Das englische Wort bear geht zurück auf das germanische bero, was so viel wie »der Braune« oder »das braune Ding« bedeutet. In manchen skandinavischen Sprachen leitet sich das Wort für Bär vom Begriff »Honigesser« ab. Viele Sprachwissenschaftler halten diese Namen für Stellvertreter, die entstanden, weil das Aussprechen oder Schreiben des Wortes Bär tabu war. So wie in der Zauberwelt von Harry Potter niemand »Voldemort« aussprechen soll, benutzten wohl auch die Nordeuropäer den eigentlichen Begriff für Bär lieber nicht — wahrscheinlich weil sie fürchteten, das Wort würde einen leibhaftigen Bären heraufbeschwören. Wie auch immer, das Tabu wirkte so durchschlagend, dass uns heute nur noch das Ersatzwort bleibt. Im Grunde nennen wir das Tier »Du weißt schon wer«.
Dabei sind wir Menschen seit Langem eine deutlich größere Gefahr für Bären als sie für uns. Jahrhundertelang quälten Europäer Bären mit einer Praxis namens Bärenhatz. Dabei kettete man die Tiere an einen Pfahl und hetzte Hunde auf sie, bis die Bären verletzt oder tot waren, oder man ließ sie im Ring bis zum Tod gegen einen Stier kämpfen. Im englischen Königshaus war man ganz versessen auf solche Sachen: Heinrich VIII. ließ im Whitehall-Palast eigens eine Bärengrube ausheben.
Selbst bei Shakespeare finden sich Hinweise auf die Bärenhatz; Macbeth klagt, seine Feinde »banden mich an den Pfahl, fliehn kann ich nicht, / Muß wie der Bär der Hatz entgegenkämpfen«. Die Textstelle ist besonders interessant, da die großen Raubtiere zu Shakespeares Zeit in England möglicherweise seit eintausend Jahren ausgerottet waren, wahrscheinlich durch Überjagung. Der Hatz »wie der Bär entgegenkämpfen« kann sich nicht auf das Verhalten des Tieres in freier Wildbahn beziehen, sondern nur auf die Gewalt, der die Bären in einem von Menschen inszenierten Spektakel ausgesetzt waren.
Viele Zeitgenossen betrachteten die Bärenhatz als »groben und schändlichen Zeitvertreib«, wie es der Chronist John Evelyn nannte, meist allerdings bezogen sich die Einwände nicht auf die grausame Behandlung der Tiere. »Der Puritaner hasste die Bärenhatz nicht, weil sie dem Bären Schmerzen, sondern den Zuschauern Vergnügen bereitete«, schrieb Thomas Babington Macaulay.
Es wäre also falsch, unsere Überlegenheit gegenüber dem Bären als verhältnismäßig neues Phänomen hinzustellen. Trotzdem ist es doch merkwürdig, dass unsere Kinder heute mit einer ausgestopften Variante eines Tieres kuscheln, dessen Namen wir vor nicht allzu langer Zeit nicht einmal auszusprechen wagten.
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Die Geschichte des Teddybären geht normalerweise so: Im November 1902 ging US-Präsident Theodore »Teddy« Roosevelt in Mississippi auf Bärenjagd, ein Zeitvertreib ganz nach dem Geschmack eines Teddy Roosevelt. Stundenlang hetzten die Hunde der Jagdgesellschaft einen Bären, bis Roosevelt schließlich aufgab und zum Mittagessen ins Lager zurückkehrte.
Während der Präsident tafelte, blieb sein Jagdführer für diesen Tag, ein Mann namens Holt Collier, dem Bären weiter auf der Spur. Collier war in Mississippi als Sklave zur Welt gekommen und wurde nach der Befreiung zu einem der fähigsten Reiter der Welt. (Außerdem tötete er im Lauf seines Lebens 3000 Bären.) Während Roosevelts Abwesenheit trieben die Hunde den Bären in die Enge. Collier rief den Präsidenten mit einem Hornsignal herbei, aber noch bevor dieser eintraf, musste Collier den Bären mit einem Gewehrkolben schlagen, da dieser einen der Hunde biss.
Als der Präsident schließlich auftauchte, war der benommene Bär bereits an einen Baum gefesselt. Roosevelt weigerte sich, ihn zu erschießen, denn das fand er unsportlich. Die Nachricht vom Mitgefühl des Präsidenten verbreitete sich im ganzen Land, vor allem infolge einer Karikatur des Ereignisses von Clifford Berryman in der Washington Post. Der Bär ist dort als unschuldiges Jungtier dargestellt, mit rundem Gesicht und großen Augen, die Roosevelt demütig flehend anblicken.
Morris und Rose Michtom, russische Einwanderer, die in Brooklyn lebten, sahen die Karikatur und schufen daraufhin eine ausgestopfte Version des Bärenjungen, die sie »Teddy’s Bear« nannten. Den stellten sie ins Schaufenster ihrer Süßwarenhandlung, wo er sofort zur Attraktion wurde. Interessanterweise stellte etwa zur selben Zeit ein Unternehmen in Deutschland einen sehr ähnlichen Teddybären her — beide Firmen hatten damit enormen Erfolg. Die Spielwarenfabrik Steiff in Giengen an der Brenz war einige Jahrzehnte zuvor von Margarete Steiff gegründet worden, und ihr Neffe Richard entwarf den Steiff-Teddy. Im Jahr 1907 verkauften sie jährlich fast eine Million Exemplare. Im selben Jahr gründeten die Michtoms mit den Erlösen der verkauften Teddybären Ideal Toys, ein Unternehmen, das im 20. Jahrhundert eine große Zahl beliebter Spielzeuge produzieren sollte, vom ersten dreidimensionalen Brettspiel Mouse Trap bis zum Rubik’s Cube.
