Kapitel 7 - Vergangenheit
„Wenn du etwas anderes hören willst, musst du es nur sagen“, bemerkte Flann leise, doch sie schüttelte sofort den Kopf.
„Nein, das ist eine meiner Lieblingsbands. Schön, dass du sie auch magst.“
Darla hätte am liebsten geschnurrt, als der Tiger sie jetzt leicht massierte. Es tat so unendlich gut zu spüren, dass sich jemand um sie kümmerte.
Flann nahm die Weingläser, reichte ihr eins und stieß mit ihr an.
„Auf uns, mein Mädchen. Ich bin glücklich, dich zu haben.“
In ihren Augen leuchtete es liebevoll auf, als sie ihn ansah.
„Darauf, dass wir Demmer bald vergessen können.“
Sie tranken einen Schluck, ehe sie erneut einfach nur die Zweisamkeit genossen.
Die Musik wechselte zu Schandmaul
und dem Lied Willst du
, was absolut passend war.
„Ich mag die Gruppen, die es schaffen, ein mittelalterliches Flair zu erzeugen“, bemerkte Darla leise.
„Erzähl mir mehr von dir, meine Kleine. Ich weiß noch viel zu wenig“, verlangte Flann mit einem Schmunzeln.
Sofort schüttelte sie den Kopf.
„Oh nein, das mit uns ist keine Einbahnstraße. Wie wäre es, wenn du mal was über dich preisgibst? Ich kann nicht mal sagen, was du gerne isst.“
Auffordernd sah sie ihn an, woraufhin er lächelnd nachgab.
„Ich wurde hier in Terryglass geboren, wie du ja weißt. Damals war es leichter, meine zweite Natur geheim zu halten. Es gab verschiedene Tage, an denen die Leute es vermieden, auszugehen.“
Er bemerkte Unverständnis in ihrem Blick.
„Einer dieser Feiertage ist Samhain, heute spricht man eher von Allerheiligen. Vor etlichen Jahren dachten viele, dass die Tore zur Anderwelt offen stünden. Wenn es nicht unbedingt sein musste, blieb man im Haus. Dann gab es Beltane oder die Walpurgisnacht. Auch hier versuchte man, die Toten zu besänftigen. Einerseits, indem man kleine Opfergaben auf die Gräber legte, andererseits fachte man ein großes Lagerfeuer an, um das sich das gesamte Dorf versammelte. Genau genommen ist es ein Brauch, den die Leute von den Hochkönigen in Tara abgeschaut haben. Dort wurde auf dem Hill of Ward, der etwa zwölf Meilen entfernt liegt, ein riesiges Leuchtfeuer entzündet, um die Dunkelheit zu besiegen. Die Menschen schritten durch das Feuer, dabei nahmen sie ihr Vieh mit. Sie dachten, es würde sie reinigen. Viele backten Seelenkuchen und stellten diese mit einem Glas Milch vor die Tür, um die Seelen davon abzuhalten, das Haus zu betreten. Außerhalb der Feuerstellen traf man nur selten jemanden. Das Leben war einfacher als heute, außerdem blieb man normalerweise in seiner Umgebung. Ein Ausflug nach Dublin bedeutete fast eine Weltreise. Somit war es für uns ein Leichtes, unerkannt zwischen den Normalen zu wohnen.“
Darla nickte verstehend.
„Mit meinen Tigergenen kann ich sehr schnell weite Strecken zurücklegen. Allerdings musste sich unsere Sippe aufteilen, als auffiel, dass wir nicht wirklich alterten. Ein Verdacht, dass wir magische Wesen sind, wäre damals fatal gewesen.“
Flann trank einen Schluck Wein, dabei sah er versonnen ins Feuer.
„Das Überleben gestaltete sich manchmal recht hart, weil wir von den Jahreszeiten abhängig waren. Ein Winter, der zu zeitig kam oder der Sommer, der zu wenig Sonne brachte, bedeutete oft, dass wir vom Hunger bedroht wurden. Trotzdem erschienen mir die Menschen zufriedener.“
Bei der Missgunst, die auch Darla oft erdulden musste, konnte sie sich das lebhaft vorstellen.
„Drüben in der Burg gab es von Zeit zu Zeit ein Fest. Immer dann, wenn die adeligen Besitzer zu Besuch dort weilten. Wir lebten damals in einem kleinen Steincottage, das mittlerweile abgerissen ist. Schon früh habe ich mitgearbeitet, denn Schulen gab es noch nicht. Aber ich liebte das Fischen sehr.“
Darla versuchte sich vorzustellen, wie Flann wohl als Teenager ausgesehen hatte.
„Wie war deine Kindheit?“
Sie fand es extrem spannend, jemandem zuhören zu können, der die vergangenen Zeiten wirklich erlebt hatte.
„Ich würde mal sagen, wie die der anderen Jungs in meinem Alter auch. Es gab kaum Unterschiede, nur, dass ich ein magisches Wesen bin. Mein Papa hat mir früh beigebracht, mit meinen Fähigkeiten umzugehen, sodass ich mein inneres Tier gut im Griff halten konnte.“
Erneut lächelte Flann, als er sich an seinen Dad erinnerte, der ihn ermahnte, auf keinen Fall seine Besonderheiten sehen zu lassen.
„Was ist mit deinem Vater? Lebt er noch?“
An dem traurigen Kopfschütteln erkannte sie, dass sie diese Frage besser nicht gestellt hätte.
„Nein, er wurde erschossen. Mein Dad ist 1919 zurück nach Terryglass gezogen, nachdem er zuvor eine Weile in England gelebt hatte. Er schloss sich sofort den Arbeiterbewegungen an, die für ein freies Irland kämpften.“
Darla nickte leicht.
„Der irische Unabhängigkeitskrieg, ich habe darüber gelesen“, murmelte sie bedrückt.
„Ja. Es war ein ziemlich ungeeigneter Zeitpunkt für seine Rückkehr, aber genau wie mich zog es ihn immer wieder her. Er beteiligte sich an den Kämpfen. Es kam, wie es kommen musste: Er wurde von ein paar britischen Soldaten erschossen, die unser Dorf überfielen. Ich war damals in Deutschland.“
Mit dem letzten Satz kam er ihr zuvor, zumal er sich dachte, dass sie sich danach erkundigen würde.
„Das tut mir leid. Ich weiß, wie es ist, wenn man seine Liebsten verliert.“
Flann drückte sie leicht an sich.
„Es ist lange her. Mittlerweile denke ich mit einem Lächeln an ihn.“
Zu gerne hätte sie gewusst, was aus seiner Mutter geworden war, doch sie traute sich nicht, zu fragen. Weitere Wunden wollte sie auf keinen Fall aufreißen.
