresen.

Logo parkte ein Stück abseits und stellte sich neben den Wagen, damit Jenny ihn sehen konnte.

Kurz darauf hielt ihr neuer Dienstwagen neben ihm und sie winkte, noch bevor sie den Motor abstellte, durchs Fenster.

Schnell stieg sie aus und umarmte ihn. „Was machst du denn hier? Ich dachte, Sascha kommt?“

„Magen-Darm“, sagte er kurz und sah zur anderen Seite des Wagens, wo Britta gerade die Autotür zuschlug. Sie kam um den Wagen herum und stockte, als sie ihn neben Jenny stehen sah.

„Britta, das ist Logo. Wir arbeiten, ich meine, wir haben ewig zusammengearbeitet. Logo, das ist meine Koblenzer Kollegin Britta.“

Es dauerte einen Moment, bis Logo langsam die Hand ausstreckte.

Britta ergriff sie ebenso zögerlich. „Hi“, sagte sie mit merkwürdiger Stimme.

Jenny sah verwirrt von einem zum anderen.

Sie registrierte, dass Logo gestresst aussah und verhärmt wirkte, als wäre er in den wenigen Wochen, seit sie ihn gesehen hatte, gealtert. Brittas hochgewachsene schlanke Gestalt ließ sie etwa gleich groß mit Logos kräftiger Statur erscheinen. Keiner von beiden ließ die Hand des anderen los.

Jenny räusperte sich. „Können wir? Da wartet vermutlich ein Mörder auf uns.“

Britta zuckte zusammen und zog ihre Hand zurück, als hätte sie sie verbrannt. Logo sah aus, als würde er gerade aus einem Nickerchen erwachen. „Klar“, sagte er und Britta antwortete im selben Moment. „Natürlich, Entschuldigung.“

Zu Jennys Überraschung lächelte sie Logo zaghaft an, und er lächelte zurück. Beide schienen ihre Anwesenheit weitgehend vergessen zu haben.

Jenny stieß die Tür der Rosenkranz-Apotheke auf und trat in den klimatisierten Verkaufsraum. Logo folgte ihr und hielt Britta die Tür auf. Ein Tresen nahm zwei Seiten des großen Raums ein, auf der anderen Seite war ein raumhohes Regal mit freiverkäuflichen Artikeln.

Die gesamte Rückwand des Ladens bestand aus einer Glasscheibe, durch die sie in ein großes Labor schauen konnten. Drei Personen in Schutzkleidung arbeiteten hier. Jenny erschien es eher wie ein Chemielabor.

Am Tresen bediente ein schmales, blasses Mädchen mit einer unvorteilhaft dickrandigen Brille eine Seniorin in Stützstrümpfen. Ein junger Mann baute im Verkaufsraum einen Werbeaufsteller auf, hielt inne und lächelte sie höflich an. „Was kann ich für Sie tun?“

Jenny trat an die Verkaufstheke und zeigte ihren Ausweis. „Polizei. Ich würde gerne mit dem Inhaber dieser Apotheke, Herrn Rosenkranz, sprechen.“ Logo positionierte sich neben ihr und öffnete unauffällig den Verschluss seines Waffenholsters.

Das Gespräch neben ihnen verstummte. Sowohl das Mädchen als auch die ältere Dame hatten sich ihr zugewandt und starrten sie unverhohlen an.

„Ich hole ihn“, sagte der Verkäufer zögernd und verschwand durch eine Tür, die nach nebenan zu führen schien. Kurz darauf sah Jenny, wie eine der weißgekleideten Gestalten im Labor aufsah, nickte und den Raum verließ.

Der Verkäufer erschien wieder und führte sie, immer noch beobachtet von den zwei Frauen, hinter den Tresen und durch eine schmale Tür in eine Art Büro.

Logo und Britta drängten sich hinter ihr in das kleine Zimmer. Logos Hand ruhte immer noch auf dem Griff seiner Waffe und seine Augen scannten den Raum. Jenny hörte, dass Britta schwer atmete.

Durch eine zweite Tür kam kurz darauf ein großer, hagerer Mann, dessen Kopf nur noch einen schmalen Haarkranz aufwies. Sein Hals war merkwürdig nach vorne gereckt, was ihm – zusammen mit der hakenförmigen Nase – das Aussehen eines Raubvogels gab. Sein Auge zuckte in unregelmäßigen Abständen.

