»
W
eißt du was? Ich habe nochmal darüber nachgedacht – ich bleibe einfach hier. Es ist keine gute Idee, wenn ich mitkomme. Der Anlass ist viel zu persönlich, ich habe da doch gar nichts zu suchen. Außerdem -«
»Tasha. Stopp!« Sanft umfasse ich ihre Handgelenke, um sie daran zu hindern, weiterhin so wild durch die Gegend zu fuchteln und sich womöglich selbst zu verletzen, und ziehe sie zu mir. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass nichts effektiver ist als ein Kuss, wenn es darum geht, sie zu beruhigen, ihren Redefluss zu stoppen oder sie auf andere Gedanken zu bringen. Genau von dieser Taktik mache ich nun Gebrauch, da sie anfängt, sich selbst von Dingen zu überzeugen, die absoluter Quatsch sind.
Außerdem verberge ich so das verräterische Lächeln, das meine Mundwinkel umspielt und sie wahrscheinlich nur weiter reizen würde.
Obwohl sie eben noch so angespannt war, schmiegt sie sich augenblicklich an mich und seufzt leise in meinen Mund. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals an dieses Gefühl gewöhnen werde. Ich möchte es gar nicht. Sobald Tasha sich so an mich lehnt, überzieht ein heftiges Prickeln meinen Nacken, wandert den Rücken hinunter und wird zu einem starken Ziehen in meiner Magengrube. Wie so oft presst sie ihre Handflächen auf meine Brust. Während ich zu Beginn noch geglaubt habe, sie würde mich so unter Kontrolle haben, die Chancen haben wollen, mich jederzeit von sich zu stoßen, weiß ich mittlerweile, dass es ihre Art ist, mir nahe zu sein. Sanft lege ich meine Hände auf ihre Seiten und streiche mit den Daumen über ihren Rippenbogen, den ich unter dem dünnen Stoff ihres Oberteils deutlich spüren kann.
Das Kribbeln intensiviert sich, weshalb ich mich widerwillig von ihr löse. Nicht, dass wir aus ganz anderen Gründen von unserem eigentlichen Plan abweichen. So gerne ich das hier fortführen würde – es muss später geschehen.
Die Zeit wird langsam knapp.
»Wir sollten los.«
Zischend rückt sie weit genug von mir ab, um mich mit großen Augen anzusehen. Ich muss gar nicht genau hinsehen, um die Panik in ihnen zu entdecken. »Kannst du nicht einfach sagen, ich hätte doch arbeiten müssen?«
Langsam streiche ich mit dem Daumen über die kleinen Fältchen neben ihrem Mundwinkel und schüttle den Kopf. »Nein. Du machst dir völlig umsonst Gedanken. Wir gehen jetzt zusammen dorthin und fertig. Es wird alles gut.«
Ohne einen weiteren Widerspruch zu dulden, schnappe ich mir ihre Handtasche, die verloren auf dem Boden liegt, und erhasche dabei einen kleinen Blick auf die hübsche Rundung ihres Hinterns. Sehr zu meiner Freude hat sie sich für einen eng geschnittenen Jumpsuit in Dunkelblau entschieden, der ihr hervorragend steht. Ob sie sich bewusst ist, wie amüsant ihre Kleidungswahl in Verbindung mit unserem Gruppennamen ist? Vielleicht. Die Mädels werden jedenfalls ihre helle Freude daran haben. Wortlos reiche ich ihr den Mantel, in den sie ebenso still schlüpft, und warte geduldig, bis sie ihre Boots übergezogen hat.
Obwohl sie sich offensichtlich nicht wohl damit fühlt, lässt Tasha sich widerstandslos von mir auf den Flur ziehen. Ich versperre die Wohnung, fest entschlossen, sie vor morgen nicht mehr herkommen zu lassen, und führe Tasha dann raus auf die Straße, wo mein Wagen bereits auf uns wartet.