„Auch diese Zeiten gehören zu meiner Vergangenheit. Bürgerkriege, Weltkriege und Aufstände, aber wie du siehst, habe ich alle überlebt. In den letzten fünfzig Jahren bin ich allerdings in Irland geblieben. Die magische Welt unterhält ein Netzwerk, sodass wir immer passende Papiere erhalten können. Damit ist es relativ unkompliziert, sich selbst als sein Enkel oder Neffe auszugeben. Gerade auf unserer grünen Insel leben viele von uns, denn es gibt kein Einwohnermeldeamt wie in Deutschland.“
Erstaunt sah Darla ihn an.
„Echt nicht? Ich kann also herziehen und niemanden kümmert es?“
Zustimmend nickte der Tiger.
„Ja, du darfst hier sogar arbeiten, ohne weitere Formalitäten, weil du ein EU-Bürger bist.“
Die Neuigkeiten ließen sie strahlen. So einfach hätte sie es sich nicht vorgestellt.
„Aber um auf deine erste Frage zurückzukommen, ich mag Steaks, medium.“
Lachend lehnte Darla sich an ihn.
„Dass du kein Veganer bist, dachte ich mir fast.“
Er fiel in ihr Lachen ein, dabei sah er sie fasziniert an. Sie so glücklich zu sehen, ließ sein Herz höherschlagen. Sein Mädchen war wunderschön, wenn sie keine Sorgen hatte.
„Außerdem mag ich schwarze Kleidung, wie du unschwer feststellen kannst. Meine große Liebe ist das Meer, deshalb habe ich ein Cottage mit Blick auf den Atlantik. Sport, insbesondere Bodybuilding, gehört zu meinem Leben, ohne fühle ich mich eingesperrt. Musik ist genauso ein Bestandteil, dabei höre ich alles Mögliche je nach Laune. Ich mag Strandspaziergänge, Sonnenuntergänge und stundenlanges Kuscheln. Liegt wohl an meinen Katzengenen.“
Als Darla ihm jetzt über den Arm strich, schnurrte er laut, was sie erneut lachen ließ.
„Gibt es etwas, das du verabscheust? Ich meine, außer Ungerechtigkeit oder Kriege?“
Ernst nickte er.
„Ja, ich hasse es, zu tanzen. Irgendwie verhaspele ich mich immer. Schach spiele ich auch ungern, zumal ich das Taktieren langweilig finde.“
Darla stimmte ihm zu, was das Schachspielen anging. Sie würde das benötigte strategische Vorgehen niemals richtig verstehen.
„Was für Hobbys hast du? Oder was machst du in deiner Freizeit?“
Sie wollte alles über ihn wissen, besonders, wo er gerade in Erzähllaune war.
„Sport ist mein Hobby und gleichzeitig mein Leben. Außerdem lese ich gerne, darüber hinaus gehe ich jagen.“
Bei der letzten Freizeitbeschäftigung verzog sie leicht das Gesicht.
„Echt jetzt? Du sitzt stundenlang auf einem dieser Holzgestelle, ehe du ein hilfloses Reh erschießt?“
Damit konnte sie sich so gar nicht anfreunden.
Schmunzelnd sah Flann sie an.
„Nein, ich sitze dabei nur sehr selten auf einem Hochsitz, dann wäre ich viel zu weit weg. Ich jage mit meinem Fotoapparat.“
Darla stieß ihm schmerzhaft den Ellenbogen in die Seite.
„Du nimmst mich auf den Arm“, beschwerte sie sich, aber das Zucken in ihrem Gesicht verriet ihm, dass sie das Lachen unterdrückte.
„Im Ernst, ich bin wirklich immer mal wieder auf der Jagd nach guten Fotos. Ich zeige dir meine Sammlung gerne, wenn wir zu Hause sind.“
Zu Hause! Das klang so wunderbar, dass sie jetzt schlucken musste. Seit ihre Eltern tot waren, hatte sie sich nirgendwo heimisch gefühlt.
Liebevoll zog der Tiger sie an sich, sorgte dafür, dass sie ihre Wange an seine Brust bettete, während er sie kraulte.
„Du siehst, alles in allem bin ich ein völlig normaler Mann, mit alltäglichen Hobbys und extravaganten Vorlieben.“
Vorsichtig stimmte sie zu.
„Ja, wenn man davon absieht, dass du mehr erlebt hast, als jeder Mensch. Ich stelle es mir schwierig vor, die ganzen Entwicklungen mitzumachen. Du hast Zeiten durchlebt, als es noch keinen Strom gab und heute musst du ein Handy bedienen können.“
Bei dem Argument schob er sie ein wenig von sich, um sein Smartphone in die Hand zu nehmen, das auf dem Wohnzimmertisch lag.
„Gib mir bitte deine Telefonnummer. Sollte irgendetwas Unvorhergesehenes geschehen, möchte ich in der Lage sein, dich anzurufen.“
Am liebsten hätte sie einfach die Augen zugemacht und die Realität ausgeblendet, aber der Tiger bestand auf einer Antwort.
Seufzend stand sie auf, um ihr Handy zu holen, damit sie die Nummern tauschen konnten.
Diese Aktion katapultierte sie sehr unsanft in die Wirklichkeit, außerdem würde sie den Gedanken, dass sie sich unter Umständen trennen mussten, gerne ausblenden.
Schnell tauschten sie ihre Telefonnummern, anschließend brachte Darla ihr Smartphone zurück in die Küche, wo ihre Handtasche lag.
„Wieso lässt du es nicht einfach hier auf dem Tisch liegen?“, wollte Flann wissen, als sie sich wieder an ihn kuschelte.
„Weil Matthias ein Programm darauf installiert hat, um mich zu kontrollieren. Ich will verhindern, dass er wirklich alles mitbekommt. Er denkt, dass ich völlig ahnungslos bin, allerdings sind mir die Veränderungen sofort aufgefallen.“
Müde sah sie ihn an, dabei erkannte er deutlich, dass sie sich lieber weiter über seine Vergangenheit unterhalten hätte als über ihren Onkel.
„Wenn ich die App lösche, weiß er, dass ich ihn durchschaue. Er wird wieder versuchen, etwas zu installieren. Deshalb lasse ich ihn in dem Glauben, dass ich nichts bemerkt habe, lege das Gerät aber immer in meine Handtasche, die selten in meiner Nähe ist.“
Die Taktik gefiel Flann, zumal sie so einigen Problemen mit Matthias aus dem Weg ging. Außerdem konnte man ihn auf diese Weise unter Umständen auf eine falsche Fährte locken.
„Du bist clever, mein Mädchen. So ist es in jedem Fall besser, als ihn herauszufordern oder irgendwann ein Abhörprogramm auf dem Handy zu haben, von dem man nichts mehr weiß.“
Darla nickte leicht, dann sah sie ihn schelmisch an.
„Willst du etwa von dir ablenken? Ich bin keineswegs fertig mit dir.“
Erstaunt musterte er seine Liebste. Wollte sie etwa sein gesamtes Leben an einem Abend erforschen?
„Was möchtest du denn noch wissen? Ich habe dir die wichtigsten Dinge erzählt.“
Bei der Antwort schüttelte sie langsam den Kopf.
