Mutterliebe
Ein Schrei riss Tom aus seiner Ohnmacht. Er öffnete die Augen und sah Toxodera, die auf die beiden Minibiester starrte, die er noch immer in der Hand hielt. Die Augen der Kleinen waren geschlossen und sie zitterten am ganzen Körper.
„Du tötest deine eigenen Kinder“, sagte Tom stöhnend, obwohl er wusste, dass Toxodera ihn nicht verstand. Aber sie musste begreifen, dass die Kleinen in seinem Griff sterben würden, wenn sie ihn zu Tode quetschte. Tom wollte die Babys nicht töten und hoffte, dass Toxodera ihn loslassen würde.
Tom konnte Elenna weit unter sich stehen sehen. Sie war aus ihrem Versteck gekommen. Storm und Silver waren bei ihr. Trotz der großen Entfernung erkannte Tom Tränen auf ihrem Gesicht. Seine Freundin schoss einen Pfeil nach dem anderen auf das Biest, aber sie prallten alle von dem gepanzerten Körper der Raubschrecke ab.
Alle Hoffnung war verloren. Tom hörte Toxodera wehklagen. Plötzlich fuhr ein starker Luftzug durch seine Haare, als es ruckartig nach unten ging. Das Biest war auf die Knie gesunken. Toxodera hatte den Kopf nach hinten geworfen und presste die Augen zusammen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich. Tom hatte das Gefühl, als würde sie gegen etwas in ihrem Inneren ankämpfen. Das grüne Gift in ihrer Klaue pulsierte, glühte schwächer und dann wieder stärker.
„Elenna!“, rief Tom. Er konnte den Namen seiner Freundin nur mühsam aussprechen. „Toxodera kämpft gegen Velmals Gift.“ Tom begriff, dass das Biest seine Kinder nicht umbringen wollte. „Toxodera kann nur verhindern, dass sie sterben, indem sie sich von dem Gift befreit und mich loslässt“, dachte Tom. Der Kampf, den Toxodera in ihrem Inneren austrug, war heftig, das konnte Tom sehen. Velmals Zauber war stark.
Tom bemerkte einen Stachel, der aus Toxoderas Klaue ragte. Er sah aus wie die Stacheln der Früchte von dem Baum, auf den sich Tom vorhin gerettet hatte. „Kann ich ihr damit vielleicht helfen?“, überlegte Tom.
Er sammelte seine letzten Kräfte und streckte sich. Die Minibiester quiekten vor Schmerz, als er sich vorbeugte, aber er musste es tun.
Er streckte die Finger so lang er konnte. Als Toxoderas Klaue nah an ihm vorbeischwang, packte er den Stachel und zog daran. Der Stachel löste sich aus Toxoderas Haut und riss ein Loch in die Panzerung. Grüne, faulig riechende Flüssigkeit tropfte heraus, rann an der Klaue hinab und troff zu Boden.
„Pass auf!“, rief Tom Elenna zu. „Geh aus dem Weg.“ Er wollte nicht, dass sie von Velmals Gift getroffen wurde. Erleichtert sah er, dass Elenna Storm und Silver zur Seite führte. Dicke Gifttropfen fielen ins Gras, brannten Löcher in die Erde und Rauch kräuselte auf.
Tom blickte in Toxoderas Gesicht. Sie blinzelte überrascht und Tom spürte, wie sich ihre Atmung beruhigte. Langsam lockerte sie ihren Griff und auch Tom ließ die Minibiester los. Torkelnd flogen sie aus seiner Hand und ihre zerknitterten Flügel glätteten sich wieder. Auf Toxoderas Gesicht erschien so etwas wie ein Lächeln. Sie bückte sich und setzte Tom sanft auf dem Boden ab. Seine Beine zitterten und frische Luft strömte in seine Lungen. Elenna kam zu ihm gerannt und warf die Arme um ihn.
„Du lebst“, murmelte sie mit dem Gesicht an seiner Schulter.
„Ja“, antwortete er. „Und Toxodera ist frei.“
Sanft löste er Elennas Arme und trat zurück, um zu dem Biest hochzusehen. Toxodera stand mit ausgebreiteten Armen da. Ihre Kinder umschwärmten sie und stießen dabei leise Freudenschreie aus.
„Weißt du, was das bedeutet?“, fragte Tom seine Freundin. Storm war zu ihnen gekommen und drückte seine Nüstern gegen Toms Hand.
„Was?“, fragte Elenna.
Tom bückte sich und hob seinen Schild auf, den die Minibiester auf den Dschungelboden fallen gelassen hatten. Er wischte ihn ab und schob ihn auf seinen Rücken. „Wenn Toxodera gegen Velmals Gift kämpfen kann, dann kann Freya das auch“, sagte er und musste schlucken, weil ihm der Hals eng wurde. „Und das wird sie, Elenna. Meine Mutter wird sich befreien.“