Leseprobe

Schwert

 

Eisige Wüste

Badawi schob seinen Schal über Mund und Nase und stemmte sich gegen den stürmischen Wind, der in der Eiswüste von Kayonia tobte. Sandkörner, kalt wie Eiskristalle, stachen ihm in die Augen. Um ihn herum kämpften auch die anderen aus seinem Stamm gegen den Wind, dick eingemummelt in ihre Pelze. Menschen und Tiere waren nach einem langen Tagesmarsch müde.

Jedes Jahr wanderte der Stamm um diese Jahreszeit in wärmere Gebiete, wo sie auf den Märkten Pelze und Metall verkauften. Und jedes Jahr war die Reise unglaublich anstrengend.

„Manche Leute erzählen, dass es Wüsten gibt, in denen erbarmungslose Hitze herrscht“, murmelte Badawi.

Noch etwa einen Tag, dann würden sie das Ende der Wüste erreichen und die Pferde konnten sich ausruhen und grasen.

„Wenn wir es bis dahin schaffen“, dachte Badawi besorgt.

Ihre stämmigen Pferde waren schwer mit Handelswaren beladen und stapften mit klirrendem Zaumzeug voran. Badawis Pferd war langsamer als der Rest. Die Pilzkrankheit, die seine Hufe befallen hatte, wurde jeden Tag schlimmer.

Zwei Pferde hatten sie auf der Reise bereits verloren und ihre Lasten waren auf die anderen verteilt worden. Wenn ein Pferd die Pilzkrankheit bekam, konnte es irgendwann nicht mehr laufen. Die Nomaden hatten keine andere Wahl und mussten die Tiere dort liegen lassen, wo sie zusammenbrachen. Badawi wusste, dass der Stamm in der Wüste verloren war, wenn noch mehr Pferde sterben würden.

Es gab nur eines, das die Krankheit heilen konnte – der Saft des Schwarzen Kaktus’.

„Wenn wir ihn nicht bald finden“, dachte Badawi grimmig, „dann geraten wir wirklich in Schwierigkeiten.“

Ohne Pferde konnten sie keinen Handel treiben und ohne Handel konnte der Stamm nicht überleben.

Wie immer in Kayonia brach die Nacht urplötzlich herein. Dunkelheit senkte sich wie ein schwarzer Mantel über die Wüste und zwei der drei Monde erschienen am Himmel. Der Wind legte sich. Badawi schob den Schal von seinem Mund und sah zu, wie sein Atem Wölkchen bildete. Von der Spitze der Menschenreihe ertönte ein Rufen und Gemurmel breitete sich bis ans Ende der Gruppe aus.

„Wir haben ihn gefunden!“, rief eine Stimme.

Badawi lenkte sein Pferd nach vorn zu Edwin, dem Stammesführer, der in die Dunkelheit deutete. Im Licht des dritten Mondes war ein Umriss zu erkennen. Die Form kannte im Stamm jeder.

Der Schwarze Kaktus.

Er war so hoch wie ein Mann, aber dünner. Die Äste streckten sich wie Arme zum Himmel und Hunderte spitzer Stacheln glänzten im Mondlicht. Badawi stieg vom Pferd und rannte so schnell er konnte durch den Sand. Ein paar Tropfen des Kaktussafts genügten, um die Krankheit der Pferde zu heilen. Der Stamm war gerettet!

Aber die anderen blieben zögernd stehen. Zwanzig Schritte von dem Kaktus entfernt bildeten sie einen Halbkreis. Badawi hielt inne.

„Was ist los mit euch?“, fragte er.

Die Männer sahen sich an.

„Du weißt, was erzählt wird“, sagte Edwin schließlich. „Der Schwarze Kaktus wird bewacht von –“

„Unsinn!“, unterbrach Badawi ihn. „Das ist nur eine Geschichte, um Kinder zu ängstigen.“

Immer noch bewegte sich niemand.

„Na, schön“, sagte Badawi. „Wenn sich von euch keiner traut, ein Stück vom Kaktus abzuschneiden, dann mache ich das.“

Als er zum Kaktus hinüberlief, suchte er zur Sicherheit den dunklen Horizont nach Angreifern ab.

„Nichts außer Sand. Nirgends ein Monster!“, dachte er.

Badawi zückte sein Messer und kniete sich neben den Kaktus. Im Licht des Mondes schimmerte er wie Ebenholz. Stacheln, so lang wie Badawis Finger, aber dünn wie Nadeln, ragten heraus. Es war schwierig, eine Stelle zu finden, wo er das Messer ansetzen konnte, aber an einem der niedrigeren Äste fand er eine passende. Mit einer säbelnden Bewegung schnitt die Klinge in das Kaktusfleisch.

Einer der Männer hinter ihm keuchte auf einmal erschrocken auf. Bevor Badawi sich umdrehen konnte, begann der Sand unter seinen Knien zu rutschen.

Badawi fiel vornüber in den Kaktus und die Stacheln rissen seine Ärmel auf und zerkratzten ihm die Arme. Er hielt vor Schmerz die Luft an und versuchte, nicht zu schreien.

Die Männer entfernten sich langsam von ihm und beobachteten ihn ängstlich. Der Boden unter Badawis Füßen bewegte sich erneut, aber diesmal verlor er nicht das Gleichgewicht. Seine Augen waren auf den Sand geheftet. Etwas wühlte sich aus der Düne auf der anderen Seite des Kaktus’ – ein Kopf mit spitzen und messerscharfen Zähnen im kräftigen Maul. Die zwei Glupschaugen wandten sich ihm zu, als sich der Rest des Körpers aus dem Sand schob. Schuppige orangefarbene Haut bedeckte den Körper und den Schwanz des Biests, sie war gespickt mit schwarzen Warzen …