„Nein, du hast ausgelassen, ob du schon mal verheiratet warst.“
Neugierig blickte sie ihn an, dabei hoffte sie, dass sie jetzt nicht zu weit gegangen war. Nur konnte sie sich so gar nicht vorstellen, dass er 500 Jahre alleine geblieben war.
Ein verstehendes Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Wenn ich dir sage, dass ich wie ein Mönch gelebt habe, lüge ich dich an. Ja, ich hatte Freundinnen, aber keine war meine Seelengefährtin. Verheiratet war ich insgesamt vier Mal. Früher war es schwieriger, zusammen zu sein, ohne einen Trauschein oder den Segen des Pfarrers.“
Diese Information nagte an Darla, allerdings sagte sie sich, dass sie es ja unbedingt wissen wollte.
„Was ist aus den Frauen geworden? Ich hoffe, dass keine auf dich in deinem Cottage wartet.“
Ihre Stimme hörte sich aggressiver an, als sie gewollt hatte, aber ihr Misstrauen war erneut erwacht. Vielleicht sah er sie ja doch nur als Spielzeug.
Getroffen zuckte Flann zusammen, als sie ihm den Verdacht an den Kopf warf.
„Denkst du wirklich, dass ich dir vorspiele, dich bei mir zu behalten, wenn meine Ehefrau auf mich wartet?“
Sofort meldete sich Darlas schlechtes Gewissen. Sie erkannte deutlich, dass sie ihn mit ihren bösartigen Worten verletzte.
„Es tut mir leid. Bitte, ich wollte dir nicht wehtun. Es ist nur so, dass ich kaum glauben kann, dass du mich ehrlich an deiner Seite haben möchtest.“
Fast flehend sah sie ihn an.
„Darla, es gibt keine andere und ich will auch keine, außer dir. Ich musste meine vier Ehefrauen zu Grabe tragen.“
Bei der Aussage schloss sie betroffen die Augen. Am liebsten hätte sie die bösartige Verdächtigung zurückgenommen, nur gab es keine Möglichkeit.
„Ich sollte lernen, meinen Mund zu halten“, murmelte sie.
Ehe Flann sich versah, war sie aufgesprungen und lief aus dem Raum. Verwirrt sah er ihr eine Sekunde lang nach, doch als er die Haustür hörte, rannte er ihr hinterher.
Ihm war bewusst, dass sie viel zu durcheinander war, um ihre neue Situation zu begreifen. Außerdem fand er ihre Eifersucht gar nicht so schlimm, denn das sagte ihm, dass sie ihn liebte.
Sie hatte gerade die Tür hinter sich zugezogen, als diese bereits wieder aufgerissen wurde.
Noch bevor sie irgendwie reagieren konnte, packte Flann sie am Arm.
„Was denkst du, wohin du gehst?“, wollte er leise wissen.
Hoffnungslos zuckte sie mit den Schultern. In ihren Augen schwammen Tränen, ihre gesamte Haltung zeigte, dass sie sich schuldig fühlte.
„Ich gehe dir besser aus dem Weg. Bestimmt willst du niemanden in der Nähe haben, der dermaßen unsensibel und misstrauisch ist.“
Für Darla stand fest, dass sie mit ihrem unbedachten Vorwurf alles kaputtgemacht hatte. Zu deutlich erinnerte sie sich an Flanns Reaktion. Dass er getroffen zusammengezuckt war, tat ihr in der Seele weh. Ihn zu verletzen, lag überhaupt nicht in ihrer Absicht. Die Frage kam ihr nur in den Sinn, weil sie so wenig Selbstbewusstsein hatte.
„Bitte, Darla, lass uns darüber reden. Glaubst du wirklich, dass ich dich wegen einer dummen Äußerung verstoße? Auf gar keinen Fall! Du bist mein Mädchen, vergiss das nie.“
Mit offenem Mund starrte sie ihn an, während sie versuchte zu verstehen, was er gerade gesagt hatte.
„Aber ich habe dir unterstellt, dass du mich hintergehst, dabei musstest du bereits vier Frauen, die du sicherlich geliebt hast, begraben.“
Lächelnd zog er sie an sich, obwohl sie sich wehrte, doch gegen ihn besaß sie nicht die geringste Chance.
„Ja, ich liebte sie, allerdings nicht so sehr wie dich. Du bist meine Gefährtin, meine Dualseele.“
Flann legte beide Hände an ihre Wangen, sah ihr tief in die Augen, ehe er sie zärtlich küsste.
In diesen Kuss packte er seine gesamten Gefühle, die er ihr mit Worten nur unzureichend mitteilen konnte.
Völlig außer Atem, aber mit einem glücklichen Lächeln, drückte Darla sich an ihn, als er wieder von ihr abließ.
„Ich dachte, ich hätte unsere Beziehung bereits kaputtgemacht“, flüsterte sie, dabei unterdrückte sie die Tränen mit aller Macht.
Kopfschüttelnd brachte Flann sie zurück in sein Wohnzimmer, wo er sich mit ihr auf die Couch setzte.
„Ich weiß, dass es Zeit braucht, damit du mir wirklich vertrauen kannst. Du bist oft verletzt worden und das hinterlässt Spuren.“
Sein Verständnis tat ihr gut, beschämte sie aber auch. Nach diesem Fauxpas hatte sie eigentlich eine ordentliche Standpauke verdient.
„Wenn du mich jetzt bestrafen möchtest, verstehe ich es sehr gut“, bemerkte sie leise.
Flann blickte auf sie herunter, dabei lächelte er sie beruhigend an.
„Nein, das will ich auf keinen Fall. Wir waren in keiner Spielsituation, außerdem ist unsere Beziehung noch zu frisch, als dass ich absolutes Vertrauen von dir verlangen könnte.“
Sanft streichelte er sie, zumal ihm ihr Ausrutscher zeigte, dass sie viel mehr verarbeiten musste, als angenommen.
„Vielleicht solltest du mir von den Männern erzählen, die dir so sehr wehgetan haben, dass du niemandem richtig vertraust?“, schlug er leise vor.
Am liebsten hätte Darla jetzt heftig mit dem Kopf geschüttelt, aber nach ihrem unfairen Vorwurf verdiente er die Wahrheit einfach.
„Im Grunde hat es sich immer gleich abgespielt. Ich traf einen Kerl, der mir gefallen hat. Wir sind uns nähergekommen und am Schluss musste ich feststellen, dass ich nur ein nettes Spielzeug war.“
Sie versuchte, sich mit dieser Kurzfassung aus der Affäre zu ziehen, doch Flann sah sie bereits auffordernd an.
„Erzähl mir von deinem ersten Freund“, bat er, was sie dazu brachte, tief einzuatmen.
Darla erinnerte sich nicht gerne an ihre vergangenen Liebschaften.