Er ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern.

„Ich bin Dr. Rosenkranz. Was kann ich für Sie tun? Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen keinen Platz anbiete, aber Sie sehen ja selbst, dass wir nicht genügend Stühle haben.“

„Das ist gar kein Problem“, lächelte Jenny. „Wir würden gerne mit Ihnen über Ihre Arbeit sprechen. Sie sind Apotheker? Promoviert sogar.“ Sie gab ihrer Stimme einen bewundernden Klang.

Über sein Gesicht huschte ein geschmeicheltes Lächeln, wurde aber schnell von einem Ausdruck von Ungeduld verdrängt. „Und was wünschen Sie nun?“

„Wir ermitteln in mehreren Mordfällen, die mit Ihrer Person in Zusammenhang stehen könnten“, erklärte Jenny direkt und ließ ihn dabei nicht aus den Augen.

Wenn er geschockt war, ließ er es sich nicht anmerken. Sein Gesichtsausdruck zeigte milde Überraschung, und er hob eine buschige Augenbraue. „Mit mir? In welcher Weise?“

„Mit Ihrer Arbeit, genauer gesagt. Und um noch genauer zu werden: es geht um die Chemotherapien, die Sie herstellen.“

„Was ist damit?“, fragte er scheinbar ungerührt und sah betont auf die Uhr. Jenny registrierte jedoch, dass sein Blick kurz flackerte.

„Kennen Sie einen Helmut Roth?“, fragte Jenny und erzielte damit endlich eine deutliche Reaktion.

Dr. Rosenkranz verzog zornig das Gesicht. „Allerdings. Diesen ungehobelten Menschen kenne ich. Er ist vor einigen Wochen hier aufgetaucht und hat wüste Anschuldigungen ausgestoßen.“

„Welche genau?“, fragte Jenny, obwohl sie die Antwort wusste.

„Angeblich wären unsere Produkte nicht korrekt hergestellt. Er hat mir vorgeworfen, seinen nahenden Tod verursacht zu haben. Wie dramatisch.“ Rosenkranz verdrehte die Augen.

„Und?“, fragte Jenny. „Könnte an seinen Vorwürfen etwas dran sein?“

„Machen Sie Witze?“ Die Gesichtsfarbe des Apothekers war schlagartig zu hochrot gewechselt. „Ich verbitte mir solche Unterstellungen! Wir arbeiten mit allerhöchsten Standards! Alles wird doppelt nachgemessen und gegen gecheckt! Haben Sie überhaupt das Recht, mir so etwas vorzuwerfen? Dieser Roth … Hat er mich etwa angezeigt?“

Jenny wartete ruhig ab, bis Dr. Rosenkranz fertig war und tief durchatmete. Aus den Augenwinkeln hatte sie gesehen, dass Britta unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten war. Logo hingegen machte Anstalten, sich ein Stück vor Jenny zu schieben, wurde aber von ihrer Handbewegung aufgehalten.

„Helmut Roth wurde ermordet“, erklärte Jenny ruhig.

Rosenkranz’ Wut schien in sich zusammenzufallen. Er sagte mit schwacher Stimme. „Ermordet? Roth? Warum? Er war doch sowieso todkrank.“

„Das würden wir gerne von Ihnen wissen“, erklärte Jenny.

Rosenkranz fuhr auf. „Von mir? Wieso? Ich kannte den Mann kaum!“

„Und Professor Hirschhausen?“

Rosenkranz Blick flackerte zur Seite. „Ich habe den Namen schon gehört. Ein bekannter Onkologe. Was ist mit ihm?“

Jenny war sich sicher, dass er log. „Sie hatten noch keinen persönlichen Kontakt?“

„Nein.“

„Er wurde auch ermordet. Ebenso wie Frau Dittler-Zifurth, die, wie wir wissen, bei Ihnen angerufen hat. Können Sie sich vorstellen, warum jemand diese drei Menschen brutal ermordet hat?“

Sein Blick war unstet. „Ich? Natürlich nicht. Woher sollte ich das wissen?“ Er wischte sich die Stirn. „Wer … wer macht denn sowas?“

„Vielleicht jemand, der beschuldigt wurde, Chemotherapien zu pantschen?“, warf Logo ein, was ihm einen bösen Blick von Jenny einbrachte.

