Vor einigen Jahren hatte ich eine Infektion meiner linken Augenhöhle, hervorgerufen durch das Bakterium Staphylococcus aureus. Meine Sicht trübte sich, dann schwoll meine Augenhöhle zu und ich musste mehr als eine Woche lang ins Krankenhaus.
Hätte ich mir dieselbe Infektion zu irgendeinem Zeitpunkt vor 1940 zugezogen, hätte ich wahrscheinlich nicht nur mein Auge, sondern auch mein Leben verloren. Andererseits hätte ich wahrscheinlich gar nicht lange genug gelebt, um mir eine Orbitalphlegmone zuzuziehen, weil mich schon die Staphylokokkeninfektionen, die ich während meiner Kindheit durchgemacht habe, umgebracht hätten.
Im Krankenhaus gaben mir die Fachärzte für Infektionskrankheiten das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Einer sagte mir: »Sie sind von einer faszinierend aggressiven Staphylokokkenart kolonialisiert.« Nur ungefähr 20 Prozent aller Menschen sind dauerhaft von Staphylococcus aureus besiedelt — die genauen Gründe sind noch nicht endgültig erforscht — und offenbar bin ich einer von ihnen. Diejenigen von uns, die diese Bakterien die ganze Zeit mit sich herumtragen, erkranken mit höherer Wahrscheinlichkeit an Staphylokokkeninfektionen. Nachdem der Arzt meine spezielle Staphylokokken-Kolonie bestaunt hatte, sagte er mir, die Petrischalen seien geradezu unglaublich voll. Und dann nannte er die Tatsache, dass ich immer noch am Leben war, eine große Errungenschaft der modernen Medizin.
Und das ist sie wahrscheinlich auch. Für Leute wie mich, die von faszinierend aggressiven Bakterien besiedelt worden sind, gibt es keine nostalgische Verklärung der guten alten Zeiten, denn in der Vergangenheit wären wir alle schon längst mausetot. 1941 gab das Boston City Hospital die Sterblichkeitsrate für Staphylokokkeninfektionen mit 82 Prozent an.
Ich weiß noch, dass ich als Kind immer schreckliche Angst bekam, wenn ich Sätze wie »Überleben des Stärkeren« oder »nur die Harten kommen in den Garten« hörte, weil ich wusste, dass ich weder stark noch hart war. Ich hatte noch nicht begriffen, dass es das menschliche Projekt als Ganzes stärkt, wenn die Menschheit die Schwächeren beschützt und ihr Überleben sichert.
Weil Staphylokokken oft offene Wunden infizieren, waren sie in Kriegszeiten besonders tödlich. Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs schrieb der englische Dichter Rupert Brooke die berühmten Sätze: »Wenn ich einst sterb’, dann denkt nur dies von mir: / Dass dort ein Eckchen fremder Wiesengrund / Für immer England ist.« Brooke sollte tatsächlich während des Kriegswinters 1915 ums Leben kommen — allerdings nicht in einem Eckchen fremden Wiesengrundes, sondern auf einem Lazarettschiff, wo er durch eine Sepsis den Tod fand.
Zu diesem Zeitpunkt behandelten bereits Tausende Ärzte die Verwundeten und Kranken des Krieges. Zu ihnen gehörte ein einundsiebzigjähriger schottischer Chirurg namens Alexander Ogston, der bereits Jahrzehnte zuvor Staphylococcus entdeckt und benannt hatte.
Ogston war ein Riesenfan von Joseph Lister, dessen Studien zu postoperativen Infektionen zum weitverbreiteten Einsatz von Karbolsäure und anderen Sterilisationstechniken führten. Diese steigerten die Überlebensrate nach Operationen drastisch. Ogston schrieb Lister 1883: »Sie haben die Chirurgie … von einer gefährlichen Lotterie in eine auf sicheren Grundlagen basierende Wissenschaft verwandelt«, was nur geringfügig übertrieben war. Vor dem Einsatz von Desinfektionsmitteln, schrieb Ogston, »warteten wir nach jeder Operation zitternd auf den gefürchteten dritten Tag, an dem die Sepsis einsetzte«. Eine Kollegin von Ogston, eine Krankenschwester, die mit ihm im Krankenhaus Aberdeen Royal Infirmary gearbeitet hatte, lehnte die Operation eines eingeklemmten Leistenbruchs ab und wählte lieber den sicheren Tod, »da sie noch nie erlebt hatte, dass sich ein Patient nach einer Operation jemals wieder erholt hätte«.
