Zu den Rätseln des Halleyschen Kometen zählt der Umstand, dass niemand so genau weiß, wie man ihn buchstabiert, da er nach einem Astronomen benannt ist, der seinen Nachnamen mal Hailey, dann wieder Halley und bisweilen auch Hawley geschrieben hat. Wir glauben, sprachlich sei heute viel in Bewegung mit all den neuen Emojis oder dem Bedeutungswandel von Worten wie literally, aber wenigstens können wir unsere eigenen Namen richtig buchstabieren. Ich werde im Folgenden vom Halleyschen Kometen sprechen und bitte bei den Hawleys und Haileys unter uns dafür um Entschuldigung.
Er ist der einzige regelmäßig wiederkehrende Komet, der von der Erde mit bloßem Auge beobachtet werden kann. Für seinen stark elliptischen Umlauf um die Sonne braucht der Halleysche Komet zwischen 74 und 79 Jahre, also erhellt er über den Daumen gepeilt einmal in einem Menschenleben mehrere Wochen lang den Nachthimmel — bestenfalls zweimal, wenn man die Sache gut plant. Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain beispielsweise kam zur Welt, als der Komet über Missouri am Himmel funkelte. Vierundsiebzig Jahre später schrieb er: »Ich bin 1835 mit dem Halleyschen Kometen gekommen. Im nächsten Jahr kommt er wieder und ich erwarte, dass ich mit ihm zusammen gehe.« Und das tat Twain auch — er starb 1910, als der Komet gerade wieder erschien. Twain hatte ein wahnsinniges Gespür für Erzählstruktur, besonders in autobiografischen Dingen.
Um das Winterende 1986 kehrte Halley nach 76 Jahren zurück. Ich war damals acht. Er erschien laut Wikipedia unter den »ungünstigsten jemals verzeichneten« Umständen, sehr viel weiter von der Erde entfernt als sonst. Wegen der großen Distanz und der massiven Zunahme nächtlicher Beleuchtung war der Komet an vielen Orten mit bloßem Auge nicht zu sehen.
Ich wohnte in Orlando in Florida, wo viel Licht in den Nachthimmel hinaufscheint, aber am hellsten Wochenende des Kometen fuhr mein Vater mit mir zum Ocala National Forest, wo unsere Familie eine kleine Hütte besaß. Und am Ende eines Tages, den ich immer noch zu den besten meines Lebens zähle, sah ich den Kometen durchs Vogel-Fernglas meines Vaters.
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Die Menschheit weiß möglicherweise schon seit Jahrtausenden, dass der Komet Halley immer wiederkehrt. Im Talmud findet sich der Hinweis auf »einen Stern, der alle siebzig Jahre erscheint und die Schiffskapitäne in die Irre führt«. Aber damals war es normal, dass Menschen im Lauf der Zeit vergaßen, was sie eigentlich schon entdeckt hatten. Vielleicht nicht nur damals, wenn ich’s mir recht überlege.
Wie auch immer, Edmond*3 Halley fiel auf, dass der Komet, den er 1682 beobachtete, offenbar einem ähnlichen Orbit folgte wie Kometen, die bereits 1607 und 1531 beschrieben worden waren. Vierzehn Jahre später dachte Halley immer noch über den Kometen nach und schrieb an Isaac Newton: »Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass wir diesen Kometen seit dem Jahr 1531 nun dreimal gesehen haben.« Halley sagte daraufhin voraus, dass der Komet 1758 wieder erscheinen werde. Das tat er auch und ist seither nach ihm benannt.
Viel zu häufig konzentrieren wir uns bei der Betrachtung der Geschichte auf die Leistungen und Entdeckungen Einzelner und vergessen darüber, dass der Erkenntnisfortschritt letztlich durch große Systeme und historische Kräfte angetrieben wird. So sagte Halley das Wiedererscheinen des Kometen zwar richtig voraus, doch hatte sein Kollege und Zeitgenosse Robert Hooke bereits »eine ganz neue Ansicht« geäußert, dass manche Kometen wiederkehren. Selbst wenn wir die Erwähnung möglicherweise periodischer Kometen im Talmud außer Acht lassen, äußerten andere Sterngucker zu dieser Zeit ähnliche Ideen. In Europa gelangten im 17. Jahrhundert nicht nur Newton und Hooke, sondern auch Boyle und Galileo und Gascoigne und Pascal zu bahnbrechenden wissenschaftlichen und mathematischen Erkenntnissen, und das nicht, weil die zu dieser Zeit und an diesem Ort Geborenen zufälligerweise besonders schlau waren, sondern weil sich gerade das analytische System der wissenschaftlichen Revolution herausbildete, weil Einrichtungen wie die Royal Society gut ausgebildeten Eliten ermöglichten, effizienter voneinander zu lernen, und weil in Europa plötzlich beispielloser Wohlstand herrschte. Es ist kein Zufall, dass die wissenschaftliche Revolution in England mit dem Eintritt in den atlantischen Sklavenhandel und dem aus der Ausbeutung der Kolonien und der Arbeitskraft ihrer Menschen gewonnenen Wohlstand zusammenfällt.