Das Gesicht des Apothekers versteinerte. „Sie verdächtigen mich? Das ist doch absurd! Sie verlassen jetzt sofort meine Apotheke!“ Rosenkranz stand auf und wies zur Tür. „Ich muss mir Ihre Unterstellungen nicht anhören. Wenden Sie sich bei weiteren Fragen an Dr. Möllenkamp, meinen Anwalt. Und jetzt gehen Sie bitte.“

„Herr Dr. …“, begann Jenny und hob beschwichtigend die Hände.

„Gehen Sie!“

Jenny zog den Beschluss, den Logo ihr zuvor gegeben hatte, aus der Tasche. „Bevor wir gehen, händigen Sie uns bitte eine Probe jeder fertigen Therapie samt Rezept aus. Ich habe eine entsprechende Verfügung.“

Rosenkranz lachte verächtlich. „Bedaure, wir warten heute die Geräte. Die Produktion läuft erst wieder in …“ Er sah kurz auf die goldene Armbanduhr. „… etwa einer Stunde an. Alle fertigen Medikamente sind schon abgeholt. Somit kann ich Ihnen auch keine Proben geben. Kommen Sie morgen wieder oder heute Abend gegen 19 Uhr, dann ist die nächste Produktion fertig.“

Wortlos wandte Jenny sich zum Gehen. Logo folgte ihr mit dem Gesichtsausdruck eines begossenen Pudels, und auch Britta sah zu Boden und wäre trotzdem fast über eine unebene Stelle im Linoleum gestolpert.

Erst im Auto ließ Jenny ihrem Ärger freien Lauf. „Verdammt nochmal, ich weiß ja, dass du kaum über Taktgefühl verfügst, aber dann halt doch einfach den Mund.“

Logo sah sie mit einer Mischung aus Verlegenheit und Ärger an. „Er hätte uns sowieso nichts gesagt. Außerdem ist es auch unser Fall, nicht nur deiner. Und du bist auch nicht mehr meine Chefin.“ Das Letzte klang trotzig und machte Jenny noch ärgerlicher.

„Willst du jetzt auch noch mit mir einen Machtkampf, nicht nur mit Sascha? Sind wir im Kindergarten?“

Logo warf einen Blick nach hinten zu Britta und nahm sich sichtlich zusammen. „Ist ja schon gut, tut mir leid. Was machen wir jetzt?“

Jenny war in Versuchung, ihm zu sagen, als zukünftiger Chef müsse er das wohl selbst wissen. Sie verkniff es sich aber und startete den Motor. Ihre Fahrt endete ein paar Hundert Meter weiter im Loop. Im Erdgeschoss war ein Starbucks, dessen Tische nicht nur im Laden, sondern auch im Bereich davor aufgestellt waren, und so weit auseinander, dass sie eine gewisse Privatsphäre offerierten.

Logo hatte sich erboten, Getränke zu holen und Jenny und Britta setzten sich an einen abseits stehenden Tisch und sahen in die Menge der flanierenden Gäste des Einkaufszentrums.

„Was meinst du?“, fragte Jenny ihre junge Kollegin.

Britta schrak hoch. „Ich … also, ich finde, da ist etwas faul. Erst war er ganz umgänglich, dann droht er von einer auf die andere Sekunde mit seinem Anwalt. Warum, wenn er nichts zu verbergen hat?“

Jenny nickte bedächtig. „Es muss nichts bedeuten, aber ja, ich fand die Reaktion auch übertrieben. Er war auch nicht wirklich so unberührt, wie er vorgegeben hat. Im Gegenteil. Interessant ist die Wahl seines Anwalts. Möllenkamp ist ein Staranwalt, der normalerweise nur die Reichen und Mächtigen vertritt. Ich glaube gerne, dass man mit einer Apotheke viel Geld verdient, aber man braucht doch normalerweise keinen Staranwalt.“

„Die Uhr war auch nicht von schlechten Eltern“, sagte Logo und stellte ein Tablett auf den Tisch. „Voila, einmal veganen Latte mit Sojamilch und einen Cappuccino.“

„Was trinkst du?“, wollte Britta wissen.

„Kaffee“, war die trockene Antwort, und zu Jennys maßloser Überraschung lächelte Britta, als habe Logo einen Witz gemacht. Er grinste zurück und setzte sich.

