Neulich, inmitten einer globalen Pandemie, rief ich in meiner Apotheke an, weil ich wieder Mirtazapin brauchte. Mirtazapin ist ein tetrazyklisches Antidepressivum, das auch zur Behandlung von Zwangsstörungen eingesetzt wird. In meinem Fall ist es lebensrettend. Wie auch immer, ich rief also in der Apotheke an, nur um zu erfahren, dass sie geschlossen hatte.
Ich rief dann eine andere Apotheke an und hatte eine sehr sympathische Frau am Telefon. Als ich die Situation erklärte, sagte sie, dass das kein Problem sei, aber bevor sie das Rezept verlängern könne, müsse sie zuerst in der Praxis meines Arztes anrufen. Sie fragte, wann ich das Medikament bräuchte, und ich antwortete: »In einer perfekten Welt würde ich es heute Nachmittag abholen.«
Am anderen Ende der Leitung entstand eine Pause. Dann sagte die Frau mit einem unterdrückten Lachen: »Schätzchen, die Welt ist leider nicht perfekt.« Sie legte mich in die Warteschleife und sprach mit der Apothekerin, nur dass sie mich nicht richtig in die Warteschleife legte, sondern lediglich den Hörer hinlegte. Und ich hörte sie zu ihrer Kollegin sagen: »Der hat gesagt — halt dich fest! —, der hat gesagt, in einer perfekten Welt würde er das Medikament heute abholen.«
Schließlich konnte ich das Rezept am folgenden Nachmittag holen. Als ich kam, zeigte die Frau hinter der Theke auf mich und sagte: »Das ist der Perfekte-Welt-Typ.« Stimmt, das bin ich, der Perfekte-Welt-Typ, und ich möchte jetzt etwas über die Pest zum Besten geben — die einzige Art von Geschichten, die ich momentan erzählen kann.
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Im Jahr 2020 habe ich über fast nichts anderes als Pandemien gelesen. Wir bekommen ständig zu hören, wir würden in einer noch nie da gewesenen Zeit leben. Aber was mich beunruhigt, ist, dass es sich für mich gar nicht so anfühlt. Neuland zu betreten ist für Menschen oft verlockend, weil das Territorium, das wir schon kennen, von Krankheiten, Ungerechtigkeit und Gewalt besetzt ist.
Wenn man etwa über die Cholera im 19. Jahrhundert liest, kommt einem vieles bekannt vor. Inmitten der Angst vor der Krankheit breiteten sich Falschinformationen überallhin aus. In Liverpool kam es zu Cholera-Unruhen, als das Gerücht kursierte, Krankenhauspatienten würden getötet, damit Ärzte ihre Leichen obduzieren könnten.
Damals wie 2020 kam es zu heftigem Widerstand gegen die Maßnahmen der Gesundheitsbehörden. Ein amerikanischer Beobachter schrieb im 19. Jahrhundert, die Isolierungsmaßnahmen würden »den Handel und die Industrie des Landes mit unnötigen Einschränkungen inkommodieren«.
Damals wie 2020 verließen die Reichen die Städte in Scharen. Als die wohlhabenden New Yorker während des Choleraausbruchs 1832 aus der Stadt flohen, schrieb eine Zeitung: »Die Straßen waren in allen Richtungen mit voll besetzten Postkutschen gefüllt … alle in Panik, auf der Flucht aus der Stadt.«
Damals wie 2020 gab man Außenseitern und Randgruppen die Schuld an der Ausbreitung der Krankheit. »Nicht sesshafte Iren aus Sunderland haben die Cholera zweimal zu uns gebracht«, stand in einem englischen Bericht zu lesen.