Wir sollten also versuchen, Halley in diesem Zusammenhang zu sehen — nicht als einzigartiges, einem Geschlecht von Seifensiedern entsprungenes Genie, das einen Kometen entdeckte, sondern als forschenden und umfassend neugierigen Menschen — »eine Blase auf der Flut des Empire« wie wir übrigen auch, wie es Robert Penn Warren einprägsam beschrieb.
Nichtsdestotrotz war Halley brillant. Hier ein Beispiel für seine unkonventionelle Art, Probleme zu lösen, aus John und Mary Gribbins Buch Out of the Shadow of a Giant: Als er die Fläche der Countys in England ermitteln sollte, nahm Halley »eine große Karte von England und schnitt den größtmöglichen vollständigen Kreis aus der Karte heraus«. Der Durchmesser des Kreises entsprach 69,33 Meilen. Dann wog er den Kreis und die Karte, und da diese viermal so viel wie der Kreis wog, musste die Fläche von England viermal die Fläche des Kreises betragen. Von zeitgenössischen Berechnungen wich sein Ergebnis nur um ein Prozent ab.
Halleys Neugierde als Universalgelehrter führte zu einer Liste von Errungenschaften, die aus einem Jules-Verne-Roman stammen könnte. Er erfand eine Art Taucherglocke, um in einem untergegangenen Schiff auf Schatzsuche zu gehen. Er entwickelte schon früh einen magnetischen Kompass und machte wichtige Entdeckungen über das Magnetfeld der Erde. Seine Arbeiten über den weltweiten Wasserkreislauf hatten enorme Auswirkungen. Er übersetzte die Beobachtungen des arabischen Astronomen al-Battānī über Finsternis-Ereignisse aus dem 10. Jahrhundert und erkannte anhand dessen Daten die Beschleunigung des Mondorbits. Außerdem entwickelte er die erste versicherungsmathematische Tabelle und ebnete damit den Weg für die Entwicklung von Lebensversicherungen.
Halley finanzierte darüber hinaus mit privaten Mitteln die Veröffentlichung von Newtons dreibändiger Principia, weil Englands führende Wissenschaftsgesellschaft, die Royal Society, laut der Historikerin Julie Wakefield, »ihr ganzes Budget überhastet für eine Geschichte der Fische« verschleudert hatte. Halley erfasste sofort die Bedeutung der Principia, die zu den wichtigsten Büchern der Wissenschaftsgeschichte zählen.*4 »Nun sind wir wahrhaft als Tischgäste der Götter zugelassen«, sagte Halley über das Werk. »Der Irrtum unterdrückt die zweifelnde Menschheit nicht länger mit seiner Dunkelheit.«
Natürlich hatten nicht alle von Halleys Ideen Bestand. Der Irrtum unterdrückte die zweifelnde Menschheit weiterhin (und tut es immer noch). So vertrat Halley, teilweise auf der Grundlage von Newtons fehlerhaften Berechnungen der Dichte des Mondes, die Ansicht, es müsse im Innern unserer Erde eine zweite Erde geben, mit einer eigenen Atmosphäre und womöglich eigenen Bewohnern.
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Als der Halleysche Komet 1986 erschien, hatte sich der Ansatz der wissenschaftlichen Revolution für den Erkenntnisgewinn in einem Maß bewährt, dass selbst Drittklässler wie ich über den Schalenaufbau der Erde Bescheid wussten. An jenem Tag im Ocala National Forest bauten mein Vater und ich eine Bank, indem wir Kanthölzer auf Abschnitte eines Baumstamms nagelten. Als Schreinerarbeit war das keine besondere Herausforderung, aber in meiner Erinnerung brachten wir den größten Teil des Tages damit zu. Dann machten wir Feuer, brieten uns ein paar Hotdogs und warteten, bis es richtig dunkel wurde — oder so dunkel, wie es in Zentral-Florida 1986 eben wurde.