Verstohlen sah Jenny von einem zum anderen und schüttelte unmerklich den Kopf. Sie verstand zwar nicht, was zwischen den beiden vorging, aber es ging sie auch nichts an. Schließlich waren beide erwachsen.

„Völlig sinnlos, nochmal bei ihm aufzuschlagen“, erklärte sie düster. „Er wird dafür sorgen, dass wir nichts finden.“

„Wir werden auch in den Krankenhäusern nichts finden“, gab Logo zu bedenken. „Ich habe nachgeforscht. Die Medikamente werden fast täglich angeliefert und in der Regel sofort verabreicht. Die Krankenhäuser haben gar nicht genug Lagerkapazitäten, um größere Mengen vorrätig zu halten. Wenn Rosenkranz der Täter ist, hat er sicher sofort nach der Erpressung aufgehört, gefälschte Medikamente herzustellen und in Umlauf zu bringen. Klaasen kann, wenn stimmt, was er erzählt hat, nicht der Täter sein. Er arbeitet schon länger nicht mehr. Wir müssten großes Glück haben, wenn wir noch irgendwo gefälschte Medikamente sicherstellen wollen.“

Sie tranken schweigend.

„Müssten nicht in den Apothekencomputern die hergestellten Mischungen gespeichert sein?“, gab Britta zu bedenken. „Wenn ich es recht verstehe, werden die Mischungsverhältnisse einprogrammiert und danach läuft die Herstellung automatisch. Vielleicht gibt es Protokolle?“

Jenny nickte anerkennend. „Es wäre einen Versuch wert.“

„So etwas kann man sicher auch fälschen“, wandte Logo ein. „Aber ich stimme zu“, sagte er schnell, als er die Blicke der beiden Frauen registrierte. „Versuchen sollten wir es.“

Jenny sah Logo auffordernd an. Seufzend holte er das Diensthandy aus der Tasche. „Ich gehe ein Stück zur Seite, da ist es leiser.“

Nach wenigen Minuten war er zurück. „Dr. Lüders hat sofort zugestimmt und die entsprechende Verfügung auf mein Handy geschickt. Ich habe sie dir weitergeleitet.“

Jenny nickte. „Danke. Aber ich mache mich nicht lächerlich, nach Protokollen zu fragen, die es vielleicht gar nicht gibt. Wo könnten wir uns über diese Geräte schlau machen?“

Britta hatte schon, seit Logo nach draußen gegangen war, auf ihrem Handy herum getippt. Jenny war in ihre eigenen Gedanken versunken gewesen und hatte nicht nachgefragt. Jetzt hob Britta jedoch den Kopf. „Ich bin gerade auf der Herstellerseite von einem dieser Apothekencomputer. Sie werben explizit damit, dass alle Zubereitungen gespeichert werden und dass diese Aufzeichnung nach dem Arzneimittelgesetz auch Pflicht ist.“

Zwei Stunden, nachdem sie mit Rosenkranz gesprochen hatten, standen sie wieder im Verkaufsraum der Apotheke. Unterwegs hatten sie an einem Copy-Shop angehalten und den Beschluss der Staatsanwältin, der auf Logos Handy eingegangen war, mehrfach ausgedruckt.

Derselbe junge Mann wie früher am Tag begrüßte sie verhalten und hörte erstaunt, dass sie noch einmal Dr. Rosenkranz sprechen wollten. „Aber er ist nicht da“, erklärte er. „Er ist kurz, nachdem Sie da waren, gegangen. Ein Arzttermin, glaube ich.“

„Irgendjemand wird ja für die Herstellung verantwortlich sein, wenn Dr. Rosenkranz nicht anwesend ist.“

„Das wäre dann Herr Dr. Rübsam. Bitte, kommen Sie mit.“

Wieder führte er sie nach hinten und klopfte an die Scheibe zum Labor. Eine gedrungen wirkende Person in Schutzkleidung hob den Kopf. Der Verkäufer bedeutete ihm, zur Tür zu kommen. Die Person schüttelte vehement den Kopf und hob abwehrend die Hände. Als der Verkäufer nachdrücklicher gestikulierte, bewegte der Mann sich Richtung Ausgang im hinteren Bereich des großen Raumes. Sie folgten ihm zu einer Art Schleuse, an der ein Sprechgerät installiert war. „Was ist denn los?“, erklang seine ungeduldige Stimme und ein Licht leuchtete blau.