Die Fahrt zum Haus dauert nicht lange, aber sie bietet genug Zeit, damit Tasha erneut nervös werden kann. Ich hoffe so sehr, dass der heutige Abend ein weiterer Schritt in die richtige Richtung ist, dass sie endlich anfangen wird, sich wieder wohl zu fühlen in der Gegenwart der anderen. Egal, wie oft ich ihr schon versichert habe, dass diese überhaupt nicht mehr an jenen Ausflug denken – oder zumindest fast gar nicht mehr – er steht noch zwischen ihnen. Und dabei sage ich die Wahrheit. Den anderen ist es wichtig, dass ich glücklich bin. Tasha macht mich glücklich. Also mögen sie Tasha.
Einfache Rechnung.
Obwohl wir nun seit mittlerweile drei Monaten zusammen sind, war sie erst zweimal bei uns zuhause. Hat nur ein weiteres Mal unser Training besucht und uns anschließend in die Kneipe begleitet.
Als ich mit der versammelten Gruppe in die Trattoria
gegangen bin, um sie zu überraschen, hat sie vor Schreck ein Tablett voller Gläser fallen lassen und sich anschließend für eine halbe Stunde nach hinten verzogen, bis klar war, dass jemand anderes unseren Tisch übernommen hat.
Sie ist ... ziemlich unentspannt.
Klar, dass ihr der Gedanke nicht behagt, dass wir nun auf eine kleine Weihnachtsfeier fahren, die bei uns stattfindet. Zum Glück ahnt sie nicht, was heute wirklich geschehen wird. Sonst hätte ich sie niemals auch nur bis ins Auto bekommen.
Die ganze Fahrt über liegt meine Hand in ihrem Nacken. Ich liebe es, mit den kurzen Fransen zu spielen, und daran, wie sie jedes Mal erschaudert, lese ich ab, dass es auch ihr gefällt. Lächelnd denke ich darüber nach, was uns diesen Abend noch bevorsteht, muss an mich halten, um es nicht bereits jetzt auszuplaudern, und bin froh, als wir endlich unser Haus erreichen. Wie alle anderen in dieser Straße ist es hell erleuchtet. Auch wenn der Schnee für die perfekte Weihnachtsstimmung fehlt, machen die vielen Lichterketten es wieder wett. Keine Ahnung, ob es daran liegt, dass wir nun alle in einer Beziehung stecken, aber wir haben es dieses Jahr besonders ernst genommen mit der Dekoration.
Vielleicht auch, weil zum ersten Mal nicht alle von uns über die Feiertage nach Hause fahren werden.
Ein weiterer Hinweis darauf, dass wir alle erwachsen werden.
Durch das Fenster neben der Haustür können wir sehen, wie sich Schatten in der Küche bewegen. Vermutlich Jo, der gemeinsam mit einem HiWi das Abendessen vorbereitet. Er hat immer schon gerne gekocht, und heute gibt es ein wahres Festmenü. Braten, verschiedene Beilagen, Parfait zum Nachtisch.
Absolut dem Anlass angemessen.
Der Motor klickt, als ich den Wagen neben Daniels Jeep parke und ausstelle. »Bereit?«
Mehr als ein Schnauben gibt sie nicht von sich. Um ehrlich zu sein, habe ich aber auch nichts anderes erwartet.
Noch während ich den Wagen umrunde, um ihr beim Aussteigen zu helfen, klettert Tasha bereits nach draußen. Ich reiche ihr meine Hand, und gemeinsam laufen wir die kleine Zufahrt zum Haus entlang. Unser Atem bildet kleine Wölkchen.
Jetzt, kurz vorm Ziel, hört man deutlich die Weihnachtsmusik, die irgendjemand besonders laut aufgedreht hat. Maik wahrscheinlich. Ein Schmunzeln huscht über mein Gesicht, während ich an das neueste Tattoo denke, das er sich gestern hat stechen lassen. Das zweite für Helena, in gewisser Weise ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für sie. Unwillkürlich wandern meine Gedanken zu Tashas Tattoo. Dem kleinen Vogel auf ihrer Hüfte, den ich bei unserem ersten Mal gar nicht bemerkt habe. Zu dunkel, zu stürmisch. Umso mehr Aufmerksamkeit habe ich der delikaten Stelle gewidmet, als wir den besten Versöhnungssex hatten, von dem die Menschheitsgeschichte je gehört hat. Meiner Meinung nach.