Damals wie 2020 hatten die Armen ein viel größeres Risiko, zu sterben. Im Hamburg des 19. Jahrhunderts hatten die Ärmsten ein neunzehn Mal höheres Risiko, an der Cholera zu sterben, als die Reichsten. Diese Statistik hat sich seither noch verschlechtert: Im 21. Jahrhundert sterben die Armen Tausende Male eher an Cholera als die Reichen. Der Cholera fallen jedes Jahr mindestens 90.000 Menschen zum Opfer, obwohl es einen sicheren und wirksamen Impfstoff gibt und die Krankheit bei ausreichender Flüssigkeitszufuhr nur ganz selten tödlich endet. Die Cholera tötet weiter Menschen, aber nicht weil uns wie noch vor zweihundert Jahren die Instrumente fehlen würden, sie zu verstehen und zu behandeln, sondern weil wir uns als menschliche Gemeinschaft täglich neu dagegen entscheiden, der Gesundheit der in Armut lebenden Menschen Vorrang einzuräumen. Wie Tuberkulose,*33 Malaria und andere Infektionskrankheiten kann sich auch die Cholera im 21. Jahrhundert nur deshalb behaupten, weil die Reichen sich nicht durch sie bedroht fühlen. Tina Rosenberg schrieb: »Wahrscheinlich war das Schlimmste, das der Malaria in armen Ländern je passiert ist, ihre Ausrottung in reichen Ländern.«
Die Krankheit behandelt die Menschen nur dann gleich, wenn die Gesellschaft die Menschen gleich behandelt. Auch dafür gibt es Präzedenzfälle. Nachdem die Pest, verursacht durch das Bakterium Yersinia pestis, England im 14. Jahrhundert heimgesucht hatte, notierte ein Chronist: »Praktisch keiner der Lords und großen Herren ist an dieser Pest gestorben.«
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An der Pest starben in den Jahren von 1347 bis 1351 vielleicht die Hälfte aller in Europa lebenden Menschen. Was damals allgemein »große Pestilenz« oder »großes Sterben« genannt wurde, ist heute als Schwarzer Tod bekannt, eine Pandemie, die auch Asien, Nordafrika und den Nahen Osten heimsuchte. Wie der ägyptische Historiker al-Maqrizi feststellte, unterschied die Pest nicht zwischen verschiedenen Gegenden.
Al-Maqrizis Heimatstadt Kairo war 1340 mit rund 600.000 Einwohnern die größte Stadt der Welt, China ausgenommen. Mindestens ein Drittel davon starb innerhalb von acht Monaten ab dem Sommer 1348. Der berühmte Weltreisende Ibn Battuta berichtete, dass auf dem Höhepunkt der Epidemie in der Stadt Damaskus täglich 2400 Menschen starben.
Viele hielten das Ende der Menschheit für gekommen. Der Historiker Ibn-Chaldun schrieb, es habe sich angefühlt, »als hätte die Stimme des Lebens in der Welt unsere Auslöschung verlangt«. Christliche Gemeinden sprachen von einer Katastrophe, die noch endgültiger und umfassender sei als die Sintflut. Die Chronisten von Padua schrieben, »zur Zeit Noahs vernichtete Gott nicht alle Lebewesen und konnte die Menschheit sich erholen«.
Es ist schwer, das Ausmaß der Katastrophe auch nur zu ermessen. In Städten von Paris bis London und Hamburg starb ein Großteil der Einwohner an der Pest und dem darauffolgenden Zusammenbruch des städtischen Gefüges. In Dubrovnik wütete der Tod so erbarmungslos, dass die Regierung alle Bürger aufforderte, ein Testament zu machen. In Florenz, einer Stadt von über 100.000 Einwohnern, starben nach einer neueren Schätzung 80 Prozent der Bevölkerung innerhalb von vier Monaten. In Irland beschrieb der Franziskanermönch John Clyn das Leben als »Warten inmitten des Todes auf den Tod«.
Gegen Ende seines Pesttagebuchs schrieb Clyn: »Damit diese Aufzeichnungen nicht mit ihrem Verfasser untergehen oder das Werk mit dem, der es geschaffen hat, hinterlasse ich [zusätzliches] Pergament für die Fortsetzung des Werkes, falls jemand in Zukunft noch am Leben sein sollte.« Darunter folgt noch ein kurzer Anhang in einer anderen Schrift: »Hier, so scheint es, ist der Autor verstorben.«
In Florenz schrieb Giovanni Villani über die Pestilenz: »Viele Länder und Städte wurden verwüstet. Und die Pest dauerte an bis …« Hier ließ er eine Leerstelle, die nie gefüllt wurde, weil er noch vor Ende der Seuche selbst an der Pest starb.
Über den Schwarzen Tod nachzulesen vermittelt einen Eindruck davon, wie es mit unserer Art enden könnte — mit Sehnsucht, Verzweiflung und Panik, aber auch unausrottbarer Hoffnung, jener Hoffnung, die Menschen veranlasst, Sätze nicht zu beenden oder einem Buch zusätzliches Pergament beizufügen für den Fall, dass in der Zukunft noch jemand am Leben ist. Wie William Faulkner es einmal ausgedrückt hat: »Man kann ganz leicht sagen, dass der Mensch unsterblich ist, einfach weil er überdauern wird: und dass, wenn der letzte Glockenschlag des Untergangs vom letzten wertlosen Felsen ertönt und verklungen ist, der gezeitenlos im letzten roten und sterbenden Abend hängt, immer noch etwas zu hören sein wird: sein belangloses Stimmchen, das unermüdlich weiterredet.« Faulkner sagte dann auch noch, die Menschheit werde nicht nur überleben, sondern triumphieren, was sich für mich heute etwas ehrgeizig anhört. Ich für meinen Teil wäre schon heilfroh, nur zu überleben.
