Der erste 24-Stunden-Nonstop-Nachrichtensender Amerikas nahm am 1. Juni 1980 seinen Betrieb auf. Gründer war der US-Medienunternehmer Ted Turner. Zu Beginn der Erstsendung stand Turner hinter einem Podium und sprach zu einer großen Menschenmenge, die sich vor der CNN-Zentrale in Atlanta versammelt hatte.
Er sagte: »Wie Sie sehen, haben wir hier drei Flaggen gehisst — als erste die Staatsflagge von Georgia; als zweite die Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika, die für unser Land steht und dafür, wie wir ihm mit Cable News Network dienen möchten; und dort drüben haben wir die Flagge der Vereinten Nationen, weil wir hoffen, dass Cable News Network durch seine internationale und vertiefte Berichterstattung zu einem besseren Verständnis davon beitragen kann, wie Menschen unterschiedlicher Nationen gemeinsam leben und arbeiten, sodass es uns vielleicht gelingt, die Menschen dieses Landes und dieser Welt in Brüderlichkeit, Güte und Freundschaft miteinander zu verbinden.«
Nach Turners Ansprache begann die erste CNN-Nachrichtensendung mit Berichten über das versuchte Attentat auf einen schwarzen Bürgerrechtler in Indiana und eine Schießerei in Connecticut. Ja, jene erste Stunde CNN wirkt heute etwas antiquiert. Die Moderatoren tragen Anzüge mit breitem Revers und sitzen in einem wackeligen Studio. Allerdings klingt das Ganze fast genauso wie eine CNN-Sendung an einem Sonntagnachmittag heute. Die Berichterstattung hetzt von einer Eilmeldung zur nächsten, von Bränden zu Schießereien und zu Flugzeugnotlandungen. Selbst in jener ersten Stunde kann man den Rhythmus der Nachrichten spüren, ihren unablässigen Puls. Und auch in den Kabel-Fernsehstudios der 1980er gab es, wie in den meisten heutigen Nachrichtenstudios, keine Fenster — und zwar aus demselben Grund, warum es auch in Casinos keine Fenster gibt.
Heute sprechen die Moderatoren in der Regel vor einem klaren, blau ausgeleuchteten Hintergrund. Man weiß nicht, ob es Morgen oder Abend ist, und das spielt auch gar keine Rolle, weil es ständig neue Nachrichten gibt. Gesendet wir immer live — was sich so anfühlt und vielleicht sogar tatsächlich fast so ist, als wäre man dabei.
Natürlich lässt sich nicht behaupten, CNN hätte die Welt in Brüderlichkeit und Güte vereint. Bei Ted Turners kapitalistischem Idealismus kann einem übel werden — dem Gedanken, dass wir die Welt verbessern und ein Mann damit Milliarden von Dollar verdient. Aber ich glaube trotzdem, dass CNN eine wichtige Funktion hat.
Der Sender betreibt eine ganze Menge investigativen Journalismus, wodurch Korruption und Ungerechtigkeiten aufgedeckt werden, die ansonsten ungehindert weitergingen. Daneben bringt CNN natürlich die Nachrichten, zumindest in einem engeren Sinne — wenn etwas heute passiert ist, wenn es dramatisch oder beängstigend oder groß war und wenn es in den USA oder in Europa passiert ist, dann wird man auf CNN wahrscheinlich davon erfahren.
Das Wort Nachrichten — im Sinne von Neuigkeiten — verrät viel über sich selbst: Nachrichten sind nicht in erster Linie, was wichtig oder erwähnenswert ist, sondern, was neu ist. Vieles, das große Veränderungen des menschlichen Daseins bewirkt, ist nicht von Ereignissen getrieben, sondern von Prozessen, welche wiederum häufig keinen »Nachrichtenwert« besitzen. Auf CNN sehen wir nicht viel über den Klimawandel, es sei denn, ein neuer Bericht wird veröffentlicht. Auch über andere fortdauernde Krisen wie Kindersterblichkeit oder Armut erfahren wir eher selten etwas.