Erstaunlicherweise verstehen Maik und ich uns so gut wie schon lange nicht mehr. Wenn man bedenkt, dass wir bereits prügelnd den Flur auseinandergenommen haben, mag das verwunderlich sein. Aber das einzige Thema, das jemals zwischen uns gestanden hat, war Helena. Und ich schätze, wir haben beide einen idealen Weg gefunden, der uns glücklich macht. Außerdem habe ich meinen Frieden mit ihnen geschlossen.
Nicht unerheblich dafür verantwortlich ist die wunderschöne, verrückte Frau an meiner Seite, die mich nun beinahe belustigend panisch ansieht. Ich halte inne, den Schlüssel bereits auf Schlosshöhe, und drücke ihre Hand. »Wie gesagt, es wird alles gut. Sie freuen sich auf dich.«
»Es ist nicht so, dass ich mich nicht freue, aber ...«
»Ich weiß«, unterbreche ich sie lächelnd. »Du machst dir viel zu viele Vorwürfe. Für einen Menschen, der zwei Jahre jeden Kontakt gemieden hat und immer so cool rüber kommt, machst du dir erstaunlich viele Sorgen darum, was andere von dir denken.«
»Ja, es ist nur ...«
Ich schüttle lächelnd den Kopf. »Weißt du eigentlich, dass ich dich liebe?«
»Du – was
?« Ihre Stimme quietscht, als sie begreift, was ich gerade gesagt habe.
Okay, nicht unbedingt der romantischste Ort. Auch nicht ganz so, wie geplant. Aber es musste einfach raus. Lächelnd schiebe ich den Schlüssel zurück in die Jackentasche und umfasse ihre andere Hand.
»Ich liebe dich, Tasha.«
Sie blickt mich aus großen Augen an. Wenigstens sehe ich keine Panik mehr in ihnen, aber ihr Schweigen ist auch nicht gerade das, was ich mir erhofft habe. Mein Herz beginnt, heftiger zu schlagen.
»Eigentlich empfinde ich schon eine ganze Weile so, aber ich habe auf den richtigen Zeitpunkt gewartet -«
»Und der ist jetzt und hier?« Sie lacht kehlig auf.
Grinsend schüttle ich den Kopf. »Das Herz tut, was das Herz tun muss.«
Ihre Augen huschen über mein Gesicht, so als würde sie irgendetwas suchen. Einen Hinweis darauf, ob ich sie veräpple, zum Beispiel. Dann wird ihre Miene weich. »Timo ...«
»Du musst gar nichts sagen, okay? Ich weiß, dass ich dich damit wahrscheinlich überrumple. Das alles ist ziemlich viel für dich. Wir hatten keinen leichten Start, auf jeden Fall keinen typischen, und du hast deine ganz eigene Vergangenheit. Aber genau deshalb bist du mir so wichtig geworden. Du und deine taffe Art. Deine Widersprüchlichkeit. Weißt du – gerade deshalb liebe ich dich. Wegen deiner Vorgeschichte. Wegen unserer Geschichte. Weil du hier bist, mit mir, auch wenn es dir Angst macht. Weil ich dich verstehe.«
»Timo.« Lächelnd schüttelt sie den Kopf. Sie sieht glücklich aus. »Ich liebe dich auch.«
»Was?«
Weiter komme ich nicht, da nun sie diejenige ist, die mich küsst. Andersherum funktioniert diese Strategie nämlich genauso gut.
Auch, als die Tür plötzlich aufgerissen wird, lösen wir uns nicht voneinander.