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Die Historikerin Rosemary Horrox schrieb über den Schwarzen Tod: »Das schiere Ausmaß der Katastrophe trieb die Chronisten dazu, Zuflucht beim Klischee zu suchen … In einer Chronik nach der anderen erscheinen dieselben Kommentare.« Und tatsächlich, überall in der Welt der Pest wiederholen sich die Geschichten. So lesen wir, dass Leichen auf den Straßen von Florenz herumlagen, die Friedhöfe in Frankreich überschwemmten und den Nil in Ägypten verstopften. Die Plötzlichkeit des Geschehens ist ein weiterer Schwerpunkt der Chronisten. Am einen Tag ist nur eine einzelne Nonne krank, eine Woche später schon die ganze Ordensgemeinschaft tot. Und die Rituale, die den Tod umgeben, müssen geändert werden. Die Glocken läuten nicht mehr für die Toten, weil sie dann ununterbrochen läuten müssten. Und wie ein Autor schrieb: »Die Kranken wollten sie nicht hören und das Geläut entmutigte auch die Gesunden.«
Für mich war allerdings am erschütterndsten, wie in den Pestberichten immer wieder von der Verlassenheit der Kranken die Rede ist, die besonders in Europa aus Furcht vor Ansteckung oft allein sterben mussten. Als die Dichterin Joe Davidman 1960 starb, schrieb ihr Mann C. S. Lewis: »Niemand hat mir je gesagt, dass Trauer sich so sehr wie Angst anfühlt.« Aber während einer Pandemie zu trauern, heißt zu trauern und Angst zu haben. »Aus Angst vor Ansteckung«, hielt ein Autor fest, »besucht kein Arzt den Kranken und auch nicht der Vater den Sohn, die Mutter die Tochter [oder] der Bruder den Bruder … Und so starb eine unüberschaubare Zahl von Menschen ohne jede Geste der Zuneigung, der Frömmigkeit oder der Nächstenliebe.« In der byzantinischen Hauptstadt Konstantinopel schrieb Demetrios Kydones: »Väter wagen es nicht, die eigenen Söhne zu begraben.«
Aus Angst vor dem Tod und weil sie hofften, zu überleben, überließen viele die Kranken einem einsamen Tod. Alles andere hieß, das eigene Leben zu riskieren und das Leben der Lieben, die einem noch geblieben waren. Der Schwarze Tod gehört in eine ganz andere Größenordnung als unsere gegenwärtige Pandemie — er war um ein Tausendfaches tödlicher und man wusste viel weniger über ihn. Aber noch heute trennen ansteckende Krankheiten uns gerade dann, wenn wir besonders verletzlich sind. Viele von uns, Kranke wie Gesunde, mussten sich in die Isolation begeben. Zu viele sind fern von ihren Lieben gestorben, mussten sich im Videochat oder über einen Telefonanschluss verabschieden. Im New England Journal of Medicine schrieb ein Arzt von einer Frau, die das Sterben ihres Mannes auf FaceTime mit ansah.
Vielleicht ist das der Grund, warum ich nicht aufhören kann, über Pandemien zu lesen. Die Einsamkeit dieser Menschen verfolgt mich. Als ich sechzehn war, starb ein Freund von mir. Er starb allein, was für mich sehr schwer war. Ich musste immer wieder an seine letzten Minuten denken, Minuten der Einsamkeit und Hilflosigkeit. Ich habe davon immer noch Albträume — ich sehe die betreffende Person und die Angst in ihren Augen, kann aber nicht zu ihr kommen, bevor sie stirbt.
Ich weiß, dass es den Schmerz nicht lindert, wenn man beim Tod eines Menschen dabei ist, dass es ihn in einigen Fällen sogar steigert, aber trotzdem kreise ich in Gedanken wie ein Geier immer wieder um diese Tragödie, für die es so viele Präzedenzfälle gibt, Fälle, in denen man nicht die Hand des geliebten Menschen halten und sich von ihm verabschieden kann.