„Polizei!“, sagte der Verkäufer knapp. „Sie wollen Sie sofort sprechen.“

„Aber wie stellen Sie sich das vor?“ Die Stimme klang aufgeregt. „Ich bin gerade im Begriff, die Produktion anlaufen zu lassen.“

Jenny beugte sich vor. „Das muss dann wohl noch etwas warten“, sagte sie bestimmt. „Wir haben einen Gerichtsbeschluss. Bitte kommen Sie aus dem Labor.“

Sie bekam keine Antwort, doch der Mann öffnete von der anderen Seite die Schleuse, trat ein und schloss die Tür zum Inneren des Labors sorgsam hinter sich. Sie sahen zu, wie er die Schutzkleidung ablegte. Zum Vorschein kam ein Mann, den Jenny auf Mitte fünfzig schätzte, und der merkwürdig ungepflegt wirkte. Nein, korrigierte Jenny sich in Gedanken. Nicht ungepflegt, aber irgendwie … Sie suchte nach einer geeigneten Beschreibung … Heruntergekommen schien ihr der richtige Begriff. Nachdem er zuletzt die Überzieher von seinen Schuhen gestreift hatte, öffnete er die Tür auf ihrer Seite und trat in den Gang hinaus. Bevor er etwas sagen konnte, fragte der Verkäufer: „Brauchen Sie mich noch? Im Laden ist gerade viel los.“

„Gehen Sie ruhig“, bedeutete Jenny ihm und zeigte dann dem Labormitarbeiter ihren Ausweis. „Becker, Manger und Stein von der Mordkommission. Sie sind Dr. Rübsam?“

Überrascht sah der Angesprochene in ihre Gesichter. „Mordkommission?“, echote er ungläubig. „Ich habe schon gehört, dass heute Polizei hier war, aber …“ Dann besann er sich auf die Frage. „Ja. Das bin ich. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Jenny warf einen betonten Blick zur Bürotür. „Können wir vielleicht ins Büro gehen, statt hier auf dem Gang herumzustehen?“

Zu ihrem Erstaunen wurde Rübsam rot. „Das geht leider nicht, Dr. Rosenkranz schließt das Büro immer ab, wenn er weggeht. Wir können höchstens in den Sozialraum gehen. Da dürfte momentan niemand sein.“

Der Sozialraum erwies sich als kleiner Kabuff, in den fünf Spinde und ein winziger Tisch mit vier Stühlen gequetscht worden waren. Entschuldigend wies Rübsam auf eine Kaffeemaschine. „Ist leider kaputt. Setzen wir uns doch.“

Mit Mühe fanden alle Platz an dem winzigen Resopaltisch.

„Jetzt bin ich aber gespannt, wie ich Ihnen helfen kann“, sagte Rübsam und verschränkte die Hände auf dem Tisch. Sein Hemd spannte und war an den Manschetten abgewetzt.

Jenny schob den Beschluss über den Tisch. „Es ist doch richtig, dass Ihre Maschine da drinnen alles speichert, was Sie herstellen?“

Rübsam las, ohne das Blatt zu berühren. „Im Prinzip schon“, antwortete er zögernd. „Um was geht es denn überhaupt?“

„Um gepantschte Chemotherapien“, sagte Jenny gerade heraus und beobachtete seine Reaktion.

Rübsam starrte weiter auf das Blatt und sagte nichts.

„Was meinen Sie mit im Prinzip schon?“, fragte Jenny schließlich.

„Wir hatten vor ein paar Tagen einen Computercrash. Die Techniker suchen noch nach der Ursache. Auf jeden Fall sind alle Daten weg.“

„Es gibt doch wohl eine Datensicherung?“, fragte Britta ungläubig.

„Davon wäre ich auch ausgegangen, aber Ro … Dr. Rosenkranz hat gesagt, dass alles weg wäre.“

„Finden Sie das nicht seltsam?“, fragte Logo.

Rübsam sah sie offen an. „Doch. Aber ich bin froh, dass ich diese Arbeit habe. Ich kümmere mich nicht um Dinge, die mich nichts angehen.“

„Sind Ihnen jemals irgendwelche Unregelmäßigkeiten aufgefallen? Irgendetwas?“

Jetzt sah der Mann kurz zur Seite. „Natürlich nicht. Es hatte immer alles seine Ordnung.“