Als das Internet Anfang der 1990er-Jahre in unserem Haus ankam, befand es sich, soweit ich das verstand, in einem Kasten. Um den Kasten zu installieren, musste man sich ziemlich gut mit Technik auskennen, und als mein Dad es endlich geschafft hatte, das Internet zum Laufen zu bringen, bestand es aus grünen Buchstaben auf einem schwarzen Bildschirm. Ich weiß noch, wie Dad meinem Bruder und mir erklärte, was das Internet alles konnte: »Schaut mal«, sagte er zum Beispiel. »Das Internet kann euch zeigen, wie das Wetter in Peking gerade ist.« Dann tippte er eine Zeile Code ins Internet, und es schrieb ihm den aktuellen Wetterbericht von Peking. »Man kann sich auch«, sagte er aufgeregt, »die gesamte Apologie des Sokrates herunterladen. Umsonst! Und sie hier zu Hause lesen.«*20
Für meinen Dad muss das ein richtiges Wunder gewesen sein. Aber ich war kein Fan. Erstens, weil keine Anrufe zu uns durchgingen, solange mein Dad online war, weil das Internet damals über die Telefonleitung lief. Zugegebenermaßen wurde ich mit vierzehn von Anrufen noch nicht gerade überwältigt, aber dennoch. Außerdem kam es mir damals vor, als wäre das Internet hauptsächlich ein Forum, um über das Internet zu reden — mein Dad las unzählige Benutzerhandbücher und Forumsartikel dazu, wie das Internet funktionierte und wozu es in Zukunft fähig sein würde. Und er erzählte uns sehr oft davon.
Eines Tages zeigte mir mein Vater, dass man im Internet mit realen Menschen aus aller Welt sprechen konnte. »Du kannst dein Französisch verbessern, indem du in ein französisches Forum gehst«, erklärte er mir, und er zeigte mir, wie es funktionierte. Ich schrieb ein paar Leuten in jenem Forum: »Comment ça va?« Sie antworteten sofort in echtem Französisch, was etwas unpraktisch war, weil ich nicht besonders viel Französisch konnte. Irgendwann fragte ich mich, ob es vielleicht auch eine englische Version dieser Dienstleistung gab, und wie sich herausstellte, gab es die. Und sie war nur für mich bestimmt: Das CompuServe Teen Forum.
Im CompuServe Teen Forum wusste niemand etwas über mich. Die anderen hatten keine Ahnung, dass ich ein trauriger, unbeholfener Jugendlicher war, dessen Stimme vor Nervosität oft kiekste. Sie wussten nicht, dass meine Pubertät sich verzögert hatte, und sie kannten auch nicht die fiesen Spitznamen, mit denen mich meine Mitschüler riefen.
Und weil sie mich nicht kannten, kannten sie mich paradoxerweise viel besser als alle Menschen in meinem realen Umfeld. Ich weiß noch, wie ich eines Abends in einer Kurznachrichtenkonversation meiner CompuServe-Freundin Marie vom »Nachtgefühl« erzählte. Nachtgefühl war mein privater Name für die Welle, die mich während der Schulzeit an den meisten Abenden überrollte, wenn ich ins Bett gegangen war. Dann verkrampfte sich mein Magen, und ich spürte, wie meine Angst und meine Sorgen von meinem Bauchnabel aus in meinen gesamten Körper ausstrahlten. Marie erwiderte, dass auch sie das Nachtgefühl kannte und dass es sie manchmal tröstete, leise den Radiowecker laufen zu lassen. Das versuchte ich, und es half tatsächlich.