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Als ich im Kinderkrankenhaus arbeitete, war ich selbst noch ein Kind — so dünn, dass ich in meinem taubenblauen Kaplanskittel aussah wie ein Junge in der Anzugsjacke seines Vaters. Die Monate, in denen ich als studentischer Kaplan dort arbeitete, sind die Achse, um die sich mein Leben dreht. Ich habe die Arbeit geliebt und konnte sie zugleich nicht tun — es gab zu viel Leid, das ich nicht lindern konnte.
Aber heute, im Rückblick, bemühe ich mich, diesen Zweiundzwanzigjährigen nicht als schlechten studentischen Kaplan zu verurteilen, und ich weiß, dass ich manchmal helfen konnte, auch wenn ich nur die Hand eines Menschen gehalten habe, der sonst allein gewesen wäre. Aufgrund dieser Arbeit bin ich den Menschen ewig dankbar, die sich dafür engagieren, dass Sterbende auf ihrem letzten Weg, wie wir ihn alle gehen müssen, so lange wie möglich Begleitung haben.
Zur Zeit des Schwarzen Todes gab es viele solcher Menschen — Mönche, Nonnen, Ärzte und Krankenschwestern, die an der Seite der Kranken blieben, beteten und ihnen Trost zusprachen, obwohl sie wussten, dass diese Arbeit mehr als nur gefährlich war. Dasselbe galt für die Cholerapandemien des 19. Jahrhunderts. Laut Charles Rosenbergs The Cholera Years starben 1832 »im Greenwich Hospital von New York vierzehn von sechzehn Krankenschwestern an der Cholera, mit der sie sich bei der Pflege der Patienten angesteckt hatten«. Damals wie heute wurden die Angestellten des Gesundheitswesens für ihren heldenhaften Einsatz gelobt, während man zugleich erwartete, dass sie ihre Arbeit ohne ausreichende Unterstützung verrichteten, wenn etwa nicht genügend saubere Kittel und Handschuhe zur Verfügung standen.
Die meisten Namen dieser Begleiter sind in Vergessenheit geraten, aber unter ihnen war der Arzt Guy de Chauliac, der in Avignon blieb, als die Pest dort wütete, und weiter Patienten behandelte, obwohl er, wie er später schrieb, »in ständiger Angst« lebte. Es stimmt, dass der gegenwärtige Schrecken Vorläufer hat. Doch gilt das auch für unsere Fähigkeit der Zuwendung.
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Der Historiker des 18. Jahrhunderts Barthold Georg Niebuhr schrieb einmal, die Zeiten der Pest seien immer die, in denen die bestialische und teuflische Seite der menschlichen Natur die Oberhand gewinne. In Europa machte man zur Zeit des Schwarzen Todes vor allem die Juden für die Seuche verantwortlich. Wilden Verschwörungstheorien zufolge vergifteten sie Brunnen oder Flüsse. Man presste ihnen durch Folter Geständnisse ab und ermordete sie zu Tausenden. Ganze Gemeinden mussten den Flammentod sterben und die emotionslose, sachliche Art der Berichte darüber ist erschreckend. Heinrich Truchsess schrieb, zuerst seien im November die Juden in Sölden getötet oder verbrannt worden, dann seien sie in Zofingen ergriffen und einige auf das Rad geflochten und schließlich in Stuttgart alle verbrannt worden. Dasselbe sei im November in Landsberg geschehen.
Und so geht es weiter, Absatz für Absatz.
Viele, darunter auch Guy de Chauliac, erkannten, dass die Juden unmöglich im Zuge einer gigantischen Verschwörung die Pest durch Brunnenvergiften hätten verbreiten können. Aber Fakten können Verschwörungstheorien nicht eindämmen und die lange Geschichte des Antisemitismus in Europa machte die Menschen anfällig dafür, selbst die absurdesten Geschichten über Giftmorde zu glauben. Papst Clemens VI. gab zu bedenken, es könne »nicht stimmen, dass die Juden … Ursache oder Anlass der Pest sind, denn in vielen Gegenden der Welt befällt dieselbe Pest … die Juden selbst und viele andere Völker, die nie mit ihnen zusammengelebt haben.« Trotzdem wurde in vielen Gemeinden weiter gefoltert und gemordet und antisemitische Vorstellungen von geheimen internationalen Verschwörungen waren verbreitet.
Es ist eine menschliche Geschichte. Es ist menschlich, in einer Krise Randgruppen nicht nur die Schuld zu geben, sondern sie auch zu töten.