Eine Studie aus dem Jahre 2017 gelangte zu dem Ergebnis, dass 74 Prozent der Amerikaner glauben, die Kindersterblichkeit wäre in den letzten 20 Jahren entweder gleich geblieben oder schlimmer geworden, obwohl sie seit 1990 um fast 60 Prozent zurückgegangen ist. Dies ist der mit Abstand schnellste Rückgang der Kindersterblichkeit innerhalb eines 30-Jahres-Zeitraums in der Menschheitsgeschichte.*25
Wenn man CNN schaut, weiß man davon vielleicht nichts. Möglicherweise weiß man auch nicht, dass die Zahlen der Kriegstoten im Jahr 2020 weltweit auf dem niedrigsten oder fast auf dem niedrigsten Stand seit Jahrhunderten lagen. Selbst, wenn umfassend über etwas berichtet wird — wie über die Corona-Pandemie, die seit März 2020 auf CNN thematisiert wird —, haben immer noch Ereignisse häufig Vorrang vor Prozessen. Die Floskel »düsterer Meilenstein« wird gebetsmühlenartig wiederholt, während wir erfahren, dass in den Vereinigten Staaten erst 100.000, dann 200.000, dann 500.000 Menschen an Covid-19 gestorben sind. Doch was bedeuten diese Zahlen ohne Kontext? Die konstante Wiederholung düsterer Meilensteine ohne historische Einordnung hat eher eine distanzierende Wirkung, zumindest für mich. Setzt man das Ganze jedoch in einen Zusammenhang, wird die Düsterkeit der Meilensteine deutlich. Man könnte beispielsweise sagen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA im Jahr 2020 einen (viel) stärkeren Knick erfuhr als in jedem anderen Jahr seit dem Zweiten Weltkrieg.
Weil es ständig neue Neuigkeiten zu berichten gibt, erhalten wir selten Hintergrundinformationen, anhand derer wir verstehen könnten, warum sich eine Neuigkeit ereignet. Wir erfahren, dass es in den Krankenhäusern keine Intensivbetten für die Behandlung schwer kranker Covid-19-Patienten mehr gibt, aber wir erfahren nichts von der jahrzehntelangen Politik, die in den USA zu einem Gesundheitssystem geführt hat, das Effizienz über Kapazität stellt. Diese kontextfreie Informationsflut kann sehr leicht und sehr schnell in Fehlinformation umschlagen. Vor mehr als 150 Jahren schrieb der amerikanische Humorist Josh Billings: »Ich glaube aufrichtig, dass es besser ist, nichts zu wissen, als zu wissen, was nicht so ist.« Das scheint mir das grundlegende Problem zu sein — nicht nur mit CNN und anderen Kabelnachrichtensendern, sondern mit unserem heutigen Informationsfluss ganz allgemein. Häufig weiß ich am Ende nur, was nicht so ist.
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Im Jahr 2003 lebte ich zusammen mit meinen drei besten Freunden Katie, Shannon und Hassan in einer Wohnung im Nordwesten Chicagos. Wir hatten die ersten Jahre nach dem College hinter uns, in denen man das Leben als überwältigend und äußerst unstet empfindet — das gilt zumindest für mich. Bevor ich mit Katie, Shannon und Hassan zusammenzog, passte meine gesamte Habe in mein Auto. Mein Leben war unerträglich leicht, um es mit den Worten von Milan Kundera zu sagen. Nun aber ordnete sich alles auf wundervolle Weise. Wir hatten unsere ersten halbfesten Jobs und unser erstes halbfestes Mobiliar. Wir hatten sogar einen Fernseher mit Kabelanschluss.
Vor allem aber hatten wir einander. Die Wohnung — deren nicht schallisolierte Wände allesamt in sehr hellen Farben gestrichen waren und die über nur ein einziges Badezimmer, winzige Schlafzimmer und riesige Gemeinschaftsbereiche verfügte — war wie geschaffen dafür, dass wir dort zusammenlebten und alle Bereiche unseres Lebens teilten. Und das taten wir auch. Wir liebten uns so heiß und innig, dass es Außenstehenden auf die Nerven ging. Ich hatte einmal eine Bekanntschaft, die mir eines Abends sagte, mein Freundeskreis wirke auf sie wie eine Sekte. Als ich Shannon, Katie und Hassan davon erzählte, kamen wir überein, dass ich die Beziehung sofort abbrechen müsse.
»Aber genau das würden wir doch sagen, wenn wir eine Sekte wären«, sagte Katie.