Nachdem Ogston Lister besucht und selbst beobachtet hatte, wie komplizierte Knieoperationen ohne Infektion verheilt waren, kehrte er an das Krankenhaus in Aberdeen zurück und riss das Schild ab, das über dem Eingang zum Operationssaal hing. »Mache dich bereit, deinem Schöpfer zu begegnen«, hatte darauf gestanden. Von nun an würden Operationen nicht mehr nur verzweifelte letzte Versuche sein.
Ogston war so begeistert von Listers Karbolsäure-Spray, dass seine Studenten ein Gedicht darüber schrieben. Ein Auszug daraus:
And we learned the thing of the future
Was using unlimited spray.
The spray, the spray, the antiseptic spray
A. O. would shower it morning, night and day
For every sort of scratch
Where others would attach
A sticking plaster patch
He gave the spray.
Ogstons erste Frau Mary Jane war ein paar Jahre vor diesen wissenschaftlichen Durchbrüchen mit fünfundzwanzig Jahren im Wochenbett verstorben. Es gibt keine Angaben zur Todesursache, aber die meisten Todesfälle nach Geburten wurden durch postpartale Infektionen verursacht, oft durch Staphylococcus aureus. Und Ogston hatte Hunderte seiner Patienten an postoperativer Sepsis sterben sehen.
Kein Wunder, dass er von Desinfektions-Verfahren besessen war. Dennoch reichte es ihm nicht, zu verstehen, wie man Infektionen verhinderte. Er wollte auch begreifen, was genau sie verursachte. Ende der 1870er-Jahre machten Chirurgen und Forscher viele Entdeckungen zu verschiedenen Bakterien und der Rolle, die sie bei Infektionen spielten, aber Staphylococcus wurde erst identifiziert, als Ogston den vereiterten Abszess in der Beinwunde eines gewissen James Davidson aufschnitt.
Unter dem Mikroskop wimmelte es in Davidsons Abszess nur so von Lebewesen. Ogston schrieb: »Man kann sich mein Entzücken vorstellen, als ich dort wunderschöne Knäuel, Büschel und Ketten von runden Organismen in großer Anzahl vorfand.«
Ogston nannte diese Büschel und Ketten Staphylococcus, abgeleitet von dem griechischen Wort für Weintraube. Und tatsächlich sehen die Bakterien oft aus wie Weintrauben — prall und ganz leicht oval und beinahe gelblich grün.*18 Aber Ogston reichte es nicht, diese Bakterien identifizieren zu können.
»Natürlich war der erste Schritt, der getan werden musste«, schrieb er, »sicherzustellen, dass die Organismen in Mr. Davidsons Eiter nicht rein zufällig dort gelandet waren.« Ogston richtete sich also ein Labor im Schuppen hinter seinem Haus ein und versuchte dort, Staphylokokken-Kolonien zu züchten, was ihm schließlich mit einem Hühnerei als Medium gelang. Diese Bakterien spritzte er Mäusen und Meerschweinchen, die daraufhin heftig erkrankten. Ogston beobachtete auch, dass Staphylococcus »auf der Hautoberfläche harmlos« zu sein schien, obwohl die Bakterien »so gesundheitsschädlich waren, wenn sie gespritzt wurden«. Ich habe dies ebenfalls beobachtet — es macht mir nämlich nichts aus, dass meine Haut von Staphylococcus aureus besiedelt ist, aber ich finde sie sehr gesundheitsschädlich, wenn sie anfangen, sich in meiner Augenhöhle zu vermehren.
James Davidson lebte übrigens nach seiner Staphylokokkeninfektion noch viele Jahrzehnte weiter, dank einer gründlichen Wundreinigung und Ogstons großzügiger Anwendung des Sprays, des Sprays, des antiseptischen Sprays. Aber eine Infektion mit Staphylococcus aureus blieb weiterhin eine enorm gefährliche Angelegenheit, bis ein anderer schottischer Wissenschaftler namens Alexander Fleming zufällig das Penicillin entdeckte. Eines Montagmorgens im Jahr 1928 bemerkte Fleming, dass eine seiner Kulturen Staphylococcus aureus durch einen Schimmelpilz, Penicillium, kontaminiert worden war, der alle Staphylokokken getötet zu haben schien. Er sagte laut. »Das ist ja lustig.«
Fleming nutzte seinen sogenannten »Schimmelsaft«, um einige Patienten zu behandeln. Unter anderem heilte er damit die Nasennebenhöhlenentzündung seines Assistenten. Aber die Massenproduktion der antibiotisch wirkenden Substanz, die Penicillium absonderte, erwies sich als große Herausforderung.