„Er hieß Stefan und ich war so verliebt, dass ich völlig naiv in seine Falle getappt bin. Wir standen kurz vor dem Abitur, als er mich bei einer Klassenfete ansprach. Wir unterhielten uns den gesamten Abend, kamen uns näher, was ich nie für möglich gehalten hätte. Er sah gut aus, blond, schlank, der Schwarm in unserem Englischkurs.“
Bitter sah sie jetzt auf die Flammen im Kamin. Die Lektion von damals tat heute noch weh.
„Zum Abschied hat er mich geküsst und gefragt, ob wir uns wiedersehen. Ich war so glücklich, weil ich dachte, er würde es ehrlich mit mir meinen. Eine Freundin versuchte, mich zu warnen, aber ich ignorierte sie. Es kam, wie es kommen musste, wir landeten im Bett. Am nächsten Tag flirtete er ungeniert mit einer anderen. Als ich ihn auf sein Verhalten ansprach, lachte er mich aus. Er fragte, ob ich die Kerben an seinem Schrank übersehen hätte. Ich sei nun eine davon, mehr nicht.“
Selbst acht Jahre später tat die Demütigung immer noch weh, sodass sie schwer schluckte, ehe sie weitererzählen konnte.
Flann zog sie dicht an sich, nickte ihr allerdings aufmunternd zu.
„Ich kam drüber weg, zumal kurz darauf meine Eltern starben. Alle Probleme verpufften. Der nächste Mann in meinem Leben lief mir auf dem Campus über den Weg. Er rempelte mich an und ich verliebte mich auf der Stelle. Dieses Mal nahm ich mir vor, vorsichtiger zu sein. Wir redeten stundenlang, trafen uns, um unsere Freizeit gemeinsam zu verbringen. Außer ein paar heißen Küssen spielte Sex keine Rolle, sodass ich dachte, es ginge ihm wirklich um mich.“
Wieder schluckte Darla die Bitterkeit herunter.
„Irgendwann drängelte er, dass er mehr von mir wollte. Ich stimmte zu, zumal ich mich auch nach Zärtlichkeiten sehnte. Anschließend klärte er mich auf, dass mein Onkel dafür bezahlt hatte, dass er sich um mich kümmerte.“
Gequält schloss sie die Augen, weil die Erinnerung so in ihrem Gedächtnis haften geblieben war, als ob es erst gestern geschehen sei.
Die Nähe ihres Tigers gab ihr Halt, allerdings wusste sie genau, dass sie noch manches Mal gegen ihr Misstrauen ankämpfen musste.
„Am nächsten Tag hörte ich ihn, wie er seinen Freunden erzählte, dass ich so grottenschlecht im Bett sei, dass er es sofort beendet hätte. Aber nicht genug, ich fiel auf einen weiteren Mann herein, den mein Onkel schickte.“
Sie drückte sich dicht an Flann, weil sie spüren wollte, dass er wirklich bei ihr war.
„Auch dieses Mal war ich einfach nur dumm. Er arbeitete für Matthias, doch er hob sich von den anderen ab. Während die meisten männlichen Angestellten mich als eine Art Freiwild betrachteten, behandelte er mich höflich. Charmant umgarnte er mich, zeigte mir, dass ich für ihn etwas Besonderes war. Zumindest dachte ich es. Außerdem sehnte ich mich nach Geborgenheit. Mir fehlten meine Eltern und von meinem Onkel hörte ich nie ein freundliches Wort. Somit hatte der Typ leichtes Spiel mit mir.“
Flann schüttelte den Kopf.
„Du urteilst zu hart über dich, mein Mädchen. Wir alle sehnen uns doch nach einem Menschen, der uns liebt. Du bist nach Strich und Faden betrogen worden, das ist kaum deine Schuld.“
Traurig seufzte sie.
„Wenn ich intelligenter gewesen wäre, hätte ich die Kerle augenblicklich durchschaut, aber ich war dumm genug zu glauben, dass es sich um ehrliches Interesse an mir handelte.“
Sie sah dem Mann in die Augen, der ihr in dem Moment unendlich viel Sicherheit gab. Würde er sie auch enttäuschen? Sofort schob sie die Furcht zur Seite.
„Du wirst mit der Zeit lernen, dass du mir vertrauen darfst“, bemerkte Flann, als er ihre Gedanken an ihrem Blick ablas.
„Ich hoffe es, aber du musst Geduld mit mir haben.“
Liebevoll küsste er sie, zeigte ihr allein mit dieser kleinen Zärtlichkeit, was er für sie fühlte.
„Das werde ich, meine Kleine.“
Müde lehnte sie sich an ihn, denn für den Tag hatte sie mehr als genug erlebt.
Darla schloss die Augen, spürte, wie er ihr beruhigend über die Oberarme strich, und glitt langsam in die Traumwelt hinüber.
Flann betrachtete sie voll Liebe. Sie war die eine Frau, die zu ihm gehörte, das hatte er schon bei ihrem ersten Treffen gespürt, allerdings gestand er es sich jetzt völlig ein.
Auch im Schlaf entspannte sie sich nicht komplett, sondern klammerte sich an seinen Arm, so als ob er weglaufen könnte.
Vorsichtig hob er sie hoch, trug sie ins Schlafzimmer, um sie auf dem Bett abzulegen.
Verschlafen sah sie ihn an, noch von ihrem Traum umnebelt.
„Zieh die Sachen aus, meine Kleine, dann kannst du weiterschlafen“, befahl er zärtlich.
„Bleibst du bitte bei mir?“
Darla wollte auf jeden Fall verhindern, dass er auf der Couch schlief. Nur bei ihm fühlte sie sich wirklich sicher.
„Natürlich. Ich habe so lange davon geträumt, dich endlich im Arm halten zu dürfen, wenn ich einschlafe. Darauf werde ich keinesfalls verzichten.“
Liebevoll küsste er sie auf die Stirn, ehe er sie freigab, damit sie sich ausziehen konnte.
Verlegen streifte sie die Jogginghose, die Socken und den Pulli ab, sodass sie nur noch mit Unterhose sowie einem T-Shirt bekleidet war.
Flann musterte sie mit einem Schmunzeln. An dem Tag hatte sie bereits genug erlebt, daher ließ er sie gewähren, aber in Zukunft würde sie auf das bisschen Stoff verzichten.
Auch er entkleidete sich bis auf die Shorts, ehe er sich zu ihr unter die Decke legte. Besitzergreifend zog er sie an sich, schlang beide Arme um sie, woraufhin sie beruhigt wieder einschlief.
Flann betrachtete sie noch eine kleine Weile, bis ihm die Augen zufielen. In dieser Nacht träumte er zum ersten Mal nicht von den Menschen, die er getötet hatte.
~~°~~
Am nächsten Morgen schien die Sonne, sodass einem Ausflug nach Portumna nichts im Weg stand.
Gemeinsam frühstückten sie, anschließend liefen sie Hand in Hand zu Flanns Pick-up.