Hassan nickte und sagte trocken: »Oh Scheiße, Leute. Wir sind eine Sekte.«
Ich weiß, dass ich diese Vergangenheit verkläre — wir hatten manchmal auch Riesenstreit; wir versanken im Weltschmerz; wir tranken viel zu viel und stritten darum, wer als Erster in die einzige Toilette kotzen durfte, usw. —, aber es war die erste längere Phase meines Erwachsenendaseins, in der ich mich wenigstens zeitweise gut fühlte, daher verzeiht mir bitte, wenn ich mich so liebevoll daran erinnere.
In jenem August wurde ich sechsundzwanzig, und wir gaben eine Abendparty mit dem Motto »John Green ist älter geworden als John Keats«. Alle Gäste lasen ein Gedicht vor. Jemand las etwas von Edna St. Vincent Millay:
Meine Kerze brennt an beiden Enden;
Sie dauert nicht die Nacht;
Aber ah, meine Feinde, und oh, meine Freunde —
ein schönes Licht sie macht!
Einige Tage später teilten uns die Hauseigentümer mit, dass sie die Immobilie verkauften. Selbst, wenn sie das nicht getan hätten, hätte sich die Wohngemeinschaft irgendwann aufgelöst. Die großen Kräfte des menschlichen Lebens — Ehe, Karriere, Einwanderungspolitik — zerrten uns in verschiedene Richtungen. Aber unsere Kerze machte ein schönes Licht.
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In dieser Wohnung lebten wir 2003, als die USA in den Irak einmarschierten. Hassan war in Kuwait aufgewachsen, und er hatte Verwandte, die damals im Irak lebten. Nach der Invasion hörte er mehrere Wochen lang nichts von ihnen. Schließlich erfuhr er, dass ihnen nichts geschehen war. Trotzdem war es eine beängstigende Zeit, die er unter anderem dadurch überstand, dass er fast andauernd die Nachrichten im Kabelfernsehen anschaute. Und da wir nur einen Fernseher hatten und pausenlos zusammen waren, sahen wir anderen ebenfalls eine Menge Nachrichten im Kabelfernsehen.
Obwohl 24 Stunden am Tag über den Krieg berichtet wurde, gab es dazu kaum Hintergrundinformationen. Es wurde beispielsweise viel über das Verhältnis von Schiiten und Sunniten im Irak gesprochen, die theologischen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen aber nicht näher beleuchtet, auch nicht die Geschichte des Irak oder die politische Ideologie der Baath-Bewegung. Es gab so viele Neuigkeiten — Nachrichten, die immer brandneu waren —, dass niemals Zeit für den Kontext blieb.
Eines Abends, kurz nachdem die US-Streitkräfte nach Bagdad vorgedrungen waren, schauten wir alle zusammen auf der Couch die Nachrichten. Unbearbeitetes Bildmaterial aus der Stadt wurde gezeigt, und wir sahen zu, wie ein Kameramann über ein Haus schwenkte, in dessen Wand ein notdürftig mit Sperrholz bedecktes, riesiges Loch gähnte. Auf dem Holz prangte ein schwarz gesprühtes, arabisches Graffiti, und der Reporter der Nachrichtensendung sprach über den Zorn auf der Straße und den Hass. Hassan fing an zu lachen.
Ich fragte ihn, was denn so lustig sei, und er antwortete: »Das Graffiti.«
Ich fragte: »Was ist denn so lustig daran?«
Hassan antwortete: »Es bedeutet, ›Herzlichen Glückwunsch, mein Herr, trotz widriger Umstände‹.«
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Im Minutentakt der Nachrichten kommt kaum jemand darauf, dass ein arabisches Graffiti »Herzlichen Glückwunsch, mein Herr, trotz widriger Umstände« bedeuten könnte. Ich projiziere meine Erwartungen und Ängste auf alle und alles, was mir begegnet. Ich glaube, dass das, was ich für wahr halte, wahr sein muss, weil ich es glaube. Ich stelle mir Leben vor, die Welten von meinem eigenen entfernt scheinen. Ich vereinfache. Ich vergesse, dass alle irgendwann Geburtstag haben.
Guter Journalismus versucht, solche Voreingenommenheit auszugleichen und uns ein besseres Verständnis für das Universum und unseren Platz darin zu vermitteln. Doch wenn wir die Schrift auf dem Sperrholz nicht lesen können, aber trotzdem zu wissen glauben, was sie bedeutet, dann verbreiten wir Ignoranz und Selbstgefälligkeit, nicht Frieden und Freundschaft, wie von Turner versprochen.
Ich gebe CNN zwei Sterne.