Die Teddybären von heute sehen denen von 1902 noch ziemlich ähnlich — braunes Fell, dunkle Augen, ein rundes Gesicht und eine niedliche kleine Schnauze. Als ich klein war, kam ein sprechender Kuschelbär namens Teddy Ruxpin in Mode, aber mir gefiel an Teddybären eigentlich ganz besonders, dass sie schwiegen. Sie forderten nichts von mir und verurteilten mich nicht für meine Gefühlsausbrüche. Besonders lebhaft erinnere ich mich an meinen zehnten Geburtstag. Nach einer anstrengenden Feier verkroch ich mich in meinem Zimmer und kuschelte mich an einen Teddybären, aber irgendwie funktionierte es nicht. Was auch immer mich sonst an diesem weichen, stillen Wesen getröstet hatte, es wirkte nicht mehr. Ich weiß noch gut, wie mir durch den Kopf ging, jetzt würde ich nie wieder ein Kind sein, nicht wirklich, und ich spürte zum ersten Mal diese unbändige Sehnsucht nach dem Ich, das nun für immer unerreichbar bleiben würde. Sarah Dessen schrieb einmal, Zuhause sei »kein Ort, sondern ein Augenblick«. Zuhause ist ein Teddybär, aber nur ein ganz bestimmter, zu einer ganz bestimmten Zeit.
Seit dem Auftritt von Teddy sind die von uns erdachten Bären immer niedlicher und knuddeliger geworden. Winnie-the-Pooh erschien 1926 auf der Bildfläche (sein deutsches Pendant Pu der Bär 1928); Paddington Bear 1958 (auf Deutsch 1968). Im Jahr 1981 tauchten als ultimative unbedrohliche bärenhafte Freunde schließlich die Care Bears auf, deren deutsche Kollegen zunächst allen Ernstes als »Hab-Dich-lieb Bärchis« vermarktet wurden, später dann als »Die Glücksbärchis«. Protagonisten wie Funshine Bear und Love-a-lot Bear spielten die Hauptrollen in aufdringlich zuckersüßen Bilderbüchern mit Titeln wie Caring Is What Counts und Your Best Wishes Can Come True.
Im Allgemeinen sah man Bären insbesondere unter uns Stadtbewohnern immer mehr so, wie Roosevelt sie vermeintlich sah — als bemitleidenswerte, schutzbedürftige Kreaturen. Wenn ich beim Verlassen des Zimmers mal das Licht nicht ausschalte, ruft mir meine Tochter häufig »Papa, die Eisbären!« hinterher, weil man ihr beigebracht hat, dass wir den Lebensraum dieser Tiere retten können, wenn wir durch Stromsparen unseren CO2-Fußabdruck minimieren. Sie hat keine Angst vor Eisbären; sie hat Angst, sie könnten aussterben. Die Tiere, die uns einst terrorisiert und die wir dann selbst lange Zeit terrorisiert haben, gelten nun als schwach und verletzlich. Wie viele andere Geschöpfe auf der Welt ist auch der mächtige Bär von uns abhängig geworden. Sein Überleben hängt von unserem Weitblick und unserem Mitgefühl ab, genau wie jener Bär in Mississippi, der auf Roosevelts Milde angewiesen war.
Damit ist der Bär zum Sinnbild für den erstaunlichen Einfluss der heutigen Menschheit geworden. Es ist kaum zu fassen, wie dominant unsere Art geworden ist. Das zu verstehen, dabei hilft mir manchmal schlicht die Masse zu betrachten. Die derzeit lebenden Menschen bringen es zusammengenommen auf etwa 385 Millionen Tonnen. Wale, Tiger, Affen, Hirsche, Bären und, ja, auch die Kanadagänse wiegen insgesamt nicht einmal ein Drittel davon.*13
Entscheidend für das Überleben vieler Großtiere im 21. Jahrhundert ist, ob sie für den Menschen einen Nutzen haben. Haben sie den nicht, ist es das Zweitbeste, niedlich auszusehen. Sie brauchen ein ausdrucksvolles Gesicht, im Idealfall mit großen Augen. Ihre Babys müssen uns an unsere eigenen Babys erinnern. Etwas an ihnen muss uns ein schlechtes Gewissen machen dafür, dass wir sie ausrotten.
Kann niedliches Aussehen eine Spezies retten? Ich habe da so meine Zweifel. Meist wird bei der Geschichte über den Ursprung des Teddybären der Teil ausgespart, der damals folgte. Gleich nachdem sich Roosevelt so sportsmännisch geweigert hatte, dem Bären den Gnadenschuss zu geben, befahl er einem Jagdhelfer, dem Tier die Kehle durchzuschneiden, um es von seinem Leiden zu erlösen. Damals rettete man keine Bären. Heute sind in Mississippi weniger als 50 Bären übrig. Weltweit werden dagegen mehr Teddybären verkauft denn je.
Ich gebe den Teddybären zweieinhalb Sterne.