Irgendwie erwartete Darla, dass ihr Onkel sie aufhalten würde, aber von ihm war keine Spur zu sehen.
Aufatmend lehnte sie sich zurück, als sie auf die Hauptstraße abbogen.
„Wieso darfst du es dir eigentlich erlauben, Matthias anzugehen? Es gab Leute, die hat er für weniger beseitigen lassen.“
Darla überlegte bereits seit gestern, warum er es sich wagte, gegen Demmer vorzugehen.
„Weil er genauso Angst hat, zu sterben, wie jeder halbwegs normale Mensch. Er erpresst mich zwar mit seinem Wissen, dennoch ist er unsicher, ob er mich wirklich unter Kontrolle halten kann. Besonders, wenn ich direkt vor ihm stehe. Ich muss nur aufpassen, dass ich keine Grenze überschreite. Sollte er sich zu sehr vor mir fürchten, dann interessiert ihn auch das Geld nicht mehr, das er durch mich verdient.“
Verstehend nickte sie. Reichtum war die eine Sache, ein Leben die andere. Sie hatten ja am Vorabend bereits darüber gesprochen, trotzdem brauchte sie die Bestätigung von ihm erneut.
„Pass auf, wir machen jetzt einen Ausflug in die Vergangenheit und lassen das Thema rund um Demmer außen vor, okay? Mit ihm können wir uns beschäftigen, wenn es an der Zeit dafür ist.“
Mit einem kleinen Lächeln stimmte sie ihm zu. Es brachte nichts, über die Schachzüge ihres Onkels zu grübeln.
„Was möchtest du zuerst ansehen? Das Schloss oder die Ruinen des Klosters?“
Flann blickte zu ihr rüber, ehe er sich erneut auf die Straße konzentrierte.
„Ich habe keine Ahnung. Was ist denn sehenswerter?“
Lachend zuckte sie mit den Schultern.
Einen Moment überlegte der Tiger, ehe er sich dafür entschied, ihr erst die Reste der alten Abtei zu zeigen.
Kurz darauf parkte er den Wagen auf einem Parkplatz, der neben einem Hafen lag. Auch hier war jede Anlegestelle mit einem Hausboot besetzt.
Darla warf einen sehnsüchtigen Blick zu den Booten, die alle sehr unterschiedlich aussahen.
Einige besaßen eine Flyingbridge, andere musste man aus dem Inneren heraus steuern. Selbst die Größe variierte vom Schiffchen, das gerade mal für zwei Personen Platz bot, bis zum Schiff mit Jachtcharakter.
„Komm, lass uns gehen.“
Flann packte ihre Hand, verflocht seine Finger mit ihren und brachte sie auf eine schmale Straße, die sie direkt zum alten Kloster führte.
Darla bewunderte stumm das wirklich riesige Gebäude. Ein Teil des Säulengangs war noch übrig, was den Eindruck ehemaliger Schönheit hinterließ.
„Zumindest haben sie es warm gehabt“, murmelte sie, als ihr bereits der zweite Kamin auffiel.
Geschickt wich sie den Grabsteinen aus, die auf dem Boden lagen. Sie hätte es niemals übers Herz gebracht, darauf zu treten. Für sie war das eine ungeheure Respektlosigkeit.
Flann bemerkte ihr Verhalten, was ihm ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen trieb.
Sie besichtigten die Überreste der Kirche, die so ziemlich den größten Teil der Ruine ausmachte.
Bei einem großen Fenster konnte man sich direkt vorstellen, wie es ausgesehen haben musste, als es noch mit buntem Glas bestückt war.
An den Resten eines alten Altars blieb Darla stehen und runzelte missmutig die Stirn.
„Schade, dass es so gar keine Informationstafel gibt“, bemerkte sie.
Sofort war Flann zur Stelle.
„Was möchtest du denn wissen? Vielleicht kann ich es dir beantworten.“
Erst jetzt fiel ihr ein, dass sie ja quasi mit einem Zeitzeugen unterwegs war.
„Warst du dabei, als es erbaut wurde?“
Neugierig musterte sie ihn, als er lachend den Kopf schüttelte.
„Nein, so alt bin ich dann doch noch nicht. Die Zisterzienser Mönche aus Dunbrody im County Wexford haben im 13. Jahrhundert gefordert, dass hier eine Kirche gebaut wird. Die Leute aus Portumna kamen der Forderung nach, später wurde das Haus aufgegeben und den Dominikanern überlassen. Die erweiterten das Gebäude zu einem Kloster. Im Prinzip bauten sie die Wohnhäuser um die Kirche herum.“
Flann kannte sich in Irland bestens aus, besonders, wenn es sich um Ruinen rund um Terryglass handelte.
„Ich bin beeindruckt. Aber war es nicht sehr ungewöhnlich, dass ein Orden sein Gotteshaus an den anderen abgibt?“
Bedächtig nickte der Tiger.
„Ja, das war es in der Tat, allerdings kam es häufiger vor, als heutzutage. Im Mai 1762 wurde es von der evangelischen Kirche eingefordert. Das habe ich sogar noch erlebt“, bemerkte er mit einem Schmunzeln.
Flann legte einen Arm um ihre Schultern, so gingen sie weiter.
„Das Kloster bestand aus dem Kirchengebäude, dem eigentlichen Klostergebäude, in dem die Mitglieder arbeiteten oder beteten und den Häusern, in denen sie schliefen. Es war schon riesig.“
Dem konnte Darla nur zustimmen.
Erneut sah sie auf den Säulengang, der gut erhalten war, ehe der Tiger sie von der Ruine wegführte.
Langsam schlenderten sie einen Waldweg entlang, der sie direkt zum Portumna Castle
führte.
Das beeindruckende Gebäude war von einer Steinmauer umgeben, an deren vorderen Ecken noch die Reste von zwei Türmen standen.
In dem Tor saß jetzt jemand, der ihnen die Eintrittsgelder abnahm und ihnen einen Flyer über die Geschichte des Bauwerks geben wollte.
„Danke, aber den brauchen wir nicht. Ich kenne mich sehr gut aus“, lehnte Flann höflich ab, ehe er Darla zum Park brachte, der direkt vor dem Schloss lag.
„Hier siehst du einen geometrischen Garten nach dem Vorbild der Gärten in Frankreich und Italien zur Zeit des Barocks. Eine solche Anlage ist das genaue Gegenteil der Landschaftsgärten, die besonders in England ab dem 18. Jahrhundert zu finden waren.“
Darla lachte leise auf.
„Du willst diese mickrigen Beete nicht mit Versailles vergleichen, oder?“
Als Flann leicht nickte, brach sie in lautes Lachen aus.
„Entschuldige, doch ich habe die prachtvolle Parkanlage von LeNotre
selbst gesehen. Keine Ähnlichkeit mit dem hier. Es gefällt mir schon, aber mal ehrlich. Es ist vergleichsweise einfach gehalten.“
Dem stimmte der Tiger zu, trotzdem gab es Gemeinsamkeiten.