»Wusste ich es doch, dass ich dein Auto gehört habe. Lasst euch gar nicht weiter stören. Es ist nur, wir warten auf euch. Oder genauer gesagt Daniel.«
Tasha löst sich von mir, um Jo anzusehen. Ihre Wangen sind herrlich rot, ihre Lippen geschwollen. »Daniel? Wieso gerade -«
»Komm.« Ehe Jo noch etwas sagen kann, ziehe ich sie hinein in den Flur. »Das wollen wir niemandem antun.«
Beinahe tut Tasha mir leid. Sie ist sichtlich überfordert von der Herzlichkeit, mit der die anderen sie in die Arme schließen und begrüßen. Da ich sie kenne, weiß ich, dass ihr Lächeln eine Spur zu aufgesetzt, ihre Bewegungen ein wenig hölzern und ihre Stimme eine Oktave zu hoch ist. Es tut mir so wahnsinnig leid, denn von der anfänglichen Lockerheit, mit der sie meine Freunde kennengelernt hat, ist nicht mehr viel geblieben. Zwar bin ich mir sehr sicher, dass wir dort wieder hingelangen werden, aber sie braucht Zeit. Und sie muss häufiger dabei sein. Vielleicht stellen sich heute dafür ja die passenden Weichen.
Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie bemerkt, dass etwas in der Luft liegt. Ein paar Mal fängt sie Blicke auf, die ich mit den anderen tausche. Und sie beginnt, wieder hibbelig zu werden. Irgendwann konzentriert sie sich auf Romy, hockt neben ihr auf dem Boden und krault ihre Brust und den Rücken. Ich wiederum habe dadurch keinen schlechten Ausblick auf ihre Brust, was meine Hose verdammt eng werden lässt. Vorsichtshalber ziehe ich das Hemd aus dem Bund und lasse es locker herunterhängen, ehe es zu peinlichen Fragen kommen kann.
Eigentlich war der Plan, dass wir uns zunächst zum Essen einfinden, aber schon bald wird mir klar, dass Daniel es nicht so lange aushält. Er wird zunehmend hektischer, was gänzlich untypisch für seine sonst so besonnene Art ist, sodass selbst Fee anfängt, misstrauisch zu werden. Eilig winke ich Jo in die Küche, um mich kurz mit ihm zu beraten.
»Meinst du, wir haben noch etwas Zeit?«
Er wirft einen nachdenklichen Blick auf den Braten im Ofen sowie die Töpfe, in denen Rotkohl, Sauerkraut und Kartoffeln vor sich hin köcheln. Dann zuckt er seufzend mit den Schultern. »Im schlimmsten Fall brennt es an. Dann werden wir uns auch aus anderen Gründen an diesen Abend erinnern.«
»Wieso aus anderen Gründen?«
Ich atme zischend ein, als Fees Stimme hinter uns ertönt. Sie steht im Türrahmen und sieht alles andere als entspannt aus.
»Was ist los, Jungs?«
Auch wenn das ihrer Laune nicht gerade zuträglich sein wird, wechsle ich einen letzten Blick mit Jo, der kaum merklich mit dem Kinn Richtung Wohnzimmer zuckt. Obwohl es so schön heißt, dass wir Männer schwer von Begriff sind, kapiere ich sofort, was er will, und laufe auf Fee zu, um sie sanft, aber bestimmt zu den anderen zu führen. »Ach, weißt du. Ich hatte vorhin schon ein Gespräch mit Tasha -«
»Gespräch?« Sie lacht sanft auf. »Du meinst, ihr habt wild herumgeknutscht, als Jo die Tür aufgerissen hat.« Ihr Arm schlingt sich um meinen, sie stößt mich mit der Schulter an. »Ich bin wirklich froh, dass es so gut läuft.«
Bingo. Genau der richtige Themenwechsel. Während ich Fee durchs Wohnzimmer zum nur leicht übertrieben großen Tannenbaum führe, den wir heute Abend noch gemeinsam schmücken wollen und zu dessen Füßen es sich Tasha mit Romy gemütlich gemacht hat, werfe ich Daniel einen wild zuckenden Blick zu.
Gott sei Dank begreift er und schlüpft aus dem Raum, ehe Fee noch einmal misstrauisch wird.
»Ja, das tut es wirklich«, erwidere ich warm. Tasha, die sieht, wie wir näher kommen, richtet sich langsam auf. Ihr Blick huscht zwischen uns beiden hin und her, ihre Wangen verfärben sich rosa. Ihr ist bewusst, dass Fee dazu beigetragen hat, dass wir erneut zueinander gefunden haben, weshalb sie diejenige ist, mit der sie noch am ehesten klar kommt. Umso erleichterter bin ich, dass die beiden anfangen, ein wenig zu plaudern. Belanglos zwar, aber immerhin.
