Sie hatten noch lange zusammen gesessen und geredet. Jenny hatte ihm von ihrem neuen Job, ihrem Häuschen und auch von der Geschichte mit Wolny erzählt. Sie hatte nicht vergessen, dass sie sich um ihn kümmern wollte, die Prioritäten hatten nur bisher bei ihrem Fall gelegen, doch jetzt, wo dieser gelöst zu sein schien, würde sie sich auch um andere anstehende Dinge kümmern können.
Sie stand um sechs Uhr auf, ohne Michael zu wecken, und um sieben befand sie sich schon auf der A3 Richtung Koblenz.
„Hi Jenny, wo warst du denn gestern?“, begrüßte Frank sie, als sie um halb acht ins Büro kam.
„Ich hatte etwas Privates zu erledigen“, erklärte sie. „Es tut mir leid, dass ich in der Phase des Falles weg musste, aber der Täter scheint festzustehen, und ich weiß, dass ich mich auf euch verlassen kann.“
Frank straffte sich. „Natürlich. Britta ist heute Morgen beim Arzt“, erklärte er auf ihren fragenden Blick zu dem leeren Stuhl. „Sie kommt etwas später. Es gibt eine Neuigkeit!“
„Welche denn?“, fragte sie ungeduldig.
Frank genoss offenbar, der Überbringer zu sein. „Rosenkranz hat gestern, kurz bevor er Selbstmord begangen hat, seinen Sohn angerufen und ihm ein Geständnis aufs Band gesprochen.“
Jenny ließ sich auf Brittas Stuhl fallen. „Das gibt’s nicht. Und warum hat der Sohn sich nicht früher gemeldet? Hat er es nicht abgehört?“
„Er lebt in den USA. Andere Zeitzone. Rosenkranz hat sich verabschiedet, ihm erklärt, dass er Therapien verdünnt hat und sich entschuldigt. Angeblich habe er nicht erwartet, dass er damit Kranken nachhaltig schade. Er erklärt, er habe die Mischungen nur gering verdünnt und erwartet, dass sie höchstens etwas weniger wirken und wiederholt werden würden. Niemals hätte er gewollt, dass Menschen sterben.“
„Ist … besser war er so naiv oder versucht er, sich vor seinem Sohn in einem besseren Licht zu präsentieren? Wahrscheinlich das Zweite“, beantwortete sie ihre Frage selbst. „Wahrscheinlich ist die Sache dann aus dem Ruder gelaufen, und er hat weiter getötet, um alles zu vertuschen. Eine Tat hat die nächste nachgezogen.“
„Der Sohn hat keine sehr hohe Meinung von seinem Vater und hat ihn in den letzten Jahren auch kaum gesehen“, erklärte Frank. „Sein Vater ist wohl nach dem frühen Tod der Ehefrau zu einem verbitterten Mann geworden, der seinen Sohn nicht gut behandelt hat. Er sagt zwar, dass er ihm keinen Mord zugetraut hätte, andererseits hat er ihn seit zehn Jahren kaum gesehen und nur selten gesprochen.“
„Also gut“, erklärte Jenny und stand auf. „Dann ist der Fall gelöst. Schwer zu glauben, was er alles getan hat, um seine Taten zu vertuschen. Aber offensichtlich war es so. Jetzt bleibt uns nur noch, hinter ihm aufzuräumen. Ich habe mich mit Dr. Schmidt in Verbindung gesetzt. Er wird mit Kollegen alle Fälle durchgehen und sich um jeden einzelnen Patienten kümmern.“
Der Morgen verging mit Telefonaten mit der Gerichtsmedizin, den beteiligten Krankenhäusern, den Angehörigen der Opfer und des Täters und einem langen Termin bei Sobottki, den sie über jede Einzelheit aufklärte.
„Unfassbar“, sagte er, als sie geendet hatte. „Kaum kommen Sie nach Koblenz, passieren hier die spektakulärsten Morde, und Sie lösen alle Fälle in Rekordzeit! Ich hoffe, Sie bleiben für immer hier. Nicht, dass ich mir mehr solcher Mordfälle wünsche“, fügte er schnell hinzu.
Jenny lächelte. „Ich habe die Fälle ja nicht alleine gelöst. Die Kollegen haben fantastische Arbeit geleistet, und auch die Frankfurter Kollegen haben maßgeblich zur Lösung des Falles beigetragen.“
Sobottki nickte zufrieden. „Ein Glück, dass wir dieses Projekt zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern haben. Sonst wäre es um einiges schwieriger geworden, die Genehmigung zu bekommen.“ Er sah sie prüfend über seine Brille hinweg an. „Allerdings bezweifle ich irgendwie, dass Sie sich hätten hindern lassen.“
Jenny sah ihn unschuldig an und sagte gar nichts. Er winkte ab. „Schon gut. Ich will’s gar nicht wissen. Dann legen wir die Sache ad acta. Nachher geben wir eine Pressekonferenz. Ich würde mich freuen, wenn Sie dort die Ergebnisse präsentieren würden.“
Jenny verzog das Gesicht. „Nicht, wenn es nicht sein muss“, erklärte sie. „Ich mache so etwas sehr ungern, und ich müsste heute auch noch einmal nach Frankfurt, um den Fall dort abzuschließen.“
„So? Geht das nur persönlich?“, fragte er misstrauisch.
„Ich fände es besser“, sagte sie, „aber wenn Sie etwas dagegen haben …“
„Nein, nein.“ Er hob abwehrend die Hand. „Machen Sie nur. Sie haben sich wahrlich etwas Freiheit verdient. Wenn Sie es für richtig halten.“
„Wenn ich etwas vorschlagen darf“, begann Jenny vorsichtig. „Frau Manger wird sicher ganz hervorragend die Aufklärung des Falles der Presse präsentieren können. Sie hat mein vollstes Vertrauen.“
Sobottki sah sie überrascht an. „So? Ja, wenn Sie meinen. Dann macht das also Frau Manger. Sagen Sie ihr bitte Bescheid.“
Jenny bedankte sich, und überbrachte Britta kurz darauf die Nachricht.
„Ich soll … Vor der Presse?“ Sie sah hilfesuchend zu Frank.
Jenny war gespannt, ob er so reagierte, wie sie erwartete. Und tatsächlich. Sein Lächeln war ehrlich, als er sagte: „Du wirst das ganz fantastisch machen!“