„Ja, ist es, allerdings sieht es ein wenig aus wie die Orangerie von Versailles. Schau mal genau hin.“
Einen Augenblick dachte Darla nach, holte sich die Bilder ins Gedächtnis zurück, dabei sah sie auf die fast dreieckigen Beete, die sich um eine kreisrunde Rasenfläche anordneten.
„Du hast recht. Nur ist es in Frankreich alles etwas prunkvoller.“
Gemeinsam gingen sie über den Schotterweg auf das Eingangsportal zu.
„Übrigens zeigten sich die Erbauer ziemlich fortschrittlich, denn die zwei Türme, die du an den Seiten des Gebäudes siehst, waren Latrinentürme.“
Darla blieb stehen, um sich die Front des Schlosses anzusehen.
„Du meinst, sie hatten Toiletten auf jeder Etage?“
Ernst nickte Flann, dabei deutete er auf die Ecktürme des Bauwerks.
„Genau, Abfall und Exkremente fielen nach unten, wo sie in einer gemauerten Rinne unter dem Castle ein Stück abgeleitet wurden. Ein sogenannter Gong Farmer
hat den Dreck dann weggemacht.“
Angeekelt schüttelte sie sich bei dem Gedanken.
„Das war wahrscheinlich kein beliebter Job, oder?“
„Nein, war es nicht, außerdem durften die Leute nur nachts arbeiten, um niemanden zu stören.“
Sie gingen auf den Eingang zu, der fast wie ein Tor wirkte. Eine breite Treppe führte hinauf.
„Das Schloss wurde Anfang des 17. Jahrhunderts von Richard Burke, dem vierten Earl of Clanricade, gebaut. Oder besser, er hat es bauen lassen. Heute ist es übrigens ein National Monument“, erzählte Flann leise, als sie die große Halle betraten.
„Bei dem Bauwerk hier handelt es sich um ein sogenanntes Festes Haus
. Das ist ein Gebäude, das nur zum Teil der Abwehr von Feinden galt, ansonsten aber zu Repräsentationszwecken oder einfach zum Wohnen genutzt wurde. Terryglass Castle
gehörte auch zu dieser Art.“
Verstehend nickte Darla, während sie sich den riesigen Raum ansah, der von einer breiten Mauer in zwei Abteilungen geteilt wurde. In der Abtrennung gab es zahlreiche Nischen und offene Kamine.
„Die Kamine stellten den Untergang des Schlosses dar, denn 1826 ging von ihnen ein Brand aus, der das gesamte Innere zerstörte. Eine Gruppe sehr engagierter Leute versucht mittlerweile, alles wieder aufzubauen. Geplant ist, dass aus dem Haus mal ein Hotel wird.“
Darla konnte sich gut vorstellen, dass die Touristen dieses Angebot gerne annahmen, zumal man von hier aus bequem einige Sehenswürdigkeiten erreichte.
„Damals, als es fertig war, gab es kein vergleichbares Schloss in ganz Irland. Es galt als das prächtigste und großzügigste Gebäude mit seinen drei Stockwerken.“
Flann sprach jetzt leise, da weitere Besucher eintraten.
„Weißt du etwas über die Leute, die in dem Castle gelebt haben?“
Neugierig sah sich Darla die Ausstellung an, die hauptsächlich aus den Bildern der ehemaligen Besitzer bestand.
„Nicht wirklich. Ich war damals ein junger Lord aus England, der nur selten hierher eingeladen wurde.“
Erstaunt musterte sie ihren Tiger.
„Du bist adelig? Echt?“
Sofort lachte er, während er den Kopf schüttelte.
„Nein, ich bin ein Bürgerlicher, aber ich kannte einen sehr guten Fälscher. Ich bin auf diese Art Lügen angewiesen, obwohl ich ansonsten immer die Wahrheit bevorzuge.“
Das verstand sie. Niemand würde einen Gestaltwandler einfach in der Gesellschaft aufnehmen. Im Gegenteil, sie wollte sich nicht mal ausdenken, was mit ihm passierte, sollten die falschen Leute hinter sein Geheimnis kommen.
„Lass uns die Gärten ansehen. Der Küchengarten ist sehr schön, außerdem gibt es ein Weidenlabyrinth, wenn es noch da ist.“
Er zog sie mit sich aus dem Schloss raus in die strahlende Sonne, die sie blinzeln ließ.
Rechts von ihnen zeigte ein Schild den Weg zum Kitchen Garden
, der auch heute weitgehend biologisch geführt wurde.
Eine hohe Steinmauer grenzte die Beete ab, in denen man hauptsächlich Kräuter und Obststräucher fand.
Versteckt im hinteren Teil lag eine Bank, die von Rosen umrahmt war, was Darlas Fantasie sofort anregte.
„Ob die Dame des Hauses hier öfter saß? Obwohl es eigentlich ein Küchengarten ist?“
Galant deutete Flann auf das Bänkchen.
Sie setzten sich, wobei sie erst jetzt bemerkte, dass ein Spalier über die Sitzecke gebaut worden war.
„Im Hochsommer findet man den Platz nicht auf Anhieb. Er hat dazu gedient, dass die Hausherrin ein paar Momente für sich hatte. Allerdings war es auch ein beliebtes Eckchen für Liebespaare.“
Bei den Worten legte er seine Hand in ihren Nacken, um sie näher an sich zu ziehen.
Mit einem Blick, der ihr durch und durch ging, musterte er sie, ehe er zärtlich über ihre Unterlippe leckte.
Genüsslich nahm er ihren Geschmack auf, gleichzeitig drang der ihr eigene Geruch nach Flieder gemischt mit Hoffnung in seine Nase.
Allein an dieser Mischung würde er sie immer erkennen.
Langsam zwang er sie, den Mund zu öffnen, verführte sie nach allen Regeln der Kunst, bis sie die Augen schloss, um sich ihm komplett hinzugeben.
Mit sanftem Druck kraulte er ihren Haaransatz, zeitgleich strich er mit seiner Zungenspitze über ihre Zähne, kostete von ihr, wie von einem guten Wein.
Seine Linke schob sich in ihr T-Shirt, um ihre Brustwarze zu streicheln, die sich ihm bereits sehnsüchtig entgegendrückte. Natürlich störte ihn der Stoff des BHs, aber das würde er hier in dem öffentlichen Garten nicht ändern.
Außer Atem ließ er von ihr ab, zumal es in seiner Jeans extrem eng wurde. Sein Sturkopf war so sinnlich, dass es ihm schwerfiel, bis zum Abend zu warten.
Mit geröteten Wangen sah Darla ihn an, dabei glitt ein Lächeln über ihr Gesicht.
„So wie es aussieht, weißt du genau, wozu dieser versteckte Sitz gut ist“, neckte sie ihn.
Lachend schüttelte Flann den Kopf.