Fee ist abgelenkt genug, damit sie nicht bemerkt, wie im Nebenraum alles vorbereitet wird. Erst, als das Licht im Wohnzimmer gedimmt wird, bis nur noch ein paar Lichterketten für eine gemütliche Atmosphäre sorgen, hebt sie überrascht den Kopf.
Ebenso wie Tasha, die auch keine Ahnung hat, was nun geschieht.
Maik tippt auf seinem Handy herum, bis die weihnachtlich-fröhliche Musik von einem anderen Lied abgelenkt wird. Während die ersten Töne von Ed Sheerans »Perfect« erklingen, betritt Daniel den Raum, seine Miene verzerrt, aber entschlossen.
Fee gibt einen kehligen Laut von sich.
Ich fange Tashas Blick auf, die etwa drei Sekunden braucht, bis sie kapiert, was hier gerade geschieht. Sie reißt ihre Augen weit auf, ergreift meine ausgestreckte Hand und lässt sich an meine Brust ziehen. Sanft lege ich meine Arme um ihren Oberkörper und platziere mein Kinn auf ihrem Scheitel, während ich gegen das Engegefühl in meiner Kehle ankämpfe.
Fees Blick wandert in die Runde, sie wirkt aufgewühlt und unsicher. Daniel tritt langsam auf sie zu, bis sie sich in der Mitte des Raumes treffen, umringt von ihren besten Freunden und Romy, die ein gelangweilt klingendes Schnauben von sich gibt.
Tasha lacht leise auf.
»Um ehrlich zu sein, habe ich mir eine ziemlich schöne Rede für diesen Moment zurechtgelegt, aber nun, da du vor mir stehst, fällt mir kein einziges Wort mehr ein.« Verlegen fährt Daniel mit der Hand durch sein Haar, ehe er seine Arme vor der Brust verschränkt, nur um sie sofort wieder zu lösen, ein wenig mit ihnen zu schlenkern und schließlich, Gott sei Dank, nach Fees Händen zu greifen. Die gibt einen erneuten Laut von sich, bleibt ansonsten aber stumm.
Daniel atmet tief durch. »Ich weiß, dass wir noch jung sind. Unser ganzes Leben liegt noch vor uns und im nächsten Jahr werden wir einige Veränderungen durchmachen müssen. Aber egal, was auch passiert, schon jetzt bin ich mir sicher, dass du dabei an meiner Seite sein sollst. Du bist perfekt für mich, Baby. Jede einzelne deiner Sommersprossen. Dein Lachen und deine ruhige Art, deine Vorliebe für Bücher und schlechte Witze. Und deine Versuche, überall für Harmonie zu sorgen. Wenn ich an uns denke, denke ich an das volle Programm. Ich will all das mit dir erleben. Ich will dich lieben. Bei unserem Abschluss, unserem Eintritt ins Berufsleben. Ich will jeden einzelnen Tag meines weiteren Lebens mit dir verbringen, und weil tief in mir drin ein Mann der alten Schule steckt ...«
Ein Raunen geht durch den Raum, als Daniel vor Fee auf die Knie geht und eine samtige Schatulle hervorzaubert. Ich kenne den Ring bereits. Weißgold, mit einem kleinen, aber funkelnden Diamanten. Schlicht, aber wunderschön. Genau die Art, die Fee gefallen wird. Mit jedem einzelnen Wort ist er sicherer geworden, bis nur noch Entschlossenheit in seiner Miene liegt.
Und Liebe.
»Möchtest du meine Frau werden, Fee?«
Die plötzliche Stille ist wie ein Schlag, der uns wachrüttelt. Wir alle hängen an Fees Lippen. Ich sehe sie nur im Profil, aber ich erkenne überdeutlich, wie eine einzelne Träne über ihre Wange läuft.
»Wow«, bringt Tasha heiser vor, einzig für meine Ohren bestimmt. Ich drücke sie fester an mich.