Aber die meiste Zeit vertrauten meine Teen-Forum-Freunde und ich uns nicht unsere tiefsten Geheimnisse an. Wir erzählten uns Insider-Witze und lernten / bauten / borgten / kreierten gemeinsam. Im Sommer 1993 war das CompuServe Teen Forum ein gigantisches Universum geworden, mit seiner eigenen Mythologie und seinen eigenen Referenzen, die von Witzen über die Kindersendung Barney & Friends bis hin zu endlosen Akronymen und Abkürzungen reichten. Das Internet bestand immer noch nur aus grünen Buchstaben auf schwarzem Hintergrund, also konnten wir keine Bilder einfügen, aber wir ordneten Zeichen zu Formen und Figuren an. Die Idee der ASCII-art, wie man diese Kunst nennt, gab es zwar auch damals schon seit Jahrzehnten, aber uns noch nicht. Also fühlten wir uns als Entdecker und Erfinder, wenn wir aus Zeichen alles Mögliche bastelten, von extrem simplen Bildern — wie zum Beispiel :-) — bis hin zu geradezu lächerlich komplexen (und oft obszönen). Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir damals ein Wort für diese Bilder hatten, aber heute würden wir dieses Zeug Memes nennen.
In den Sommerferien jenes Jahres konnte ich meine gesamte Zeit dem Teen Forum widmen. Ich bekam sogar etwas, das E-Mail-Adresse genannt wurde — eine Reihe zufällig generierter Zahlen @compuserve.com. Damals bezahlte man den Internetzugang pro Stunde, was ein echtes Problem wurde, weil ich alle Stunden dort verbringen wollte. Jetzt waren es meine Eltern, die sich über blockierte Telefonleitungen beschwerten. Sie fanden es toll, dass ich Freunde gefunden hatte und dass ich so viel las und schrieb, aber sie konnten sich monatlich keine Hundert-Dollar-Internetrechnung leisten. Mein damaliger Rettungsring war, dass ich vom Teen Forum als Moderator »eingestellt« wurde.
Die Bezahlung erfolgte in Form von Gratis-Internet, und zwar so viel ich wollte. Und ich wollte eine Menge. CompuServe bezahlte uns sogar eine zweite Telefonleitung, damit ich ununterbrochen online sein konnte. Falls sich in jenem Sommer irgendetwas Wichtiges draußen abgespielt haben sollte, kann ich mich nicht daran erinnern.
Sicherlich sind meine Erinnerungen romantisch verklärt. Im Internet Anfang der 1990er gab es im Grunde genommen dieselben Probleme, die es auch im heutigen Netz gibt. Ich weiß zwar noch, dass das Teen Forum gewissenhaft moderiert wurde, aber den Rassismus und den Sexismus, der sich heute in den Kommentarspalten so ungehemmt Bahn bricht, gab es vor dreißig Jahren genauso. Und damals wie heute war und ist es sehr einfach, sich so lange von den enorm personalisierten Nachrichtenfeeds im Internet einwickeln zu lassen, bis sich irgendwann Verschwörungstheorien realer anfühlen als sogenannte Fakten.*21
Ich habe sowohl wundervolle als auch traumatische Erinnerungen an jenen Sommer. Vor ein paar Jahren traf ich einen alten Freund, der über unsere Highschool sagte: »Sie hat mir das Leben gerettet. Aber sie hat auch eine Menge angerichtet.« So geht es mir mit dem Internet auch.
Heute, nach dreißig Jahren Milch aus der Internet-Mutterbrust, spüre ich diese negativen Auswirkungen immer deutlicher. Ich weiß nicht, ob das an meinem Alter liegt, oder daran, dass das Internet nicht mehr aus der Wand kommt und mich inzwischen überallhin begleitet, aber ich denke inzwischen recht oft an das Wordsworth-Gedicht, das mit den Worten beginnt: »Die Welt ist zu viel mit uns; früh und spät.«
Was bedeutet es, dass ich mir mein Leben oder meine Arbeit ohne das Internet nicht mehr vorstellen kann? Was bedeutet es, dass meine Gedanken und mein ganzes Sein so tiefgreifend von Maschinenlogik geprägt sind? Was bedeutet es, dass ich nach so langer Zeit nicht mehr nur Teil des Internets bin, sondern das Internet auch ein Teil von mir geworden ist?
Mein Freund Stan Muller hat gesagt, dass man nie weiß, was die historische Periode bedeutet, die man selbst durchlebt. Ich lebe im Internet, und ich habe keine Ahnung, was das eigentlich bedeutet.
Ich gebe dem Internet drei Sterne.