„Nicht halb so gut, wie du annimmst, mein Mädchen. Wie gesagt, ich war damals höchstens zwei Mal hier und da gab es keine Dame, die ich hätte verführen wollen. Aber ich erkenne Möglichkeiten, wenn sie sich bieten.“
Mit den Worten raubte er ihr erneut einen Kuss, bevor sie weiter durch den Garten gingen.
Vor der Sonnenuhr blieben sie stehen.
„Ich habe noch nie so eine Uhr in der Realität gesehen“, murmelte Darla leise, als sie die angezeigte Zeit mit der auf ihrer Armbanduhr verglich.
„Sie geht auf die Minute genau.“
Erstaunt blickte sie auf das Wunderwerk, denn damit hätte sie nie gerechnet.
„Wie du siehst, ist die Mittagszeit vorbei, also lass uns zu einem Tearoom
gehen, um etwas zu essen“, schlug Flann vor, als sie sich endlich von der Sonnenuhr lösen konnte.
Jetzt merkte Darla auch, dass das Frühstück bereits eine ganze Weile her war.
„Das ist eine gute Idee, aber dieses Mal möchte ich bezahlen.“
Sie hob sofort die Hand, als er widersprechen wollte.
„Das ist nicht verhandelbar“, bemerkte sie in einem Ton, der seinem recht ähnlich war.
Neugierig sah Flann sie an, während sie das kurze Stück zu dem Tearoom
gingen.
„Wieso willst du das? Du hast selbst gesagt, dass du nicht gerade viel verdienst.“
In seiner Stimme klang kein Vorwurf mit, sondern nur der Wunsch, sie zu verstehen.
„Ich komme mir dann weniger wie ein Schmarotzer vor“, gab sie leise zu.
Den Gedanken musste er ihr schnellstens abgewöhnen. Auf keinen Fall würde er zulassen, dass sie das Gefühl hatte, sie läge ihm auf der Tasche.
Im Gegenteil, sie sollte erkennen, dass es ihr Recht war, sich ein bisschen verwöhnen zu lassen.
„Darla, es ist unnötig, dass du bezahlst. Weißt du, früher wären die Damen niemals auf die Idee gekommen, die Rechnung zu übernehmen. Es gehörte zum guten Ton, dass der Mann die Kosten bei einem Ausflug übernahm.“
Sie seufzte leise.
„Das weiß ich, aber wir leben leider nicht mehr in dieser Zeit. Heute sind die Frauen emanzipiert, was heißt, dass sie für sich selbst aufkommen.“
Als Flann sie jetzt musterte, umspielte ein feines Lächeln seine Mundwinkel.
„Das sagt wer?“
Verlegen zuckte sie mit den Schultern.
„Matthias erinnert mich bei jeder Gelegenheit daran.“
Das hatte der Tiger sich beinahe gedacht.
„Und auf diesen Stinkstiefel hörst du? Nein, du darfst erst zahlen, wenn du einen sehr gut bezahlten Job hast.“
Damit drückte er die Tür des Tearooms
auf, ehe er ihr höflich den Vortritt ließ, sodass sie keine Zeit mehr für einen Protest hatte.
Sie schlenderten an der Auslage vorbei, die allerhand Gebäck, aber auch ein paar herzhafte Snacks präsentierte.
„Was rätst du mir? Was sollte ich auf jeden Fall probieren, da ich schon mal in Irland bin?“, wollte Darla wissen.
Flann überlegte nicht lange, sondern deutete sofort auf ein Gebäckstück, das ziemlich an Brötchen erinnerte.
„Nachmittags musst du Scones mit Butter und Erdbeermarmelade essen.“
Zustimmend nickte sie, zumal ihr jetzt nach etwas Süßem zumute war.
Ganz Gentleman suchte er einen Tisch aus, ehe er ihr den Stuhl zurechtrückte, was ihr erneut ein Lächeln auf die Lippen zauberte. In den vergangenen Jahren wurde sie nie so höflich behandelt.
Liebevoll nahm der Tiger ihre Hand, strich zart mit dem Daumen über ihren Handrücken, wobei er sie ansah.
„Was?“, wollte sie misstrauisch wissen.
Flann schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nichts, ich genieße es nur, dich anzusehen. Weißt du, wie schön du bist?“
Verlegen blickte Darla zur Seite. Sie hielt sich für ansehnlich, aber keinesfalls mehr.
„Du bist ein Schmeichler. Es gibt so viele, die hübscher sind als ich.“
Am liebsten hätte er sie geschüttelt, erkannte sie wirklich nicht, wie sie auf ihn wirkte? Zu gerne würde er sie in das Cottage zurückbringen, um ihr endlich zu zeigen, dass er sie begehrte. Doch das musste noch etwas warten, denn zuvor wollte er mit ihr einkaufen gehen.
Auf keinen Fall ließ er zu, dass sie gezwungen war, mit den paar Kleidungsstücken aus ihrem Trolley auszukommen.
„Wenn du dich mit meinen Augen sehen könntest, wüsstest du, wie wundervoll du bist“, bemerkte er leise.
Darla holte gerade tief Luft, um ihm zu widersprechen, als die Bedienung die Scones brachte.
„Darf ich sonst noch etwas bringen?“
Die Kellnerin starrte Flann ganz unverhohlen an, dabei übersah sie die Frau an seiner Seite völlig.
„Ich hätte gerne eine Tasse Tee, wenn es möglich ist“, mischte sich Darla mit einem harten Unterton ein.
Unwillig riss sich die Bedienung vom Anblick des Tigers los.
„Selbstverständlich, was für einen Tee möchten Sie denn?“
Noch einmal sah die Angestellte von Flann zu seiner Begleitung, als ob sie nicht glauben wollte, dass ein Mann wie er mit einer dermaßen übergewichtigen Person zusammen war.
„Wenn Sie Zitrone haben, nehme ich gerne einen schwarzen Tee.“
Darla hätte ihr am liebsten vors Schienbein getreten, leider verbot ihr das ihre Erziehung.
„Bringen Sie bitte ein Kännchen und zwei Tassen. Ich teile sie mir mit meiner Frau.“
Jetzt schluckte die Bedienung schwer, besonders weil Flanns Blick direkt auf ihr lag. Deutlich sagte er ihr damit, dass sie sich gut überlegen sollte, wie sie sich verhielt.
„Kommt sofort.“
Mit den Worten lief die Kellnerin zur Theke zurück.
„Siehst du, genau dieses Verhalten meine ich. Jeder fragt sich, warum du dich mit einer wie mir abgibst. Ich weiß, dass ich zu dick bin“, bemerkte Darla traurig.
Flann beugte sich leicht vor, griff über den Tisch und drehte ihr Kinn, sodass sie ihm ins Gesicht sehen musste.
„Es ist egal, was irgendjemand denkt. Du bist meine Partnerin, nicht die Bedienung, nicht irgendeine Frau, die sich auf ihre Figur etwas einbildet oder sonst wer. Für mich bist du ideal, verstanden?“
Eindringlich sah er sie an, bis sie vorsichtig nickte.