Ehe der Moment unangenehm werden kann, schluchzt Fee laut auf. Mit ausgestreckten Armen fällt sie Daniel um den Hals, der sofort wieder aufgesprungen ist, und auch wenn ich nicht allzu viel verstehe, gehe ich doch davon aus, dass ihre Antwort »Ja« lautet.
Die Musik verändert sich erneut, nun dröhnt »Walking on Sunshine« laut aus der Surroundanlage. Maik reckt grinsend die Daumen in die Höhe, die Stimmung wird gelöst.
Die kommenden Augenblicke verschwimmen ein wenig. Es kommt zu einem heillosen Durcheinander, bei dem alle versuchen, Daniel und Fee zu gratulieren, bis sich sogar Helena und Nathalie um den Hals fallen, ehe sie verwirrt auflachen. Tasha ist mittendrin. Offenbar ist sie viel zu ergriffen von dem Moment, um noch sonderlich nervös zu sein. Ich ziehe sie in die Küche, um mit ihr gemeinsam die Sektgläser zu holen, die Jo in Windeseile vorbereitet hat, ehe es losging, und auf dem Weg presse ich ihr einen Kuss auf die Mundwinkel.
»Ihr wusstet alle Bescheid«, stellt sie lächelnd fest. »Außer Fee und ich.«
Ich zucke mit den Schultern. »Du wärst sonst bestimmt nicht mitgekommen.«
Eine Weile lang starrt sie mich an, den Kopf schräg gelegt. Dann nickt sie langsam. »Stimmt. Timo Schulte, du weißt wirklich, wie ich ticke.«
Grinsend klapse ich ihr auf den Hintern, was ihr einen leisen Schrei entlockt, und nicke. »So ist es. Daher liebe ich dich ja auch so sehr.«
»Damit eins klar ist – ich bevorzuge die ruhigere Variante. Unter vier Augen und so.«
Ich schalte nicht sofort, aber als ich begreife, was sie gerade sagt, flutet mich eine unbeschreibliche Wärme. »Also keine öffentliche Veranstaltung? Das Training beispielsweise?«
»Wehe!«
»Oder bei einem Event, einem Konzert zum Beispiel -«
»Timo!«
»Oder am besten direkt mit Liveübertragung auf Youtube?«
»Halt die Klappe!« Sie nutzt die Schweigetechnik, beißt mir jedoch drohend in die Unterlippe. Den scharfen Schmerz nehme ich grinsend in Kauf.
»Warte bloß ab.«
Sie hebt gespielt langsam ihre Augenbrauen. »Was denn?«
»Du wirst schon sehen. Und jetzt komm. Wir müssen anstoßen.«
Tasha schnappt sich das Tablett, ohne zu zögern – ein Hoch auf ihren Job als Kellnerin – und verteilt die Gläser an meine Freunde, die auch zu ihren geworden sind. Selbst wenn sie das noch nicht begriffen hat.
Fee weint immer noch, aber sie lacht gleichzeitig. Und Daniel? Er strahlt. Vermutlich wird er auch noch übermorgen strahlen. Oder kommendes Jahr.
Ist das zu fassen? Unsere erste Verlobung. Wir alle in einer Beziehung. Und glücklich. Während ich meinen Blick über die versammelte Runde schweifen lasse, muss ich lächeln. Wer hätte gedacht, dass wir alle so schnell hier landen würden? Als wir uns zusammengefunden haben, um Parkour zu machen, hatten wir so etwas jedenfalls nicht im Kopf. Wie so oft haben die Frauen uns verändert.
Zum Positiven.
Wir trinken unseren Sekt, die Frauen reden hektisch durcheinander und planen vermutlich bereits den großen Tag.
»Sag mal«, sagt Maik plötzlich nachdenklich. »Riecht es hier verbrannt?«
»Scheiße!« Jo rast fluchend in die Küche.
Ich lache prustend los. Jepp, der Tag wird aus unterschiedlichsten Gründen in Erinnerung bleiben. Tasha und ich haben uns unsere Liebe gestanden. Daniel hat Fee einen Antrag gemacht. Und zum ersten Mal überhaupt ist Jo Essen angebrannt. Gerade heute.
Es könnte gar nicht perfekter sein.