Es fällt mir schwer zu erklären, wie viel mir diese Bank bedeutete — wie wichtig es war, dass mein Vater und ich etwas zusammen geschaffen hatten. Aber an diesem Abend saßen wir nebeneinander auf unserer Bank, die gerade breit genug für uns beide war, reichten den Feldstecher hin und her und sahen uns Halleys Kometen an, einen weißen Fleck am blauschwarzen Himmel.
Meine Eltern haben die Hütte vor nun schon fast 20 Jahren verkauft, aber kurz vorher war ich mit Sarah noch einmal übers Wochenende dort. Wir hatten gerade erst begonnen uns zu daten. Ich führte sie hinunter zur Bank, die immer noch da war. Die massiven Beine waren von Termiten zerfressen und die Kanthölzer verzogen, aber unserem Gewicht hielt sie immer noch stand.
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Der Halleysche Komet ist beileibe nicht der monolithische kugelförmige Miniplanet, den ich mir immer vorgestellt habe, sondern eher ein erdnussförmiger Klumpen aus vielen verschiedenen Steinen — ein »schmutziger Schneeball«, wie es der Astronom Fred Whipple einmal beschrieb. Der Kern dieses schmutzigen Schneeballs ist gut 15 Kilometer lang und 7 Kilometer breit, aber sein Schweif aus ionisierten Gas- und Staubpartikeln reicht bis zu 100 Millionen Kilometer weit durchs Weltall. Im Jahr 837 n. Chr. kam der Komet der Erde sehr viel näher als üblich, und sein Schweif erstreckte sich über mehr als die Hälfte des Himmels. Als Mark Twain 1910 im Sterben lag, wanderte die Erde sogar durch den Schweif des Kometen. Die Leute kauften Gasmasken und Anti-Kometen-Schirme, um sich vor den Gasen zu schützen.
Dabei stellt der Komet Halley für uns keine Gefahr dar. Er hat zwar ungefähr dieselbe Größe wie das Objekt, das vor 66 Millionen Jahren auf der Erde einschlug und zum Aussterben von Dinosauriern und vielen anderen Arten führte, aber er befindet sich nicht auf Kollisionskurs mit uns. Im Jahr 2061 wird er der Erde allerdings fünfmal näher kommen als 1986. Am Nachthimmel wird er nicht nur Jupiter, sondern auch sämtliche Sterne überstrahlen. Ich bin dann 83 — wenn ich Glück habe.
Wenn man die Zeit in Halleys misst, anstatt in Jahren, dann sieht Geschichte gleich anders aus. Als uns der Komet 1986 besuchte, brachte mein Vater einen Personal Computer mit nach Hause — den ersten in unserem Wohnviertel. Einen Halley zuvor kam gerade die erste Filmversion von Frankenstein heraus. Beim Halley davor reiste Charles Darwin gerade auf der HMS Beagle um die Welt. Einen Halley davor waren die Vereinigten Staaten noch keine vereinigten Staaten. Einen Halley zuvor herrschte in Frankreich noch Ludwig XIV.
Auf andere Art beschrieben: Im Jahr 2021 sind seit dem Bau des Tadsch Mahal fünf Menschenleben vergangen, zwei Menschenleben seit der Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten. Genau wie das Leben des Menschen ist Geschichte unglaublich schnell und gleichzeitig unerträglich langsam.
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Nur weniges an der Zukunft ist vorhersagbar. Diese Unsicherheit macht mir Angst, wie sie auch schon meinen Vorfahren Angst gemacht hat. John Gribbin und Mary Gribbin schreiben: »Kometen waren geradezu der Archetyp eines unvorhersehbaren Phänomens, als sie ohne Vorwarnung erschienen und im 18. Jahrhundert eine größere abergläubische Ehrfurcht auslösten als Sonnen- und Mondfinsternisse.«
Natürlich wissen wir immer noch fast nichts über das, was kommen wird — weder für uns als Individuen noch für unsere Art. Vielleicht finde ich es gerade deswegen so tröstlich, dass wir wissen, wann Halleys Komet zurückkehren wird, und dass er zurückkehren wird — egal ob wir dann noch hier sein werden oder nicht.
Ich gebe dem Halleyschen Kometen viereinhalb Sterne.