„Wenn du es unbedingt willst, dann helfe ich dir mit einem Trainingsplan. Darüber hinaus kenne ich mich auch mit gesunder Ernährung aus. Nur tu es bitte auf keinen Fall für mich.“
Dankbar lächelte sie ihn an, als er sie losließ. Anschließend lehnte er sich wieder bequem zurück.
„Nein, das verspreche ich dir. Aber ich fühle mich wirklich unwohl. Nur während ich bei Matthias war, fehlten mir die Zeit und das Geld, um in ein Fitnessstudio zu gehen. Was wir gegessen haben, hat er bestimmt, da ist es schwierig, auf seine Linie zu achten. Außerdem war es mir egal, wie ich aussah, bis ich dich traf“, gab sie leise zu.
Verstehend nickte der Tiger.
Die Bedienung brachte den Tee, doch dieses Mal verkniff sie sich einen Blick auf den beeindruckenden Mann.
„Greif zu, ehe sie kalt werden. Scones isst man warm.“
Aufmunternd deutete Flann auf die kleinen Gebäckstücke, die sie ein wenig an Brötchen erinnerten.
Darla nahm sich eins, schnitt es auf, bestrich es mit Butter, ehe sie zur Marmelade griff.
Gespannt probierte sie und hätte beinahe wohlig aufgeseufzt.
„Wow, das schmeckt einfach toll“, murmelte sie.
„Wenn du willst, kannst du zu Hause selbst welche machen. Ich falle da leider raus, da ich zwar ein paar Gerichte hinbekomme, aber beim Backen grundsätzlich versage.“
Flann lachte leise, als er an seine Versuche dachte, irgendetwas Kuchenähnliches herzustellen.
„Du hast ein Rezept?“
Darlas Augen strahlten.
„Ich liebe es, zu backen. Matthias hat es gehasst, wenn ich Brot oder Kuchen zubereitet habe, besonders, weil sich dann die Aufmerksamkeit seiner Leute auf mich gelenkt hat. Sobald die Wohnung nach frischen Backwaren geduftet hat, kamen sie aus ihren Löchern gekrochen.“
Das konnte Flann sich bildlich vorstellen, doch diese Zeiten waren vorbei.
„Frischgebackenes Brot ist etwas ganz Köstliches. Ich bin der glücklichste Mann der Welt mit so einer Frau.“
Jetzt tippte Darla sich leicht mit dem Zeigefinger an die Stirn.
„Du spinnst, mein Liebster. Es ist wirklich keine große Kunst, ein einfaches Weißbrot zu backen. Sauerteig ist eine Herausforderung.“
Lachend hob der Tiger seine Hände.
„Für mich ist schon ein normaler Marmorkuchen ein unüberwindliches Hindernis. Glaub mir, sobald ich auch nur das Mehl anfasse, wird das Gebäck steinhart.“
Darla stimmte in sein Lachen ein. Ihr gefiel es, dass er keineswegs perfekt war, sondern etwas nicht konnte.
„Dann überlass das Backen mir. Irgendwie muss ich mich ja beschäftigen, bis ich einen Job finde.“
Bei der Aussage wurde sie nachdenklich.
„Weißt du, ich liebe es, möglichst viel selber zu machen. Ich träume immer noch von einem kleinen Garten, in dem ich Gemüse, Kräuter und vielleicht auch ein paar Früchte ziehen kann. In meiner Freizeit habe ich mir oft Do-it-yourself-Videos auf YouTube angesehen, anschließend träumte ich davon, alles mal auszuprobieren.“
Flann nahm erneut ihre Hand, um sie kurz zu drücken.
„Bei mir gibt es genug Gelegenheiten, dich auszutoben. Hinter dem Haus ist Platz, wobei ich keine Ahnung habe, ob sich der Boden dort eignet.“
Bisher hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, sein Essen selbst anzubauen.
„Das ist super. Sollte der Boden ungeeignet sein, könnte ich Gemüse und Kräuter in Eimern ziehen. Außerdem möchte ich Seife machen oder Kerzen gießen. Kreativ sein. So als Alternative zu meinem technischen Job.“
Wieder nickte der Tiger gutmütig.
„Das ist kein Problem. Tob dich ruhig aus. Ich mag Kerzenlicht. Allerdings würde ich dich gerne mit ins Studio nehmen. Ich brauche dort wirklich Unterstützung. Ich bezahle auch ordentlich.“
Aufmerksam musterte er sie, da sie den Vorschlag völlig falsch verstehen könnte, doch sie lachte nur leise.
„Was sollte ich denn in einem Fitnessstudio machen? Ich kann niemanden trainieren, davon habe ich keine Ahnung und eine Putzfrau wirst du bestimmt schon beschäftigen, oder?“
Ernst nickte er.
„Ich würde es auch nicht zulassen, dass du den Dreck der Mitglieder wegmachst. Aber hinter dem Tresen gibt es genug Arbeit. Oder im Büro. Kennst du dich zufällig mit der Buchhaltung aus?“
Hoffnung klang in seiner Stimme mit, die Darla mit einem Kopfschütteln sofort wieder zerstörte.
„Nein, das ist überhaupt nicht mein Gebiet. Außerdem müsste ich mich mit dem Steuerrecht in Irland auskennen, um dir dabei zu helfen.“
Dem Argument stimmte er missmutig zu.
„Dann muss ich den Kram halt weiterhin selbst erledigen“, brummte er.
Zu gerne hätte er ihr den gesamten Bürokram überlassen.
„Ich unterstütze dich und freue mich darauf, mit dir zusammenzuarbeiten.“
Sie strich leicht über seinen Unterarm.
Die Zukunft erschien ihr so rosig, dass sie glücklich lächelte. Im Geist sah sie sich bereits Brot backen und den Mitgliedern des Fitnessstudios Getränke ausschütten.
„So wie du aussiehst, freust du dich auf das, was kommt“, stellte Flann zufrieden fest.
Schnell nickte Darla.
„Ja, sehr sogar. Besonders, weil es was völlig anderes ist, als meine Zeit bei Matthias. Aber ich brenne darauf, endlich frei zu sein.“
Das konnte er absolut nachvollziehen, daher vermied er es, sie daran zu erinnern, dass er auch in den kommenden Monaten für ihren Onkel in den Käfig steigen musste.
„Komm, lass uns ein paar vernünftige Sachen für dich einkaufen, danach holen wir etwas zu essen, was wir später aufwärmen können. Ich möchte dir vorher deinen Platz zeigen.“
Darlas Wangen röteten sich augenblicklich, gleichzeitig wurde sie nervös, als sie daran dachte, dass sie ihre erste Strafe erhalten sollte.
„Ich passe auf dich auf“, versprach er, anschließend rief er die Bedienung, um zu zahlen.
Gemeinsam verließen sie den Tearoom
und schlenderten zum Auto zurück.