Erst Ende der 1930er-Jahre begann eine Gruppe Wissenschaftler in Oxford, ihre Penicillin-Bestände zu testen. Zuerst an Mäusen und dann, 1941, an einem menschlichen Versuchsobjekt, einem Polizisten namens Albert Alexander. Nach dem Alexander während einer Bombardierung durch die Deutschen durch Schrapnell verwundet worden war, lag er jetzt aufgrund von Bakterieninfektionen im Sterben — in seinem Fall waren es sowohl Staphylococcus aureus als auch Streptococcus. Das Penicillin sorgte für eine dramatische Verbesserung von Alexanders Zustand, aber die Forscher hatten nicht genug von dem Medikament, um ihn zu retten. Die Infektion kehrte zurück, und Alexander starb im April 1941. Seine siebenjährige Tochter Sheila wurde in einem nahe gelegenen Waisenhaus untergebracht.
Wissenschaftler suchten intensiv nach produktiveren Stämmen des Schimmelpilzes, und schließlich fand die Bakteriologin Mary Hunt einen auf einer Honigmelone aus einem Lebensmittelgeschäft in Peoria, Illinois. Der Stamm wurde sogar noch produktiver, nachdem er Röntgenstrahlung und ultraviolettem Licht ausgesetzt worden war. Quasi das gesamte Penicillin der Welt stammt von dem Schimmel auf jener einen Honigmelone aus Peoria ab.*19
Sobald die Penicillin-Vorräte wuchsen — von 21 Milliarden Einheiten 1943 zu 6,8 Billionen Einheiten 1945 —, wuchs auch das Bewusstsein dafür, dass die Bakterien, die Penicillin abtöten konnte, Resistenzen dagegen entwickelten. Vor allem Staphylococcus aureus. In einem Artikel der Saturday Evening Post von 1946 äußerte sich der Autor besorgt darüber, dass der Einsatz von Antibiotika »unfreiwillig die subtilen evolutionären Kräfte unterstützen und beschleunigen könnte, die das Überleben der stärksten Mikroben sichern«.
Und so kam es auch. 1950 waren 40 Prozent aller Staphylococcus-aureus-Proben in Krankenhäusern gegen Penicillin resistent; 1960 waren es 80 Prozent. Heute lassen sich nur noch zwei Prozent aller Staphylococcus-aureus-Infektionen mit Penicillin behandeln.
All das geschah so unglaublich schnell. 64 Jahre vergingen zwischen Alexander Ogstons Entdeckung von Staphylococcus aureus und der Massenproduktion von Penicillin. Zwischen dem Beginn der Massenproduktion von Penicillin und meiner Orbitalphlegmone von 2007 vergingen ebenfalls 64 Jahre. Am Ende sprach meine Infektion weder auf Penicillin noch auf die nächsten beiden Antibiotika an. Zum Glück aber auf das vierte. Antibiotika-Resistenz ist kein Problem der Zukunft — allein in diesem Jahr werden in den USA gut 50.000 Menschen an Infektionen durch Staphylococcus aureus sterben.
Und wie jung ist Penicillin? Die Tochter des Polizisten, die damals im Waisenhaus landete, ist zu dem Zeitpunkt, an dem ich dies schreibe, immer noch am Leben. Sheila Alexander hat einen amerikanischen Soldaten geheiratet und ist nach Kalifornien gezogen. Sie ist Malerin. Eins ihrer neuesten Bilder zeigt eine Häuserzeile in einem englischen Dorf. Efeu wächst am Mauerwerk eines Hauses empor und wuchert über den grob behauenen Steinen.
Für mich ist eins der größten Geheimnisse des Lebens, warum das Leben so hartnäckig leben will. Das Leben ist so viel mehr biochemische Arbeit als chemisches Gleichgewicht, aber dennoch hält Staphylococcus verzweifelt an dieser Arbeit fest. Genau wie ich, wenn man darüber nachdenkt.
Staphylokokken wollen keiner Menschenseele etwas zuleide tun. Sie wissen nicht einmal, was Menschenseelen sind. Sie wollen einfach nur sein, so wie auch ich weiterbestehen will, so wie jener Efeu sich auf der Mauer ausbreiten und immer mehr von ihr in Besitz nehmen möchte. Wie viel? So viel als möglich.
Es ist nicht die Schuld der Staphylokokken, dass sie leben wollen. Aber trotzdem bekommt Staphylococcus aureus von mir nur einen Stern.