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Aber zu sagen, eine Zeit der Pest würde nur die bestialischen und teuflischen Seiten der menschlichen Natur hervortreten lassen, ist zu vereinfachend. Ich habe den Eindruck, dass wir die »menschliche Natur« im Fortgang der Geschichte jeweils selbst erfinden. »Nur sehr wenig in der Geschichte ist unvermeidlich«, schrieb Margaret Atwood. Die Dämonisierung von Randgruppen als unvermeidlich hinzunehmen, hieße, das ganze Unternehmen Mensch aufzugeben. Was den jüdischen Bürgern von Stuttgart und Landsberg und so vieler anderer Orte zustieß, war nicht unvermeidlich. Es war eine bewusste Entscheidung.
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Inmitten der Schrecken des Schwarzen Todes erzählt Ibn Battuta von Menschen, die in Damaskus zusammenkommen. Sie haben an drei aufeinanderfolgenden Tagen gefastet, wie er schreibt, und sich dann »in der großen Moschee versammelt, bis sie zum Bersten voll war …und dort die Nacht im Gebet verbracht … Nach den Morgengebeten am folgenden Tag gingen sie gemeinsam nach draußen, alle mit dem Koran in den Händen und die Emire barfuß. Die Einwohner der Stadt schlossen sich der Prozession an, Männer und Frauen, Groß und Klein. Die Juden kamen mit ihrem Gesetzbuch und die Christen mit ihrem Evangelium, alle mit ihren Frauen und Kindern. Weinend und die Gnade Gottes durch seine Bücher und seine Propheten erflehend, schritten sie zur Moschee der Fußabdrücke und beteten dort bis fast zur Mittagszeit und riefen Gott an. Dann kehrten sie in die Stadt zurück und hielten den Freitagsgottesdienst ab und Gott machte ihnen ihre Sorgen leichter.«
In Ibn Battutas Bericht gehen sogar die Mächtigen barfuß als Zeichen der Gleichheit und alle Menschen kommen im Gebet zusammen, ungeachtet ihres religiösen Hintergrunds. Natürlich ist unsicher, ob die Massenversammlung die Ausbreitung der Pest in Damaskus wirklich verlangsamt hat — aber wir sehen an seinem Bericht, dass eine Krise nicht immer nur die Grausamkeit in uns zum Vorschein bringt. Sie kann uns auch dazu bringen, unser Leid und unsere Gebete miteinander zu teilen und einander als gleichwertige Menschen zu behandeln. Und wenn wir so auf die Krise reagieren, wird unsere Not vielleicht tatsächlich leichter. Es liegt in der Natur des Menschen, in schlechten Zeiten andere zu beschuldigen und zu dämonisieren, aber genauso liegt es in unserer Natur, uns zu einem gemeinsamen Fußmarsch zusammenzuschließen, die Anführer barfuß wie die, die ihnen folgen.
Die Einwohner von Damaskus haben uns ein Modell hinterlassen, wie wir in unserer heutigen Zeit leben können — einer Zeit, für die es Präzedenzfälle gibt. Der Dichter Robert Frost drückte es so aus: »Der einzige Ausweg ist der mittendurch.« Und das geht nur gemeinsam gut. Selbst wenn die Umstände uns trennen — oder gerade dann —, ist der Weg mittendurch ein gemeinsamer.
Ich bin höchst misstrauisch gegenüber Versuchen, menschliches Leid zu beschönigen, insbesondere Leid, das — wie bei Infektionskrankheiten fast immer — ungerecht verteilt ist. Ich will hier nicht die Hoffnungen anderer Menschen kritisieren, aber wenn ich persönlich höre, wie jemand sich poetisch über den Silberstreif all dieser Wolken ergeht, denke ich immer an ein wunderbares Gedicht von Clint Smith mit dem Titel »Wenn Menschen sagen ›Wir haben schon Schlimmeres überstanden‹«. Das Gedicht beginnt mit »ich höre nur den Wind gegen die Grabsteine derer klatschen, die es nicht geschafft haben«. Wie in Ibn Battutas Damaskus ist der einzige Ausweg wahre Solidarität — nicht nur in der Hoffnung, sondern auch in der Trauer.
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Meine Tochter meinte neulich, dass man im Winter denkt, es wird nie wieder warm, und im Sommer, es wird nie wieder kalt. Aber die Jahreszeiten folgen trotzdem aufeinander und nichts von dem, was wir wissen, hat Bestand — nicht einmal das.
Die Pest kriegt nur einen Stern — natürlich —, aber für unsere Reaktion darauf kann es mehr geben.